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BERICHT/116: Großschlachtung - Werkverträge und Profite ... (2) (SB)



In der Regel haben sie nur befristete Arbeitsverträge, oft in Kettenbefristungen. Man trifft Leute, die seit vier, fünf Jahren in ein und der selben Fabrik arbeiten, aber nie Arbeitsverträge haben, die länger andauern als ein Jahr. Dieselben Eigentümergruppen besitzen oft eine Vielzahl solcher Werkvertragsfirmen und die Beschäftigten werden oft von einem Unternehmen ins nächste geschoben. So kann man sie praktisch endlos in befristeten Verträgen beschäftigen, muss ihnen nie mehr als den Mindestlohn zahlen und hält sie zugleich in einem sehr rechtlosen Status. Es gibt illegale Lohnabzüge für Messer und Arbeitsbekleidung. Es werden weniger Stunden bezahlt, als die Leute tatsächlich arbeiten, Umkleide- und Wegezeiten, Zeiten, die die Leute brauchen, um die Messer zu schärfen, sogar Zeiten, in denen die Fließbänder aus technischen Gründen stillstehen, werden oft nicht bezahlt. In der Regel vermietet der Arbeitgeber auch die Unterkünfte und verdient auf diese Weise zweimal.
Szabolcs Sepsi, Koordinator des Zusatzprojekts Fleischindustrie bei Faire Mobilität [1]

Das Ansehen der fleischproduzierenden Agrarindustrie könnte schlechter kaum sein, wird sie doch für die Nitratbelastung des Trinkwassers, gesundheitsschädliche Feinstaubemissionen, Verlust an Biodiversität, die Rodung des amazonischen Regenwaldes und nicht zuletzt Tierquälerei verantwortlich gemacht. Das Thema Massentierhaltung bewegt die Menschen, und die großen Fleischkonzerne tun einiges dafür, daß die Reputation der Branche nicht noch schlechter wird, als sie ohnehin schon ist. Eher im Schatten der erregten Debatte, die anläßlich der Grünen Woche in Berlin ungemein hohe Wellen schlägt, stehen die meist aus osteuropäischen EU-Staaten stammenden ArbeitsmigrantInnen, die von Werkvertragsunternehmen in den Schlachtfabriken in besonders hoher Zahl eingesetzt werden.

Dabei könnte die Bedeutung billiger und zudem gewerkschaftlich kaum organisierter Arbeitskräfte für die Profitabilität der Schlachtindustrie kaum hoch genug zu schätzen sein. Mit ihrer Arbeit sorgen sie nicht nur dafür, daß Fleischprodukte in der Bundesrepublik konkurrenzlos billig sind, sie schränken auch mögliche Lohnforderungen der Stammbelegschaften ein, die neben Leih- und WerkvertragsabeiterInnen häufig nur noch 20 Prozent der Lohnabhängigen in den Schlachthöfen ausmachen. Zudem sichern sie den Bestand einer Exportquote, die bei stagnierender Nachfrage in der Bundesrepublik mindestens ein Fünftel der Gesamtproduktion beträgt und bei einzelnen Unternehmen fast die Hälfte der bei ihnen hergestellten Fleischprodukte betragen soll. Ein Ergebnis deutscher, mit EU-Subventionen angeheizter Exportstärke besteht in der Zerstörung regionaler Märkte in den Ländern des Globalen Südens und dabei insbesondere Afrikas, ein anderes in der Unterbietung der Fleischindustrien von EU-Staaten, in denen höhere Löhne gezahlt und bessere Sozialstandards geboten werden [2]. Zudem belasten die externalisierten Umweltkosten der Tierproduktion die ökologischen Ressourcen der Bundesrepublik, weshalb eine umweltpolitische Forderung in der Flächenbindung der Tierproduktion besteht, so daß nicht mehr Gülle ausgebracht werden muß, als tatsächlich für die Pflanzenerzeugung in der Landwirtschaft benötigt wird und für das Trinkwasser verträglich ist.


