Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT


INTERVIEW/160: Klimagegengipfel - Fraß und Öde vor die Tür gekehrt ...     Peter Donatus im Gespräch (SB)


Der Schriftsteller kann kein bloßer Geschichtenerzähler sein; er kann nicht nur Lehrer sein; er kann sich nicht darauf beschränken, die Schwächen, Krankheiten und Gefahren der Gesellschaft zu durchleuchten. Er muß aktiv damit verbunden sein, ihre Gegenwart und Zukunft zu formen.
[1] Der nigerianische Schriftsteller und Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa [2]


Weltweit sind etwa 60 Millionen Menschen auf der Flucht, die meisten von ihnen stammen aus Ländern des globalen Südens, fast ein Drittel aus Afrika. Sie fliehen vor Kriegen, Menschenrechtsverletzungen, Armut, Instabilität und den Folgen des Klimawandels. Doch es gibt auch den Ökozid - die Zerstörung von Lebensgrundlagen durch die Ausbeutung von Rohstoffen und die Subventionspolitik westlicher Industriestaaten. So hat die Erdölförderung im Nigerdelta dazu geführt, daß dieses rund 70.000 Quadratkilometer große Gebiet, in dem 20 Millionen Menschen leben, heute eine der am stärksten verseuchten Regionen weltweit ist.

Nigeria ist mit circa 170 Millionen Menschen das bevölkerungsreichste Land Afrikas und verfügt über das größte Erdölvorkommen des Kontinents. Das Land ist der größte Erdölexporteur Afrikas und der sechstgrößte der Welt. Seine Wirtschaft hängt in höchstem Maße von dem schwarzen Gold ab, das für fast 90 Prozent der Staatseinnahmen sorgt. Trotz des Reichtums leben aber fast zwei Drittel der Bevölkerung in absoluter Armut, während korrupte Eliten die Staatskassen plündern. Verantwortlich für die Erdölförderung ist die Shell Petroleum Development Company, ein Joint Venture zwischen Royal Dutch Shell und dem nigerianischen Staat. Die Förderaktivitäten führen jedoch diverse Ölfirmen wie Royal Dutch Shell (47%), ExxonMobil (22%), Chevron Texaco (19%) und ENI/Agip (5%) aus. [3]

Täglich pumpen ausländische Konzerne rund 2,2 Millionen Barrel Öl aus dem Nigerdelta, Hauptabnehmer sind Indien, die USA, China und die EU. Jährlich sickern etwa 280.000 Barrel Öl aus leckenden Pipelines - etwa soviel, wie nach der Havarie der "Exxon Valdez" 1989 vor Alaska auslief. [4] Bei Tausenden Ölunfällen im Nigerdelta sind insgesamt mehrere Milliarden Liter Rohöl ausgelaufen, die das einstige Naturparadies in eine Hölle auf Erden verwandelt haben. Im drittgrößten Wasserreservoir Afrikas sind die Gewässer massiv verseucht, der Boden ist bis zu fünf Meter tief verschmutzt. Verrostete Rohre laufen ungeschützt und überirdisch quer durch Dörfer, Tankreservoirs sind für die Hälfte der Schäden verantwortlich, gefolgt von Sabotageakten und Ölfördertätigkeiten. Stillgelegte Bohranlagen und das illegale Abzweigen von Öl sind weitere Ursachen der Ölpest. Immer wieder treten Lecks auf, entstehen Brände, ereignen sich Explosionen. Shell schickt irgendwann Trupps, die Sand über das ausgelaufene Öl kippen, worauf das Gebiet als "saniert" deklariert wird. [5]

Im Jahr 2011 stellte die WHO im Grundwasser eine mehr als 900mal höhere Konzentration von Kohlenwasserstoff fest, als internationale Grenzwerte erlauben. Mehr als 400 Millionen Tonnen CO2 gelangen jährlich durch das Abfackeln von Gas in die Atmosphäre, die extreme Luftverschmutzung zieht schwerste gesundheitliche Folgen nach sich. Laut UNO wird die Beseitigung der Schäden mindestens 30 Jahre dauern, die Kosten werden auf etwa eine Milliarde US-Dollar geschätzt. Dessen ungeachtet verseuchen weiterhin rund 13 Millionen Barrel Erdöl jährlich das Delta. Die Ölkonzerne mißachten alle Umweltschutzgesetze und kommen fast ungestraft davon.

