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FRAGEN/003: Hinter den Kulissen - Eine Ex-Hure packt aus (frauensolidarität)


TERRE DES FEMMES in der frauensolidarität - Nr. 117, 3/11

Hinter den Kulissen - Eine Ex-Hure packt aus
Ein Interview mit der Autorin Nadine Greve

Von Anne Petersen


Die freiberufliche Fachjournalistin und Autorin Nadine Greve hat drei Jahre im sogenannten Edelbordell Relax in Hamburg u.a. als Prostituierte gearbeitet und gelebt. Bei einer Razzia der Steuerfahndung wurden bei ihr wichtige Unterlagen zum Steuerbetrug in Millionenhöhe vermutet. Dies stellte sich nach einer Wohnungsdurchsuchung jedoch als Irrtum heraus. Sie sagte daraufhin gegen die Bordellbetreiber aus und lebte zeitweise anonym im Zeugenschutzprogramm. Ihre Erfahrungen hat sie in einem Buch veröffentlicht. Nadine Greve gewährt in ihrer biografischen Dokumentation über das Rotlichtmilieu Einblicke in eine Parallelwelt, beherrscht von Erpressungen, Betrügereien, Gewalt und Drogen. Zum Teil mutet es surreal an, wenn von Zuhältern namens Lackschuh-Dieter und Bayern-Peter die Rede ist. Die detailliert beschriebenen Ereignisse holen einen jedoch schnell in die bittere Realität zurück. Hinter den Kulissen werden wir mit einer Welt konfrontiert, in der Frauen, zur Ware degradiert, brutalsten Strukturen und Menschen unterworfen sind.


T.D.F.: Das Rotlichtmilieu ist ein teilweise straffrei anmutender Raum in einer Zwischenwelt, vergleichbar mit mafiaähnlichen Strukturen. Frau Greve, wie haben Sie den Mut aufgebracht, sich dennoch zu wehren, die kriminellen Machenschaften anzuzeigen und ein Buch darüber zu schreiben?

NADINE GREVE: Zuerst war es so, dass ich gar nicht drüber reden konnte. Im September 2009 merkte ich dann: es muss raus. Und dann habe ich binnen zwei Monaten dieses Buch geschrieben, in denen ich "die Hölle" nochmal durchlebte. Ich hatte mit Angstzuständen, Panikattacken und schlaflosen Nächten zu kämpfen. Ich bin nachts schweißgebadet aufgewacht, und bei jedem Klingeln habe ich wieder Herzrasen bekommen. Aber in der Zeit danach hat mich das doch sehr befreit. Meine Geschichte fing damit an, dass ich gleich am Anfang mehrfacher sexueller Nötigung zum Opfer gefallen bin. Finanziell wurde ich ebenfalls erpresst. Zu dem Zeitpunkt war ich mit meinem Burnout-Syndrom so beschäftigt und "neben der Spur" - ich war nicht ich. Ich war so manipulierbar und wollte eigentlich immer nur meine Ruhe, dass ich das alles über mich ergehen ließ. Ich habe mir dann geschworen, dass ich mich rächen werde, wenn ich mal nicht mehr mit diesem Nachtclub verbandelt bin.

T.D.F.: Sie beschreiben das Rotlichtmilieu als glitzernde Hölle, die junge Frauen wegen der vermeintlichen Chance auf leicht verdientes Geld zur Prostitution verführt. Was hat Sie dazu gebracht, für das Edelbordell Relax in Hamburg zu arbeiten?

NADINE GREVE: Mein damaliger Freund hat mich rausgeschmissen. Er hat mein Auto verkauft, und ich war völlig neben der Spur, weil ich damals an einem schweren Burnout-Syndrom litt. Ich wusste nicht, was ich nun tun sollte. Zu dem Zeitpunkt hatte ich kein soziales Netzwerk. Meine einzigen sozialen Kontakte waren mein Freund und dessen Eltern. Mit dem Ende der Beziehung waren die weg. Also stand ich vollkommen alleine da. Nach Hause zu meiner Familie wollte ich nicht kriechen. Schon während meiner ganzen Kindheit war ich dort immer das schwarze Schaf. "Du packst das alleine, egal wie schlecht es dir geht", sagte ich mir. Ich brauchte aber eine Unterkunft. Und da war dann die Annonce vom Relax-Nachtclub in der Hamburger Morgenpost. Sie suchten "Damen" für die Tages- und Nachtschicht und boten eine Wohnmöglichkeit dazu.

T.D.F.: Ihre Erzählungen machten deutlich, dass viele Prostituierte erniedrigt, misshandelt und schließlich willenlos gemacht und gebrochen werden. Am Ende hätten die Frauen nichts mehr, "keinen eigenen Willen, kein eigenes Ich, kein eigenes Geld". Wie kommt es zu diesem Zustand?

