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INTERVIEW/154: Klimagegengipfel - Selbstverteidigung ...     Tetet Lauron im Gespräch (SB)


Wir sind keine Opfer, sondern Kämpferinnnen und Kämpfer für Klimagerechtigkeit und einen Systemwechsel!
Tetet Lauron auf dem People's Climate Summit in Bonn


Die internationale Klimadiplomatie blendet bislang vollständig aus, auf welche Weise Ressourcenextraktivismus Spannungen anheizt, Konflikte befeuert und militärische Auseinandersetzungen und Kriege verstärkt. Diese strukturelle Verknüpfung wird systemisch unterschlagen, militärische Interventionen und Angriffskriege operieren unter dem ideologischen Konstrukt des "Kampfs gegen den Terrorismus". Tatsächlich handelt es sich jedoch um Kriege, die den Zugriff auf fossile Rohstoffe und natürliche Ressourcen wie auch den Zugang zu Handelsrouten in den Konfliktregionen sichern sollen.

Im Rahmen des People's Climate Summit in Bonn war der Workshop "Klima, Militarismus und Kriege" am 6. November im Wissenschaftszentrum der Auseinandersetzung mit den genannten Verknüpfungen gewidmet, wie er auch Gelegenheit zur strategischen Vernetzung bieten sollte. Auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und von IBON International referierten und diskutierten Tetet Lauron (IBON International, Philippinen), Andrea Torres (Tierra Digna, Kolumbien), David Sauvage (CARES, Mauritius), Ruth Nyambura (Politische Ökologin, Kenia) und Atama Katama (Borneo Dayak Forum).

Wenngleich "Ibon" das philippinische Wort für "Vogel" ist, versteht sich IBON International nicht so sehr als eine ausgesprochene Umweltorganisation, sondern hat ihren Namen vor allem wegen seiner symbolischen Bedeutung gewählt. Die Organisation wurde auf dem Höhepunkt des Kriegsrechts gegründet, als die Menschen unter der Diktatur unterdrückt und getötet wurden, so Tetet Lauron. Da weder das Kyoto-Protokoll noch das Pariser Abkommen die Zusammenhänge zwischen militärischen Aktivitäten, der Extraktion von Ressourcen und dem Klimawandel anerkennt, habe man diesen Workshop geplant, um die Erfahrungen der Kämpfe auszutauschen und weitere Schritte zu beraten.

Nach den Worten Laurons sind die Philippinen ein Aushängeschild des Klimawandels - sowohl als Opfer als auch als Widerstandskämpfer. Sie habe es satt, unablässig die Geschichte zu erzählen, warum ihr Land so verletzlich sei: "Ich bin kein Opfer, sondern ziehe es vor, als Kämpferin bekannt zu sein." Was den Philippinen widerfährt, ist hinlänglich bekannt und gilt auch für zahlreiche andere Länder weltweit. Die Folgen wirken sich jedoch für Menschen im globalen Norden und Süden sehr unterschiedlich aus, so ihre Ausgangsposition.

Wie sie zur Veranschaulichung berichtet, wurden die Philippinen vor vier Jahren von einem gewaltigen Taifun heimgesucht. Da die Regierung nicht genügend Hilfe leistete, begannen die Menschen, sich selbst zu organisieren. Internationale Hilfsgelder wurden durch Korruption in dunkle Kanäle abgezweigt. Die Regierung verlegte sich auf eine Politik der Patronage, die über lokale Statthalter ausgesteuert wird. Das macht es für die Menschen noch schwerer, Unterstützung zu bekommen. Da die Regierung nicht bereit war, nach der Katastrophe grundlegende Dienste zur Verfügung zu stellen, sorgten die Menschen dafür, eine Grundversorgung aufzubauen und zugleich ihre Rechte und Würde zu wahren und zu verteidigen. Es ging also nicht nur darum, die Lebensmöglichkeiten wiederherzustellen, sondern zugleich um eine Ermächtigung der betroffenen Menschen.

Nach derartigen Katastrophen eröffnet sich Kapitalisten und korrupten Regierungen eine ausgesprochen günstige Gelegenheit, ihren Vorteil aus der Situation zu ziehen und eine neue Welle der Vertreibung und Entrechtung in Gang zu setzen. Die betroffene Zone wurde zu einer permanenten Gefahrenzone erklärt, worauf es den geflohenen Menschen verboten wurde, in ihre angestammten Wohngebiete zurückzukehren und ihr Leben wieder aufzubauen. Fischerei und Viehzucht wurden untersagt, den Menschen wurden Lager zugewiesen, die zunächst nur vorübergehend sein sollten, aber zu Dauereinrichtungen wurden. Die Regierung profitierte von diesen Notunterkünften durch Bereicherung an den Materialien, die von sehr schlechter Qualität waren. Der Wiederaufbauplan sah eine Ausrichtung auf wohlhabende ausländische Besucher und Dauergäste vor, die das milde Klima anlockt und die dort ihren Alterssitz einrichten. Das Militär wurde eingesetzt, man errichtete Zäune um die Areale, auf denen neue Häuser gebaut wurden. So folgte auf die Naturkatastrophe ein zweites Desaster unter Einsatz von militärischer und polizeilicher Gewalt. Bergbaugesellschaften rückten an, um Bodenschätze zu extrahieren. Als die Menschen Märsche organisierten, um Lebensmittelhilfe zu fordern, fuhr vor der US-Botschaft ein Polizeifahrzeug gezielt in die Menschenmenge.