Mitte der 1980er Jahre bat Shell-Nigeria die Militärjunta um Hilfe bei der Niederschlagung aufflammender Proteste gegen die Ölmultis und das Regime. Es folgten ein Massaker, massenhafte Inhaftierungen sowie eine Fluchtbewegung aus dem Delta. Mehr als 20 Jahre nach der Hinrichtung Ken Saro-Wiwas und seiner acht Mitstreiter hat sich ungeachtet der formellen Demokratie im Land die Lage im Nigerdelta kaum verbessert, die Verwüstung wird ungehindert fortgeführt. Das Delta gleicht einem Armenhaus, die Kindersterblichkeit liegt bei 20 Prozent, die Lebenserwartung deutlich unter dem Landesdurchschnitt. Ackerbau und Fischerei, die einstigen Lebensgrundlagen, sind kaum noch möglich, die Menschen essen notgedrungen giftigen Fisch oder schwer belastete Lebensmittel. Und ein Ende dieses apokalyptischen Szenarios ist nicht in Sicht.

Peter Donatus ist ein in Nigeria geborener freier Journalist und Menschenrechtsaktivist. Als Umweltaktivist beschäftigt er sich seit gut 30 Jahren kritisch mit den katastrophalen Verwüstungen, die der Shell-Konzern bei der Ölförderung im Nigerdelta verursacht oder hinterlassen hat. Donatus konnte vor 29 Jahren nach mehrmonatiger Isolationshaft im Staatssicherheitsgefängnis und schwerer Folter aus Nigeria fliehen. Seither lebt er in Deutschland.

Beim People's Climate Summit in Bonn referierte und diskutierte Peter Donatus am 6. November im Workshop "Klimawandel, Migration und die EU" im Wissenschaftszentrum. Im Anschluß daran beantwortete er dem Schattenblick einige vertiefende Fragen.


Stehend vor einer hellen Wand und dem Ausschnitt eines Bildes - Foto: © 2017 by Schattenblick

Peter Donatus
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Peter, könntest du bitte zunächst aus deiner Lebensgeschichte erzählen, wie du von Nigeria nach Deutschland gekommen bist?

Peter Donatus (PD): Ich bin 51 Jahre alt und vor etwa 29 Jahren als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Als junger Student und Aktivist kam ich damals in Nigeria neun Monate in Isolationshaft, weil wir einen Generalstreik organisiert hatten, der das ganze Land lähmte. Nachdem mich mein Vater freikaufen konnte, mußte ich das Land so schnell wie möglich verlassen. Ich wußte noch nicht, wo ich bleiben könnte, und bin zunächst in Brüssel gelandet. Ich bin übrigens mit dem Flugzeug gekommen, was damals nicht ungewöhnlich war. Heute kommen nur noch sehr wenige Flüchtlinge auf diese Weise nach Europa. In Belgien brachten sie mich in einem Sammellager unter, bei dem es sich um ein ehemaliges Gefängnis handelte. Da ich gerade frisch aus der Haft gekommen war, konnte ich das nicht aushalten. Nach ungefähr dreieinhalb Wochen wurde mir das zuviel und ich mußte weiterziehen. Ich bin dann illegal nach Deutschland gereist und zunächst nach Aachen gelangt.

SB: Wie ist es dazu gekommen, daß du in deinem Heimatland zu einem Aktivisten geworden bist, der unter anderem den Kampf gegen Shell aufgenommen hat?

