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BERICHT/093: Zehn Jahre Filmfest FrauenWelten von TERRE DES FEMMES (frauensolidarität)


TERRE DES FEMMES in der frauensolidarität - Nr. 115, 1/11

Eine Erfolgsgeschichte
Zehn Jahre Filmfest FrauenWelten von TERRE DES FEMMES

Von Irene Jung und Karin Miedler


Im Jahr 2010 konnte das Filmfest FrauenWelten auf zehn Jahre Bestehen zurückblicken. Was Filmfestleiterin Irene Jung mit dem größtenteils ehrenamtlichen Team jedes Jahr aufs Neue in Tübingen auf die Beine stellte, fand landesweit und international Beachtung. Geboten wurde immer wieder eine große Bandbreite von Spiel- und Dokumentarfilmen aus etwa 20 Ländern über Menschenrechte von Frauen sowie Rahmenprogramme mit Gesprächsrunden, Konzerten, Ausstellungen, Theateraufführungen oder Workshops. Im Fokus stehen Frauen als Opfer von Menschenrechtsverletzungen und auch als Agierende ihrer eigenen Geschichte, als Kämpferinnen für soziale und Frauenrechte.


In den vergangenen Jahren konnte das Filmfest zahlreiche prominente Gäste, die in Cannes, Berlin, Locarno, Venedig und Sundance mit Preisen ausgezeichnet wurden, in Tübingen begrüßen: RegisseurInnen und Schauspielerinnen wie Mohsen, Samira und Hana Makhmalbaf, Marziyeh Meshkini, Jeanine Meerapfel, Nina Hoss und Luna Mijovic, um nur einige zu nennen. Diese Filmschaffenden waren auch für das Team immer wieder Ansporn und Bereicherung, denn sie engagieren sich - über ihre Filme hinaus - für Menschenrechte von Frauen und ließen alle an ihren besonderen Erfahrungen teilhaben. Sie ihrerseits schätzten den regen Austausch mit dem Tübinger Publikum und mit außerordentlichen Frauenrechtsaktivistinnen, wie zum Beispiel Marilyn Waring aus Neuseeland, Sima Samar aus Afghanistan oder Leymah Gbowee aus Liberia.


Ehrenpreisverleihung 2010 - mit Filmen die Welt verändern

Für die besonders engagierte Begleitung des Filmfests FrauenWelten in den zehn Jahren seines Bestehens wurden 2010 vier Ehrenpreise vergeben: An die Unterstützer der ersten Stunde, die Regisseursfamilie Makhmalbaf aus dem Iran, vertreten durch Mohsen Makhmalbaf, und an die Gewinnerin des Goldenen Bären Jasmila Zbanic aus Bosnien, die ihren neuesten Film "Na putu" in Tübingen vorstellte (siehe das Interview mit ihr in Frauensolidarität Nr. 113). Beide Filmschaffende gaben auch im Rahmen eines Werkgesprächs an der Filmakademie in Ludwigsburg angehenden und praktizierenden FilmemacherInnen Einblick in ihre Erfahrungen. Der Ehrenpreis für die britische Dokumentarfilmerin Kim Longinotto wurde stellvertretend von Jackie Branfield aus Südafrika entgegengenommen. Sie ist Protagonistin in Longinottos berührendem Dokumentarfilm "Rough Aunties" über fünf unerschrockene Frauen, die missbrauchten Kindern in Südafrika helfen. Langjährige FrauenWelten-Begleiterin ist auch die deutsche Dokumentarfilmerin Elke Jonigkeit, die mit den Protagonistinnen ihrer 25-jährigen Filmarbeit in Afghanistan erfolgreiche Frauenprojekte aufgebaut hat. Bei der Verleihung der FrauenWelten-Ehrenpreise betonte Irene Jung vor allem die Gegenseitigkeit: "Von allen lernten wir enorm viel und tauschten uns aus - nicht nur über Filme und Filmarbeit, sondern auch über ihr tatkräftiges Engagement für Frauen in Ländern, die von Kriegen verwüstet, von verheerender Armut gezeichnet oder von frauenfeindlichen patriarchalen Strukturen geprägt sind. Ansteckend war auch ihr unverwüstlicher Optimismus, dass sich einmischen lohnt, dass über Filmarbeit hinaus die Wirklichkeit verändert werden kann."


Gäste und Spielfilm-Highlights 2010

Eröffnet wurde das Jubiläums-Filmfest mit dem humorvollen Drama "Yo tambien" über die Außenseiter-Freundschaft einer jungen rebellischen Frau, die in ihrer Kindheit traumatisiert wurde, und dem einzigen Akademiker mit Down-Syndrom in Europa, der praktisch seine eigene Lebensgeschichte spielt. Der zutiefst berührende Spielfilm wurde persönlich von Hauptdarstellerin Lola Dueñas vorgestellt, die mit "Volver" von Pedro Almodóvar in Cannes prämiert wurde. Lola hatte auch regen Austausch mit SchülerInnen bei Schulvorstellungen und auf einem Seminar von Spanischlehrern. Für Lola eine erste Erfahrung, und auch eine faszinierende, wie sie lachend meinte.

