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INTERVIEW/052: Wendland frei trotz alledem - Rückbeginn und neue Wege ...    Hermann Klepper im Gespräch (SB)


Einfach leben, entschieden kämpfen

Interview in Gedelitz im Wendland am 22. August 2014



Hermann Klepper ist langjähriger Aktivist der Anti-AKW-Bewegung und auch ganz lebenspraktisch dem Erhalt der Natur verpflichtet. Am Rande des Free Flow Festivals beantwortete der pensionierte Lehrer dem Schattenblick einige Fragen zu seinen politischen Positionen und sozialökologischen Vorstellungen.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Hermann Klepper
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Hermann, wie hat es dich ins Wendland verschlagen?

Hermann Klepper: Ich bin 1967 als junger Lehrer hierhergezogen, nachdem ich mein Studium in Göttingen abgeschlossen hatte. Ich habe Biologie unterrichtet und war immer schon sehr naturverbunden. Von daher habe ich seinerzeit eine Gegend gesucht, wo ich viel draußen sein konnte. Mein Wahl fiel auf den Landkreis Lüchow-Dannenberg. Hier fließt die Elbe, es gibt ganz unterschiedliche Landschaftstypen und wunderschöne Niederungen wie die Geest, die Elbtalaue und das Tiefland der Jeetzel. Das hat mich alles sehr angesprochen. Damals habe ich mich auch der Tierfotografie gewidmet, aber dazu komme ich jetzt leider nicht mehr.

Zwölf Jahre nach dem Umzug ins Wendland kam die Standortbenennung. Es ging ja nicht nur um die Frage des Endlagers, hier sollte ein ganzes Atomzentrum mit Zwischenlager und Wiederaufbereitungsanlage errichtet werden, ein sogenanntes Entsorgungszentrum. Dagegen wollten wir uns wehren und hatten schon Flugblätter vorbereitet. Ich habe mir dann als naiver Lehrer einen Stapel Flugblätter geschnappt und sie in der Schule in Clenze, wo ich unterrichtet habe, verteilt, in dem Glauben, daß hier niemand etwas dagegen einzuwenden hätte.

Aber dann machte der Kreistagsabgeordnete von der CDU, der auch Elternvertreter an der Schule war, ein großes Theater. In dem Moment wurde mir klar, daß die Welt differenzierter ist, als ich gedacht hatte. Dennoch habe ich weitergemacht und zum Beispiel Unterschriften von Lehrern im ganzen Landkreis gesammelt. Ein paar hundert sind so zusammengekommen. An meiner Schule erhielt ich vom Lehrerkollegium viel Unterstützung, weil die meisten Kollegen klar im Kopf waren. Just zu der Zeit, als sie mit den Bohrungen anfingen, gab es einen Waldbrand. Da sind wir losgezogen und haben Bäume gepflanzt.

Als der Castor 1996 kam, habe ich als guter deutscher Beamter auf mein Recht auf Gesundheit gepocht und bin mit fünf oder sechs anderen Kollegen zur Blockade gegangen. Die Schule war für mich in dem Moment ganz uninteressant. Das hatte Ärger zur Folge. Wir bekamen ein Schreiben, in dem es sinngemäß hieß: Wenn Sie nicht..., dann... Trotzdem bin ich wieder zur Blockade gegangen und kriegte ein Disziplinarverfahren, das später jedoch wieder eingestellt wurde. Als ich das Schreiben erhielt, bin ich zur Bezirksregierung gegangen und habe mit den Leuten gesprochen. Mir war es wichtig, daß sie einmal mitbekommen, daß es auch andere Dinge gibt als irgendwelche Vorgaben auf Verwaltungsebene.

Ich habe ihnen erklärt, warum wir das machen und welche Motive uns dazu treiben. Ein Punkt war auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Als Beamter fühlte ich mich dort genau an der richtigen Stelle und habe dementsprechend argumentiert. Sie verwiesen dann auf die Schüler, die ich allein gelassen hatte, und daß sie in dieser Situation Erwachsene bräuchten, die ihnen einen gewissen Halt und Betreuung geben. Wir hatten damals das Thema ökologische Ernährung im Unterrichtsplan. Auf ihren Einwand sagte ich dann, wie soll ich gesunde Ernährung und Lebensqualität unterrichten, wenn Waggons mit radioaktiven Endprodukten durch die Landschaft gefahren und in Gorleben zwischengelagert werden. Ich habe mit ihnen lange hin und her diskutiert. Danach gab es einen Erlaß, daß man Stunden vor- oder nachgeben konnte, immer vorausgesetzt, der Unterricht war versorgt. Schule betrifft ja nicht nur die Schüler, sondern auch die Eltern. Die unterschiedlichen Standpunkte zum Endlager Gorleben gingen durch den ganzen Landkreis und damit auch durch die Familien.