Auf dem Podium - Foto: © 2019 by Schattenblick

Anja vom Stützkreis und Norbert Wagner
Foto: © 2019 by Schattenblick


Ausbeutung durch Arbeit ... nicht nur für Gewerkschaften ein Problem

Mit welchen Maßnahmen die Fleischkonzerne ihre Reputation sichern, mußte die Gewerkschaftslinke Hamburg bei der Vorbereitung einer Veranstaltung zum Thema der Arbeits- und Wohnverhältnisse ausländischer KollegInnen in deutschen Schlachthöfen erleben. Sie wurde von einer Berliner Anwaltskanzlei zum Verfassen einer Unterlassungserklärung aufgefordert, was sie umgehend tat [3]. Wie im Verlauf der Veranstaltung am 9. Januar zu erfahren sind solche Maßnahmen kein Einzelfall, so daß die meist über geringe Finanzmittel verfügenden KritikerInnen in der Fleischindustrie üblicher Arbeitspraktiken die Wahl ihrer Worte genau abwägen müssen, um keine Angriffsflächen legalistischer Art zu bieten.

Dennoch bot die Veranstaltung interessante Einblicke in den Alltag der WanderarbeiterInnen, die meist aus materieller Not nach Deutschland kommen, um hierzulande ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Norbert Wagner, Betriebsratvorsitzender bei Holcim Lägerdorf und ehrenamtlicher DGB-Vorsitzender im Kreis Steinburg, wurde eher zufällig mit der Situation der ArbeitsmigrantInnen konfrontiert, weil seine aus Rumänien stammende Ehefrau als ehrenamtliche Übersetzerin für rumänische Angestellte eines Fleischwerkes angefragt wurde. Wagner berichtet über an den Standorten Kellinghusen, Bad Bramstedt und Husum, wo mit Tönnies, Vion und Danish Crown drei große Fleischkonzerne Betriebe führen, immer wiederkehrende Probleme mit den Arbeits- und Wohnverhältnissen dort eingesetzter WanderarbeiterInnen.

So würden die von den Werkvertragsfirmen angemieteten Räumlichkeiten häufig zu hoch belegt, wobei diese Form der Kasernierung der ArbeiterInnen auch verhindere, daß sie mit der lokalen Bevölkerung in Kontakt kommen und dabei Deutsch lernen. Nicht nachvollziehbare Nachforderungen für Heizkosten und Wasser, die weit höher als die Mieten selbst sind, könnten ohne Deutschkenntnisse kaum bewältigt werden. So werde auch jeder Amtsbesuch zu einem Problem, und Forderungen wie etwa Nachzahlungen für die GEZ, die schon einmal mehrere hundert Euro betragen könnten, stellen die Betroffenen vor Schwierigkeiten, die für sie unüberschaubar sind. Es komme immer wieder zu intransparenten und unklaren Entgeltabrechnungen, auch passiere es, daß die versprochenen Lohnzahlungen nicht mit dem tatsächlich überwiesenen Geld übereinstimmten.

Heute würden die Arbeitsverträge immerhin zweisprachig ausgefertigt, allerdings habe man mit dieser Forderung lange hausieren gehen müssen. Wer sich für die ArbeitsmigrantInnen einsetzt, müsse ständig am Ball bleiben, damit überhaupt etwas geschehe und sich um ein Problem wie etwa der Befall von Kakerlaken in einem Gebäude gekümmert würde. Ebenfalls aus Mangel an Sprachkenntnissen könne resultieren, daß aus einer mehrmonatigen Unterbrechung des Arbeitsaufenthaltes in Deutschland Zahlungsforderungen der Krankenkassen entständen, weil die osteuropäischen Angestellten dort nicht abgemeldet wurden. Probleme gäbe es auch bei der Inanspruchnahme von Kindergeld, was hierzulande steuerzahlenden ArbeiterInnen zusteht, dessen Auszahlung sich aber über viele Monate verzögern könne, weil ArbeiterInnen mit Kindern im Ausland den dafür erforderlichen Antrag nur bei einer Behörde in Nürnberg stellen könnten.

