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FLUCHT/072: Schmelztiegel Nahost - Migrationslasten und Flüchtlingselend ... (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. November 2014

LIBANON: Düstere Zeiten für syrische Flüchtlinge - Zustrom wird begrenzt

Von Oriol Andrés Gallart


Foto: © Andrés Gallart/IPS

Auf dem Banner in der syrischen Ortschaft al Fidae ist zu lesen, dass für alle Ausländer im Dorf von 8.00 Uhr abends bis 5.30 Uhr morgens eine Ausgangssperre gilt
Foto: © Andrés Gallart/IPS

Beirut, 24. November (IPS) - Hassan, ein 21-jähriger Flüchtling aus Idlib im Nordwesten von Syrien, hat in den drei Jahren, die er inzwischen im Libanon lebt, eine Reihe amtlicher Papiere erhalten. Das bislang letzte Dokument, das er in den Händen hält, ist knapp gefasst: Sollte er in den nächsten zwei Monaten keinen gültigen Arbeitsvertrag vorlegen können, erlischt sein Bleiberecht. Da es höchst unwahrscheinlich ist, einen Arbeitgeber zu finden, der ihn einstellt, macht er sich auf ein Leben in der Illegalität gefasst.

Hassan, der aus Syrien geflohen ist, um nicht von der Armee eingezogen zu werden, hat große Angst vor der Zukunft. Denn sollte er im Libanon verhaftet werden, droht ihm die Abschiebung nach Syrien, was in seinem Fall Gefängnisstrafe, Dienst an der Waffe oder Tod bedeuten könnte. Wie er gegenüber IPS erklärt, wird er nach Ablauf seines Visums alles tun, um nicht gefunden zu werden.

Neben Hassan sitzt der 24-jährige Ahmed, dessen richtiger Name aus Sicherheitsgründen ebenfalls anonym bleibt. Der 24-Jährige stammt ursprünglich aus Deir Ezzor im Osten Syriens. Sein Visum ist bereits abgelaufen. Seit einem Monat ist die Furcht, von der Polizei verhaftet und deportiert zu werden, sein ständiger Begleiter.


Syrer stellen ein Drittel der Bevölkerung

Seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs im März 2011 sind mehr als 1,2 Millionen Syrier in den Libanon geflohen. Sie stellen inzwischen fast ein Drittel der libanesischen Bevölkerung. Im Mai hat die zunehmend überforderte libanesische Regierung damit begonnen, die Aufenthaltsbedingungen zu verschärfen, um den Zustrom syrischer Flüchtlinge zu begrenzen.

Wie der Informationsminister Ramzi Jreij nach einer Kabinettssitzung am 23. Oktober erklärte, will die Regierung nur noch in Ausnahmefällen syrische Flüchtlinge willkommen heißen. Beirut hat das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) aufgefordert, keine Vertriebenen mehr zu registrieren.

Laut Dalia Aranki, Beraterin des Norwegischen Flüchtlingsrats (NRC), ist der Libanon kein Unterzeichner-Staat der Flüchtlingskonvention von 1951 und somit auch nicht an die Auflagen des internationalen Abkommens gebunden. "Beim UNHCR im Libanon gemeldet zu sein, bietet zwar einen gewissen rechtlichen Schutz, der wichtig ist, um an bestimmte Leistungen heranzukommen", schreibt sie zusammen mit Olivia Kalis in einem jüngsten Beitrag für die Zeitschrift 'Forced Migration Review'. "Doch leitet sich daraus für die Flüchtlinge kein Asylrecht, kein rechtlicher Bleibeanspruch oder der Flüchtlingsstatus ab."

Die neuen Beschränkungen betreffen die Zulassung von Neuankömmlingen, die Erneuerung des Bleiberechts und die Regulierung von Visaanträgen der Menschen, die nicht über einen offiziellen Grenzübergang eingereist sind. Ein Helfer, der den syrischen Flüchtlingen im Libanon-Gebirge hilft, erklärte gegenüber IPS, dass die Mehrheit der Syrer, die man vor Ort betreue, kein Bleiberecht mehr habe.