PD: Ich habe bereits im Alter von dreizehn Jahren im Internat meine erste Organisation gegründet. Damals ging es um die Korruption seitens des Schuldirektors, der die vergleichsweise hohen Gebühren, die unsere Eltern bezahlt hatten, in die eigene Tasche steckte, um Villen für sich bauen zu lassen. Ich habe die Jugendlichen in der Schule versammelt, um etwas dagegen zu unternehmen. Ich schlug damals die Gründung einer Organisation namens "Das Licht" vor, die heute noch existiert. Wir wollten die korrupten Machenschaften aufdecken und bekämpfen. Das hat mir sehr viel Streß eingebracht, führte aber dazu, daß wir uns zunehmend politisch engagierten und sogar sozialistische Bücher lasen, die damals in Nigeria verboten waren. Insofern war es kein Wunder, daß ich zehn oder zwölf Jahre später im Gefängnis landete. Das war die Situation in Nigeria.

Im Nigerdelta herrschte schon vor 30 Jahren eine Katastrophe. Das konnte jeder sehen. Ich wollte diese Ungerechtigkeit, diese rücksichtslose Plünderung der Natur und der Bodenschätze, die Zerstörung der Ökosysteme und damit auch der Lebensgrundlagen als Mensch nicht hinnehmen. Bis heute gilt: Shell ist Nigeria, Nigeria ist Shell. Als wir gegen die Militärregierung kämpften, haben wir gleichzeitig gegen Shell gekämpft, man konnte die beiden nicht voneinander trennen. Mein Aktivismus in Nigeria fing also in jungen Jahren mit dem Kampf gegen Korruption an, die immer noch im Land präsent ist. Das entwickelte sich dann weiter, und als ich anfing zu studieren, engagierte ich mich in der studentischen Gewerkschaftsbewegung. Ich gehörte schließlich zu den Organisatoren des Generalstreiks, an dem sich sehr viele Menschen beteiligten und der dann niedergeschlagen wurde. Heute kann ich sagen, daß ich diesen Aktivismus nicht mehr loswerde. Er ist wie ein Virus, der mich befallen hat, und ich bereue das nicht.

SB: Du hast dich vor Jahren im Zuge deiner Politisierung mit sozialistischen Texten und Themen auseinandergesetzt. Würdest du von dir sagen, daß du auch heute noch ein Sozialist bist?

PD: Ich möchte diese Frage auf einer panafrikanischen Ebene beantworten. Bestimmt ist dir "Ubuntu" ein Begriff: Ich bin, wer ich bin, weil wir sind, wer wir sind. Es handelt sich um eine Interdependenz, eine Abhängigkeit voneinander, die das Rückgrat der wirtschaftlichen und sozialen Grundstruktur in Nigeria vor der Ankunft der Weißen war. Es ist nichts anderes als das, was die Weißen als System des Sozialismus entworfen haben. Dieses Gemeinschaftsleben, diese Kollektivität ist im Grunde die Urform des Sozialismus. Nicht die deutsche Ich-AG der Gegenwart, sondern eine Hand wäscht die andere, damit beide Hände sauber werden, als Basis des Zusammenlebens. Das kennen die Europäer zwar auch, aber die Afrikaner noch sehr viel mehr. Insofern war es für mich gar nicht so schwer, Karl Marx oder den Sozialismus zu verstehen, obwohl ich natürlich als junger Mensch bei manchen Begriffen große Probleme hatte, ihren Sinn zu erfassen. Es war eine Art außerschulischer Bildung, die dem Aktivismus entsprang und mich zusammen mit meinem Studium zu einer reichen Person gemacht hat, was Wissen angeht. Wissen ist Macht, obwohl ich an sich nichts von Macht halte, aber du weißt, was ich damit meine.

SB: Du hast das System der Weißen für gescheitert erklärt. Was bestärkt dich in dieser Auffassung?