Arbeitszeitverstöße, nicht gewährter Urlaub, willkürlich beendete Arbeitsverhältnisse, nicht gewährte Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall, der bei Schlachtern häufig auftritt, da dieser Beruf mit einer hohen Verletzungsgefahr einhergeht, sind alltägliche Ereignisse für Herrn und Frau Wagner. Ihr Ruf als engagierte und tatkräftige UnterstützerInnen der WanderarbeiterInnen habe bereits dazu geführt, daß immer wieder Ärzte, Rechtsanwälte und die Polizei bei ihnen um Rat und Hilfe nachfragten. Norbert Wagner wünscht sich mehr Verbündete bei dieser ehrenamtlichen Arbeit und appelliert, die polnischen, rumänischen und bulgarischen ArbeiterInnen in die jeweiligen Gemeinden zu integrieren und mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Anja vom Stützkreis Kellinghusen, der mit mehreren AktivistInnen zum Jour Fixe der Gewerkschaftslinken Hamburg angereist war, hat es ebenfalls häufig mit Problemen zu tun, die beim Umgang der WerkvertragsarbeiterInnen mit Ämtern und Behörden entstehen. Seit der Schlachthof 2015 seine Tätigkeit aufgenommen hat, seien die BürgerInnen der 8000 Einwohner großen Gemeinde in Schleswig-Holstein angesichts der damit einhergehenden ökologischen und sozialen Probleme in einer Bürgerinitiative und dem Stützkreis aktiv geworden. Die schlechten Arbeits- und Wohnbedingungen seien einfach nicht hinnehmbar und auch durch einen runden Tisch, an dem auch Vertreter des Schlachthofes sitzen, bislang nicht gelöst worden. Es gebe keine Anlaufstelle, die sich der Probleme in ihrer Gesamtheit annehme, und dementsprechend kein Patentrezept für Lösungen.

Ihr sei inzwischen bewußt geworden, daß das Interesse an der Arbeit wichtiger als Interesse an den Menschen sei, die sie verrichten. Der 30 AktivistInnen umfassende Stützkreis bestehe aus Laien, die sich unter anderem am Modell des Sögeler Weges orientieren. Um dieses in der niedersächsischen Samtgemeinde Sögel entstandene Modell, mit dem die Probleme der WerkvertragsarbeiterInnen im Einvernehmen mit dem dort niedergelassenen Schlachthof gelöst werden sollen, ist allerdings eine Kontroverse mit der zuständigen Gewerkschaft NGG entstanden. Im Kern geht es um die Forderung nach einer Festanstellung zum Aufbau einer Stammbelegschaft, der das Unternehmen unter Verweis auf unzureichende Kosteneffizienz und nichtvorhandene Arbeitskräfte entgegenhält, daß die Werkvertragsarbeit bislang alternativlos sei. So solle versucht werden, mit Werkvertragsfirmen Gemeinschaftsunternehmen zu bilden, um die Situation für die Beschäftigten praktisch betriebsintern zu verbessern [4].


Auf dem Podium - Foto: © 2019 by Schattenblick

Inge Bultschnieder präsentiert Zeitungsbericht über Rosenmontagsaktion
Foto: © 2019 by Schattenblick


Nicht mehr wegschauen können ...

Inge Bultschnieder lebt als Bäckerin in Rheda-Wiedenbrück, einem der Zentren der deutschen Schlachtindustrie. Auch sie wurde mit den Problemen der ArbeitsmigrantInnen eher zufällig konfrontiert, als sie 2013 bei einem Krankenhausaufenthalt eine Werkvertragsarbeiterin kennenlernte, die sie um Hilfe bat. Die Frau namens Katya lebte in einem Nachbarort mit vier weiteren Frauen auf einem Zimmer, in dem die Betten bereits gegen Sofas ausgetauscht wurden, um sich darin überhaupt noch bewegen zu können. Die notorisch feuchte Wohnung verfügte nur über eine winzige Küche, und die ungenügenden hygienischen Bedingungen sorgten dafür, daß die Asthmatikerin immer wieder erkrankte, was sie nicht davon abhielt, aus Angst vor Verlust ihres Jobs zur Arbeit zu gehen. Als sie eines Tages regelrecht zusammenbrach, nahm Familie Bultschnieder Katya für fünf Monate bei sich zu Hause auf. Dabei konnte die Aktivistin selbst erleben, wie Katya mit entzündetem Handgelenk 12 Stunden täglich arbeitete und so Gefahr lief, sich ein chronisches Gelenkleiden zuzuziehen. Dieses Krankheitsbild tritt in Schlachtfabriken häufig auf, da die immer gleichen Schneidebewegungen beim Zerlegen der Tiere und die Lasten, die dabei bewegt werden müssen, zu Überbelastungen bestimmter Gelenke führen.

