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INTERVIEW/135: Klimagegengipfel - Kafkaeske Weisheiten ...     Uwe Hiksch im Gespräch (SB)



Zwischen 1994 und 2002 saß Uwe Hiksch im Deutschen Bundestag, davon die ersten fünf Jahre für die SPD. Nachdem jedoch der "Genosse der Bosse" Gerhard Schröder das Kanzleramt übernommen, die Partei unter ihm eine industriefreundliche Politik gegen die Arbeiterinteressen durchgesetzt sowie den Krieg gegen Jugoslawien mitgeführt hat, trat Hiksch aus Partei und SPD-Bundestagsfraktion aus und schloß sich eine Woche darauf der PDS-Fraktion an. Hiksch war nicht nach links gerückt, sondern die SPD nach rechts.

Die an diesem Beispiel deutlich werdende Kontinuität der im Marxismus gegründeten politischen Ansichten zeichnet Hiksch auch heute noch aus, wenn er sich schwerpunktmäßig der Basisarbeit widmet, nicht zuletzt als stellvertretender Vorsitzender der Nichtregierungsorganisation (NGO) NaturFreunde Berlin.


Mit geballter Faust bei der Abschlußrede auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Für ein entschiedenes Nein zur Braunkohlepolitik - Uwe Hiksch bei der Abschlußkundgebung
Foto: © 2017 by Schattenblick

Uwe Hiksch hat die Demonstration "Klima schützen - Kohle stoppen!" am 4. November in Bonn angemeldet. Zwei Tage vor Beginn der COP 23 gaben dort nach Veranstalterangaben rund 25.000 Menschen lautstark ihren Unmut über die Energie- und Klimapolitik der Bundesregierung Ausdruck. Die COP 23, jene 23. Vertragsstaatenkonferenz zum Klimaschutz unter Ägide der Vereinten Nationen, die vom 6. bis zum 17. November in Bonn stattfindet, wird in diesem Jahr von Fidschi geleitet. Deutschland ist technischer Ausrichter dieser Großveranstaltung, zu der rund 25.000 Delegierte und 1000 Medienvertreterinnen und -vertreter sowie etwa 500 Personen von Nichtregierungsorganisationen angereist sind.

Zu den zahlreichen und von den verschiedensten Initiativen, Organisationen und am Klimaschutz interessierten Bürgerinnen und Bürgern gestellten Forderungen dieser Demonstration gehörten Klimagerechtigkeit gegenüber den Ländern des globalen Südens, Stärkung der Position indigener Völker, rascher Ausstieg aus der Kohlewirtschaft, Abkehr von der Massentierhaltung und Unterstützung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, Anerkennung der Rolle der Frauen für den Klimaschutz, Ausbau von Erneuerbaren Energien und von Radfahrwegen, strengere Regeln gegen Autoabgase, Ende der Subventionierung des Flugverkehrs, Stopp der Versiegelung der Landschaft und Schutz der Wälder.

Nachdem Uwe Hiksch seiner rechtliche Funktion nachgekommen war und den offiziellen Teil der Versammlung für beendet erklärt hatte, bat ihn der Schattenblick um eine kurze Stellungnahme zu der Demonstration.

Schattenblick (SB): Uwe, wie kommt es, daß zu diesem offiziellen Klimagipfel drei Demonstrationen angekündigt wurden? Warum hat man nicht eine einzige durchgeführt und damit eine noch größere Schlagkraft gezeigt?

