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INTERVIEW/091: Klimacamp trifft Degrowth - Wenn der Lebensfaden reißt ...    Lars Opgenoorth im Gespräch (SB)


Die Biodiversitätskrise erhält zu wenig Aufmerksamkeit

Klimacamp und Degrowth-Sommerschule im Rheinischen Braunkohlerevier 2015


Der Paläoökologe und Evolutionsbiologe Dr. Lars Opgenoorth ist im Fachbereich Biologie an der Philipps Universität Marburg mit Fragen der Biodiversität befaßt. Auf dem Klimacamp im Rheinischen Braunkohlerevier nahm der Forscher an diversen Workshops teil. Bei dieser Gelegenheit beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zu seiner wissenschaftlichen Tätigkeit und ihrem Zusammenhang zur Klimagerechtigkeitsbewegung.


Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Lars Opgenoorth
Foto: © 2015 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Lars, du bist in den Wissenschaftsbetrieb integriert und dort mit Fragen befaßt, die einige Sachkompetenz verlangen. Das Klimacamp stellt dagegen eine Art Alternativbewegung dar. Was hat dich dazu bewegt, hierher zu kommen?

Lars Opgenoorth (LO): Einerseits fühle ich mich dieser Bewegung von jeher zugehörig. Ich bin in der Anti-AKW-Bewegung sozialisiert worden, bevor ich meinen wissenschaftlichen Werdegang antrat. Andererseits hat sich der Weltbiodiversitätsrat (IPBES), in dessen Rahmen ich tätig bin, zum Ziel gesetzt, alternative Wissensformen mit zu integrieren, also nicht nur Western Sciences als einzige Wissensformen zu akzeptieren, sondern auch lokales bzw. indigenes Wissen mit einzubeziehen. Von daher ist es für mich ganz wichtig, an die Basis zurückzugehen und hier Meinungen, Positionen und Wissen abzugreifen, um es dann zumindest von den Ideen her mit in den IPBES-Prozess zu nehmen.

SB: Wie groß ist das Interesse des etablierten Wissenschaftsbetriebs an den Positionen der Klimagerechtigkeitsbewegung?

LO: Das ist im Wissenschaftsbetrieb wahrscheinlich insgesamt nicht besonders ausgeprägt, sondern stellt eher einen der politischen Verhandlungserfolge im IPBES dar, der als Intergovernmental Panel sozusagen einen Zwischenregierungsbetrieb der UN repräsentiert. Einige Länder wie Ecuador und Bolivien haben es durchgesetzt, daß nicht nur Western Sciences darin einen Platz finden. Das heißt, wir sind jetzt als Wissenschaftsbetrieb quasi in die Pflicht genommen, uns mit anderem Wissen auseinanderzusetzen und es zu integrieren. Die individuelle Bereitschaft dazu ist sicherlich sehr unterschiedlich. Nicht alle werden dies so positiv aufnehmen wie ich.

SB: Die Wissenschaften sind von ihrem eigenen Anspruch her der Objektivität, Faktizität und einem neutralen Urteil verpflichtet, aber gleichzeitig stellt der Klimawandel eine elementare und in der Menschheitsgeschichte in dieser Form noch nie dagewesene Bedrohung dar. Gelingt es dir, zwischen deiner Fachdisziplin und deinen persönlichen Interessen eine klare Trennlinie zu ziehen?

LO: Da sehe ich keinen Konflikt. Ich schätze es so ein, daß das IPCC ein wesentliches Instrument war, um die Diskussion um den Klimawandel in die Breite der Gesellschaft zu tragen. Sicherlich gab es vor 30 Jahren oder noch länger auch schon solche Camps wie dieses hier, wo eine kleine Minderheit sozusagen kritisch über die Gesellschaftsform nachgedacht hat, aber dennoch wäre dieses Thema ohne den IPCC nie in der notwendigen Breite in die gesellschaftliche Debatte vorgedrungen. Das liegt daran, daß unsere Gesellschaft so strukturiert ist, daß sie eher bereit ist, auf rationale Argumente zu hören. Ob sie es dann wirklich tut, sei einmal dahingestellt. Deswegen gibt es für mich auch keinen Interessenkonflikt. Ich hatte immer das Gefühl, daß diese Bewegungen letztendlich rational begründet sind, auch wenn manchmal spirituelle oder andere Motivationen mit hineingespielt haben.