Seit 2013 engagiert sich Inge Bultschnieder im Rahmen der bald darauf gegründeten Interessengemeinschaft WerkFAIRträge dafür, nicht nur die Lebens- und Arbeitsbedingungen der WerkvertragsarbeiterInnen zu verbessern, sondern auch öffentliches Bewußtsein für die Zustände in den örtlichen Schlachthöfen und den Wohnungen zu schaffen, die die Werkvertragsunternehmen ihren ArbeiterInnen vermieten. Dabei handle es sich allerdings um eine regelrechte Sisyphusarbeit, auch wenn sich die Situation seit Einführung des Mindestlohns etwas verbessert habe. Dennoch werde der Mindestlohn bisweilen laut Aussagen von WerkvertragsarbeiterInnen unterlaufen, indem sie zum Beispiel im Krankheitsfall pro Tag 10 Euro Miete mehr bezahlen müßten oder die Arbeitsstunden nicht korrekt abgerechnet würden. Mitunter behielten Subunternehmen auch die Krankenversicherungskarten ihrer Angestellten ein, so daß diese nicht ohne weiteres einen Arzt aufsuchen könnten.

Ein Problem ihrer Aufklärungsarbeit bestehe darin, daß die ArbeiterInnen aus Angst vor Verlust ihres Arbeitsplatzes so eingeschüchtert seien, daß sie die erlebten Mißstände nicht öffentlich bezeugen wollten. So unternehme ihre Initiative viel, um die Lebensbedingungen der WerkvertragsarbeiterInnen in Rheda-Wiedenbrück bekannt zu machen, doch stünde die IG WerkFAIRträge damit ziemlich allein auf weiter Flur. Allerdings verweist Inge Bultschnieder mehrmals auf die positive Rolle, die das DGB-Projekt Faire Mobilität, mit dem ihre Initiative zusammenarbeitet, bei der Beratung osteuropäischer ArbeiterInnen und dem Eintreten für ihre Rechte spielt.

Daß die für ihr Engagement preisgekrönte Aktivistin zu überzeugen weiß, geht nicht nur aus dem Zuspruch hervor, den sie von vielen BürgerInnen Rheda-Wiedenbrücks nach einem ersten Fernsehbericht erhielt, in dem sie das Los der WerkvertragsarbeiterInnen öffentlich machte. Auch beim Jour Fixe wird anhand ihrer Erlebnisse mit WerkvertragsarbeiterInnen, die sie wie zuletzt kurz vor Weihnachten auf einem Koffer sitzend an der Tankstelle traf, schnell deutlich, daß sie gar nicht anders kann, als angesichts des ihr mitgeteilten Elends tätig zu werden. So baten diese vier rumänischen Kollegen sie um Hilfe, weil der Chef ihrer Werkvertragsfirma ihnen die Personalausweise abgenommen hatte. Sie sollten sie nur gegen die Zahlung von 300 Euro zurückerhalten, so der Subunternehmer, der sie nachts aus Wohnung warf und drohte, sie umzubringen, wenn sie zur Polizei gingen. Sie habe die Arbeiter zur Polizeistation gefahren und ihnen dabei geholfen, Anzeige zu erstatten. Von den BeamtInnen habe sie erfahren, daß es in der Stadt immer mehr Obdachlose gebe, denen von einem der rund 20 am Ort tätigen Werkvertragsunternehmen gekündigt wurde und die damit auch ihre Wohnmöglichkeit verlieren.

Auch Inge Bultschnieder mußte schon aufgrund einer Äußerung in einem Interview eine Unterlassungsklage unterschreiben, die sie 2500 Euro kostete. Dabei liege ihr nicht daran, irgendein Unternehmen zu schädigen, sondern sie wolle lediglich den Menschen helfen, die in ihrer Not im fremden Land, dessen Sprache sie nicht mächtig sind, ganz offensichtlich der Hilfe bedürfen. Zumindest den beim Jour Fixe Anwesenden konnte sie Einblicke ins Geschäft der Schlachtfabriken bieten, die deutlich machen, daß es sich nicht nur um Verfehlungen einzelner Unternehmen oder Mißstände einer bestimmten Branche, sondern Ergebnisse einer Arbeitsgesellschaft handelt, in der Kapital um seiner selbst verwertet wird, ganz egal, was genau dabei produziert oder verbraucht wird.


