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INTERVIEW/096: Klimacamp trifft Degrowth - Unsäglich verträglich ...    Klaus der Geiger im Gespräch (SB)


Zorn und Lachen gegen Ausbeutung und Zerstörung

Klimacamp und Degrowth-Sommerschule im Rheinischen Braunkohlerevier 2015


Seit 1970 mischt sich der 1940 geborene Klaus Christian von Wrochem als Klaus der Geiger auf der Straße in soziale und gesellschaftliche Kontroversen ein. 45 Jahre widerständige Musik und kein bißchen altersmilde geworden - wie sehr dieser Musiker der Vorschrift für erfolgreiche Biografien widerspricht, laut der man in der Jugend ruhig ein wenig rebellisch sein darf, wenn man sich spätestens mit Anfang 30 der Logik angeblich alternativloser Sachzwänge und der Ratio des kleineren Übels unterwirft, davon konnten sich die Aktivistinnen und Aktivisten auf dem Klimacamp im Rheinischen Braunkohlerevier selbst überzeugen.


Im Klimacamp im Rheinischen Braunkohlerevier - Foto: © 2015 by Schattenblick

Klaus der Geiger
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schon recht spät am Abend des 13. August, der im Zeichen der Vorbereitungen für die Aktion Ende Gelände am darauffolgenden Samstag stand, begann Klaus der Geiger sein Konzert fast ohne Publikum. Im Klimacamp fanden gerade an diesem Donnerstag viele Ereignisse parallel statt, so daß alle irgendwie mit anderen Dingen beschäftigt waren, als zu der bereits im Nachtschatten liegenden Bühne auf dem großen Feld inmitten der Veranstaltungszelte zu kommen. Doch so etwas kann einen mit allen Höhen und Tiefen spontaner musikalischer Interventionen gewaschenen Straßenmusiker nicht schrecken. Klaus tanzte einfach mit seiner elektrisch verstärkten Violine über den Rasen und entlockte ihr Töne von einer Virtuosität, die aufhorchen ließ und daran erinnerte, daß ihr Urheber nicht nur seit Jahrzehnten als Musiker unterwegs ist, sondern in den 60er Jahren auch die Kompositionen der Avantgarde studiert hat.


Beim Intro auf der Wiese - Foto: © 2015 by Schattenblick

Auftakt im Dunkeln
Foto: © 2015 by Schattenblick

Bei der Avantgarde ist er seitdem geblieben, weniger im formal musikwissenschaftlichen Sinne denn als künstlerischer Aktivist an vorderster Front emanzipatorischer Entwicklung. Auf Antikriegsdemos wie bei Hausbesetzungen, bei Obdachlosenaktionen wie bei Anti-AKW-Protesten, auf Anti-Pegida-Kundgebungen wie bei der Waldbesetzung im Hambacher Forst - Klaus der Geiger ist insbesondere in der linksautonomen und radikalökologischen Bewegung überall dort präsent, wo der im Alltag des neoliberalen Kapitalismus ausgeblendete gesellschaftliche Konflikt an die Oberfläche drängt.

Wie lange er dies schon tut, ist bei seinem Auftritt im Klimacamp anhand einiger Lieder aus dem Widerstand gegen die Braunkohleindustrie erkennbar, die schon mehrere Jahrzehnte auf dem Buckel haben, aber so aktuell wie eh und je sind. Das von dem ungewöhnlichen Sound nun in großer Zahl angezogene Publikum quittiert die Zeilen über die "Raubritter von Rheinbraun" mit Beifall, hört sich die Geschichten aus dem lokalen Widerstand gegen die Vertreibung und Zerstörung über Jahrhunderte gewachsener Dorfgemeinschaften aufmerksam an, singt mit bei dem zur Melodie von "Ein Jäger aus Kurpfalz" vorgetragenen Spottgesang über den "Zombie von Rheinbraun" und lacht zustimmend bei der Vertonung der Geschichte von dem Maulwurf, der sich dem Zugriff der Polizei tagelang unter der Erde entzog und damit der Besetzung des Hambacher Forstes zu großer Beachtung und einem spektakulären Erfolg verhalf [1].