Uwe Hiksch (UH): Die Diskussion im Vorwege ging ja vor allen Dingen um die Frage: Ist der heutige Tag - zwei Tage vor dem eigentlichen Beginn der Klimakonferenz - der richtig oder sollte man, wie es eigentlich bei den anderen Konferenzen üblich war, zur Mitte der laufenden Klimakonferenz demonstrieren. Wir haben in unserem Bündnis sehr lange überlegt, was wir tun, und uns dagegen entschieden, am 11.11. im Rheinland eine Demonstration zu machen. Wir sind hier inmitten einer Karnevalshochburg und waren überzeugt, daß wir deswegen Öffentlichkeitsprobleme bekommen. Das wollten wir nicht und haben deshalb beschlossen, den Termin am heutigen Samstag zu nehmen. Ich finde, das hat sich bewährt. Es war eine doppelt so hohe Beteiligung wie erwartet, das hatten wir uns selbst in unseren kühnsten Träumen nicht vorgestellt.

Wir finden es aber durchaus gut, daß auch am 11.11. eine kritische Demonstration stattfindet, die beispielsweise den Karneval aufgreift und mit verschiedenen karnevalistischen Beiträgen zeigen möchte, wie sie sich Klimapolitiken vorstellt. Wie gesagt, das war für uns eine Terminfrage gewesen, gar nicht so sehr eine politische Frage.


Eine Gruppe der NaturFreunde Deutschlands trägt zahlreiche rote Fahnen dieser Organisation - Foto: © 2017 by Schattenblick Eine Gruppe junger Menschen trägt Pappschilder im Umriß und mit dem Aufdruck von Bäumen und den Schriftzug 'Plant a tree' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Links: NaturFreunde Deutschlands - Teil eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses für Klimaschutz und -gerechtigkeit
Rechts: Plant a Tree - einen Baum pflanzen für den Klimaschutz
Fotos: © 2017 by Schattenblick

SB: Unterscheiden sich die drei Demonstrationen, die unterschiedliche politische Bündnisse repräsentieren, von ihrer Ausrichtung her?

UH: Nun ja, die eine Demonstration, die nächste Woche stattfindet, ist ja tendenziell geprägt von einer Partei. Wir haben in unserem Bündnis keine Parteien aufgenommen, weil wir uns als NGOs verstehen, die Parteien zwar als Unterstützer, aber nicht direkt in einem Bündnis haben wollten. Die zweite Demonstration ist eine regionale Demonstration, die hier von Bonner Initiativen organisiert wurde, die diese karnevalistischen Elemente enthält.

Unsere Demonstration geht auf ein bundesweites Bündnis von Nichtregierungsorganisationen aus dem Umwelt- und Entwicklungsbereich zurück. Aber ich gehöre zu denen, die sagen, es ist nicht schädlich, wenn sich eine sehr breit aufgestellte Bewegung auch unterschiedlich manifestiert. Beispielsweise wird es am Montag die Kinderdemonstration von Greenpeace geben, die ich auch sehr, sehr spannend finde. Wo wahrscheinlich zu Beginn der UN-Klimakonferenz 500 bis 600 Kinder hierher ziehen werden. Widerstand ist unterschiedlich, Widerstand ist kreativ und ich glaube, das ist auch ganz gut so.

SB: Bei der Abschlußkundgebung wurde lobend erwähnt, daß auch Umweltministerin Barbara Hendricks zu der Demonstration gekommen war. Wie bewertest du ihr Erscheinen?

UH: Ich finde es immer gut, wenn Minister auf einer Demonstration vorbeischauen, um deren Stimmung einzufangen. Wir müssen aber festhalten, daß das reale Ergebnis der noch amtierenden großen Koalition darin besteht, daß das Erneuerbare-Energien-Gesetz geschliffen wurde - wir erleben heute einen wesentlich langsameren Zubau an Erneuerbaren Energien, sei es bei Wind oder Sonne. Weiterhin müssen wir feststellen, daß keine Kohlekraftwerke im größeren Maße abgeschaltet wurden. Wir müssen feststellen, daß massiv dafür gearbeitet wurde, daß die großen Energieerzeugungsunternehmen auf dem Markt bleiben können - die Bürgerenergiewende wurde gestoppt oder sogar ein Stückchen zurückgedreht. Und deshalb müssen wir feststellen: Es ist schön, daß Barbara Hendricks dagewesen war, wir hätten uns aber gewünscht, daß ihre Partei in dieser Regierung etwas mehr Widerstand gezeigt hätte. Aber leider war es ja so, daß all das von Wirtschaftsminister Gabriel unterstützt worden war.