Auf dem Podium - Foto: © 2019 by Schattenblick

Michael Pusch
Foto: © 2019 by Schattenblick


Breites Bündnis zur gegenseitigen Verstärkung

Michael Pusch engagiert sich als Sprecher des Kreisverbandes Gütersloh der Partei Die Linke ebenfalls für osteuropäische WerkvertragsarbeiterInnen und arbeitet dabei auch mit der IG WerkFAIRträge zusammen. Besonders beeindruckt habe ihn die Äußerung einer in der IG aktiven Ärztin, die sich nie hätte vorstellen können, daß mitten in Deutschland Menschen derart ausgemergelt und unterernährt seien wie einige der WerkvertragsarbeiterInnen, die sie behandelt habe.

Als im Mai 2017 bekannt wurde, daß die Firma Tönnies die Kapazität von derzeit 26.000 täglich geschlachteten Schweinen auf über 30.000 Tiere erhöhen und diese Kapazitätserhöhung um 17 Prozent ohne die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch Automatisierung erreichen wolle, habe sich wenige Tage nach Bekanntgabe des Planes das Bündnis gegen die Tönnies-Erweiterung gegründet. Zahlreiche Bündnispartner wie die IG WerkFAIRträge, die Gewerkschaft NGG, die Faire Mobilität, BUND, NaBu, die Linke und die Grünen als auch Tierrechtsorganisationen wie Ariwa und Peta waren sich einig darin, nicht nur die Erweiterung des Schlachthofes zu verhindern, sondern gegen das dadurch repräsentierte System der Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur vorzugehen. Seit Mai 2017 sei man fast jeden Monat auf der Straße gewesen, habe dort Infostände, Straßentheater, Musik und Informationsveranstaltungen gemacht, sei regelmäßig an die Presse herangetreten und habe Flyer verteilt.

Er habe nie zuvor im Laufe seiner politischen Arbeit so viel Zuspruch bekommen, berichtet Michael Pusch. Die Leute ständen Schlange am Infostand und wollten gegen die Erweiterung des Schlachthofes unterschreiben, sie hinterließen ihre Kontaktdaten an, um das Bündnis im Falle einer Klage gegen die Erweiterung unterstützen zu können. Obwohl sie ca. 15.000 Unterschriften gegen die Erweiterung gesammelt und der Kreisverwaltung übergeben hätten, obwohl im Laufe des Verfahrens über 90 Einwendungen von BürgerInnen und Organisationen erhoben wurden, in denen es etwa um Probleme des Wasserverbrauchs und der Abwasserentsorgung oder bei der Produktion entstehenden Lärmes und Gestankes ging, sei das Genehmigungsverfahren nach 26 Monaten im Dezember abgeschlossen worden. Dabei sei bis heute für den größten, 1996 gegründeten Schlachthof Deutschlands keine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgenommen worden.

Als der Kreis Gütersloh am 3. Dezember seine Zustimmung zur Genehmigung der Erweiterung bekannt gemacht habe, wurde die Frist, innerhalb derer die Genehmigungsunterlagen eingesehen werden können, auf den 17. Dezember festgelegt. Ungefähr 200 Dokumente innerhalb von zwei Wochen einzusehen sei kaum möglich, und die Fristbegrenzung für eine Klage auf den 17. Januar mache zumindest den Eindruck, als sei ganz bewußt einkalkuliert worden, daß die Weihnachtszeit nicht eben dafür geeignet ist, Unterstützung zu mobilisieren.

Michael Pusch macht allerdings keineswegs den Eindruck, durch diese Entwicklung in seinem Engagement beeinträchtigt zu sein. Geradezu begeistert schildert er einen Höhepunkt des gemeinsamen Kampfes gegen die Erweiterung des Schlachthofes im letzten Jahr. So sei das Bündnis auf dem Rosenmontagszug in Rheda-Wiedenbrück, als Schweine oder Schlachthofarbeiter verkleidet, mit einem großen Transparent aufgetreten, auf dem "Europas größte Schweinerei" zu lesen stand. Als es lange vor Beginn des Zuges kurz herausgeholt worden war, intervenierte das Rosenmontagskomitee sofort mit der Forderung, das Transparent wieder einzurollen, da es viel zu politisch sei. Die Gruppe folgte der Anweisung, hatte jedoch noch ein Schwein aus Pappe und Holz dabei, auf dem eine Figur mit einer Maske saß, die einem bekannten Fleischfabrikanten ähnelte, was von den Leuten am Straßenrand gut aufgenommen worden sei. Mitten in Wiedenbrück habe man das Transparent noch einmal aufgerollt, nur um wiederum mit der Forderung konfrontiert zu werden, es sofort wieder einzurollen, ansonsten müßten sie den Zug verlassen. Während sie noch mit den karnevalistischen Zensoren verhandelten, riß ein Mitglied des Rosenmontagskomitees das Transparent an sich und lief damit weg. Diese Szene wiederum wurde von den zwei Dokumentarfilmern aufgezeichnet, die einen Film über den Widerstand gegen die Schlachtfabrik drehen und daran ebenfalls durch körperliche Maßnahmen gehindert wurden. Über all das hätten die Medien noch zwei Wochen später ausführlich berichtet, was für das Bündnis als großer Erfolg zu verbuchen war.