SB: War die lokale Bevölkerung mehrheitlich für oder gegen Atompolitik?

HK: Anfangs stellte die CDU die absolute Mehrheit hier im Landkreis, und entsprechend war auch das Meinungsbild in der Bevölkerung. Aber dann kamen viele Zuzügler aus Berlin hierher, darunter auch Künstler, die sich am Widerstand hier beteiligten und andere Lebensformen ausprobierten. Schließlich wurde das Hüttendorf gebaut. Hier ganz in der Nähe in Laasche gab es im März 1997 eine Blockade gegen einen Castortransport, an der ich teilgenommen hatte. Die Polizei hat uns alle kassiert und ins Präsidium in Neu Tramm gebracht. Wir waren zu dritt in einer Zelle, hatten aber nur zwei Decken. Dann fragte uns einer der Polizeibeamten, ob wir aufs Klo müßten. Drei Polizisten haben mich daraufhin zur Toilette begleitet. Nachher haben sie Fingerabdrücke genommen und ein Foto geschossen. Wir mußten dann hinter einen Vorhang treten und wurden abgetastet. Der Polizeibeamte hat sich für das, was er machen mußte, sogar entschuldigt. Ich erhielt eine Anklage. Fünf Jahre ging der Prozeß und endete mit einer Geldstrafe.

SB: Zu der Zeit warst du noch im Schuldienst. Wie haben deine Schüler all das aufgenommen?

HK: Für mich war es auch didaktisch das Wertvollste, was ich gemacht habe, weil ich mich sozusagen für das Leben einsetzte. Ich denke, bei meinen Schülern aus der neunten und zehnten Klasse ist das auch so angekommen.

SB: Damals wurde die Freie Republik Wendland ausgerufen. Dahinter stand unter anderem die Idee, andere Formen des Zusammenlebens zu erproben. Hatte das eine Anziehungskraft auch auf Leute außerhalb des Landkreises?

HK: Viele sind hierher gekommen. So wurden die alten Häuser in den Rundlingen zum Teil von Berlinern und Hamburgern aufgekauft.

Bauernhäuser im Rund um Bäume - Fotos: © 2014 by Schattenblick Bauernhäuser im Rund um Bäume - Fotos: © 2014 by Schattenblick

Wendländisches Rundlingsdorf Satemin
Fotos: © 2014 by Schattenblick

SB: Hast du den Eindruck, daß sich der Versuch, alternatives Leben oder neue Formen sozialen Miteinanders zu erforschen, noch fortträgt, obwohl der Widerstand heute nicht mehr so stark ist wie früher?

HK: In Güstritz zum Beispiel leben Leute in einer Kommune, die nach Demeter-Richtlinien Gemüsebau betreibt. Nach ihrer Auffassung soll sich jeder gesund ernähren können. Man kann Genosse werden und bezahlt pro Monat einen gewissen Beitrag. Wer nicht so viel Geld hat, gibt 35 Euro, wer mehr hat, gibt mehr, 50 Euro ist der Standardtarif. Vor zwei Jahren haben wir mit Niko Paech eine Veranstaltung zum einfachen Leben gemacht, in der vor allem Wachstumskritik geübt wurde.

Ich bin im Kreistag Lüchow-Dannenberg außerdem in einer Arbeitsgemeinschaft, die die Windenergie kritisiert, was im ersten Moment keiner so richtig versteht. Wir haben acht Windparks und wollen keine weiteren.

Wenn das Ziel darin besteht, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, könnten wir alle Felder voller Windräder stellen, und es würde doch nichts nützen wegen der Rebound-Effekte, die damit verbunden sind. Wir müssen einfacher leben und wegkommen vom Konsum.

Anfang September wird in Leipzig die Internationale Degrowth-Konferenz stattfinden, die diese Forderung vertritt. Hier im Wendland versuchen wir, den Leuten in Veranstaltungen die Augen für die Problematik zu öffnen. Als Referenten sind hier bereits Angelika Zahrnt, Niko Paech und Thomas Fatheuer aufgetreten. Alle Welt weiß, daß wir wie die Lemminge in den Abgrund laufen, und dennoch machen wir so weiter. Was sind die Kräfte, die uns dazu treiben? Wir müssen nach der psychologische Grundlage fragen, warum wir an der Wachstumsideologie trotz allem festhalten.