PD: Ich meine damit etwas ganz Einfaches und bin im übrigen gar nicht derjenige, der das von sich aus postuliert, sondern berichte darüber. Es sind weiße Menschen, die selbst einräumen, daß ihr System gescheitert ist. Da ich kein dummer Mensch bin, sehe ich das auch. Überall in Europa haben selbst die Konservativen endlich begriffen, daß etwas getan werden muß. Ich möchte in diesem Zusammenhang an die IWF-Tagung im Frühjahr 2017 erinnern, an der auch Wolfgang Schäuble teilnahm. Was er von sich gegeben hat, war ziemlich überraschend und verwirrend. Er erklärte nämlich, daß man die Globalisierungskritiker ernst nehmen und auch aus Sicherheitsgründen dafür sorgen müsse, daß Afrika Zeit habe, an den Erfolgen der Globalisierung zu partizipieren. Das aus dem Munde eines CDU-Politikers und Konservativen! Und er steht nicht allein mit dieser Auffassung, weil sie gemerkt haben, daß sie den Terrorismus mit den Mitteln, die sie bislang anwenden, niemals besiegen können. Terrorismus und Haß kann man nur bekämpfen, indem man Gerechtigkeit schafft. Es kann keinen Frieden ohne Gerechtigkeit geben. Wer denkt, man könne Frieden mit Waffengewalt erzwingen, belügt sich selbst und andere Menschen. Die Frage der Gerechtigkeit muß ernsthaft diskutiert werden.

Die Afrikaner sind nicht dumm, aber gelassen, was die Europäer weidlich ausgenutzt haben. Der Fremde ist König, Gastfreundschaft selbstverständlich. Dennoch weiß der Afrikaner genau, wer der Europäer ist, doch sind die Afrikaner heute weitgehend machtlos gegenüber den Europäern. Aber das System der Weißen ist gescheitert, weshalb sie nach neuen Möglichkeiten, Alternativen der Lebensführung, suchen, weil sie merken, daß es so nicht weitergeht. Diese Bewegung wird immer größer, denk nur an die beeindruckende Kampagne gegen TTIP und CETA im letzten Jahr! Immer mehr Demonstrationen und Kundgebungen, immer mehr Konferenzen, immer mehr Politiker selbst im konservativen Spektrum, die ein Ende dieser Art der Ausbeutung und eine gerechtere Verteilung der Weltressourcen fordern. Sie geben selber zu, daß ihr eigenes System gescheitert ist. Doch gleichzeitig fordert Europa uns zu Reformen entsprechend seiner Lebensweise auf. Das heißt, wir sollen dieses gescheiterte System übernehmen, obwohl es längst gegen die Wand gefahren ist. An dieser Stelle sagen wir stopp, wir wissen, wie das läuft. Gott sei Dank kommen immer mehr Afrikaner nach Europa und sehen, wie die Europäer leben, sie sehen, daß die Europäer nicht Gott sind, wie einige Afrikaner aufgrund ihrer jahrelangen Gehirnwäsche glauben, und das wird ein bißchen unangenehm für die Europäer. So eine Form von Konfrontation und Widerstand wagten die Flüchtlinge in den 90er Jahren kaum jemals. Ich war von Anfang an dabei, was damit zu tun hatte, daß ich beträchtliche deutsche Unterstützung erfuhr. Aber viele Leute hatten keine solche Hilfe und zeigten kein Rückgrat, weil sie Angst hatten, über derartige Themen zu sprechen, da sie andernfalls eine Abschiebung befürchteten. Doch heute ist man selbstbewußter, und damit umzugehen stellt eine große Herausforderung für Deutschland und Europa dar. In Nigeria ist die Hälfte der Bevölkerung unter 30 Jahre alt. Afrika insgesamt ist ein junger Kontinent. Da darf man gespannt sein!

SB: Wenn du dich als Aktivist engagierst - wen sprichst du an, wie gehst du vor, was ist deine Stoßrichtung?