Da es in Kolumbien, Kenia, Borneo und auf Mauritius kaum anders aussieht, müsse es darum gehen, die inneren Zusammenhänge zwischen Handel, Finanzsystem, Klimapolitik und Kriegsführung herauszuarbeiten: Der Klimawandel ruft nicht per se Konflikte hervor, aber die Art und Weise, wie multiple Krisen die Ungleichheit, Armut, Landlosigkeit und Gendergewalt forcieren, indem die Staaten mit wachsender Repression auf die Organisierung der Menschen und deren Forderungen reagieren, wird in den offiziellen Klimaverhandlungen vollständig unterschlagen. "Wir wollen, daß unsere Stimme gehört wird, so daß wir unsere Bewegungen stärken und unsere Hoffnungen nicht in diese Verhandlungen setzen. Wir sind keine Opfer, sondern KämpferInnen für Klimagerechtigkeit und einen Systemwechsel!" Die COPs sind ein niemals endender Zirkus des Systems, das sich selbst ständig neu erfindet und als Teil der Lösung ausgibt, wo es doch in Wirklichkeit die Probleme schafft und verschärft, so Lauron.

Tetet Lauron ist die Programmkoordinatorin von IBON International und Koordinatorin von "People's Movement on Climate Change", einer Bewegung gegen den Klimawandel, Mitglied von "Climate Justice Now" und der "Global Campaign to Demand Climate Justice". Vielgefragt und eigentlich auf dem Weg zu ihrem nächsten Treffen, erklärte sie sich nach dem Workshop freundlicherweise bereit, dem Schattenblick einige kurze Fragen zu beantworten.


Mit Mikrophon bei der Diskussion auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Tetet Lauron
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Die Genossin aus Indien hat gerade hervorgehoben, daß Menschen, die um das Leben ihrer Kinder und ihr eigenes kämpfen, alles Recht dazu haben. In der Diskussion haben wir auch über gerechte und ungerechte Kriege gesprochen. Warum ist diese Unterscheidung aus deiner Sicht so wesentlich?

Tetet Lauron (TL): Ich denke, die wichtige Unterscheidung, welche die Genossin mit Blick auf gerechte und ungerechte Kriege vorgenommen hat, ist ein sehr, sehr zentraler Punkt, der hervorgehoben und für die Weltöffentlichkeit besser kommuniziert werden muß. Wenn Menschen angegriffen werden, müssen sie sich natürlich verteidigen. Ich liebe den Frieden, aber wenn ich zu den Waffen greifen muß, um den Frieden für mich und meine Familie zu wahren oder wiederherzustellen, dann tue ich das. Und das passiert grundsätzlich zahllosen Menschen und ihren Gemeinschaften in aller Welt. Wenn die Konzerne kommen, wenn das Militär kommt, wenn die Polizei kommt - was sollen die Menschen tun? Sie können nicht zulassen, daß diese grausamen Dinge vor ihren Augen geschehen. Sie können nicht zulassen, daß ihr Heim und alles, was sie besitzen, im Namen des Profits zerstört wird. Auf jeden Fall verteidigen Menschen deshalb ihr Leben und ihre Lebensmöglichkeiten.

SB: In Deutschland wendet die Klimagerechtigkeitsbewegung zivilen Ungehorsam an, um gegen die Kohleinfrastruktur vorzugehen. Welche Möglichkeiten und Grenzen des zivilen Ungehorsams siehst du aufgrund deiner Erfahrung?

TL: Ich bin stolz darauf, sagen zu können, daß wir auf den Philippinen unseren Krieg um die nationale Befreiung führen. Er tobt nun schon seit 48 Jahren. Die Regierungen wechseln, Präsidenten kommen und gehen, aber wenn das System nicht grundlegend erneuert wird, haben wir weiterhin dieselben Probleme von Landlosigkeit, Armut und Ungerechtigkeit. Deswegen wird es für viele Menschen, die an die Wand gedrückt werden, eine zunehmend naheliegende Option, dagegen zu kämpfen. Wir alle sehen die wechselseitigen Zusammenhänge der verschiedenen Komponenten dieses Gesamtsystems. Wenn das System nicht generalüberholt wird, macht es keinen Unterschied, wer an die Regierung gebracht wird, die Probleme bleiben oder werden sogar noch schlimmer.