SB: Wirtschaftsminister Gabriel war vorher Umweltminister und hatte zu der Zeit auch anders gesprochen, als er es heute tut. Ist das so üblich, daß Minister, wenn sie den einen Posten ausfüllen, austauschbar sind und ihrer Funktion dann auf einem anderen Posten genauso gut nachkommen?

UH: Natürlich kann man auch bei Ministerinnen und Ministern das feststellen, was einst Karl Marx gesagt hat, nämlich daß Menschen Charaktermasken sind. Sie haben eine Funktion, müssen diese erfüllen und können das auch. Ich kenne Barbara Hendricks persönlich und weiß, daß sie viel, viel mehr gewollt hat, als sie erreichen konnte. Das Problem liegt darin, daß sie es nicht durchzusetzen vermochte. Nur, bei der Bewertung ihrer Regierungszeit, stellt sich die Frage: Was wurde erreicht? Da müssen wir sagen, daß die jetzige Regierung keinen großen Fortschritt in der Klimapolitik gemacht hat.

SB: Hat das vielleicht auch damit zu tun, daß die SPD damals in den Regierungen der "Braunkohle-Bundesländer" Brandenburg und Nordrhein-Westfalen saß?

UH: Die Klimapolitik in Nordrhein-Westfalen und die Kohlepolitik sowohl in Brandenburg als auch Nordrhein-Westfalen sind eine Katastrophe. Natürlich hat das auch damit zu tun, aber nicht nur. Man braucht sich nur die großen Felder anzuschauen, die angegangen werden müßten: In der Verkehrspolitik ist es so, daß die Bundesregierung eine Erfolgsmeldung nach der anderen feiert, wenn die Flugverkehrsbewegungen zunehmen. Wenn die Passagierzahlen der Flughäfen ständig nach oben gehen, wird das als Erfolg gefeiert! Daß der Flugverkehr auf Wachstum gestellt wird, ist klimapolitisch gesehen eine Katastrophe.

Gleiches gilt für den motorisierten Individualverkehr. Die ständige Zunahme der Personenkilometer, die zurückgelegt werden, und auch zum Beispiel der neue Bundesverkehrswegeplan, der radikal auf den Ausbau der Autobahn und Bundeslandstraße ausgelegt ist, sind klimapolitisch gesprochen eine Katastrophe. In der Energiepolitik, ich habe es bereits ausgeführt, wird auf Großkraftwerke gesetzt, man gibt den Kohlekraftwerken noch eine viel zu lange Laufzeit. Damit hat die Bundesregierung massiv dazu beigetragen, daß ihre selbstgesteckten Klimaziele nicht erreicht werden. Das ist klimapolitisch gesprochen ein Skandal!

SB: Uwe, vielen Dank für deine Stellungnahme.


Rollendes Bett mit Merkel-Porträt auf Kopfkissen, darüber ein Transparent mit der Aufschrift 'Frau Merkel verschläft den Klimaschutz' - Foto: © 2017 by Schattenblick Transparent mit Aufschrift 'Revolution Not Pollution! Climate Justice Now!' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Links: Ein breites Bündnis: Karnevaleske Demonstrationsbeiträge ...
Rechts: ... und die Forderung nach Umsturz statt Umweltschmutz
Foto: © 2017 by Schattenblick

Bisher im Schattenblick unter BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT zum People's Climate Summit (PCS) in Bonn, mit dem kategorischen Titel Klimagegengipfel versehen, erschienen:

BERICHT/097: Klimagegengipfel - Demo der Gemäßigten ... (SB)
INTERVIEW/136: Klimagegengipfel - Störfall Wirtschaft und Energie ...     Dipti Bathnagar im Gespräch (SB)


13. November 2017


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