PD: Erstens lege ich sehr viel Wert auf Basisarbeit, weil ich der Auffassung bin, daß wir von der Basis her etwas verändern können. Die Wirtschaftsbosse und politisch Verantwortlichen werden sich nicht freiwillig bewegen. Die Basisbewegung hat für mich Priorität, was nicht ausschließt, daß ich auch mit Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft spreche. Aber vor allem spreche ich auf Veranstaltungen wie diesem Gegengipfel hier in Bonn, in Universitäten und Schulen vor allem mit jungen Menschen und in einer Sprache, die sie auch verstehen. Meine Erfahrungen mit dieser Herangehensweise sind überwiegend positiv, denn ich erlebe, wie die Menschen regelrecht erschüttert sind, wenn man ihnen vor Augen führt, was in Afrika und anderen rohstoffreichen Regionen passiert. Selbst Aktivistinnen und Aktivisten, die das im Prinzip wissen, erschrecken angesichts der Dimension. Wenn ich mit meinen Bildern und Geschichten komme, ist es mir am liebsten, wenn ich keinen wissenschaftlichen Vortrag halten muß, sondern frei sprechen kann, so daß die Menschen meine Emotionen spüren. Auf die festgefahrenen Begriffe kann ich gerne verzichten. Ich habe sogar ein oder zweimal erlebt, daß junge Leute bei solchen Veranstaltungen zusammengebrochen sind. Ich habe heute im Workshop nur etwa zehn Prozent der Bilder gezeigt, die ich für gewöhnlich mitbringe. Man sieht dann, daß die Menschen diese Verhältnisse für zutiefst ungerecht halten und unbedingt etwas tun wollen. Das ist meine Hoffnung.

SB: Du hast die Klimafrage mit einem politischen Ansatz verbunden. Warum ist diese Verknüpfung aus deiner Sicht so wichtig?

PD: Wer sollte die Klimaproblematik lösen, wenn nicht unsere gewählten Vertreter? Wir haben sie in die Parlamente und Regierungen geschickt, damit sie dafür sorgen, daß wir in Würde leben können. Leider tun sie nicht das, wofür sie gewählt werden, sondern vertreten die Wirtschaftsbosse. Insofern muß Druck auf die politisch Verantwortlichen ausgeübt werden. Er ist zwar bereits vorhanden, muß aber noch erheblich ausgebaut werden. Ohne die politische Führung können wir keine Veränderung in der Klimafrage erreichen, doch wie bringen wir die Verantwortlichen dazu, die Zeichen der Zeit zu erkennen und zu handeln? Ein Beispiel, das freilich schon etwas länger zurückliegt: Am 12. November 1996 hatte ich hier in Bonn ein Treffen mit dem damaligen Außenminister Klaus Kinkel organisiert, ein Jahr nach der Ermordung von Ken Saro-Wiwa. Eingeladen hatte ich auch meinen zweiten politischen Mentor, Prof. Wole Soyinka [6], der als erster afrikanischer Schriftsteller den Literaturnobelpreis erhalten hat und mit dem ich lange zusammengearbeitet habe. Herrn Kinkel und den Bundestagsfraktionen, die wir am selben Trag trafen, haben wir unsere Forderungen vorgetragen. Als wir bei Kinkel ankamen, fing erst einmal diese übliche Fotosession vor riesigen Kameras an. Er wollte uns einzig und allein für seine politischen Zwecke ausnutzen und entsprechende Bilder haben. Wir waren in seinem Büro und haben klar unsere Forderungen gestellt. Wie ich ihm sagte, sei unsere wichtigste Forderung ein Ölembargo. Würde ein Embargo verhängt, könnte das Regime in Nigeria nicht länger als ein halbes Jahr überleben. Herr Kinkel schaute mich an und fragte: Wie soll das denn gehen? Was ist denn mit den deutschen Interessen in Nigeria? Er war sehr direkt, merkte aber nicht, wie es in mir kochte. Ich habe ihm dann auch eine entsprechende Antwort gegeben. Dieses Beispiel zeigt, wie das eigene Interesse das Leid anderer Menschen vollkommen überdeckt. Das ist sehr schade.