SB: Wir haben im Workshop auch über Kolumbien und die FARC gesprochen, die als Guerillabewegung für eine grundlegende Landreform zu kämpfen begann. Es ist nicht leicht einzuschätzen, welche Entwicklung sie später nahm. Von der Regierung wurde sie seit langem als "terroristische" Organisation eingestuft und bekämpft. Kann eine Guerillaorganisation heute noch bedeutende gesellschaftliche Kämpfe führen?

TL: Auf jeden Fall. Jede Diskussion über Frieden zwischen Regierung und Rebellen müßte sich in einem Rahmen bewegen, der genau diese Problematik des bewaffneten Konflikts thematisiert. Wenn der Rahmen ausschließlich vorsieht, daß sich die Rebellen ergeben, wird es nicht funktionieren. Wir haben das in vielen Fällen erlebt, so erst kürzlich in Kolumbien. Deswegen geht der bewaffnete Kampf auf den Philippinen weiter. Der Präsident hält den bewaffneten Gruppen gerade die Karotte in Aussicht gestellter Friedensgespräche vor die Nase, aber das wird so natürlich nicht laufen. Es muß eine prinzipielle Herangehensweise geben, die ernsthaft einen für beide Seiten akzeptablen Frieden anstrebt. Die Rebellen können und werden nicht Friedensgespräche führen, solange sie aufgefordert werden, sich zuvor zu ergeben und dann abzuwarten, was passiert. Das grundlegende Problem bliebe bestehen und würde keiner Lösung zugeführt. Der Rahmen zahlreicher sogenannter Friedensinitiativen sieht vor, daß sich die Rebellen ergeben. So kann es nicht funktionieren.

SB: In Deutschland ist die Antikriegsbewegung sehr klein und überaltert. Hingegen ist die Klimabewegung jung und stark und wird in zunehmendem Maße wahrgenommen. Konntest du auf dem People's Climate Summit irgendwo einen Übertrag zwischen diesen beiden Bewegungen entdecken?

TL: Noch nicht. Aber vielleicht sehen wir ihn ja in den kommenden Wochen!

SB: Tetet, vielen Dank für dieses Gespräch.


Bisher im Schattenblick unter BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT zum People's Climate Summit (PCS) in Bonn, mit dem kategorischen Titel Klimagegengipfel versehen, erschienen:

BERICHT/097: Klimagegengipfel - Demo der Gemäßigten ... (SB)
BERICHT/101: Klimagegengipfel - Kernenergie schon gar nicht ... (SB)
BERICHT/102: Klimagegengipfel - Erdgas, keine Option ... (SB)
BERICHT/103: Klimagegengipfel - gemeinsam marschieren, getrennt schlagen ... (SB)

INTERVIEW/135: Klimagegengipfel - Kafkaeske Weisheiten ...     Uwe Hiksch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/136: Klimagegengipfel - Störfall Wirtschaft und Energie ...     Dipti Bathnagar im Gespräch (SB)
INTERVIEW/139: Klimagegengipfel - nur noch wenig Zeit ...     Franziska Buch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/140: Klimagegengipfel - agrarindustrielle Fleischproduktion abschaffen ...     Matthias Ebner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/142: Klimagegengipfel - Eskalation und Gegenwehr ...     Jonas Baliani (Ende Gelände) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/143: Klimagegengipfel - wider besseren Wissens ...     Makereta Waqavonovono im Gespräch (SB)
INTERVIEW/144: Klimagegengipfel - die auf der Strecke bleiben ...     Barbara Unmüßig im Gespräch (SB)
INTERVIEW/145: Klimagegengipfel - integrative Linksdiskussion ...     Dagmar Enkelmann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/146: Klimagegengipfel - Antikernkraft und der lange Marsch ...     Don't-Nuke-the-Climate!-Aktive im Gespräch (SB)
INTERVIEW/147: Klimagegengipfel - umgelastet ...     Titi Soentoro im Gespräch (SB)
INTERVIEW/148: Klimagegengipfel - Flucht, Gewalt und Frauenelend ...     Samantha Hargreaves im Gespräch (SB)
INTERVIEW/149: Klimagegengipfel - demokratische Ergebnisnot ...     Sean Sweeney im Gespräch (SB)
INTERVIEW/150: Klimagegengipfel - Gas geordert, Stopp gefordert ...     Frida Kieninger und Andy Gheorghiu im Gespräch (SB)
INTERVIEW/151: Klimagegengipfel - Front aller Orten ...     Nataanii Means und Rafael Gonzales im Gespräch (SB)
INTERVIEW/152: Klimagegengipfel - Demokratie nur von unten ...     Magdalena Heuwieser im Gespräch (SB)
INTERVIEW/153: Klimagegengipfel - Laßt euch nicht täuschen ...     Doris Linzmeier im Gespräch (SB)
INTERVIEW/155: Klimagegengipfel - gestutzte Sozial- und Umweltrechte ...     Dr. Roberto Ferdinand im Gespräch (SB)

5. Dezember 2017


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