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BERICHT/086: Gewalt gegen Frauen in Krisengebieten (frauensolidarität)


Terre des Femmes in der frauensolidarität - Nr. 109, 3/09

Gewalt gegen Frauen in Krisengebieten
Über den Zusammenhang von Soldaten und Zwangsprostitution

Von Alexandra Jakob und Saltanat Shalkibayeva


Soldaten internationaler Friedenstruppen sollen eigentlich die Sicherheit der zivilen Bevölkerung garantieren. Am Beispiel Kosovo wurde jedoch offensichtlich, dass die Anwesenheit der Soldaten Frauenhandel und Zwangsprostitution rapide ansteigen ließ. UN-Resolutionen schufen einen rechtlichen Rahmen gegen sexualisierte Kriegsgewalt, doch die Umsetzung verläuft nur schleppend.


Das Ende von bewaffneten Konflikten bedeutet oftmals nicht das Ende von Gewalt. Mit dem Zusammenbruch rechtstaatlicher Systeme wird Gewalt und vor allem auch sexuelle Ausbeutung von Mädchen und Frauen zum Alltagsphänomen.


Anstieg von Prostitution und Frauenhandel

Die Entsendung internationaler Friedenstruppen in Krisengebiete soll den Friedensprozess ermöglichen und die Sicherheit der zivilen Bevölkerung gewährleisten. Paradoxerweise kommt es gerade durch die Anwesenheit von Friedenstruppen oft zu einem sprunghaften Anstieg von Frauenhandel und Zwangsprostitution in den betroffenen Gebieten. Am Beispiel Kosovo rückte diese Problematik zum ersten Mal in die breite Öffentlichkeit. Nach Kriegsende im Kosovo im Jahr 1999 wurden mehr als 45.000 Nato-Friedenstruppen (KFOR) sowie UNO-Bedienstete als Übergangsverwaltung (UNMIK) eingesetzt, die für Sicherheit und Friedenserhaltung sorgen sollten. Seitdem hat sich die Region zu einem Zentrum der Sexindustrie in Südosteuropa entwickelt. Die Anzahl der Bordelle wuchs von 18 auf über 200. In einem Bericht von Amnesty International (AI) aus dem Jahr 2004 wird geschätzt, dass über 2.000 Frauen dort zur Prostitution gezwungen wurden.

Die Anwesenheit der internationalen Friedenstruppen scheint somit den rapiden Anstieg des Frauenhandels im Kosovo stark beeinflusst zu haben. In dem AI-Bericht heißt es dazu: "Alle zugänglichen Daten weisen darauf hin, dass der Kosovo ohne die Präsenz der internationalen Gemeinschaft und ohne den Einfluss gut ausgestatteter westlicher Konsumenten einen eher geringen Stellenwert in der Balkan-Frauenhandelsindustrie behalten hätte."


Deutsche Soldaten beteiligen sich an Ausbeutung

Ende 2000 wurde durch Medienberichte bekannt, dass auch Bundeswehrsoldaten Sex mit Zwangsprostituierten, insbesondere auch mit Minderjährigen im Kosovo und im angrenzenden Mazedonien hatten. ZeugInnenaussagen von beteiligten Soldaten und Mädchen belegten dies. Das deutsche Verteidigungsministerium sagte dazu in einer Stellungnahme, man sei sich der Problematik der Prostitution zwar bewusst, Bordellbesuche deutscher Soldaten könnten jedoch nicht bestätigt werden, da für deutsche Soldaten eine Ausgangssperre nach 23 Uhr galt. Vor 23 Uhr durften Soldaten in Dreiergruppen in Begleitung höherer Dienstgrade ausgehen. Ein Unteroffizier, der Sex mit einer 15-Jährigen hatte, sagte allerdings im ARD-Weltspiegel zu dem Thema aus, es sei leicht gewesen, die Sperre zu umgehen, und er habe sogar einen Offizier in einem der Bordelle gesehen.

Eines der Haupthindernisse in der Verfolgung von Straftaten bei Angestellten internationaler Organisationen mit UN-Mandat ist die ihnen gewährte Immunität, die Straffreiheit im Einsatzland garantiert. Allerdings gelten dann für das Einsatzland die Gesetze des Herkunftslands. So müssten sich z. B. deutsche Soldaten, die im Ausland eine Straftat begehen, zu Hause dafür verantworten. Hierfür muss die Staatsanwaltschaft sorgen. Im Fall Kosovo gab es immer wieder Anschuldigungen gegen KFOR-Soldaten und gegen Mitglieder der UNMIK-Polizei. Die UN-Regeln sehen vor, dass Verstöße mit disziplinarischen Maßnahmen geahndet werden (z. B. Verwarnung, Repatriierung, Dienstentlassung). Allerdings war es UNMIK-Beamten bislang nicht möglich nachzuprüfen, ob es in den Heimatländern tatsächlich zu einer Strafverfolgung kam. Amnesty International stellte in einem Bericht von 2004 fest, dass bis dato kein KFOR-Mitglied unter Verdacht der Nutzung von zwangsprostituierten Frauen im Kosovo strafrechtlich verfolgt wurde.


