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KRIEG/035: Brandsatz Nahost - Benzin ins Feuer ... (Friedensratschlag)


Bundesausschusses Friedensratschlag - Pressemitteilung vom 22. August 2014

Keine Waffen in den Irak! Wer Waffen liefert, gießt Öl ins Feuer

Das Pulverfass entwaffnen statt weiter anzuheizen - Allein humanitäre Hilfe hilft den Menschen



Kassel, Berlin, 22. August 2014 - Anlässlich der bekundeten Absicht der Bundesregierung Waffen in den Nordirak zu liefern, erklärten die Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag:

Waffenexporte aus Deutschland in alle Welt, insbesondere in Länder mit gravierenden Menschenrechtsdefiziten, sind bis dato in der Bevölkerung nicht mehrheitsfähig. Im Gegenteil: Zahlreiche Umfragen zeigen eine starke Ablehnung der Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung. Dies hat in den letzten Wochen sogar Teile der Regierungskoalition beeindruckt. Wirtschaftsminister Gabriel verkündete mehrfach, künftig Rüstungsexporte "restriktiver" zu handhaben. Damit soll nun wieder Schluss sein. Erschütternde Bilder vom Kriegsschauplatz in Nord-Irak bilden die Folie, die einen neuerlichen Tabubruch in der deutschen Außenpolitik legitimieren soll: Man müsse den um ihr Leben und ihren Glauben kämpfenden Kurden im Irak nun auch die militärischen Mittel in die Hand geben, die sie zu ihrer Verteidigung bräuchten. Beliefert werden sollen die Regierungssoldaten der kurdischen Autonomiegebiete, deren Führer schon seit langem mit den USA und dem Westen verbündet sind. Sie benötigen die neuen Waffen aber nicht nur zur "Verteidigung", sondern auch zur Durchsetzung ihrer Sezessionsabsichten gegenüber dem irakischen Staat. Dass es daneben andere kurdische Fraktionen gibt, die sich sowohl im Irak als auch in Syrien gegen den Terror des "Islamischen Staats" (IS) zur Wehr setzen und die internationale Gemeinschaft ausdrücklich nicht um Waffen, sondern um humanitäre Hilfe bitten, wird von der Bundesregierung vollständig ausgeblendet.

Für den Schlamassel im Irak tragen die USA die Hauptverantwortung, und zwar wegen ihrer verheerende Embargopolitik (1991-2003) mit Hunderttausenden Toten, wegen ihrer zwei Angriffskriege, insbesondere dem völkerrechtswidrigen von 2003, der bis heute zu über einer Million Kriegstoten geführt und eine weitgehend zerstörte und traumatisierte Gesellschaft hinterlassen hat. Die von den USA erfolgte Auflösung der irakischen Armee und die Zerstörung der Baath-Partei sowie die Unterstützung des Schiiten al-Maliki, der die Desintegration der Sunniten in den politischen Prozess des Irak fortsetzte, legten den Keim für den derzeitigen Aufstand der Sunniten im Irak. Der brutale Vormarsch der islamistischen Guerilla "Islamischer Staat" (IS) wäre ohne die Unterstützung der im Untergrund agierenden ehemaligen Offiziere und Mannschaften der irakischen Armee Saddam Husseins nicht möglich. Hier handelt es sich um ein taktisches Bündnis.

Deshalb kommt es in erster Linie darauf an, in den politischen Prozess des Irak nach dem Rücktritt al-Malikis die säkularen sunnitischen Baathisten einzubeziehen, um die sunnitische IS zu isolieren.

Parallel muss die Bundesregierung die humanitäre Hilfe für den Nord-Irak massiv aufstocken, so wie es alle kurdischen, jessidischen und christlichen Organisationen und die Vereinten Nationen verlangen. Ein Mandat zu militärischen Maßnahmen einschließlich Waffenlieferungen liegt nicht vor.