Aranki zufolge trauen sich die Betroffenen kaum noch, nach einem Job zu suchen, eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen oder Geburten zu melden. Letzteres birgt die Gefahr der Staatenlosigkeit oder der Trennung der Flüchtlingskinder von ihren Eltern.

Vor Mai war es Syrern möglich, mit einem Touristenvisum einzureisen und sechs Monate im Land zu bleiben. Danach konnten sie ihr Visum um weitere sechs Monate - insgesamt um höchstens drei Jahre - verlängern. Die anfallenden Kosten beliefen sich auf jährlich 200 US-Dollar. Einen so hohen Betrag können sich ohnehin nur wenige Flüchtlingsfamilien leisten.

Doch dem NRC zufolge dürfen im Zuge der neuen Bestimmungen Syrer nur noch in Ausnahmefällen einreisen: wenn eine medizinische Behandlung erforderlich ist, der Libanon lediglich Transitland ist, ein Termin mit einer Botschaft ansteht, eine gültige Arbeitsgenehmigung vorliegt oder aber die Betroffenen als "wohlhabende" Touristen eingestuft werden.


Libanon will Registrierungsprozess mitbestimmen

Im Rahmen der neuen Bestimmungen wird die Regierung zusammen mit dem UNHCR die Registrierungsverfahren durchführen. Khalil Gebara, ein Berater des libanesischen Innenministers Nohad Machnouk, meint dazu, dass es zwei gute Gründe gibt, die die Regierung zu solchen Maßnahmen veranlasst haben.

Zum einen sei sie der Meinung, dass sie eine Mitentscheidung haben sollte, was den Umgang mit der syrischen Krise angehe. "Bisher hat ausschließlich das UNHCR entschieden, wer als Flüchtling anerkannt wird und wer nicht. Die libanesische Regierung war in diesen Prozess nicht eingebunden." Zum anderen sei Beirut der Meinung, dass es viele Syrer gebe, die das System missbrauchten. "Viele von ihnen sind Wirtschaftsflüchtlinge und bei den Vereinten Nationen registriert. Die Regierung möchte genau vorgeben, wer es wirklich verdient, als Flüchtling anerkannt zu werden."

Wie Ron Redmond, ein Sprecher des UNHCR, erklärt, ermuntert seine Organisation die libanesische Regierung seit langem dazu, eine führende Rolle bei der Registrierung neuer Flüchtlinge einzunehmen. Der Registrierungsprozess werde weitergehen. Die Bedenken des Libanons, was die Sicherheit, die geographische und die soziale Entwicklung angeht, "sind berechtigt".

Abgesehen von der wachsenden Gefahr, deportiert zu werden, nimmt auch die Diskriminierung der syrischen Flüchtlinge zu. Mehr als 45 libanesische Gemeinden haben die Bewegungsfreiheit der syrischen Flüchtlinge durch nächtliche Ausgangssperren eingeschränkt. "Derartige Maßnahmen sind ein Verstoß gegen die internationalen Menschenrechte und auch nach libanesischem Recht illegal", so Nadim Houry, Leiter der Nahostabteilung der internationalen Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW).

Auch kommt es immer wieder zu gewaltsamen Übergriffen auf unbewaffnete Syrer - vor allem seit den Zusammenstößen der libanesischen Armee mit Mitgliedern der bewaffneten Gruppen 'Jabhat al-Nusra' und Islamischer Staat (IS) in Arsal im August. Viele Flüchtlinge geraten somit vom Regen in die Traufe. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:
http://www.ipsnews.net/2014/11/refugees-between-a-legal-rock-and-a-hard-place-in-lebanon/

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IPS-Tagesdienst vom 24. November 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2014


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