SB: Glaubst du, daß die Wachstumskritik hier im Landkreis eine größere Resonanz findet als in anderen Regionen?

HK: Es gibt hier noch andere Menschen, die wie ich sagen, daß es so nicht weitergeht. Erneuerbare Energie ist ein Zauberwort der Grünen, aber es greift nicht wirklich. Die Menschenkette gegen Kohle in der Lausitz finde ich richtig, aber das ist der zweite Schritt. Zuerst brauchen wir eine Wachstumswende. Einhergehend damit und parallel dazu müssen wir von der Kohle weg. Nur wenn wir weiter so konsumieren, brauchen wir Kohle und Atom. Es geht um angewandte Wachstumskritik. Ich persönlich lebe ganz einfach, in einem alten Bauernhaus, ohne Auto. Bei uns im Landkreis gibt es viele Formen, wie Menschen in Gemeinschaft leben, sei es in Kommunen oder Wohnwagen. Ja, ich habe das Gefühl, daß das hier stärker ausgeprägt ist als woanders.

SB: Du sitzt im Kreistag. Welche Rolle spielt das für dich und glaubst du, auf dieser Ebene etwas bewirken zu können?

HK: Seit 30 Jahren mache ich Kommunalpolitik. Weil ich im Vergleich zu meinem Lebensumfeld so daneben scheine, ist die Reibung groß. Ich fahre seit 30 Jahren nur Fahrrad, fliege nirgendwohin und engagiere mich für ökologische Lebensgrundlagen. Ich weiß natürlich nicht, was die von der CDU über mich denken. Auf der einen Seite neigen sie dazu, nicht auf mich zu hören, weil sie mich für überdreht halten, aber andererseits schätzen sie meine Einstellung, weil es sie auch anrührt und authentisch ist. Wenn ich durch die Gegend fahre und mit Leuten rede, mache ich Politik.

SB: Bist du Mitglied in einer Partei?

HK: Ich war bei den Grünen, aber sie haben mich verraten. Da kommen bei mir heute noch Aggressionen hoch. Als es hier 1977 losging, waren auch viele Grüne dabei. Dann sind sie in die Politik gegangen und hatten die Chance, über die politische Schiene hinsichtlich des Endlagers etwas zu verändern. Wir waren zehn Grüne hier, aber inzwischen ist ungefähr die Hälfte aus der Partei ausgetreten. Im Kreistag sind noch vier oder fünf Grüne, aber unsere aus drei Personen bestehende Fraktion ist eher links-grün.

Wir sind nur eine kleine Fraktion, aber machen wirklich viel. Von uns kommen immer wieder Anträge durch. Ich arbeite auch mit den Fachdiensten aus dem Umweltschutz zusammen, um mich schlau zu machen und darüber eine Brücke zu schlagen. Ich finde, das ist eigentlich das Normalste der Welt. Auf der einen Seite ist die Verwaltung und auf der anderen sind die Bürger, man muß sich austauschen.

SB: Du widmest dich auch einer besonderen Form der Imkerei?

HK: Ich betreibe nebenbei wesensgemäße Bienenhaltung. In dem Begriff wesensgemäß steckt eine gewisse Achtung. Es geht darum, die Bienen so natürlich wie möglich zu halten, zum Beispiel, indem man sie ökologisch, also mit Ökozucker füttert. Dazu gehört aber auch Schonung der Gewässer, der Pflanzen und der Mitwelt.

SB: Worin besteht der Unterschied zur artgerechten Haltung?

HK: Artgerecht ist der Biologie des Tieres entsprechend, daß etwa Hühner nicht in zu großen Gruppen zusammenleben und auch scharren können, wie sie es in der Natur tun. Wesensgemäß berührt eine andere Ebene. Im Wesen steckt eine Bewertung drin. Es geht nicht nur um die Sache Tier, sondern um die Achtung vor dem Lebewesen. Wesensgemäß ist ein ethischer Aspekt.

SB: Hermann, vielen Dank für das Gespräch.

Hermann Klepper hört Niko Paech zu - Foto: © 2014 by Schattenblick

Zusammen mit Niko Paech die Wachstumswende planen
Foto: © 2014 by Schattenblick


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14. September 2014