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TREFFPUNKT TEL AVIV/028: Eine Sicherheitsbefragung zum Beispiel... (Welcome to Palestine)


Im folgenden geben wir die Befragung eines italienischen Aktivisten der Kampagne "8. Juli 2011" durch israelische Sicherheitskräfte wieder nach einem Interview der Organisation "Welcome to Palestine":


Welcome to Palestine - Official News Source - 9. Juli 2011 - 21:00 Uhr

INTERVIEW mit italienischem Aktivisten


Media Center: Sind Sie gestern [am 8. Juli 2011] angekommen?

Italienischer Aktivist: Ich bin vor wenigen Tagen angereist.

MC: Gehören Sie zur "Willkommen in Palästina Initiative"?

IA: Ja.

MC: Was haben Sie den israelischen Sicherheitsbeamten am Flughafen gesagt?

I: Ich erklärte nur, ich sei als Tourist gekommen.

MC: Haben sie Sie noch mehr gefragt?

IA: Ja eine Menge. 11 Stunden lang. Jede Stunde oder jede halbe kam jemand und stellte mir eine Frage. Ob ich hier Leute kenne, meine Interessen, Fragen über meine Frau, meine Arbeit. Viele, viele Details. Spezielle Fragen zu Menschen, die ich hier kenne. Sie wollten sehr genau wissen, wo ich bleiben und übernachten will. Sie wiederholten die gleichen Fragen viele Dutzend Male. Ich mußte die gleiche Frage 20, 30 Mal beantworten. Ich bekam mit, daß vielen Menschen die Einreise verwehrt wurde.

MC: Also wußte man, daß Sie nach Palästina wollten und wußte man auch, daß es für die Initiative war?

IA: Nein, sie dachten ich wolle als Tourist nach Palästina reisen.

MC: Sind weitere Aktivisten mit Ihnen zusammen eingeflogen?

IA: Nein, das weiß ich nicht. Ich sah nur, daß recht vielen Leuten die Einreise verweigert wurde. Ich sah auch Leute, von denen ich vermute, daß sie keine Aktivisten sind, viele Amerikaner palästinensischer Abstammung. Ihnen wurde der Aufenthalt ohne jede Erklärung nicht gestattet. Sie lassen selbst Ausländer mit palästinensischer Abstammung nicht einreisen, nicht nur Aktivisten.

MC: Wie viele andere Leute haben Sie während Ihrer Befragung gesehen?

IA: Sehr viele. Manche von ihnen waren palästinensischer Abstammung, andere kamen aus Europa oder den Vereinigten Staaten. In elf Stunden habe ich mindestens 50 Personen gesehen, und mindestens 20 von ihnen wurde die Einreise verweigert.

MC: Wie präzise waren Ihre Antworten?

IA: Sie fragten mich zum Beispiel immerzu nach meinen Plänen. Wo ich vor hätte zu übernachten. Welche Leute ich besuchen wolle. Genaue Informationen über meine Familie, über das Leben meiner Freunde und über meine Arbeit. Wer meine Kunden seien. Ich sagte nichts über die Palästinensische Initiative in dieser Woche, für die ich hergekommen war. Ich antwortete wahrheitsgetreu, aber ich gab vor, als Tourist gekommen zu sein. Sie fragten mich nicht, ob ich geplant hätte, mich irgendwelchen Aktivisten anzuschließen. Sie fragten mich auch nicht ausdrücklich, ob ich ein Aktivist sei. Und ich erzählte ihnen nichts über meine eigentlichen Aktivitäten. Deshalb bin ich noch hier.

MC: Waren Sie bereits schon mal in Palästina und wenn ja, wurden Sie da ebenfalls vernommen?

IA: Ja, letztes Jahr war es genau das gleiche. Ich habe ihnen auch damals genau das gleiche erzählt.

MC: Könnten Sie etwas darüber sagen, was Sie in dieser Woche tun werden? Was erhoffen Sie sich von dieser Initiative?

IA: Ich möchte mich in dieser Woche der Initiative anschließen, um mehr über das Leben von Palästinensern zu erfahren. So daß ich, wenn ich nach Italien zurückkehre, so viel wie möglich über die tatsächlichen Lebensumstände der Palästinenser berichten kann. Die Medien in Italien verbreiten immer nur falsche Dinge über die Situation in Palästina. Sie sagen, Palästinenser wären Terroristen und daß Israel ein Recht hat, sie aufzuhalten. Sie behaupten, es gäbe keine Okkupation. Die Menschen in Italien wissen nicht besonders viel darüber.