Heute habe ich auf Facebook gepostet: Mit der Einführung von Grenzen und Einwanderungsregimen begann die Inhumanität zwischen Menschen. Jeder denkt an sein Land, dessen Sicherheit und Versorgung, egal, auf wessen Kosten. Das haben wir damals erlebt, aber dennoch gibt es auch Positives zu berichten, denn in Folge dieser Treffen hat uns Deutschland in den 90er Jahren schließlich doch noch unterstützt. Ich hatte mit Hilfe meiner Freunde bei den Grünen initiiert, daß eine Resolution im Bundestag verabschiedet wurde. Darin stand unter anderem, die Bundesregierung möge sich verpflichten, die nigerianische Opposition zu unterstützen. Wir bekamen Unterstützung für das Untergrundradio, das wir damals betrieben haben, und es war nicht wenig Geld, das wir ganz gezielt verwendet haben. Aber wir durften seinerzeit nichts davon erzählen, daß Deutschland uns unterstützt, das war die Bedingung.

Als ich nach Europa und Deutschland kam, habe ich die Ausbeutungsstrategien schnell begriffen. Das bedeutet nicht, daß die Afrikaner bessere Menschen sind, das meine ich nicht. Aber Afrika ist Europas direkter Nachbar und von einigen südeuropäischen Küsten aus sogar zu sehen. Doch bei den Beziehungen zwischen Europäern und Afrikanern ging es seit dem 13. oder 14. Jahrhundert immer um Rohstoffe, nicht um menschliche Beziehungen. Das ist sehr traurig, weil wir als benachbarte Kontinente im Grunde viel voneinander lernen und in Kooperation miteinander entwickeln könnten. Die Gier zu nehmen, egal, was du willst oder sagst, tut mir weh, weil ich gerne in Frieden mit den Europäern leben möchte. Aber solange sie meine Heimat zerstören und die Lebensgrundlagen meiner Landsleute vernichten, finde ich keinen Frieden mit den Europäern.

Es geht immer nur um Privilegien, und diese Mauer muß fallen, wenn wir weiterkommen wollen. Denn der Afrikaner wird kommen, und ich möchte keinen Haß, weder auf der einen noch auf der anderen Seite. Ich habe viel erlebt und stand bereits kurz vor dem Tod, viele Genossinnen und Genossen wurden vor meinen Augen ermordet. Ich habe das Glück, noch zu leben. Meine Kindheit wurde geraubt. Ich kann nur damit umgehen, indem ich versuche, so zu leben, wie es uns die Eltern beigebracht haben. Nein zu Haß, egal, wieviel Haß dir von der anderen Seite entgegenschlägt. Haß kannst du nicht durch Haß bekämpfen. Ich bin schon bestraft genug und will mich nicht doppelt bestrafen. Fange ich an, jemanden zu hassen, werde ich unruhig, dann leide ich. Das ist eine Strafe für mich.

SB: Peter, vielen Dank für dieses ausführliche Gespräch.


Fußnoten:


[1] http://www.azquotes.com/quote/646781

[2] Kenule Beeson Saro-Wiwa, genannt Ken Saro-Wiwa (1941-1995) war ein nigerianischer Bürgerrechtler, Schriftsteller und Fernsehproduzent. Er gründete die Movement for the Survival of the Ogoni People (MOSOP) und war Träger des Right Livelihood Awards ("Alternativer Nobelpreis"). Am 31. Oktober 1995 wurde er in einem Schauprozeß mit acht weiteren Bürgerrechtlern zum Tode verurteilt und zehn Tage später hingerichtet.

[3] https://www.inkota.de/material/suedlink-inkota-brief/175-flucht-und-migration/donatus/

[4] https://www.greenpeace-magazin.de/profit-raubt-heimat

[5] https://www.freitag.de/autoren/asansoerpress35/peter-donatus-bei-friedensfragen-in-dortmund

[6] Der 1934 geborene Nigerianer Wole Soyinka gilt als einer der größten Freiheitskämpfer des afrikanischen Kontinents und wurde als erster Schriftsteller Afrikas 1986 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Wie es in der Begründung des Komitees hieß, habe er "in breiter kultureller Perspektive und mit poetischen Obertönen das Drama des menschlichen Seins" gestaltet.


