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INTERVIEW/109: Deutsch-arabisches Kultur- und Integrationszentrum - auf Gegenseitigkeit ...    Ziaulhak Taher im Gespräch (SB)


Paradigmenwechsel - Nicht Fremde, sondern Teil der Gesellschaft

Interview bei der Vereinsgründung am 17. März 2016 in Hamburg-Altona


Der Bauingenieur Ziaulhak Taher gehört in der neuen Legislaturperiode dem Hamburger Integrationsbeirat [1] an. Dessen Aufgabe ist es, die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration und den Hamburger Senat zu integrationspolitischen Fragen und Vorhaben konstruktiv und kritisch zu beraten. Der Beirat war an der Entwicklung des Hamburger Integrationskonzeptes beteiligt und wirkt an der Umsetzung und Fortentwicklung dieses Konzeptes mit. Darüber hinaus greift er aktuelle Themen aus dem Bereich der Integration auf. Er kann zu entsprechenden Themen und Vorhaben Stellungnahmen abgeben und Vorschläge für die Besetzung von Gremien der Hamburger Verwaltung mit Personen mit Migrationshintergrund machen. Zudem wirkt er als "Integrationsmultiplikator" in alle relevanten Bereiche der Gesellschaft hinein, indem die Mitglieder in ihren jeweiligen Verantwortungsbereichen aktiv zur Integrationsförderung beitragen.

Dem Beirat gehören sachkundige Mitglieder mit einem weiten Erfahrungswissen aus allen wichtigen Bereichen der Integration von Zuwanderern an. In der neuen Legislaturperiode besteht er aus 31 gewählten Mitgliedern mit Migrationshintergrund [2]. Darüber hinaus werden Vertreterinnen und Vertreter derjenigen Institutionen hinzugezogen, die eine zentrale Rolle für das Gelingen des Integrationsprozesses spielen. [3]

Der Integrationsbeirat tagt einmal jährlich, bei Bedarf können Sondersitzungen anberaumt werden. Daneben diskutiert er jährlich in drei eintägigen Fachforen die Umsetzung der Handlungsschwerpunkte des Hamburger Integrationskonzeptes, den Erfolg der eingeleiteten Maßnahmen und daraus resultierende Schlußfolgerungen. Darüber hinaus können die gewählten Mitglieder des Beirats jährlich bis zu drei regionsbezogene Sitzungen ihrer Communities durchführen.

Am Rande der Gründungsversammlung des "Deutsch-arabischen Kultur- und Integrationszentrums", die am 17. März 2016 im Rathaus Hamburg-Altona stattfand, beantwortete Herr Taher dem Schattenblick einige Fragen zu seinem Engagement im Integrationsbeirat, zur Einstellung der deutschen Bevölkerung gegenüber Migrantinnen und Migranten sowie zur Situation in Afghanistan.


Schattenblick (SB): Herr Taher, Sie gehören in der neuen Legislaturperiode dem Hamburger Integrationsbeirat an. Gibt es schon berichtenswerte Erfahrungen, die Sie in diesem Gremium gemacht haben?

Ziaulhak Taher (ZT): Meine Tätigkeit beginnt gerade erst, so daß ich derzeit noch von keinen inhaltlichen Erfahrungen berichten kann. Der Integrationsbeirat hat sich in seiner neuen Zusammensetzung gegen Ende letzten Jahres gebildet, die erste konstituierende Sitzung fand am 8. Dezember statt. Zudem ist unsere Geschäftsordnung noch nicht ganz fertig, sie wird demnächst am 9. April verabschiedet. Sobald das geschehen ist, kann unsere eigentliche Arbeit beginnen. Bis jetzt ist unsere Tätigkeit, wie gesagt, noch nicht richtig losgegangen. Es gab zwar zwei, drei Sitzungen, aber darüber hinaus ist noch nicht viel passiert.

SB: Was waren Ihre Gründe, für einen Sitz im Integrationsbeirat zu kandidieren?