Die von Kanzlerin Merkel geführten Bundesregierungen haben Deutschland zum drittgrößten Waffenexporteur der Welt gemacht. Bisher scheute sich Berlin noch, in einem akuten Kriegs- oder Bürgerkriegsgeschehen eine Konfliktpartei mit Waffen auszurüsten. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und der 2+4-Vertrag verpflichten uns, dass von unserem Land "nur Frieden ausgeht". Der Beschluss der Bundesregierung, die kurdischen Peshmergas mit Waffen ihrer Wahl zu versorgen, würde einen Präzedenzfall schaffen, der Tür und Tor für die Zukunft öffnet. Ein weiteres Tabu deutscher Außen- und Sicherheitspolitik würde damit gebrochen. Den Weg zu diesem Tabubruch hat die Kanzlerin selbst formuliert. In einer Rede am 22. Oktober 2012 in Strausberg hatte sie verkündet, dass Waffenexporte in andere Länder dann politisch statthaft seien, wenn diese sie "zur Verteidigung ertüchtigen", und zwar in solchen Fällen, in denen keine Bundeswehrsoldaten geschickt werden. Diese Politik ist Ausdruck des Bestrebens der Bundesregierungen der zwei letzten Jahrzehnte, Deutschland durch Waffenexporte und eine weltweit interventionsfähige Bundeswehr eine angeblich gewachsene "Verantwortung" zuzuweisen. Von einer gewachsenen militärischen Verantwortung in der Welt schwadronierten auch Bundespräsident Gauck, Verteidigungsministerin von der Leyen und Außenminister Steinmeier auf der Münchner "Sicherheitskonferenz" 2014.

Um welche Waffenlieferungen an die kurdische Seite im Irak es sich konkret handeln soll, ist bisher öffentlich nicht bekannt. In jedem Fall würde es sich um neue Waffentypen handeln, die bisher nicht im Arsenal der Kurden zu finden sind. Die Peshmerga-Armee der Kurden verfügt lediglich über G3-Gewehre und MP-5-Maschinenpistolen von Heckler & Koch, dessen Lieferwege dorthin unbekannt sind. Eine Belieferung mit Munition würde die illegalen Lieferwege noch belohnen. Die in der Diskussion stehende Lieferung der panzerbrechenden Waffe MILAN wäre für die Kurden ein neuer Waffentyp, bisher nutzen sie ähnliche Waffen aus sowjetischer, US-amerikanischer und schwedischer Produktion. Die MILAN könnten in den Folgejahren ebenso zu vagabundierenden Waffen werden wie die deutschen Gewehrtypen es heute schon weltweit sind.

Denn Waffen zu liefern, ist ein Fass ohne Boden. Auch in diesem Fall würde nur eine neue Büchse der Pandora geöffnet. Eine weitere Aufrüstungsrunde und eine Eskalation der Gewalt wären die logische Folge. Und das Schlimme dabei: Deutschland liefert Waffen an Kurden, die gegen Islamisten kämpfen, welche zuvor mit Waffen aus Saudi-Arabien, Katar und der Türkei ausgerüstet wurden. Alle drei Länder sind bevorzugte Käufer deutscher und US-amerikanischer Waffensysteme. Aus unserer Sicht gibt es daher nur zwei gangbare und sofort wirksame Wege aus der Gewaltspirale in Syrien und Irak:

1. Stopp aller Waffenlieferungen in die Region, insbesondere in die Türkei, nach Katar, Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate. Damit würden die wesentlichen Waffennachschubkanäle an die IS gesperrt. Der Regierungs-"Logik" der weiteren Aufrüstung stellen wir also das Prinzip der allgemeinen Abrüstung entgegen. Es wirkt sofort und setzt anderweitige Mittel zur Hilfe frei.

2. Die humanitäre Hilfe für die Eingeschlossenen und die Flüchtlinge in den betroffenen Gebieten muss erheblich ausgeweitet werden. Wer es ernst meint mit dem Menschenrecht auf Asyl und Schutz vor Bürgerkrieg und Verfolgung, sollte Kriegsflüchtlinge aus Syrien und Irak großzügig aufnehmen. Und wer von Solidarität mit den Kurden spricht, sollte sich auch der Kurdinnen und Kurden erinnern, die seit Jahrzehnten schlimmsten Verfolgungen im NATO-Partnerland Türkei ausgesetzt sind. Die aus der Türkei stammenden Kurden stehen hier zu Lande immer noch unter dem Generalverdacht des Terrorismus - weil sie Rechte in Anspruch nehmen wollten, die ihnen nun im Norden des Irak gewährt werden sollen.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Berlin
Peter Strutynski, Kassel

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Quelle:
Pressemitteilung vom 22. August 2014
AG Friedensforschung und Bundesausschuss Friedensratschlag
Germaniastr. 14, 34119 Kassel
Telefon: (0561) 93717974
E-Mail: Bundesausschuss.Friedensratschlag@gmx.net
Internet: www.ag-friedensforschung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2014