MC: Wie haben Sie von dieser Initiative erfahren?

IA: Ich gehöre einer italienischen Solidaritäts-Kampagne für Palästina an. Wir verfolgen aufmerksam sämtliche Initiativen dieser Art und sind mit anderen Aktivisten vernetzt.

MC: Kennen Sie hier weitere italienische Aktivisten?

IA: Nein, nicht bei dieser Initiative.

MC: Um noch einmal auf die Vernehmung zurückzukommen, könnten Sie die Stimmung beschreiben, uns einen Eindruck vermitteln, so daß man ein Gefühl dafür bekommen kann, wie das für Sie gewesen ist?

IA: Genau genommen hatte ich keine großen Schwierigkeiten, weil ich nicht direkt gesagt habe, daß ich wegen der Kampagne gekommen sei. Aber sie waren sehr, sehr mißtrauisch. Einige von ihnen [den Vernehmungsbeamten] waren sehr höflich und freundlich. Aber manche befragten einen auch auf eine harte Weise. Sie sprachen mit erhobener Stimme, also etwas drohender. Aber das ist noch nichts im Vergleich zu denen, die gerade heraus zugaben, sie wären gekommen, um sich der Kampagne anzuschließen. Diese Leute wurden auf eine sehr üble Weise befragt. Die allgemeine Stimmung war bedrohlich. Man fühlt sich wirklich starkem Druck ausgesetzt. Man fühlt sich wie in einem Käfig. Jemand kontrolliert dich, jemand versucht deine Bewegungen, deine Gedanken zu manipulieren. Vielleicht lernt man dabei ein wenig die Situation der Palästinenser zu verstehen. Sie leben in Gefangenschaft. Es ist so, als würde man nicht zu Menschen, sondern zu Robotern sprechen.

MC: Bekamen Sie Nahrung und Wasser? Durften Sie die Toilette benutzen und wurden Ihnen Handschellen angelegt?

IA: Ich hatte keine Probleme. Ich hatte mich mit etwas Wasser und Keksen versorgt [es wurde weder Nahrung noch Wasser angeboten]. Ich konnte ungehindert zur Toilette gehen. Aber nur, weil sie meine wahren Gründe, weshalb ich hier bin, nicht kannten. Ich bekam auch keine Handschellen.

MC: Wie lange wollen Sie noch hier bleiben?

IA: Mindestens eine Woche.

MC: Und werden Sie an Demonstrationen oder anderen Aktionen teilnehmen?

IA: Ja sicher. Ebenso Gruppen von Aktivisten in Italien. Sie haben bereits vor, Demonstrationen in Italien gegen die Entscheidung europäischer Fluglinien, Passagiere nicht an Bord zu nehmen, zu veranstalten. Das ist illegal, wirklich illegal. Ich möchte behaupten, daß wir als europäische Aktivisten seit heute wissen, daß wir nicht in einer Demokratie leben. Wir werden genauso unterdrückt wie die Palästinenser. Wir haben nicht einmal die Freiheit, in einem Flugzeug unserer eigenen Nation, mit unseren eigenen Fluglinien, zu fliegen. Unsere Regierungen, die in demokratischen Wahlen gewählt worden sind, treffen nicht die Entscheidungen, die wir ihnen aufgetragen haben. Sie machen das, was ihnen Israel befiehlt. Das gilt für Italien, Deutschland, Griechenland und Belgien. Das gilt für alle Länder, die Menschen die Reise verweigern, in Schiffen wie in Flugzeugen. Wir sind gezwungen, die Okkupation bereits in unseren eigenen Ländern zu bekämpfen.

MC: Können Sie etwas über die italienische Israel-Politik sagen?