ZT: Ich selbst gehöre der afghanischen Gemeinde in Billstedt an und bin dort schon seit Jahren tätig, beispielsweise als afghanischer Vertreter im Elternbeirat der Schule. Ich bin also in diesem Bereich schon seit langem aktiv. Über den Integrationsbeirat kann man die Politik einigermaßen mitbestimmen, was ja auch mein Anliegen ist. Wenngleich der direkte Kontakt mit den Menschen vor Ort natürlich die Grundlage schafft, kann man doch vieles nur auf der politischen Ebene verbessern, da sich die Politik insgesamt verändern muß. Das ist meine Motivation gewesen, im Integrationsbeirat mitzuarbeiten.

SB: Ist die Verbindung zwischen Politik auf der einen und Flüchtlings- und Migrationsarbeit auf der anderen Seite Ihres Erachtens in Hamburg gut gelöst?

ZT: Sagen wir mal, sie ist auf einem gutem Wege. Gelöst würde ich nicht sagen, da noch einiges geschehen muß. Das Problem bestand bislang vor allem darin, daß die Politik die Migrantinnen und Migranten immer als fremd angesehen hat. Inzwischen beginnt man allmählich, das anders zu sehen und sie als Teil der Gesellschaft zu betrachten. Der Paradigmenwechsel findet in diesem Bereich jetzt erst statt, und in seiner Folge wird sich auch vieles bewegen. Solange wir Migranten Fremde waren, war das ein ganz anderes Thema. Aber jetzt sind wir ein Teil dieser Gesellschaft und fangen an, uns auch so zu sehen und aktiv zu werden. Das ist eine andere Qualität, durch die sich noch eine ganze Menge ändern wird.

SB: Wodurch ist dieses Umdenken zustande gekommen? Hat die aktuelle Flüchtlingsdiskussion den Anstoß dazu gegeben?

ZT: Ich würde eher sagen, daß der ehemalige Bundespräsident, Herr Christian Wulff, den Anstoß gegeben hat, als er den Satz in den Mund nahm: "Der Islam gehört zu Deutschland". Im Grunde hat er damit einen Veränderungsprozeß ausgelöst. Zwar verhält es sich noch längst nicht so, wie er es dargestellt hat, aber seine Aussage hat doch viele Menschen wachgerüttelt, die daraufhin gesagt haben, da ist etwas dran, wir müssen wohl ein wenig umdenken. Tatsächlich gibt es ja schon seit geraumer Zeit eine sehr große deutsche islamische Community, deren Mitglieder gar nichts mehr mit ihren Herkunftsländern zu tun haben möchten. Sie sagen: Wir sind Deutsche und müssen auch als Moslems eine deutsche Identität haben. Darum geht es doch. So ist es meiner Ansicht nach dazu gekommen, daß sich immer mehr Menschen mit dieser Situation beschäftigen und ein Umdenken eingesetzt hat.

SB: Auf der heutigen Gründungsversammlung wurde der Vereinszweck vorgestellt und vertreten, daß alle politischen Aspekte wie auch Fragen der Herkunft, Religion und Ethnie herausgehalten werden sollen. Vielmehr soll ein Projekt für alle Migrantinnen und Migranten auf den Weg gebracht werden. Ist das denn realisierbar?

ZT: Ja, sicherlich. Es muß im Grunde auch so sein, weil wir uns von einem Migranten nicht erst den Ausweis zeigen lassen können, um ihm dann zu sagen, du gehst jetzt dahin oder dorthin. So kann und darf Beratung und Unterstützung nicht vonstatten gehen. Es muß schon so sein, daß man jedem Migranten, der vor einem steht und Hilfe braucht, auch helfen muß, soweit man das kann.

SB: Wie schätzen Sie das Verhältnis der deutschen Bevölkerung zu Flüchtlingen und Migranten ein? Hat es sich im Zuge der aktuellen Kontroverse grundlegend verändert?

ZT: Das würde ich nicht sagen. Die deutsche Bevölkerung war stets sehr hilfsbereit und ist es immer noch. Das ist nur in den Medien nicht so wiedergegeben worden. Leider kommen jetzt diejenigen, die dagegen sind, viel stärker zu Wort, so daß man den Eindruck gewinnen könnte, die Deutschen seien gegen Migranten eingestellt. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Deutschen haben sich nicht geändert, die paar Prozent, die dagegen sind, gab es schon immer. Sie sind nur leider im Moment etwas lauter, während die anderen in der Berichterstattung ein bißchen untergehen.