Reaktion auf den Skandal - Maßnahmen der Übergangsregierung

Auf die wachsende Kritik reagierte UNMIK mit der Gründung der Spezialeinheit gegen Frauenhandel und Prostitution (TPIU) im November 2000. Die Sonderermittler hatten die Aufgabe, Verdachtsmomenten nachzugehen und die Einhaltung einer Sperrliste zu überprüfen. Auf dieser Liste standen rund 200 Lokale, die im Verdacht standen, mit Zwangsprostituierten zu arbeiten, und die von Mitgliedern der Friedenstruppen nicht mehr besucht werden durften. Doch in der Praxis wurde auch dies durch die Immunität und die überaus komplizierte Beweisführung erschwert.


UN-Resolutionen zum Schutz von Frauen vor Gewalt

Als eine der Reaktionen auf den Krieg und die Gewalt im Kosovo und auf die Beteiligung von Friedenstruppen an Zwangsprostitution und Frauenhandel kann die Verabschiedung der UN-Resolutionen 1325 und 1820 gesehen werden. Durch sie sollen Frauen in Krisengebieten gestärkt werden. Durch die UN-Resolution 1325 vom Oktober 2000 soll Gewalt gegen Frauen während und nach bewaffneten Konflikten, insbesondere Vergewaltigung verhindert werden. Der Fokus der Resolution liegt auf einer aktiven Beteiligung von Frauen an Friedensprozessen, nicht auf der Opferrolle. Durch nationale Aktionspläne soll bei Friedenssicherungseinsätzen die Geschlechterperspektive gestärkt werden. Menschenrechte sollen in die Ausbildung des Personals integriert werden. Außerdem soll der Anteil von Frauen an Feldmissionen der UN erhöht werden.

Im Juni 2008 wurde mit der Resolution 1820 eine erneute Bemühung unternommen. Erstmals werden Vergewaltigungen und andere Formen sexualisierter Gewalt als Kriegsverbrechen anerkannt. Die Resolution enthält konkrete Forderungen (z.B. ein spezielles Sensibilisierungstraining vor dem Einsatz) und spricht vor allem auch Streit- und Sicherheitskräfte als potenzielle Täter an. Das Bedeutende an der neuen Resolution ist, dass erstmals Sanktionen gegen Verantwortliche möglich sind und dass die Strafverfolgung in den Mittelpunkt rückt.


Was wird in Deutschland getan?

Bislang wurden in acht europäischen Ländern Aktionspläne zur Umsetzung der Resolution 1325 ausgearbeitet. Deutschland zählt nicht dazu. Auch existiert bislang noch kein EU-weiter Aktionsplan. Die deutsche Bundesregierung weigert sich seit Jahren, einen nationalen Plan zu erstellen mit der Begründung, man habe das Thema Gender und Gewalt gegen Frauen bereits ausreichend in andere Pläne integriert (z.B. im "Aktionsplan Zivile Krisenprävention"). Allerdings heißt das, dass es keine umfassende Gesamtstrategie gibt und die konkrete Zielsetzung der Resolution 1325 verloren geht. Der deutsche Frauensicherheitsrat greift dieses Thema in seinem Schattenbericht zum Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung der Resolution 1325 auf. Es wird hierin auch kritisiert, dass eine Einbeziehung der Zivilgesellschaft fehlt und dass es in Friedensmissionen noch nicht genügend viele Frauen in Führungspositionen gibt. Als positiv wird vermerkt, dass es bei allen EU-Missionen Gender-Beraterinnen geben soll und dass dies im Fall des EUFOR-Einsatzes im Kongo bereits erfolgreich geschehen ist. Doch ohne konkrete und überprüfbare Zielsetzungen eines Aktionsplans sind die Erfolgsaussichten gering. So merkt der Frauensicherheitsrat an, dass keine der Empfehlungen aus dem Schattenbericht 2004 umgesetzt wurde. Nicht zuletzt muss es auch zu einer konsequenten und transparenten Strafverfolgung von Soldaten kommen, die im Auslandseinsatz sexualisierte Gewalt ausgeübt haben. Es bleibt also noch viel zu tun.


Lesetipps:

Amnesty International: Kosovo (Serbia and Montenegro): "So does it mean that we have the rights? Protecting the human rights of women and girls trafficked for forced prostitution in Kosovo". Index Nr. EUR 70/010/2004 vom 5. Mai 2004
(http://www.amnesty.org/en/library/info/EUR70/010/2004).

Blaess, Petra; Clasen, Sarah et al.: Schattenbericht des deutschen Frauensicherheitsrats zum Bericht der Bundesregierung, über Maßnahmen zur Umsetzung der Sicherheits-Resolution 1325 (Frieden, Frauen, Sicherheit) vom November 2007
(http://www.frauensicherheitsrat.de/inf.html).

Bell, Inge: Bordell der verlorenen Mädchen. In: Welt am Sonntag, 17.12.2000
(http://www. welt.de/print-wams/article618841/Bordell_der_verlorenen_Maedchen.html).


Zu den Autorinnen:
Alexandra Jakob und Saltanat Shalkibayeva sind Praktikantinnen im Büro von TERRE DES FEMMES in Berlin.

Terre des Femmes
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Quelle:
Terre des Femmes in der Frauensolidarität Nr. 109, 3/2009, S. 24-25
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2009