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INTERVIEW/053: Wendland frei trotz alledem - Buddhalaune, linke Lieder ...    Art Zen im Gespräch (SB)


Die Stimme erheben - Streitbarkeit hat keine Stunde

Interview in Gedelitz im Wendland am 23. August 2014



Art Zen ist ein Veteran der progressiven Rockmusik der BRD. 1968, damals noch unter dem Namen Reinhard "Atzen" Wehmeyer, gehörte der Gitarrist und Sänger zur Gründergeneration der im westfälischen Herford entstandenen Avantgarde-Band Missus Beastly. Die Band war bekannt für ihre ausschweifenden, psychedelisch inspirierten Jam-Sessions und trat 1969 auf dem letzten der legendären Festivals auf Burg Waldeck wie auch dem 2. Essener Pop & Blues-Festival 1970 auf. Auf dem Free Flow Festival in Gedelitz trug Art Zen politische Lieder vor und setzte damit eine künstlerische Tradition fort, die ihn als sozial und gesellschaftlich aktiven Menschen schon in den 1970er Jahren bewegte. Nach dem Auftritt beantwortete Art Zen dem Schattenblick einige Fragen.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Art Zen
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Art Zen, könntest du etwas zu deinen Anfängen bei Missus Beastly erzählen?

Art Zen: Ich bin einer der Mitgründer gewesen. Das war 1968. Missus Beastly war erst eine Bluesband, aber im späteren Stadium wurde nur improvisiert, bis die Band schließlich auseinanderging. Danach trat für mich eine Pause ein. Lutz Oldemeier hat als einziger noch weitergespielt, gemeinsam mit Friedemann Josch. Daraus resultierten einige Jazzrock-Platten. Das waren einige der ersten selbstproduzierten Platten hierzulande.

SB: Ihr seid auch auf dem letzten der fünf großen Festivals auf Burg Waldeck aufgetreten?

AZ: Ja. Ein oder zwei Jahre vorher fingen die großen Debatten an. In dieser Phase haben Xhol Caravan und andere Bands aufgespielt und frei improvisiert. Man durfte sich nicht wundern, wenn auf einmal jemand aufschrie, was ist mit meinem Verstärker los, da kommen ja zwei Instrumente raus!

SB: Du hast heute politische Lieder gespielt. Welches Verhältnis hast du zur Musik Franz Josef Degenhardts, der damals regelmäßig auf Burg Waldeck auftrat?

AZ: Degenhardt und Hannes Wader haben zumindest Phasen gehabt, wo sie sehr straight an der DKP orientiert waren. Ich persönlich komme aus einer anderen Richtung. Für mich hatte das Lustprinzip, das Improvisieren und Sich-nicht-Festlegen, sondern offen zu sein für alles Musikalische immer den Vorrang gehabt. Mir war es wichtig, sich menschlich weiterzuentwickeln, womit ich nicht sagen will, daß sich die beiden nicht weiterentwickelt haben. Aber ich habe die Befürchtung, daß diese Art der politischen Musik bei der heutigen Jugend, die sowieso meint, daß alles Scheiße ist und die Politiker allesamt korrupt sind, nicht mehr ankommt. Wie kann es sein, daß tausend junge Leute oder wieviel auch immer in Syrien sind, um den Helden zu spielen und zu töten? Irgendwann werden sie vielleicht zurückkehren und, wie in Brüssel geschehen, mit einer Maschinenpistole vier Menschen im jüdischen Museum abballern. Mit politischen Liedern ist es daher schwierig, Menschen zu erreichen. Deswegen versuche ich, meine Lieder ein bißchen durch Witze oder Comedy aufzulockern.

SB: Aber du bist schon der Meinung, daß es einen Bedarf an politischen Liedern gibt.

AZ: Es gibt den Bedarf bei mir. Meine Band hat sich auf einem Festival leider aufgelöst. Daraufhin habe ich mir gedacht, Musiker sind meistens Egoisten, ich mache alleine weiter. Ich bin übrigens das erste Mal in meiner Karriere solo.

SB: In welcher Band hast du zuletzt gespielt?