"Scheherazade - Tell Me a Story" ist ein Film über eine junge Moderatorin in Kairo, die mit jeder Menge frauenpolitischem Zündstoff in ihrer TV-Talkshow auch ihre Beziehung aufs Spiel setzt. Der Streifen wurde in Venedig prämiert und löste zugleich heftige Kontroversen in Ägypten aus. Das Drama "Winter's Bone" über die 17- jährige Ree, die verzweifelt ihren Vater sucht, um die Zwangsversteigerung ihres Hauses zu verhindern, und dabei auf eine Mauer des Schweigens stößt, sorgte dieses Jahr auf dem Sundance-Filmfestival und der Berlinale für Begeisterungsstürme. In "The Kids Are All Right" suchen die jugendlichen Kinder des lesbischen Paares Nic und Jules (Annette Benning und Julianne Moore) ihren biologischen Vater. Die satirische Komödie mit Tiefgang gewann den Berlinale Teddy 2010.

Der Länderschwerpunkt Afrika zeigte verschiedene Facetten des Kontinents aus Sicht der Frauen, darunter die einfühlsame Auseinandersetzung mit dem Thema Genitalverstümmelung in "L'excisión - eine burkinische Sichtweise", die die Dokumentarfilmerin Johanna Richter vorstellte. Sie unterstützt das Projekt der "Ciné Débats" in Burkina Faso, mit dem der Film in entlegenen Gegenden des westafrikanischen Landes für tiefgreifende Diskussionen und Umdenken sorgt.

Zur Frauen-Fußballweltmeisterschaft 2011 und einer dazu initiierten TERRE DES FEMMES-Kampagne wurden Sportlerinnen in Afrika, Afghanistan, Nordkorea und Iran in den Blick genommen. Ansonsten gab es wieder viele spannende, berührende und zum Nachdenken anregende Preisträger-Filme der internationalen Festivals.


Starke Frauen

Gefragt nach dem Interesse, das ZuschauerInnen zu den Filmfest-Veranstaltungen führt, meinte Filmfestleiterin Irene Jung in einem Interview(1): "Solidarisch sein mit den Frauen ist das eine, das andere ist jedoch, dass wir ganz viel von ihnen lernen können. Ein Beispiel: Wir haben den Film 'Shortcut to Justice' über Frauen in Indien gezeigt. Wenn sie verwitwen, werden sie aus den Familien ausgestoßen und stehen ohne Rechte da. Doch dann haben sich Frauen zusammengeschlossen und zum Beispiel dafür gesorgt, dass den Witwen beim Rausschmiss ihre Mitgift ausgehändigt wurde. (...) Wir haben andererseits Filme wie 'Nie mehr allein' über Stalking und Ehrenmord in Deutschland gezeigt, die deutlich machten, wie sehr die Frauen hier allein gelassen werden. Die Behörden werden oft erst tätig, wenn es schon zu spät ist. Auf den Rechtsstaat allein können sich die Frauen nicht verlassen. Es mangelt hier an sozialen Systemen, die sie schützen - in dieser Hinsicht kann man unbedingt von den indischen Frauen lernen. Denn: (...) Auch hier gibt es viele Formen von Gewalt gegen Frauen, häusliche Gewalt, Frauenhandel und Ehrenmorde. Auch hier sind viele Probleme noch ungelöst. Aber wir verfallen leicht dem Klischee, dass Frauen in den armen Ländern immer Opfer und immer schwach sind. Von wegen schwach! Die Hälfte der Weltbevölkerung hängt vom Einkommen der Frauen ab. Es gibt so viele starke Frauen.

Und auch hierfür war unser Gast Jackie Branfield ein lebendes Beispiel: Die ungewöhnlich empathische Südafrikanerin hat ein beeindruckendes Projekt gegen Missbrauch an Kindern ins Leben gerufen und schützt diese zusammen mit ihren Mitstreiterinnen ganz direkt und resolut. Ihre Liste an Gesetzesänderungen, die sie mit ihrer Organisation 'Bobbi Bear' in Südafrika erzwungen hat, ist beeindruckend. Ich glaube, hiervon können wir enorm viel lernen."


Anmerkung:
(1) Interview-Zitat: Schwäbisches Tagblatt, 18.11.2010


Zu den Autorinnen:
Irene Jung organisiert seit zehn Jahren jedes Jahr das TERRE DES FEMMES-Filmfest FrauenWelten in Tübingen und berät Städtegruppen, die Filme an ihrem Wohnort zeigen wollen.
Karin Miedler ist Redakteurin bei TERRE DES FEMMES.


TERRE DES FEMMES
Menschenrechte für die Frau e. V.
Postfach 2565, 72015 Tübingen
Telefon: 07071/79 73-0, Telefax: 07071/79 73-22
E-Mail: info@frauenrechte.de
Internet: www.frauenrechte.de


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 115, 1/2011, S. 22-23
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, 1090 Wien
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0, Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2011