In Aktion auf der Ende Gelände-Bühne - Fotos: © 2015 by Schattenblick In Aktion auf der Ende Gelände-Bühne - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Empathie und Leidenschaft
Fotos: © 2015 by Schattenblick

Wiewohl Klaus der Geiger auch mit anderen Musikerinnen und Musikern auftritt, sind seine Violine und er allemal gut für ein abendfüllendes Programm. So gibt das Instrument, wenn es nicht in abenteuerliche Soloexkursionen ausschweift, auf prägnante Weise den Rhythmus zu den Texten vor, die Klaus stimmgewaltig vorträgt. Ob zu virulenten Problemen grundmenschlicher Art oder zu tagesaktuellen Gesellschaftskonflikten, nie bleibt er an der Oberfläche, sondern geht den Dingen stets auf eine Weise auf den Grund, die zumindest denjenigen unangenehm ist, die mehr zu verlieren haben als ihre Angst. In Versmaß und Reimform gebracht müssen die Zeilen nicht perfekt strukturiert sein, um ihre aufrüttelnde Wirkung beim Publikum zu erzielen. So hatte Klaus der Geiger auch einen Song über Flüchtlinge dabei, der nicht zeitgemäßer sein könnte:

Hallo Hallo Pegida-Mann, was nutzt dir denn all das TamTam,
Hallo Hallo Pegida-Frau, was nutzt dir denn all der Radau.
Wer Flüchtling ist, der kennt sich aus,
kommst du nicht raus, dann ist es aus.

Wir Flüchtlinge sind nicht zu stoppen, wir finden noch das letzte Loch,
wir sind durch Höllen durchgekrochen, sind selber baff, wir leben noch.
Wir flohen vor Krieg, wir flohen vor Tod,
vor hoffnunglos, vor Hungersnot.

Jetzt sind wir hier und schau'n euch an,
Pegida-Frau, Pegida-Mann,
und sehen Angst in euren Augen und Haß und fragen uns warum?
Denn grad davor sind wir geflohen, das macht uns traurig, macht uns stumm.

Wir mußten fliehen, vor euren Waffen, vor Heckler & Koch und Leopard
und unsere Bauern müssen passen vor eurem Landwirtschaftsexport.
Und das ist Krieg, ihr seid dabei, und eure Angst, das ist,
daß ihr es nur nicht wahrhaben wollt, obwohl ihr es alle wißt.

Ihr solltet Angst haben vor dem Krieg, den Dealern mit Elend und Tod,
und nicht vor uns, den Zeugen, dem Krieg entronnen mit Not.
Was wir ersehnen, ist Frieden und Lachen und Gerechtigkeit.
Und dafür weiterhin zu kämpfen, dafür sind gerade wir bereit.


Zum Abschluß des Abends mit ausgestreckten Armen - Foto: © 2015 by Schattenblick

Keine Grenzen mehr ...
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Klaus, was verbindet dich persönlich mit dem Rheinischen Braunkohlerevier?

Klaus der Geiger (KdG): Ich bin schon lange hier, das geht schon ins 50. Jahr. Ich war auch in Königshoven (in den 70er Jahren abgebaggertes Dorf) dabei, das ist jetzt 40 Jahre her.

SB: Und schon damals ging es um Braunkohle?

KdG: Klar, die ganze Zeit, die buddeln doch schon ewig hier und graben Dörfer um. Und wenn sie dann dafür woanders ein neues Dorf errichteten, wurden die Leute meistens beschissen.

SB: Was hältst du vom heutigen politischen Liedgut? Hast du das Gefühl, daß Generationen nachgekommen sind, die das kämpferische, streitbare Lied weitertragen?

KdG: Ja, ich glaube schon. Da gibt es zum Beispiel die Rotzfreche Asphaltkultur (RAK) [2], das sind hundert Leute, die treffen sich mindestens einmal im Jahr zu einem Festival, das dann zwei oder drei Tage geht. Mit einem Galaabend wird das Ganze finanziert. Die sind wirklich gut und sehr virtuos. Da ist alles unter einem Hut, die Luschen und die Cracks, und genau das gefällt mir.

SB: Im Hip Hop gibt es eine Menge politischer Texte. Spricht dich das auch an?

KdG: Ja, ich höre immer rein, aber leider verstehe ich nichts, selbst wenn sie auf deutsch singen.

SB: Weil du eher die traditionelle Liedform favorisierst?