AZ: Das ist eigentlich eine Band für einen verstorbenen Musiker gewesen. Vor drei oder vier Jahren hat Wolli Tümmler, ein Saxofonist aus Bielefeld, einen tödlichen Herzinfarkt erlitten. Im Gedenken an ihn wollten wir eine Band aufstellen aus Leuten, die früher mit ihm zusammengespielt hatten. Von den vielleicht einem Dutzend oder mehr Musikern, die in Frage kamen, sind dann jedoch nur vier gekommen. Wir sind ein paarmal aufgetreten.

SB: Wolltet ihr hier nicht auftreten?

AZ: Nein, abgesehen von den englischen Texten ist das hier nicht unser Metier. Ich war 30mal in Indien, habe dort auch einen Lehrer gehabt und, weil ich viel Zeit hatte, eine Menge Lieder geschrieben. Sie sind aber nicht so sehr politisch, sondern gehen eher in den Bereich der Spiritualität hinein. Die Lieder, die ich hier heute gespielt habe, sind dagegen ziemlich direkt und sprechen Themen wie Menschlichkeit an.

SB: Gerade die Menschlichkeit scheint im politischen Wirrwarr der letzten Zeit ziemlich auf der Strecke geblieben zu sein?

AZ: Ich hoffe und denke, daß es weitergeht. Wie Rio Reiser sagte, macht kaputt, was euch kaputt macht. Denn im Moment geht die Welt den Weg der Gewalt und Intoleranz, da werden Leute für eine Ideologie abgeschlachtet.

SB: Besteht für dich ein Widerspruch zwischen Spiritualität und radikalem politischen Engagement?

AZ: Ich denke, beides gehört zusammen. Was man auch immer im einzelnen von der Religion oder Spiritualität halten mag, wichtig ist für mich, daß es nicht fanatisch oder dogmatisch wird. Man denke nur an das Zitat: Willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag' ich dir den Schädel ein. Genau das läuft im Augenblick im Irak und in der Ukraine. Das darf nicht sein. Wenn Menschen sich zu irgendeiner Religion hinwenden - ich selbst bin gefühlter Buddhist, auch wenn ich die ganzen Riten nicht mitmache -, dann akzeptiere ich, daß die Leute das auch leben. Aber wenn sie sagen, nur wir haben die einzig wahre Religion und wenn du anderer Meinung bist, dann halte ich dir die Pistole an den Hinterkopf oder schneide dir den Kopf ab, ist das nur kriminell.

SB: In den 70er Jahren gab es eine Bewegung auch unter den sogenannten Agitprop- oder Krautrockgruppen, die das gemeinsame Leben in Landkommunen praktizierte. War das für dich Ausdruck einer Suche nach neuen Lebensformen?

AZ: Ja klar, ich habe eine 17jährige Wohngemeinschafts- und Kommunekarriere hinter mir, die sehr lehrreich war. Doch das scheiterte schließlich, als die bürgerliche Erziehung in den Zweierbeziehungen wieder durchbrach und die Offenheit immer mehr zurückgegangen ist. Als sich das Ganze dann aufgelöst hat, habe ich mich auch zurückgezogen.

SB: Kann Kollektivität und der Versuch, den Sozialismus zu leben, einen Musiker im kreativen Sinne beflügeln?

AZ: Auf jeden Fall. Die Idee des Sozialismus ist ja nicht umgesetzt worden. Es war nur die Diktatur einer Clique, aber das Streben nach Freiheit und Gerechtigkeit, was überhaupt die Voraussetzung für Frieden ist, wird niemals sterben, sondern sich immer wieder durchsetzen. Mich inspiriert das schon, wenn ich Lieder, die teilweise 30 Jahre alt sind, wieder ausgrabe, schon aus Ärger darüber, was im Augenblick läuft und weil alles, wofür wir gekämpft haben, immer mehr zurückgeschraubt wird. Freiheit stirbt in Zentimetern, heißt es in einem meiner Lieder. Es ärgert mich, wenn das kaputt gemacht wird, und bevor ich abhebe, will ich nochmal meinen Mund aufmachen, auch wenn das schwierig ist, weil die Kids das kaum noch kennen. Ich habe diese Art von Soloauftritt jetzt fünf- oder sechsmal gemacht, und dann kommen junge Leute und fragen: Was sind das für Texte? Aber ich versuche, ein Konzept zu erarbeiten, um die Inhalte lockerer und interessanter zu präsentieren, und habe auch geniale Vorbilder wie unseren Musikclown Helge Schneider. Auch Kurt Krömer inspiriert mich mit seiner schnoddrigen anarchistischen Art. Es muß nicht immer Hannes Wader sein, und wenn Walter Mossmann spielt, muß ich gähnen.

