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INTERVIEW/118: TTIP Nein danke - Rock von unten ...    Rainer von Vielen im Gespräch (SB)


"Tanz deine Revolution"

Demonstration gegen TTIP am 23. April 2016 in Hannover

"Komm grosser Bla, erleuchte mich. Gib mir 'Bla' und sprich durch mich!" [1] - Rainer von Vielen singt seine Texte nicht nur, er bringt sie - mit großem körperlichen Einsatz - regelrecht zur Aufführung. Im Stück "Grosser Bla" wird das Wortgeschwalle in Politik und Medien so hingebungsvoll in Szene gesetzt, daß es sich wie von selbst in seiner ganzen hohlen Eitelkeit entblättert. Der Sänger der gleichnamigen Band zelebriert den Gnadenakt der Eingebung, um welchen Karrieristen, denen keine noch so abseitige Form menschlicher Niedertracht fremd ist, mit aller zu Gebote stehenden Inbrunst beten, als ins Religiöse übersteigerte Egomanie und trifft damit ins Schwarze alltäglich zu bezeugender Bigotterie. Wem das nicht reicht, bei dem springt spätestens durch die auf der Bühne entfachte Bewegung der Funke einer Streitbarkeit über, der keiner plakativen Parolen bedarf, um zu zeigen, wo man steht.

Was die Band Rainer von Vielen im musikalischen Begleitprogramm zur großen Anti-TTIP-Demo auf der Bühne des Hannoveraner Opernplatzes auf ganz eigene Art und Weise demonstriert, ist nicht nur ihre Fähigkeit, einen in Beine und Bauch gehenden und das Ohr zugleich mit vertrackten Arrangements animierenden Sound zu präsentieren. Sie nimmt auch die Höhen und Tiefen menschlichen Gegeneinanders auf die ironische Spitze und holt so die abstrakten wie sinistren Machenschaften herrschender Verhältnisse auf den Boden allgemeinverständlicher Konstanten sozialer Grausamkeit und Verachtung zurück.

Die zwei Sets, mit denen Rainer von Vielen, Mitsch Oko, Dan le Tard und Sebastian Schwab in Hannover die Auftritte der zahlreichen Rednerinnen und Redner musikalisch ergänzten, machten vielen Menschen offenkundig so viel Spaß, daß der Refrain des Stückes "Tanz deine Revolution" vor der Bühne kurzerhand in die Tat umgesetzt wurde. Hier erfreuten sich Aktivistinnen und Aktivisten jeden Alters und unterschiedlichster Herkunft einer kollektiven Begeisterung, die im besten Falle weiter tragen könnte als bis zu dem Ziel, TTIP und CETA zu stoppen.

Nach dem Auftritt beantwortete Rainer von Vielen dem Schattenblick einige Fragen zu seiner Musik und der Geschichte der Band.


Auf der Bühne mit Akkordeon - Foto: © 2016 by Schattenblick

Rainer von Vielen
Foto: © 2016 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Rainer, könntest du etwas zur Geschichte der Band sagen?

Rainer von Vielen (RVV): Es fing 1998 als Soloprojekt an, aber als Band sind wir seit 2004 unterwegs. Wir geben das ganze Jahr über Konzerte. Das ist unser Ding, wir leben davon. Auf dem von uns eingeschlagenen Weg lassen wir sehr viel zu in der Musik. Wir sind nicht festgelegt, sondern vermischen viele Stile, die uns gefallen, darunter auch den Sprechgesang aus dem Hip-Hop. Gleichzeitig tendieren wir in unserer Musik vom Rock über Rap bis zum Funk, arbeiten sogar mit Volksmusikelementen und diversen Stimmen und mischen auch Akrobatikeinlagen mit ein, so daß wir einen multikulturellen Musikmix pflegen, bei dem wir uns sehr wohl fühlen. Wir sind sehr froh, heute auf der Anti-TTIP- und -CETA-Demo mit dabei sein zu können weil wir uns durchaus mit gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzen und es für eine gute Sache halten, hier gegen TTIP und CETA aufzustehen.

SB: Habt ihr in eurem Repertoire auch Texte mit
gesellschaftskritischem Inhalt?

RVV: Auf jeden Fall. So beschäftigt sich unser Song "Sandbürger" ganz speziell mit kapitalismuskritischen Themen und auch mit dem, was damit Einzug hält. Wenn ich Texte schreibe, versuche ich, möglichst offen zu bleiben, um einen kritischen Ansatz zum Denken überhaupt zu ermöglichen und nicht zu viele Vorgaben zu machen. Gleichzeitig bringe ich jedoch Themen ein, die mich bewegen, weil ich glaube, daß es wichtig ist, dazu Stellung zu beziehen. Unser Stück "Empört euch" beispielsweise basiert auf dem Traktat "Empört euch" von Stéphane Hessel, wo es unter anderem um den Welthandel geht. Man kommt nicht umhin, nicht mitzubekommen, um was es bei TTIP geht, weil die Unterlagen kaum einsehbar sind bzw. nicht darüber berichtet werden darf. Wir sind der Meinung, daß das Freihandelsabkommen nur dem Nutzen der Großkonzerne dient und auf den Schultern des kleinen Mannes ausgetragen wird.


Rainer von Vielen in Aktion - Fotos: © 2016 by Schattenblick Rainer von Vielen in Aktion - Fotos: © 2016 by Schattenblick

Im Zwiegespräch mit dem großen Bla
Fotos: © 2016 by Schattenblick

SB: Ihr baut auch Polka-Elemente in eure Lieder ein. Vor allem aber hat mich das Gutturale im Gesang beeindruckt, das ein bißchen ans Russische erinnert.