Da die Meldungen zur Belastung des Trinkwassers mit Nitraten und multiresistenten Keimen wie der negative Einfluß des Fleischkonsums auf das Weltklima nicht abreißen, habe das Bündnis letztes Jahr viel Öffentlichkeit gehabt. Während die lokale Presse nur vereinzelt und zum Teil verkürzt über ihre Aktivitäten berichtet habe, hätten zwei Internetpublikationen praktisch alle Aussendungen des Bündnisses veröffentlicht. Doch nachdem beide Portale wegen einer unglücklichen Formulierung in zwei Sätzen eines Artikels eine kostenpflichtige Abmahnung erhalten hatten, löschte das Gütersloher Stadtmagazin Gütsel umgehend alle Artikel vom Bündnis gegen Tönnies-Erweiterung von seiner Homepage.

Wie das Beispiel zeigt, birgt schon die Berichterstattung über diese Auseinandersetzung einige Risiken, was um so mehr für den Widerstand vor Ort gilt, bei dem eine Aktivistin leicht zur Persona non grata werden kann, wenn sie sich mit einem großen Steuerzahler der Gemeinde anlegt. Die Schärfe der Auseinandersetzung zeigt aber auch, wie virulent das Thema Fleischkonsum und Tierverbrauch inzwischen geworden ist. In dieser Auseinandersetzung treffen gesellschaftliche Interessen verschiedenster Art aufeinander, stehen die ökologischen Schäden und die ethischen Fragen der Tierausbeutung doch in einem unauflöslichen Verhältnis zur kapitalistischen Mehrwertschöpfung durch die Arbeit in den Schlachtfabriken. Diese nicht zum Thema auch tierschützerischen und tierrechtlichen Engagements zu machen hieße ohne Not auf die ganze Breite des Problems zu verzichten.

Gegen die Ausbeutung von Mensch und Tier vorzugehen könnte das genuine Anliegen eines jeden sein, der oder die erkennt, daß das Problem schon mit der stoffwechselbedingten Reproduktion des eigenen Lebens beginnt und mit der industriellen Produktion von Tierprodukten noch lange nicht aufhört. Solidarität mit WanderarbeiterInnen zu üben setzt genau dort an, wo die Zerstörungskraft der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft am deutlichsten hervortritt, an der offenen Wunde des Verbrauches und der Zerstörung all dessen, was zu schwach ist, um sich im Überlebenskampf zu behaupten. Der sozialdarwinistischen Auslese das Prinzip solidarischen Miteinanders entgegenzustellen ist keine abstrakte Forderung, sondern eine Angelegenheit des Herzens.


Fußnoten:


[1] Zur Situation in der deutschen Fleischindustrie, Berlin 2017
http://www.faire-mobilitaet.de/++co++7c1287b8-ec89-11e6-aea6-525400e5a74a

[2] https://www.magazin-mitbestimmung.de/artikel/Deutsche+Fleischindustrie+-+das+Schmuddelkind+Europas@EDQ9O2PbQjqc0mdGz7TWFg

[3] https://gewerkschaftslinke.hamburg/2019/01/23/jfi-03-2019-toennies-per-gericht-gegen-jour-fixe-jour-fixe-am-6-2-die-gelbwestenbewegung-warum-bedroht-seehofer-die-rote-hilfe-ortegas-engste-freunde-setzen-sich-ab-fuer-die/

[4] https://www.noz.de/lokales/soegel/artikel/1540307/kontroverse-debatte-um-soegeler-weg-zur-werkvertragsarbeit#gallery&0&0&1540307

[5] https://buendnis-gegen-die-toennies-erweiterung.de/stellungnahme-zur-genehmigung-der-toennies-erweiterung-durch-den-kreis-guetersloh


24. Januar 2019


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