SB: Du bist Paläoökologe. Was zeichnet diesen Wissenschaftszweig im besonderen aus?

LO: In der Paläoökologie beschäftigen wir uns nicht nur mit dem Klimawandel, sondern generell mit der Frage, wie Ökosysteme entstanden sind, wie sie sich verändert haben und wo die Biodiversität und damit die Arten, die heute existieren, herkommen. Weil wir es dabei mit Zeiträumen von Jahrmillionen zu tun haben, gehen wir von ganz anderen klimatischen Szenarien aus. So war es zum Beispiel im Tertiär deutlich wärmer als heute. Daneben interessieren uns natürlich auch die pleistozänen Klimaschwankungen, die Vereisungszeiten et cetera. Und entsprechend fragen wir uns, wie flexibel Ökosysteme und anpassungsfähig Arten sind, um Vorhersagen treffen zu können in Bezug auf die Konsequenzen des anthropogen bedingten Klimawandels. Ich persönlich untersuche insbesondere Ökosysteme in Asien und Europa, aber nicht nur aus Sicht der Paläoökologie. Da ich auch Evolutionsbiologe bin, interessieren mich auch die Entstehung von Arten und Biodiversitäts-Hotspots et cetera.

SB: Es gibt die Ansicht, daß der Klimawandel lediglich eine von vielen Schwankungen in der Erdgeschichte ist, die sich immer wieder ereignen, weshalb es sich nicht um ein besonderes und menschengemachtes Phänomen handle. Wie beurteilst du diese Position?

LO: Das ist eine ganz kleine Minderheitenmeinung, die auch in der Wissenschaftsszene keine große Verbreitung hat. Sicherlich hat es Klimate in der Erdgeschichte gegeben, wo die Erde völlig eisfrei war wie zuletzt im Tertiär, aber die Geschwindigkeit der Schwankungen, die wir gerade erleben, ist klimageschichtlich gesehen schon sehr ungewöhnlich. Für mich ist es zweifelsfrei gesichert, daß wir durch den erhöhten CO2-Ausstoß und andere Klimagase einen entscheidenden Anteil daran haben.

SB: In diesem Zusammenhang wird auch vom Anthropozän gesprochen. Hältst du das im wissenschaftlichen Sinne für eine relevante Kategorie?

LO: Ich stimme mit ihr im wissenschaftlichen Sinne durchaus überein, wobei das Anthropozän meines Erachtens deutlich früher einsetzt, als dies gemeinhin formuliert wird. Hier auf dem Camp wird ja immer wieder von der industriellen Revolution gesprochen. Ich persönlich forsche vor allen Dingen in die Richtung, inwieweit bereits frühere Gesellschaften ihre Umwelt verändert haben. Wir fangen jetzt ein neues Forschungsprojekt in Äthiopien an unter der Hypothese, daß die Menschen mit Hilfe von Feuer und Entwaldung schon seit mindestens 10.000 Jahren, wenn nicht länger, die Hochgebirge stark verändert und daher in der Tat landschaftsverändernd eingegriffen haben. Meiner Meinung nach beginnt das Anthropozän wahrscheinlich vor 10.000, wenn nicht gar vor 20.000 Jahren. Das ist in der allgemeinen wissenschaftlichen Diskussion aber nicht der gängige Standpunkt.

SB: Du bist gerade aus China zurückgekommen. Dort herrscht eine so starke Luftverschmutzung, daß die Leute auf der Straße Atemmasken tragen. Ist die Problematik des Klimawandels den Menschen dort ähnlich bewußt wie hierzulande?

