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TREFFPUNKT TEL AVIV/022: Interview mit der Ärztin und Friedensaktivistin Elfriede Krutsch (SB)


Gespräch am 7. Juli 2011

Elfriede Krutsch - Foto: privat

Elfriede Krutsch
Foto: privat

Elfriede Krutsch ist Fachärztin und in einem Menschenrechtsausschuß der Berliner Ärztekammer aktiv wie auch Mitglied der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), die 1985 den Friedensnobelpreis erhielten. Seit 35 Jahren fühlt sie sich dem gewaltfreien Widerstand in der Antiatombewegung und Friedenspolitik verpflichtet. Zweimal stand sie wegen gewaltfreien Widerstands vor Gericht und wurde jeweils verurteilt, 1984 in Mutlangen beim Protest gegen die Pershing-Depots und 2004 in Frankfurt wegen der Blockade gegen den Bau der Startbahn West. Der Schattenblick hatte Gelegenheit, am Tag vor ihrer Flugreise nach Tel Aviv per Telefon ein Gespräch mit ihr zu führen.

Schattenblick: Morgen werden mehrere hundert internationale Aktivisten auf dem Flughafen in Tel Aviv eintreffen. Sie wollen dort im Rahmen der Initiative "Willkommen in Palästina" eine Woche mit ihren palästinensischen Freunden in den besetzten Gebieten verbringen. Warum ist es aus Ihrer Sicht so wichtig, offen nach Palästina zu reisen, ohne andere Beweggründe vorzutäuschen?

Elfriede Krutsch: Weil es sehr wichtig ist, daß sich die Zivilgesellschaft in einem größeren Maße einmischt und offensiv damit umgeht. Bei der Paßkontrolle in Israel mußte man sich verstellen und irgendeine Geschichte erfinden - das soll aufhören, damit es langfristig selbstverständlich wird, daß man Menschen in aller Herren Länder und eben auch in Palästina besuchen kann.

SB: Die internationalen Organisatoren und auch die beteiligten palästinensischen NGOs haben stets betont, daß keine Aktionen und Demonstrationen auf dem Flughafen in Tel Aviv geplant sind.

EK: Das ist in der Tat nicht vorgesehen. Wir sind Menschen, für die absolute Gewaltfreiheit das oberste Prinzip ist. Sollte man einzelne von uns herausgreifen, werden wir keine Gewalt anwenden. Wir sind friedliche Menschen, unter uns sind sehr viele Frauen, die keine Fünfzehn mehr sind, sondern überlegt an diesen Besuch herangehen und ihn aus eigener Tasche bezahlen. Selbst wenn wir zu irgend etwas genötigt werden, wenn wir irgendwelche Brutalitäten erleiden, bleiben wir von uns aus gewaltfrei.

SB: Obgleich stets betont wurde, daß es sich um eine friedliche und gewaltfreie Aktion handelt, sparte die israelische Seite nicht mit harschen Reaktionen und heftigen Anwürfen.

EK: Ach "Hooligans", das ist ja so lächerlich und entbehrt jeder Grundlage. Ich persönlich bin seit 35 Jahren im gewaltfreien Widerstand. Ich fühle mich den Gedanken von Gandhi und Martin Luther King verpflichtet, habe damit sehr gute Erfahrungen gemacht und auch einiges erreicht. Für mich gibt es gar nichts außer Gewaltfreiheit.

SB: Auf Seiten Israels fielen sehr harte Worte. Sie erwähnten ja schon den Vorwurf, man erwarte "Hooligans", auch von "Provokateuren", "Extremisten", "Radikalen" und "Gestörten" war die Rede.

EK: Das ist peinlich für die israelische Regierung, es ist beschämend für sie. Ich habe eine politische Freundin, eine jüdische Israelin, die in Israel mit palästinensischen Frauen arbeitet, und ihr die Einladung geschickt, damit sie weiß, daß ich mit der Gruppe ankomme. Sie hat das an ihre Frauenorganisation weitergeleitet und die schrieb dann zurück, es sei einfach peinlich, was die Presse schon im Vorfeld verkündet. Sie können ja wohl den Flughafen schlecht unter eine Tränengashaube legen, (lacht), denn da sind viele völlig unbeteiligte Menschen.