RVV: Ich singe normalerweise auf Deutsch, aber es gibt Elemente, wo ich in eine von mir entwickelte Phantasiesprache wechsle und auch meine Kehlkopfgesangsstimme einsetze, wie es in der Mongolei praktiziert wird, also das Obertonsingen oder auch Zungenreden.


Einzelporträts des Gitarristen, Schlagzeugers und Bassisten - Fotos: © 2016 by Schattenblick Einzelporträts des Gitarristen, Schlagzeugers und Bassisten - Fotos: © 2016 by Schattenblick Einzelporträts des Gitarristen, Schlagzeugers und Bassisten - Fotos: © 2016 by Schattenblick

Mitsch Oko, Sebastian Schwab, Dan le Tard
Fotos: © 2016 by Schattenblick

SB: Rainer von Vielen ist dein Name und zugleich der deiner Band. Wie kommt das?

RVV: Ich bin der Bandgründer, aber wir sind schon so lange in dieser Formation unterwegs, daß wir uns als Band verstehen. Auch die Songs entstehen zusammen wie wir auch die politische Message, mit der wir nach außen gehen, gemeinsam diskutieren und erarbeiten, so daß sich das nicht mehr voneinander trennen läßt.

SB: Habt ihr Vorbilder in der deutschsprachigen Pop-Rock-Kultur bzw. im Hip-Hop, Leute, mit denen ihr gut befreundet seid, und wie ordnet ihr euch der hiesigen Musikszene zu?

RVV: Zuordnen ist schwierig, aber es gibt schon eine Szene, in der wir uns immer wieder bewegen. Wir spielen auf vielen Festivals und laufen dabei ständig Künstlern über den Weg oder Leuten, die uns einmal inspiriert haben. Dota Kehr, die heute hier ebenfalls gespielt hat, ist inzwischen eine gute Freundin von uns geworden. Wir haben schon acht, neun Konzerte gemeinsam gespielt. Natürlich gibt es auch aktuelle Bands, die uns gefallen wie zum Beispiel Grossstadtgeflüster. Die großen Namen muß man nicht extra nennen, auf die kommt jeder selber, aber es gibt schon eine aktive Szene mit deutschsprachigem alternativem Gesang. Was man wirklich als Popmusik bezeichnet, interessiert mich allerdings nicht so arg, das läuft ohnehin im Radio.


Die Band hebt die Faust - Foto: © 2016 by Schattenblick

Mut zum Kämpfen
Foto: © 2016 by Schattenblick

SB: Hast du für deine Texte oder dein Verhältnis zur deutschen Sprache literarische Vorbilder bzw. Dichter, die dich inspirieren? Rein theoretisch könntest du auch auf Englisch oder in irgendeiner anderen Sprache singen.

RVV: Auf Deutsch singe ich, weil ich weiß, daß ich in meiner Muttersprache am besten ausdrücken kann, was mir wichtig ist. Literarische Vorbilder, nun ja, ich habe gerne Dichter gelesen und finde vieles von Bertolt Brecht total interessant und auch gut, wie er mit Sprache umgeht und was er in seine Theaterstücke so reinbringt.

SB: Es gibt nicht allzu viele Musiker oder Bands, die sich explizit der Politisierung der Rock- bzw. alternativen Musikszene verschreiben. Siehst du darin ein Manko?

RVV: Das ist zumindest unser Weg, aber es ist jedem Musiker selbst überlassen, ob er so etwas machen will oder nicht . Ich würde von niemandem verlangen, daß er sich politisieren muß, weil er als Musiker viele Menschen erreichen kann. Musik ist etwas Vielfältiges. Jeder drückt damit aus, was ihm wichtig ist und etwas bedeutet.


Jeweils zwei Bandmitglieder auf einem Foto - Fotos: © 2016 by Schattenblick Jeweils zwei Bandmitglieder auf einem Foto - Fotos: © 2016 by Schattenblick

Fotos: © 2016 by Schattenblick

SB: Meinst du nicht, daß mehr Leute politisch motivierte Lieder singen würden, aber davor zurückschrecken, weil sie dann möglicherweise nicht soviele CDs verkaufen oder Konzerte geben könnten, weil das nicht den Massengeschmack trifft?

RVV: Klar, das ist natürlich ein Faktor. Wenn man große Plattenfirmen fragt, werden sie wahrscheinlich sagen, nein, laß die politischen Themen weg, das ist nicht so lukrativ, damit grenzt du dein Käuferpublikum ein. Zum Glück sind wir so aufgestellt, daß wir alles selber machen und von keinem Plattenlabel abhängig sind, das uns sagt, was wir tun sollen. So können wir machen, wozu wir Lust haben. Wir haben uns selber eine funktionierende Struktur erarbeitet. Dadurch sind wir unsere eigenen Herren und können das zu Wort bringen, was uns wichtig ist. Dazu gehören politische Themen ebenso wie persönliche Sachen, halt das ganze Spektrum, das unser Leben beeinflußt.

SB: Rainer, vielen Dank für das Gespräch.


Totale auf die Bühne - Foto: © 2016 by Schattenblick

Foto: © 2016 by Schattenblick


Etwas näher aus Sicht von oben - Foto: © 2016 by Schattenblick

Foto: © 2016 by Schattenblick


Fußnote:


[1] http://www.rainervonvielen.de/erden-texte/#grosserbla


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