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FLUCHT/019: Wiener Asyl - in die Herzen (SB)


Flüchtlingsproteste in Wien - 13. Februar 2013

2. Platz beim Protestsongcontest 2013 - Refugees haben Wiener Herzen erobert


Graphik mit einer roten und geballten Faust - Foto: © 2013 by Chili Gallei

Kultur kämpferisch - der Wiener Protestsongcontest 2013 in seinem 10. Jahr
Foto: © 2013 by Chili Gallei

Noch besser als durch ihre Teilnahme am diesjährigen Protestsongcontest hätten die in der Wiener Votivkirche seit Ende vergangenen Jahres protestierenden Flüchtlinge kaum deutlich machen können, daß sie schon längst in Österreich angekommen und so gut integriert sind, daß nicht einmal mehr die kleinsten kulturellen Verständigungs- oder Überbrückungsschwierigkeiten zwischen ihnen und der westlich geprägten Kultur ihres Gastlandes bestehen. Ihr Kernanliegen, die Aufhebung der rechtlichen Ausgrenzung aller Flüchtlinge bzw. Asylsuchenden in Österreich, damit auch diejenigen, die "nicht von hier sind", in der Republik leben (und arbeiten) können wie alle anderen auch, haben die Protestierenden bereits durch die verschiedensten Aktionen öffentlich zu machen versucht.

Stets sind sie am Dialog und auch an einer kontroversen Diskussion mit anderen Menschen interessiert, wollen sie doch zu einem gesellschaftlichen Umdenken beitragen, damit die in eine dementsprechende EU-Verordnungspraxis eingebettete Asyl- und Flüchtlingspolitik Österreichs hinterfragt und zum Gegenstand eines öffentlichen Meinungsbildungsprozesses gemacht wird. Die denkbaren Ergebnisse einer solchen Entwicklung könnten, mit dem erforderlichen öffentlichen Druck versehen, schließlich in der Regierungspolitik sowie der nationalen Gesetzgebung Österreichs ihren Niederschlag finden und davon Zeugnis ablegen, daß immer weniger Österreicherinnen und Österreicher noch verstehen, warum es erforderlich oder gar in ihrem Interesse sein soll, die oftmals traumatisierten Flüchtlinge ins gesellschaftliche Abseits zu stellen und ihnen zu verwehren, sich frei im Lande zu bewegen und ungehindert ihren beruflichen und sonstigen Interessen nachzugehen.

In Wien wird bereits seit zehn Jahren mit dem Protestsongcontest alljährlich eine Kulturveranstaltung der besonderen Art durchgeführt, handelt es sich doch bei diesem Musikwettbewerb, der an erster Stelle der Entwicklung und Stärkung der Protestkultur des Landes gewidmet ist, um eine Veranstaltungsreihe, bei der die teilnehmenden Musikerinnen und Musiker explizit aufgefordert werden, "ihrem Unmut künstlerisch Luft zu machen". [1] Frei nach der Devise des römischen Philosophen und Dramatikers Lucius Annaeus Seneca - "zu leben heißt zu kämpfen" - fand der Wiener Protestsongcontest in seinem Jubiläumsjahr unter dem Titel "Die reinigenden Flammen des Protests lodern 2013 heller denn je!" seine Fortsetzung. An ihm nahmen in diesem Jahr auch die Refugees, wie die protestierenden Flüchtlinge aus der Votivkirche vielfach genannt werden, teil - und zwar mit großem Erfolg.

Sie überstanden mit ihrem Song "We love Vienna/je t'aime, Vienne" nicht nur am 25. Januar 2013 die Vorausscheidung, sondern schafften es auf Anhieb auf den 2. Platz. Augenscheinlich haben sie mit ihrem Auftritt im Finale, das am gestrigen Dienstag im Rabenhof Theater stattfand, so sehr den Nerv des Publikums getroffen, daß ihnen der inoffizielle Titel der "Sieger der Herzen" verliehen wurde. Die Jury kürte, wenn auch denkbar knapp, Benedikta Manzano und ihr satirisches Lied "Mehr Mitgefühl für die Märkte" zur Siegerin, dicht gefolgt von den Refugees, die sich ihren 2. Platz mit ex equo Anstaltskinda aka Kapitano Chaotico teilten.