IA: Unsere Regierung, die Berlusconis Regierung ist, hat eine starke pro-israelische Position. Als Berlusconi dorthin reiste, behauptete er, Israel sei eine großartige Demokratie und würde die Menschenrechte respektieren. Als er die palästinensischen Gebiete besuchte und befragt wurde, was er über die Mauer denke, behauptete er, er sähe keine Mauer. Das hat unser Präsident gesagt. Er versprach, Italien werde Israel in allem unterstützen. Wir müssen wirklich dafür kämpfen, daß die Wähler bei den nächsten Wahlen nicht mehr einer Regierung wie dieser ihre Stimme geben. Er hat das erst vor ein paar Monaten erklärt, als er einen offiziellen Besuch in Israel machte. Als wir dieser Tage unseren Außenminister baten, uns zu unterstützen, sagte er "nein". Er erklärte, wir sollten nicht gegen den Willen Israels hierher kommen. Somit sind wir nicht einmal mehr italienische Staatsangehörige [wenn wir hier sind]. Das gleiche gilt für amerikanische Staatsangehörige.

MC: Können Sie uns etwas über das Umfeld der Palästina Aktivisten in Italien sagen?

IA: Das Umfeld der Palästina Aktivisten in Italien ist sehr gut. Es wächst ständig. Letztes Jahr nehmen wir an der "Viva Palästina"-Kampagne teil. Wir konnten einige zehntausend Tonnen an Medikamenten für Palästinensische Krankenhäuser und Rollstühle organisieren. Darüber hinaus Papier, Schreibwaren und Drucker für Gaza, die nicht eingeführt werden dürfen. Jeden Monat finden von Norditalien bis zum Süden Demonstrationen statt. Wir laden palästinensische Aktivisten ein, nach Italien zu kommen. Wir geben Pressemitteilungen heraus, die der Bevölkerung darstellen sollen, was passiert. Wir koordinieren uns mit anderen Gruppen im UK, Deutschland und Frankreich. Wir sind eine Art Netzwerk.

MC: Warum gibt es Ihrer Meinung nach eine so starke Beziehung zwischen Italien und Israel?

IA: Ich glaube, Italien und Israel haben viele gemeinsame Interessen. Im Bereich der Waffenindustrie wird sehr stark kooperiert. Gerade erst vor zwei Wochen gab es eine große Ausstellung in Mailand, bei der israelische Hightech-Firmen ihre Produkte vorstellten, womit versucht wird, Beziehungen zwischen den italienischen und israelischen Waffenproduzenten herzustellen. Bedauerlicherweise bestehen zwischen unseren Ländern auf diesem Gebiet schon recht enge Bindungen. Die israelische Lobby ist in Italien besonders stark, sie kontrolliert auch die Medien. Aber wir haben jüdische Aktivisten, die die Sache Palästinas unterstützen. Es gibt nur wenige, aber die sind besonders aktiv. Das ist ein Pluspunkt.

MC: Welche Schritte wird die Kampagne Ihrer Meinung nach unternehmen, damit sich das öffentliche Bewußtsein für die palästinensische Sache und für das palästinensische Volk weiter entwickelt? Besonders was die bereits erreichte Aufmerksamkeit in den Medien angeht?

IA: Ich bin mir hundertprozentig sicher, daß das Bewußtsein wachsen wird. Die Tatsache, daß 95 Prozent der internationalen Aktivisten Palästina nicht erreichen konnten, ist nicht einmal so negativ. Denn jetzt sehen unsere Länder, daß wir nicht wirklich frei sind, um das zu tun, was wir wollen. Es gab Demonstrationen in den Flughäfen, was wirklich gut ist. Unsere Medien sind nun dazu gezwungen, über das Thema zu berichten. Die Leute in Europa stellen Fragen, was passiert ist. Wer sind diese Leute? Warum wird ihnen die Einreise verweigert? Und die Medien können es nicht dementieren. Die ganze Welt spricht darüber. Ich bin mir sicher, daß noch mehr Menschen kommen werden. Israel kann die Aktivisten nicht daran hindern. Es werden sicher jedes Jahr mehr kommen. Vor allem jetzt, weil wir mehr Kommunikationsmittel wie Facebook und Twitter nutzen können. Wir sind alle vernetzt. Sobald Menschen in Palästina demonstrieren, wissen das die Leute in Italien, in Spanien und in UK.


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Quelle:
Welcome to Palestine - Official News Source
http://welcometopalestinenews.blogspot.com/
in einer Übersetzung des Schattenblick aus dem Englischen


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2011