NADINE GREVE: Zu achtzig Prozent werden Frauen zu Beginn von ihrem Zuhälter vergewaltigt, um "willenlos" gemacht zu werden. Es gibt natürlich auch Zuhälter, bei denen sich ein "einvernehmliches Arbeitsverhältnis" entwickelt. Der Prozess des Willenbrechens geht gleichzeitig mit einer Abspaltung vom eigenen Ich einher, wenn auch unbewusst. Man verleugnet das und will es gar nicht wissen, und das ist auch der Grund, warum ein Großteil der Prostituierten - 95 bis 97 Prozent, schätze ich -in großen Mengen Drogen und Alkohol konsumiert, um überhaupt damit fertig zu werden. Ich hatte Kolleginnen, die saßen im Laden und haben ihren Zuhälter angerufen und gefragt, ob sie mal auf die Toilette dürfen. Die haben überhaupt keinen eigenen Willen mehr. Und irgendwann kommen sie da nicht mehr raus.

T.D.F.: Sie berichten, dass viele Frauen aus Osteuropa und (illegale) Migrantinnen häufig mit fingierten Stellenanzeigen nach Deutschland gelockt werden. Die Frauen erhoffen sich ein besseres Leben in Wohlstand, stattdessen landen sie quasi als Sklavinnen in der Prostitution. Was macht es den Frauen so schwer, zu fliehen und in ihre Heimatländer zurückzukehren?

NADINE GREVE: Diese Frauen werden mit Drogen, Alkohol und Vergewaltigungen gefügig gemacht und zur Prostitution gezwungen. Die Betroffenen werden eingeschüchtert, so dass sie nichts unternehmen. Sie versuchen nicht zu fliehen, gehen auch nicht zur Polizei, sie haben ja auch kein Vertrauen. Die Frauen aus den osteuropäischen Ländern kennen es so, dass die Polizei und die Justiz korrupt sind. Sie denken dann, dass es in Deutschland genauso ist. Ihre mangelnden Deutschkenntnisse erschweren die Sache unglaublich. Und selbst wenn es dann mal zu einer Razzia kommt, und die Polizei erwischt illegale Prostituierte, selbst dann möchten sie keine Aussage machen, weil sie so eine Angst vor Repressalien an ihrer eigenen Person oder an ihrer Familie (im Heimatland) haben. Sie möchten dann einfach nur in ihre Länder zurück und nichts hören und nichts sehen.

T.D.F.: Sie wollten zunächst nicht freiwillig aus dem Bordell gehen. Warum fiel es Ihnen schwer, auszusteigen und das Relax zu verlassen?

NADINE GREVE: Die Leute, die sich im Rotlichtmilieu befinden, das sind Menschen, die schon in ihrer Kindheit Vernachlässigungen oder Misshandlungen erlebt haben und die jetzt im Rotlichtmilieu diesen Zusammenhalt, dieses Familiäre suchen, auch wenn es nur nach Außen den Anschein macht, als gäbe es das. Sie schätzen das und es hält sie da. Und bei mir war es genauso. Ich hatte sonst niemanden. Die Leute in diesem Nachtclub waren mein Familienersatz.

T.D.F.: Es wird geschätzt, dass pro Tag mehr als eine Million Freier eine Prostituierte aufsuchen. Viele Männer würden nicht zugeben, dass sie sich Sex kaufen - die Scham ist groß. Gehen die Freier unterschiedlich offen mit ihrem Handeln um?

NADINE GREVE: Generell vorab: Männer sind feige. Wenn es nach den Angaben der Männer ginge, gäbe es in Deutschland keine Prostitution, weil kein Mann sagt: "Ich habe es nötig, mir in einem Bordell Sex zu kaufen." Nun boomt diese Branche aber so dermaßen, dass irgendwelche Leute ja doch hingehen müssen. Ich denke, die "normalen Freier" verheimlichen den Besuch bei einer Prostituierten. Die "Kokskonsumenten" und die "Psychopathen" brüsten sich eher damit und stellen es auch gerne so dar: "Ich habe nicht die Dienstleistung der Prostituierten gekauft, sondern ich habe die Prostituierte gekauft und konnte mit der machen, was ich wollte."


Anmerkung:
Das ausführliche Interview sowie die Positionen von TERRE DES FEMMES zum Thema können Sie unter www.frauenrechte.de in der Rubrik Arbeitsgruppen "AG Frauenhandel & Prostitution" nachlesen.


Zur Autorin:
Anne Petersen arbeitet als Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei TERRE DES FEMMES.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 117, 3/2011, S. 22-23
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2011