LO: Das hat sich in den letzten zehn Jahren in China stark verändert. Die Menschen vor Ort haben inzwischen ein viel stärkeres Bewußtsein für Gesundheit, was einerseits sicherlich mit den akuten Problemen und andererseits mit der wachsenden Mittelschicht zusammenhängt, die in der wirtschaftlichen Situation ist, sich auch über andere Dinge Gedanken machen zu können. Das hat inzwischen ein Maß erreicht, daß die chinesische Regierung tatsächlich reagieren muß und anfängt, Maßnahmen zu ergreifen. Aus meiner persönlichen Beobachtung treibt die Staatsmacht vor allem die Sorge vor Unruhen aus der Mittelschicht. Daher hatte die Regierung 2008 ein Programm aufgelegt, das sich green wall nannte und in vielen Bereichen Chinas starke Wiederaufforstungsmaßnahmen vorsah. Haupthintergrund war, daß Peking unter Staubstürmen litt, die vor allen Dingen aus der Mongolei herüberwehten. Das gewaltige Wiederaufforstungsprogramm startete mit der Hoffnung, die Sedimenteinträge in der Luft verhindern zu können. Gleiches erhofft man sich auch für andere Luftschadstoffe.

Im Notfall werden ganze Industrien zwischenzeitlich lahmgelegt, wie dies 2008 für den Zeitraum der Olympischen Spielen geschehen ist. Gut möglich, daß zu den Olympischen Winterspielen 2022 wieder ähnliche Maßnahmen ergriffen werden. Unbestreitbar hat China mit riesigen Umweltschwierigkeiten zu kämpfen. In diesem Sinne war es nicht überraschend, daß China das Regional Assessment Asien-Pazifik bzw. generell Regional-Assessments und nicht nur ein globales Assessment gefordert hat. Inwieweit China dann wirklich bereit sein wird, den knallharten Analysen zuzustimmen, wird sich zeigen müssen. Gerade der Südosten Chinas steht vor enormen Umweltproblemen, weil dort riesige Gummibaumplantagen entstanden sind, für die massiv Primärwald vernichtet worden ist. Auch der Bergbau verursacht ähnlich wie hier, aber in einem ganz anderen Größenverhältnis, Umweltschäden. So werden ganze Berge für die Zementproduktion und den Kupferabbau abgetragen.

SB: Wie beurteilst du den Stand der Artenvernichtung unter anderem durch die monokulturelle Entwicklung in der Landwirtschaft und damit die Gefahr einer unumkehrbaren Zerstörung?

LO: Das Problem ist real. Jeder Artenverlust ist unumkehrbar, und er findet heute statt, vor allem in Südostasien. In China gibt es zum Beispiel Käferarten, die nur auf einem einzigen Berg vorkommen. Wird dieser Berg abgetragen, ist auch die Art weg. Das ist ein zweifelsfreies Faktum. Das Problem ist, daß wir, abgesehen von Amphibien, Säugetieren und meinetwegen noch Schmetterlingen und Libellen, bei keiner Tiergruppe ein breites Wissen darüber haben, wo die Biodiversität auftritt. Das heißt, viele Arten sind noch unbeschrieben und gerade diese Arten verschwinden, ohne daß wir es überhaupt mitkriegen, für immer. In einem der Vorträge hier auf dem Camp wurde über die monetäre Bewertung von Biodiversitätsverlust referiert. Für mich ist das unbezahlbar. Mit jeder Art, die verloren geht, verschwinden Jahrmillionen an evolutionärer Geschichte.

Natürlich gab es immer schon Artensterben. Die durchschnittliche Lebensdauer einer Art, bis sie ausstirbt oder sich daraus neue Arten entwickeln, wird mit zehn Millionen Jahren veranschlagt. Aber aufgrund der menschlichen Landschaftsveränderung ist im Augenblick ein Artenschwund im Gange, der einzig mit den 5 bekannten Massenaussterben vergleichbar ist. Das letzte dieser Art fand vor ca. 65 Millionen Jahren statt - wahrscheinlich als Folge des Einschlags eines großen Meteoriten in Yucatan. Stärker noch als durch den Klimawandel verändern wir durch unser Wirtschaften massiv Landschaften und zerstören dabei wertvolle Habitate. Die Biodiversitätskrise ist für mich als Evolutionsbiologen eine noch größere Krise als der Klimawandel an sich. Es ist eine Tragödie, die von der Politik mehr oder weniger unbeachtet bleibt.

SB: Lars, vielen Dank für das Gespräch.


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5. Oktober 2015


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