SB: Das israelische Innenministerium hat den AktivistInnen eine Trennung von den übrigen Fluggästen und eine Massenabschiebung angedroht. Welche Maßnahmen erwarten Sie bei Ihrer Ankunft in Tel Aviv?

EK: Wir fliegen ja über Frankfurt und haben keine Plakate bei uns, anhand derer man erkennen könnte, wer als normaler Tourist etwa nach Bethlehem reisen oder wer gerne seine Freunde in Palästina besuchen möchte. Wie wir den israelischen Medien entnehmen konnten, werden so viele erfahrene Sicherheitskräfte am Flughafen versammelt sein, daß für jeden von uns mindestens ein Sicherheitsmensch da ist. Wir wollen uns als Gruppe nicht trennen lassen. Wir wollen uns gewaltfrei verhalten und hinsetzen. Das gehört auch zu unserer Gewaltfreiheit, wenn man von israelischer Seite versucht, einzelne Leute herauszugreifen. Wir leisten gewaltfrei Widerstand und werden nicht gewalttätig, auch nicht gegen Sachen. Wir wollen nichts zerstören. Das liegt überhaupt nicht in unserem Interesse und schließt für mich ganz persönlich Gewaltfreiheit auch gegen Dinge ein. Für mich heißt gewaltfrei insbesondere, den Menschen, der mir gegenübersteht, respektvoll zu behandeln.

SB: Unter den Hunderten AktivistInnen werden sich nach Einschätzung der Organisatoren wohl nur etwa 20 Deutsche befinden. Offenbar haben Menschen in anderen Ländern, die sich im Nahostkonflikt mit den Palästinensern solidarisieren, damit weit weniger ideologische Probleme als die Deutschen.

EK: Wenn Sie beispielsweise einen Blick auf unseren Nachbarn Frankreich werfen, ist dort die Solidarität mit Palästina sehr viel stärker in der Gesellschaft verankert als bei uns. Bei uns wird ja jede Kritik an Israel, egal, was für schlimme Dinge wie den Gaza-Krieg oder andere schwerste Menschenrechtsverletzungen der Israelis gegen Palästinenser man aufzeigt, sofort als antisemitisch beschimpft. Ich habe Freunde jüdischer Abstammung hier in Deutschland, doch sobald ich etwas Derartiges anspreche, ist die Freundschaft beinahe aufgekündigt. Ich sehe aber auch, daß es ohne die Verbrechen der Deutschen in der Nazizeit diesen Konflikt im Nahen Osten zwischen Palästina und Israel nicht geben würde. Es haben da unten schon immer palästinensische Menschen und Juden friedlich nebeneinander gelebt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat jedoch ein großer Exodus nach Palästina eingesetzt. Daher haben wir Deutschen durch die Verbrechen der Nazizeit die heutigen Verhältnisse im Nahen Osten mitbewirkt.

SB: Also könnte man beinahe von einem deutschen Sonderweg sprechen, der heute im umgekehrten Sinne erneut stattfindet?

EK: Ja! Auch jüdische Menschen, die den Holocaust überlebt haben und 1946 oder 1947 nach Palästina gingen, sagen heute um Gottes Willen! Was wir unter den Nazis erlebt haben, machen wir selbst hier weiter. Sie sehen, daß die Opfer zu Tätern geworden sind. Das haben mir Holocaust-Überlebende gesagt.

SB: Sie sind seit vielen Jahren in der Antikriegsbewegung und vielen anderen Problemfeldern aktiv. In der Vergangenheit waren Internationalismus und Solidarität in der linken Bewegung selbstverständlich. Das hat sich inzwischen grundlegend geändert. Worauf würden Sie diese Entwicklung zurückführen?

EK: Wenn Sie mit den Linken die Grünen meinen, so war ich selber 17 Jahre lang sehr aktives Parteimitglied bei ihnen. Ursprünglich spielte Solidarität mit Palästina, Solidarität mit Vietnam, Solidarität mit Nicaragua eine sehr wichtige Rolle. Das hat sich jedoch speziell bei den Grünen grundlegend geändert. Heute herrscht der Umgangston vor: Keine Kritik an Israel, das ist ja Antisemitismus. Hingegen gibt es in der Partei Die Linke trotz dieser fatalen Diskussion der letzten Wochen Menschen, die wie die drei Parlamentarier im vergangenen Jahr die Gaza-Flottille begleitet haben. Ich denke, die stehen nach wie vor zu ihrem Wort, daß sie keine Antisemiten sind, aber die Menschenrechtsverbrechen der israelischen Politik nicht hinnehmen.