SB: Du hast vorhin auch Georg Danzer gespielt, obwohl er kein ausgesprochen politischer Sänger war, oder siehst du das anders?

AZ: Er hat alles gemacht, von Liebesliedern bis zu politischen Liedern wie "Militärisches Geheimnis" oder "Die Folter". Er hat sich schon politisch geäußert. Das war eben auch eine Facette seiner künstlerischen Arbeit. Es ging bei ihm, was ich ebenso wichtig finde und selbst rüberzubringen versuche, um Mitmenschlichkeit. Roman Bunka, Gitarrist und wunderbarer Oud-Spieler, hat einmal die Platte mit dem Titel "Dein Kopf ist ein schlafendes Auto" herausgebracht. Es scheint so zu sein, daß alle den Schlüssel nicht mehr finden, sich damit abgefunden haben oder eben nicht bei sich selbst anfangen. Der andere ist schuld, das ist das Prinzip Nummer eins.

Art Zen im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Mit Lust und Elan bei der Sache ...
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Du hast improvisierte Musik gemacht, die ziemlich avantgardistisch klang, wie das bei vielen deutschen Gruppen damals üblich war, und komponierst jetzt in der Tradition der Liedermacher. Wie erlebst du die heutige musikalische Entwicklung in Deutschland?

AZ: In Deutschland versuchen viele junge Leute, die aus der Mittelschicht kommen, böse Rapper oder Street Gangster zu mimen, was sie eigentlich gar nicht sind, indem sie die Sprache übernehmen. Ich hatte einmal einen Freund aus Indien hier. Wir waren auf einem Campingplatz in Holland, und da riefen sich einige Jugendlichen zu, "Arschloch, komm her" oder "Hey, du Behinderter". Darauf fragte mich mein indischer Freund: "Was ist denn das?" Mit Vertretern wie Bushido oder Sido geht der deutsche HipHop eben in diese Richtung. Auch im deutschen Pop gibt es sinnentleerte Textpassagen wie im Tim Bendzko-Hit "Nur noch kurz die Welt retten". Ich verstehe so etwas nicht. Bei Rio Reiser habe ich jeden Text verstanden. Das Lied von Bendzko ist gut gemacht und hat einen eingängigen Rhythmus, aber der Text ist, tut mir leid, ziemlich hohl. Damit kann ich nichts anfangen.

SB: In der Popmusik scheint unter deutschen Liedermachern die Neigung vorzuherrschen, Texte zu ironisieren, als ob sie keine ernsthaften Inhalte vermitteln und ihre Distanz zum Leben mit gekünstelter Lustigkeit überspielen wollten.

AZ: Ich denke, das ist eine Folge der Kommerzialisierung. Dann werden eben Texte produziert, hinter denen sie nicht voll stehen, weil es in erster Linie um Kohle und Erfolg geht. Rio hat das, was er gesungen hat, auch gelebt. Er hat für mich Vorbildcharakter.

SB: Du setzt bei deiner Bühnenpräsentation zuweilen auch auf Humor. Handelt es sich dabei um eine Art Kommunikationsmittel?

AZ: Ja, um die Situation aufzulockern, weil die Leute ansonsten anfangen würden zu gähnen. Wenn ich "1984" oder "König Mammon" im schlichten Beamtenton ankündigen würde, dann hieße es im Publikum, schön und gut, aber du bist alte Schule, du bist out. Man muß auch ein bißchen Entertainer sein.

SB: Hast du in Indien einen spirituellen Lehrer gehabt?

AZ: Nein, einen spirituellen Lehrer eigentlich nicht. Ich hatte einen Gesangslehrer, der aber 1984 verstorben ist und mich in die karnatische, also südindische Musik eingeführt hat. Ich würde es aber nie wagen, ein karnatisches Konzert zu geben. Da braucht man zehn Jahre, um das Konzert und die Darbietung zu beherrschen. Dafür war die Zeit zu knapp, aber ich versuche dennoch, mir meinen Teil aus diesen absolut interessanten und uralten Skalen - so haben sie allein zweimal 36 Grundskalen - herauszuholen. Wieviel haben wir hier? Dur, ein paar Moll, die Kirchentonarten, dann ist fast Schluß. In Indien gehen von diesen Melakartas dann wieder andere Tonleitern ab, die mit einer bestimmten Stimmung verbunden sind. Allerdings haben sie keine Akkorde. Ich bin einmal ganz stolz zu meinem Lehrer gegangen und habe ihm die erste Skala, die er mir gezeigt hat, als Akkordfolge präsentiert. Daraufhin sagte er zu mir, gut und schön, aber mit indischer Musik hat das nichts zu tun. Aber man kann diese Skalen in der Improvisation mit einfließen lassen, und auch ihre Rhythmik ist hochinteressant.