In der Hauptstadtpresse stieß der diesjährige Protestsongcontest auf ein reges Interesse, wobei die Refugees, die als letzte der insgesamt zehn Finalteilnehmer ihren Auftritt im Rabenhof hatten, vermutlich durch den Ernst ihres auch in diesem Song vermittelten Anliegens den bis dahin eher locker, witzigen Rahmen der gesamten Veranstaltung wohl ein wenig gesprengt haben. War die Stimmung bis dahin schon fast enthusiastisch gewesen, wurde sie von den Protestflüchtlingen offensichtlich noch getoppt, wie "die Presse" heute berichtete:

Als letzte Starter sorgten die refugees of the vienna refugee camp bei dem Musikwettbewerb für den wohl emotionalsten Auftritt in der Geschichte der Veranstaltung. "Als wir vor zehn Jahren angefangen haben, hätte ich nie gedacht, dass es einen so coolen Moment gibt wie jetzt", sagte Dirk Stermann, der ankündigte, die Moderation abgeben zu wollen.
Die Refugees of the vienna refugee camp brachten ihre in der Votivkirche vertretenen Anliegen auch im Rabenhof vor und präsentierten sich mit "We Love Vienna / Je t'aime Vienne", einer Mischung aus Liebeserklärung und Forderungskatalog, dem Publikum. [2]
Die singenden Refugees im Scheinwerferlicht der Bühne des Protestsongcontests - Foto: © 2013 by Ingrid Brodnig

Die Sieger der Herzen - die Refugees of the vienna refugee camp mit ihrem Song "We love Vienna/je t'aime, Vienne"
Foto: © 2013 by Ingrid Brodnig

Enthusiastische Begeisterung und langanhaltender Beifall waren die Antwort des Publikums, das die Refugees durch Sprechchöre "Refugees are welcome here" immer wieder in Österreich willkommen hieß. Ginge es nach den an diesem Abend im Rabenhof anwesenden Gästen, wäre die von den Protestierenden erwünschte und geforderte Zäsur in der Asylpolitik - weg von Ausgrenzung hin zu einer tatsächlichen und uneingeschränkten Integration - gewiß kein Problem mehr.

Die Refugees machten während ihres Auftritts auch noch einmal deutlich, daß sie völlig unabhängig ihren Protest organisieren und nicht, wie ihnen schon so oft vor- und entgegengehalten wurde, von politischen Aktivisten instrumentalisiert werden. Ihr Satz beim Finale des Protestsongcontests - "Danke an alle, die uns helfen, aber wir erlauben niemandem, uns zu benutzen!" - stieß bei den Anwesenden ebenfalls auf langanhaltenden Applaus. In die Herzen vieler Wienerinnen und Wiener haben sich die Refugees, wie der gestrige Abend im Rabenhof gezeigt hat, bereits gesungen. Auf ihrer Webseite ist unterdessen nachzulesen, daß sie inzwischen auch die Macht - oder vielleicht Magie? - ihrer Musik einzusetzen bemüht sind, um ihren Argumenten und Anliegen die erforderliche Durchsetzungsfähigkeit zu verleihen:

Wir sind zu Fuß von Traiskirchen nach Wien marschiert. Wir haben ein Refugee-Protestcamp aufgebaut. Wir haben die Votivkirche besetzt. Wir haben einen Hungerstreik gemacht. Die Regierung ignoriert unsere Forderungen, stattdessen schickt sie die Polizei, um unseren Kampf zu zerstören und einige von uns in Schubhaft zu sperren. - Die Regierung hört unsere Argumente nicht. Vielleicht hört sie unsere Musik. [3]


Fußnoten:

[1] http://www.rabenhoftheater.com/saison-2012-2013/gemeindebau-spezialitäten/protestsongcontest/

[2] http://diepresse.com/home/kultur/popco/1344307/Protestsongcontest_ChansonSiegerin-und-Fluechtlinge?_vl_backlink=/home/kultur/popco/index.do

[3] http://refugeecampvienna.noblogs.org/post/2013/01/26/wir-sind-protestsongcontest-refugeeprotest-song-we-love-vienna-je-taime-vienne-ins-finale-eingezogen/


13. Februar 2013