SB: Das wird ja, wenn man beispielsweise die aktuelle Kontroverse in der Linkspartei verfolgt, zu einer grundlegenden Konfrontation hochgespielt.

EK: Wenn jemand wie Inge Höger ein palästinensisches Halstuch umlegt, dann wird das hochgespielt und als antisemitisch gebrandmarkt. Sie ist engagiert in der Israel-Palästina-Frage und tritt für einen gerechten Frieden im Nahen Osten ein. Wenn wir das ohne Scheuklappen betrachten, wissen wir, woher die Aggressionen kommen. Da können wir doch nicht tatenlos zusehen!

SB: Man könnte fast sagen, daß der Antisemitismus-Vorwurf inzwischen als Allzweckwaffe eingesetzt wird, wenn man inhaltlichen Diskussionen und Auseinandersetzungen aus dem Weg gehen will.

EK: Genau, das würde ich auch so sagen. Wie kommt es denn, daß ein Land wie Israel, das über hundert UNO-Resolutionen einfach in die Schublade gelegt hat, in keinem einzigen Fall Sanktionen auf sich gezogen hat? Wenn sich andere Länder nicht konform verhalten, werden sofort massive Sanktionen angedroht und in der Folge auch verhängt. Hingegen kann sich Israel alles erlauben!

SB: Gregor Gysi hat ja gesagt, daß alle Menschen die Einstaatenlösung befürworten oder auch propagieren dürfen, nur die Deutschen nicht.

EK: Ich finde, wir Deutschen haben das Recht, uns überall einzumischen, wo Menschenrechtsverbrechen geschehen. Wir müssen den Palästinensern nicht vorschreiben, ob sie die Einstaaten- oder die Zweistaatenlösung wollen. Das müssen wir ihnen überlassen. Es gibt viele engagierte Menschen in Palästina, die sich zu beiden Möglichkeiten sehr viele Gedanken machen. Wenn man die Landkarte von 1948 mit der von 2011 vergleicht und sieht, wie das, was ursprünglich grün war und Palästina gehörte, auf einen winzigen Rest unter 20 Prozent geschrumpft und überdies aufgestückelt ist, fragt man sich natürlich, wie daraus ein Staat werden soll. Wir haben den Palästinensern nicht vorzuschreiben, was sie wollen, und ich finde es richtig, daß sie bei der UNO im September den Vorstoß machen, ihren Staat anerkennen zu lassen. Andernfalls geschieht nichts. Unsere Zivilgesellschaft mischt sich ein, doch was von politischer Seite geschieht, ist beschämend für eine Demokratie. Für mich ist die UNO-Charta der Menschenrechte von 1948 ubiquitär gültig, und doch schauen die Deutschen bei allen Verbrechen, die Israelis gegen die Palästinenser begehen, einfach weg.

SB: Man müßte wohl abschließend hinzufügen, daß durchaus etwas geschieht, wenn man verfolgt, wie jetzt die Gaza-Flottille zum Scheitern gebracht wird. Wenn von höchster politischer Ebene aus zivilgesellschaftlicher Aktivismus bereits im Vorfeld blockiert und behindert wird, kann man durchaus sagen, daß dies seitens der EU und der NATO-Staaten über eine reine Beobachtung hinausgeht und eine aktive Intervention zugunsten Israels ist.

EK: Es ist eine Schande, daß sich die Griechen in ihrer Not - sie haben sicherlich eine beträchtliche monitäre Zusage bekommen - so verhalten. Sie erwarten Solidarität von uns Europäern ihrem Land gegenüber, was ich auch richtig finde, aber Solidarität mit Palästina und den Menschen, die seit 1967 auf Schritt und Tritt eingeschränkt werden, üben sie nicht. Was würden wir zu Unterdrückern sagen, die uns jeglicher Menschenrechte berauben?

SB: Wir bedanken uns für das Gespräch, Frau Krutsch, und wünschen Ihnen eine gute Reise.

8. Juli 2011