SB: Hat dir das einen Entwicklungsschub für deine Art von Musik gegeben?

AZ: Auf jeden Fall. Ich habe bestimmte Skalen übernommen, die ich bei Soli spiele, und die ein paar tausend Jahre alte Rhythmik ist ohnehin interessant. Auch Embryo macht das. Wenn sie einen 17er anbringen, den ich nicht kenne, kann ich mich nur hinsetzen und versuchen, die rhythmische Struktur zu erkennen, aber ich könnte nicht mitspielen. Lothar, Jens und Christian können das, Marja auch. Christian spielt mit allen möglichen außereuropäischen Musikern aus Marokko, Afghanistan, Afrika. Er hat in diesen Dingen ein gewaltiges Wissen und natürlich auch eine reiche Ansammlung an Aufnahmen. Das finde ich großartig. Bei einem Embryo-Konzert werden erst die akustischen Stücke gespielt, wo diese kniffligen Themen vorkommen.

SB: Gibt es überhaupt noch ein Publikum für so eine Musik oder tut sich Embryo damit schwer?

AZ: Ich kann mich nur wundern, aber bei der Zappanale ist das fast wie eine Vergötterung. Das Publikum sagt Dankeschön, aber für andere ist das eben nur Gedudel. Manchmal hängt es auch von den Musikern ab. Im Moment tritt Embryo mit einer sehr guten Besetzung auf.

SB: Spielst du jetzt noch E-Gitarre?

AZ: Wenn hier noch ein Jam stattfindet, mache ich mit, aber im Moment konzentriere ich mich auf die politischen deutschen Lieder. Wie es dann weitergeht, wird sich zeigen. Ich möchte diese indischen Kompositionen noch ganz gern aufnehmen. Aber es ist schwierig, weil man dazu Geld braucht. Ich kenne eine ganze Menge guter Musiker, aber da kann ich nicht einfach sagen, komm, du bist doch mein Freund, jetzt machen wir gemeinsam eine Aufnahme. Dann sagt er, okay, aber gib mir tausend Euro.

SB: Sind die Verhältnisse unter Musikern so kommerzialisiert?

AZ: Ja, aber das ist auch ganz logisch, denn die meisten Profimusiker müssen überleben und Geld verdienen. Ich kann hierher kommen und das Free Flow unterstützen. Vielleicht kriege ich Spritgeld und kaufe mir hier damit einen verbilligten Pullover. Ansonsten freue ich mich, daß es hier so friedlich ist und es keine Wächter gibt wie auf der Zappanale. Dort sind Ordner angestellt, die höllisch aufpassen. Sie haben mir zum Beispiel verboten, in der Nacht von der Bühne zum Schlafplatz zu fahren. Da habe ich richtig Ärger gemacht.

SB: Dann müßte man mit zappaesker Ironie an die Sache gehen.

AZ: Wie soll man das machen? So ein Genie bin ich nicht wie der gute Frank. Ich habe einfach nur richtig laut geschimpft, bis der halbe Platz wach wurde. Das hat mir gutgetan. Es war nur eine Anordnung von oben. Ich habe sie gefragt, warum ich es nicht darf. Du gehörst nicht dazu, war ihre Antwort. Als ich meinen Ausweis vorzeigte, haben sie mich weggescheucht. So ist das eben, wenn ein Befehl von oben gegeben wird.

SB: Die Leute funktionieren eben auch nur.

AZ: Ja, sie funktionieren, aber das hatten wir schon einmal.

SB: Art Zen, vielen Dank für das Gespräch.

Art Zen singt zur akustischen Gitarre - Foto: © 2014 by Schattenblick

Beim Auftritt auf dem Free Flow Festival
Foto: © 2014 by Schattenblick


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15. September 2014