KdG: Sagen wir mal so, die Hip Hopper sind schon gut, aber sie schreien fast so wie die Punkies, daß man gar nichts mehr versteht. Und die anderen, die nicht so laut singen, sind meistens sehr schnell. Das ist bedauerlich, denn sie singen keineswegs Blödsinn. Sie sollten ein bißchen das Tempo drosseln, vielleicht auch die Anlage anders einstellen, damit es nicht so dumpf klingt. Das wäre viel sinnvoller, übrigens auch bei den Punkies. Aber offensichtlich brauchen sie diese Power. Meines Erachtens geht es aber nicht um Power, sondern um Klarheit und eine anständige Analyse. Die Power kommt dann von selbst, wenn sie denn gebraucht wird. Ich kenne das aus meiner eigenen Bühnengeschichte, wenn man sich nur auf die Power verläßt, wird daraus immer ein Selbstläufer.

SB: Apropos Analyse: Ist Franz Josef Degenhardt für dich ein Vorbild gewesen oder verfolgst du eher eine andere politische Richtung?

KdG: Er hat sehr gute und interessante Lieder geschrieben, aber ich bin ganz anders zur Liedermacherei gekommen, nämlich über die Straßenmusik. Da müssen die Melodien und der Text einfach sein, weil es mir darum geht, die ganz Normalen zu erreichen und nicht nur eine DKP-Szene. Im Grunde bin ich selbst hier fehl am Platze, aber ich singe dennoch die selben Lieder wie auf der Schildergasse.

SB: In Köln hat politischer Aktivismus auf der Straße Tradition, ist aber auch Gegenstand von Kontroversen. Ich denke da zum Beispiel an die Klagemauer von Walter Hermann [3], für den hast du hin und wieder früher gesungen.

KdG: Ja, das habe ich und stehe immer noch zu ihm. Klar, wenn er mir komisch kommt, sage ich schon mal, laß mich in Ruhe, aber ansonsten ist er ein hochengagierter Aktivist.

SB: Wenn du mit Straßenmusik speziell die normalen Menschen erreichen willst, wie ist dann die Resonanz auf deine Lieder? Sprechen sie die Leute heute noch an?

KdG: Die Auseinandersetzung zwischen Menschen, daß die einen mit den anderen nicht klarkommen, darum geht es, das ist auch das Thema meiner politischen Straßenmusik. Wenn ich zwischendurch ein Bierchen trinken gehe und dann zurückkomme und sehe, daß sie immer noch am Diskutieren sind, habe ich mein Ziel erreicht. Leider ist das heute anders als vor zehn oder fünfzehn Jahren, als die Stimmung noch phantastisch war. Aber heutzutage sind die Leute kaum noch aus der Reserve zu locken.

SB: In den 70er Jahren hast du deine erste Platte herausgebracht. Veröffentlichst du heute immer noch Platten oder CDs [4]?

KdG: Ja. Musik macht mir einfach Spaß. Ich werde singen, bis ich umfalle und man mich von der Bühne trägt. Das habe ich mir fest vorgenommen. Ich kann ohnehin nichts anderes machen, und irgendwie muß ich Geld verdienen. Auf Hartz IV lasse ich mich jedenfalls nicht ein.

SB: Du hältst also dem politischen Lied die Treue, auch wenn das nicht unbedingt dem allgemeinen Zeitgeist zu entsprechen scheint?

KdG: Ich bleibe auf meine Weise radikal. Jetzt bin ich wieder auf die Straße gegangen. Zweimal hat mich die Ordnungspolizei in Köln gestoppt. Praktisch müßte ich den Kampf gegen die Polizei nochmal führen. Aber mir ist nicht bange davor. Früher hat es zwölf Jahre gedauert, bis ich den Kampf um die Straße gewonnen hatte. Und damals hatte ich für alle gekämpft, aber seit zwei, drei Jahren haben sie wieder alles auf Kontrolle getrimmt.

SB: Glaubst du, daß es insgesamt in Deutschland repressiver wird und der Staat wieder härter in die Pedale steigt?

KdG: Die Bürokratie hat sich dank der Computertechnologie stark verfeinert. Dadurch ist für die Kontrollorgane vieles einfacher und effektiver geworden.

SB: Klaus, vielen Dank für das Gespräch.


Auf der Bühne mit verwischtem Geigenbogen - Foto: © 2015 by Schattenblick

Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] INTERVIEW/137: Kohle, Gifte, Emissionen - Die Erde, die Wurzeln, der Mensch, Aktivist Gyp im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0137.html

[2] http://rak-treffen.de/

[3] INTERVIEW/002: Walter Herrmann - sozialer Aktivist und Initiator der Kölner Klagemauer (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0002.html

[4] http://www.klausdergeiger.de/tontraeger.shtml


Klimacamp und Degrowth-Sommerschule 2015 im Schattenblick
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26. Oktober 2015


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