Bisher im Schattenblick unter BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT zum People's Climate Summit (PCS) in Bonn, mit dem kategorischen Titel Klimagegengipfel versehen, erschienen:

BERICHT/097: Klimagegengipfel - Demo der Gemäßigten ... (SB)
BERICHT/101: Klimagegengipfel - Kernenergie schon gar nicht ... (SB)
BERICHT/102: Klimagegengipfel - Erdgas, keine Option ... (SB)
BERICHT/103: Klimagegengipfel - gemeinsam marschieren, getrennt schlagen ... (SB)

INTERVIEW/135: Klimagegengipfel - Kafkaeske Weisheiten ...     Uwe Hiksch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/136: Klimagegengipfel - Störfall Wirtschaft und Energie ...     Dipti Bathnagar im Gespräch (SB)
INTERVIEW/139: Klimagegengipfel - nur noch wenig Zeit ...     Franziska Buch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/140: Klimagegengipfel - agrarindustrielle Fleischproduktion abschaffen ...     Matthias Ebner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/142: Klimagegengipfel - Eskalation und Gegenwehr ...     Jonas Baliani (Ende Gelände) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/143: Klimagegengipfel - wider besseren Wissens ...     Makereta Waqavonovono im Gespräch (SB)
INTERVIEW/144: Klimagegengipfel - die auf der Strecke bleiben ...     Barbara Unmüßig im Gespräch (SB)
INTERVIEW/145: Klimagegengipfel - integrative Linksdiskussion ...     Dagmar Enkelmann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/146: Klimagegengipfel - Antikernkraft und der lange Marsch ...     Don't-Nuke-the-Climate!-Aktive im Gespräch (SB)
INTERVIEW/147: Klimagegengipfel - umgelastet ...     Titi Soentoro im Gespräch (SB)
INTERVIEW/148: Klimagegengipfel - Flucht, Gewalt und Frauenelend ...     Samantha Hargreaves im Gespräch (SB)
INTERVIEW/149: Klimagegengipfel - demokratische Ergebnisnot ...     Sean Sweeney im Gespräch (SB)
INTERVIEW/150: Klimagegengipfel - Gas geordert, Stopp gefordert ...     Frida Kieninger und Andy Gheorghiu im Gespräch (SB)
INTERVIEW/151: Klimagegengipfel - Front aller Orten ...     Nataanii Means und Rafael Gonzales im Gespräch (SB)
INTERVIEW/152: Klimagegengipfel - Demokratie nur von unten ...     Magdalena Heuwieser im Gespräch (SB)
INTERVIEW/153: Klimagegengipfel - Laßt euch nicht täuschen ...     Doris Linzmeier im Gespräch (SB)
INTERVIEW/154: Klimagegengipfel - Selbstverteidigung ...     Tetet Lauron im Gespräch (SB)
INTERVIEW/155: Klimagegengipfel - gestutzte Sozial- und Umweltrechte ...     Dr. Roberto Ferdinand im Gespräch (SB)
INTERVIEW/156: Klimagegengipfel - milch- und fleischemittierte Heimlichkeit ...     Shefali Sharma im Gespräch (SB)
INTERVIEW/157: Klimagegengipfel - Kolonie der Finalstrategien ...     Jesús Vásquez im Gespräch (SB)
INTERVIEW/158: Klimagegengipfel - auf der eigenen Scholle stehen ...     Aktivist Flip im Gespräch (SB)
INTERVIEW/159: Klimagegengipfel - zwei Beine für jeden Schritt ...     Lydinyda Nacpil im Gespräch (SB)
INTERVIEW/160: Klimagegengipfel - Fraß und Öde vor die Tür gekehrt ...     Peter Donatus im Gespräch (SB)
INTERVIEW/161: Klimagegengipfel - schöpfen mit Bedacht ...     Tom Goldtooth im Gespräch (SB)


11. Dezember 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang