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FLUCHT/038: Getretene Würde - Sackgasse Krankenhaus (SB)


Proteste geflohener Menschen in München - 1. Juli 2013

Protestcamp auf dem Rindermarkt im Morgengrauen geräumt - wo sind die Durststreikenden?



Auf dem Münchner Rindermarkt, auf dem bis gestern noch acht Zeltpavillons standen, in denen sich aus afrikanischen und asiatischen Staaten stammende Geflüchtete aufhielten, erinnert schon heute nichts mehr an den Hunger- und Durststreik dieser verzweifelten Menschen. Unmittelbar nach der polizeilichen Räumung in den frühen Morgenstunden des gestrigen Sonntags setzte eine gutvorbereitete Abriß- und Aufräumaktion ein, so als ob die Verantwortlichen befürchteten, daß abermals Flüchtlinge, Protestierende und Unterstützer sich zusammenfinden und anschicken könnten, den nun schon seit über einem Jahr organisierten Protest in diesen Zelten fortzusetzen.

Am Samstag hatte der Ministerpräsident Bayerns, Horst Seehofer (CSU), eine Krisensitzung in der Regierungskanzlei einberufen. Als Krise wurde die lebensbedrohliche gesundheitliche Situation der rund 50 Asylbewerber eingestuft, die sich seit Samstag vergangener Woche in einem Hungerstreik und seit letzten Dienstag auch in einem Durststreik befanden. Alle Versuche, sie zur Aufgabe dieses Streiks zu bewegen, waren fehlgeschlagen. Ein letzter auf der Krisensitzung beschlossener Vermittlungsversuch durch den früheren SPD-Vorsitzenden und ehemaligen Münchner Bürgermeister Hans-Jochen Vogel sowie den früheren CSU-Politiker Alois Glück fand noch am selben Abend statt und verlief ebenfalls ergebnislos.

Wie Alexander Thal vom Bayrischen Flüchtlingsrat gegenüber der taz erklärte, sei dieser Vermittlungsversuch allerdings eine "Lachnummer" gewesen. Da wären zwei respektable ältere Herren ohne Verhandlungsmandat gekommen. In dem Gespräch sei von den Flüchtlingen die sofortige Beendigung des Hunger- und Durststreiks als Vorbedingung für Verhandlungen über die Bedingungen, unter denen Menschen leben müssen, die in Bayern Asyl beantragen, gefordert worden, und dieses Angebot hätten die Streikenden abgelehnt. [1] Da sie sich, wie dem in der Presse vorherrschenden Tenor zu entnehmen war, als unerbittlich und kompromißlos gezeigt hätten, habe, so die offizielle Begründung, interveniert werden müssen. Aus Sicht der Protestierenden, wie einer von ihnen am Sonntag gegen 14.00 Uhr veröffentlichten Presseerklärung zu entnehmen ist, stellte sich die Situation anders dar [2]:

Bei der gestrigen Verhandlung der Behörden mit dem Vermittler der Asylsuchenden wurde von ersteren erklärt, dass die Vermittler_innen erstens keine Verhandlungsvollmachten hätten und zweitens die Verhandlungen erst dann weitergeführt werden würden, wenn die Protestierenden den Hunger- und Durststreik abbrächen. Die Meldung, dass uns eine Aufenthaltsgenehmigung nach Artikel 23 in Aussicht gestellt wurde, ist gelogen. Von den Behörden wurde keinerlei Angebot gemacht. Stattdessen wurden die Verhandlungen für gescheitert erklärt und das Camp am nächsten Morgen geräumt. War die Räumung also schon geplant? Das Verhalten der Behörden jedenfalls lässt vermuten, dass es keine Kompromisslösung geben und eine Räumung bereits provoziert werden sollte.

Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) begründete die in den Morgenstunden durchgeführte polizeiliche Räumung in einer Pressekonferenz am Sonntagmittag mit der Lebensgefahr, in der sich die Flüchtlinge befunden hätten. Dieser Schritt sei notwendig geworden, um den Ärzten Zugang zu den Streikenden zu verschaffen, von denen einige bereits im Koma gelegen hätten. Wie die Süddeutsche Zeitung am Sonntag berichtete, werden von seiten der Unterstützenden inzwischen schwere Vorwürfe gegen die Polizei erhoben wegen der Art und Weise, in der die Räumung durchgeführt worden sei [3]:

Die Unterstützer des Hungerstreik-Camps werfen der Polizei ein brutales Vorgehen vor. Nach der Räumung des Lagers erklärte einer der Aktivisten, Houmer Hedayatzadeh, Hungerstreikende seien "angegriffen, geschlagen und getreten" worden. Asylbewerber seien im Polizeipräsidium gezwungen worden, sich nackt auszuziehen und hätten dort trotz Lebensgefahr keinerlei medizinische Versorgung erhalten. Polizeivizepräsident Kopp hält dagegen, erst die Polizei habe es Ärzten ermöglicht, die zum Teil extrem geschwächten Hungerstreikenden ins Krankenhaus zu bringen.

Margarete Bause, Fraktionsvorsitzende der bayrischen Grünen, kritisierte den Polizeieinsatz und erklärte, daß eine Lösung auf dem Verhandlungswege sehr wohl möglich gewesen sei. Nach Angaben der Sozialministerin Bayerns, Brigitte Meier, sollen sich die (ehemaligen?) Hunger- und Durststreikenden zum Teil noch in den Kliniken Münchens aufhalten, zum Teil seien sie in Asylunterkünften der Stadt untergebracht worden. Sie werden von Kriseninterventionsteams betreut und sollten erst einmal stabil werden und zur Ruhe kommen - und dann werde man sehen, wie man weiter mit ihnen verfahre. Nun entspricht dies genau der für Nichtbetroffene allem Anschein nach schwer nachzuvollziehenden Situation, die diese Menschen nach den lange Zeit zuvor bereits artikulierten und ergebnislos gebliebenen Protesten und Forderungen zu diesem letzten Schritt, nämlich das eigene Leben einzusetzen, bewogen hat.

Wie sollen sie nun "zur Ruhe kommen" und "stabil werden" können, wenn ihnen weder die Kernangst vor einer Abschiebung zurück in genau die traumatisierende Kriegs- und Verfolgungssituation, vor der sie sich einst zur Flucht gezwungen sahen, genommen wird noch Zusagen gemacht werden, die einen von ihnen als menschenwürdig empfundenen Aufenthalt hier in Deutschland ermöglichen? Die Frage, wie es mit den Streikenden vom Münchner Rindermarkt nun weitergehen wird, ist völlig offen - ebenso offen und unbeantwortet wie die Frage, ob es denn nicht in Deutschland, aber auch anderen EU-Staaten angesichts der vielen Proteste und mehr und mehr von extremer Verzweiflung zeugenden Aktionen höchste Zeit wäre, das rigide Ausländer- und Asylrecht auf den Prüfstand zu stellen aufgrund der immer deutlicher zu Tage tretenden Tatsache, daß eine dermaßen isolierende, gesellschaftlich ausgrenzende und demütigende Behandlung und Unterbringung Schutzsuchender mit den erhobenen humanitären Ansprüchen schwerlich zu vereinbaren ist?

Nach einer solchen Zäsur sieht es allerdings in München nicht aus. Am Sonntagmorgen wurden nicht nur die hunger- und durststreikenden Protestierenden aus dem Schlaf gerissen und zum Teil gegen ihren Widerstand in Krankenhäuser bzw. das Polizeipräsidium gebracht. Ihr Sprecher, der von Politikern und Medien zum Rädelsführer erklärt worden war, der die Streikenden aus politischen Gründen instrumentalisiert hätte, wurde vorläufig festgenommen. Wie der Münchner Krisenstab am Mittag mitteilte, seien auch 12 Unterstützende abgeführt worden, ihnen werde Widerstand und Beleidigung vorgeworfen. [4]

Insgesamt waren 350 Polizisten an diesem Einsatz beteiligt, unter ihnen auch Beamte des für Einsätze mit einem besonderen Gefährungspotential bestimmten Unterstützungskommandos (USK). Doch um welch ein Gefährdungspotential soll es sich dabei gehandelt haben? Die Gefährdung, die die Streikenden in Ermangelung anderer Mittel gegenüber dem eigenen Leben eingegangen sind, oder doch eher eine "politische" Gefährdung, weil weder die Stadt München oder der Freistaat Bayern noch die deutsche Bundesregierung Schlagzeilen sehen möchten von Flüchtlingen, die sich in einer deutschen Großstadt zu Tode gehungert hätten im Kampf um ein menschenwürdiges Leben? Auf die Frage, was denn wäre, wenn sich abermals Flüchtlinge zu einem solchen Streik zusammentäten, antwortete der Innenminister Bayerns, Joachim Herrmann (CSU): "Dass wir einer Hunger- und Durststreikaktion noch einmal so lange zuschauen, halte ich für ausgeschlossen." [3]


Fußnoten:

[1] http://www.taz.de/Fluechtlingscamp-in-Muenchen/!119003/

[2] http://www.refugeetentaction.net/index.php?option=com_content&view=article&id=259:siebte-pressemitteilung-der-streikenden-asylsuchenden-in-muenchen&catid=2&Itemid=132&lang=de

[3] http://www.sueddeutsche.de/muenchen/hungerstreik-camp-in-muenchen-geraeumt-im-namen-des-staates-1.1708845

[4] http://www.focus.de/regional/muenchen/demonstrationen-ude-begruendet-raeumung-des-hungerstreik-camps-mit-lebensgefahr_aid_1030317.html

1. Juli 2013