SB: Also würden Sie die aktuellen Wahlergebnisse in den drei Bundesländern auch nicht als besonderes Alarmsignal einschätzen?

ZT: Als Alarmsignal würde ich es schon für die Gesellschaft sehen wollen. Sie muß sich mit dieser Thematik befassen. Sie muß sich mit diesen "Rattenfängern" - womit ich niemandem zu nahe treten möchte - auseinandersetzen. Warum gehen die Menschen dorthin? Warum fühlen sie sich nicht von den anderen Parteien vertreten? Damit müssen wir uns alle beschäftigen, das steht außer Frage. Ich würde es nur nicht so hoch bewerten und als keine sehr große Sache sehen wollen.

SB: Abschließend würde ich Ihnen gerne eine Frage zu Afghanistan stellen: Ich habe erst gestern wieder in den Nachrichten gehört, daß die Zahl der Todesopfer im vergangenen Jahr höher als je zuvor war. Nach so vielen Jahren ausländischer Truppenpräsenz im Land ist offensichtlich nichts erreicht worden, im Gegenteil. Was wäre aus Ihrer Sicht erforderlich, um eine Lösung des Konflikts und ein Ende des Krieges herbeizuführen?

ZT: Meines Erachtens ist man von Anfang an nicht fundiert vorgegangen. Ich kann Ihnen dafür folgendes Beispiel nennen: Ich habe einmal an einer Veranstaltung in der afghanischen Botschaft in Berlin teilgenommen, bei der auch die GTZ [2] vertreten war. Sie hat in einer nordafghanischen Provinz mehrere Projekte gestartet und einige davon auch bis zum Ende durchgeführt. Ich habe den Leiter gefragt, ob er wisse, wie die Situation in dieser Provinz beschaffen ist, was dort Priorität hat und demzufolge getan werden muß. "Nein", antwortete er, das wisse er nicht. "Haben Sie denn ein Konzept dafür?", fragte ich ihn. "Was soll dort gemacht werden?" "Nein, habe ich auch nicht", erwiderte er. Man kann doch nicht einfach nur hier und da punktuell etwas beginnen und sich davon Erfolge versprechen. Auf diese Weise hat man das Ganze in Angriff genommen, und deswegen ist es auch leider nichts geworden. Man hat es von Beginn an falsch angefangen. Schade um die Menschen, die ihr Leben dafür gelassen haben. Schade um die Ressourcen, die dabei verschwendet wurden. Aber es ist leider nichts erreicht worden, gar nichts!

SB: Herr Taher, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://www.hamburg.de/integrationsbeirat/

[2] Einen Migrationshintergrund haben Ausländerinnen und Ausländer, Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler, Eingebürgerte, Kinder ausländischer Eltern, die bei der Geburt zusätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben, Personen, bei denen mindestens ein Elternteil Ausländerin bzw. Ausländer, oder Spätaussiedlerin bzw. Spätaussiedler oder eingebürgert ist.

[3] Hierzu zählen der Landesseniorenbeirat, der Landesjugendring, das Flüchtlingszentrum, verschiedene Religionsgemeinschaften (Nordkirche, Katholische Kirche, Jüdische Gemeinde, SCHURA, DITIB, VIKZ, Alevitische Gemeinde, Russisch-orthodoxe Gemeinschaft, Ahmadiyya-Gemeinde) und die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege. Mitglieder bezirklicher Integrationsbeiräte sowie weitere Sachverständige können jeweils themen- und anlaßbezogen einbezogen werden, haben aber kein Stimmrecht.

[4] GTZ - Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, die zum 1. Januar 2011 in die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) aufgegangen ist.


Gründung des Deutsch-arabischen Kultur- und Integrationszentrums in Hamburg-Altona im Schattenblick
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BERICHT/073: Deutsch-arabisches Kultur- und Integrationszentrum - Aufbruch ... (SB)
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INTERVIEW/107: Deutsch-arabisches Kultur- und Integrationszentrum - aus der Not die Tugend ...    Jutta Noetzel im Gespräch (SB)
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1. April 2016


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