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MELDUNG/024: Beschneidungsdebatte - Moratorium und Einrichtung eines Runden Tisches gefordert


Terre des Femmes - Pressemitteilung vom 12. September 2012

Beschneidungsdebatte: TERRE DES FEMMES, Deutsche Kinderhilfe u.a. fordern Moratorium und Einrichtung eines Runden Tisches in der Diskussion um Beschneidungen von einwilligungsunfähigen Jungen



Berlin, den 12. September 2012. In der heutigen Bundespressekonferenz bestärkten die Deutsche Kinderhilfe und ihre Partner den Appell an die Bundesregierung und den Bundestag, keine voreiligen Schritte im Bezug auf die rituelle Beschneidung von einwilligungsunfähigen Jungen zu ergreifen. Die anwesenden Organisationen und ExpertInnen betonten die Notwendigkeit einer sachlichen Debatte unter Einbezug der Kinderrechte, insbesondere des Rechtes auf körperliche Unversehrtheit. Auf ein zweijähriges Moratorium und die Einrichtung eines Runden Tisches zielt daher die von der Deutschen Kinderhilfe und weiteren Verbänden und Einzelpersonen am 23. Juli 2012 beim Deutschen Bundestag eingereichte Petition mit der Nummer 26078. Aktuell gibt es keine verbindliche Auskunft über ihren Status.

"Angesichts der eindeutigen Stellungnahmen der Experten, Vorhautamputationen stellten einen schwerwiegenden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit von Kindern dar, tritt die Deutsche Kinderhilfe als unabhängige Kinderrechteorganisation uneingeschränkt für die Wahrung der Kinderrechte ein. In dieser zweifelsohne belasteten und schwierigen Debatte zeigt sich, ob Kinderrechte nur in Sonntagsreden und an Kindertagen zelebriert werden oder ob die Gesellschaft es mit dem Schutz von Kindern ernst meint." So Georg Ehrmann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe.

Der aus Israel angereiste Eran Sadeh, Jude, Israeli, Vater und Gründer von Protect the Child zeigte sich heute dankbar für die Gelegenheit, in Deutschland zu dem Thema religiöse Beschneidungen Stellung beziehen zu können: "Frau Bundeskanzlerin Merkel, die Bewegung zur Zwangsbeschneidung von Minderjährigen ist eine globale Bewegung. Überall auf der Welt richten Männer, die wie ich durch die Amputation ihrer Vorhaut verletzt sind, Mütter und Väter, die gegen ihren Willen aufgrund von Religion, Tradition und gesellschaftlichem Druck ihre Kinder verletzen müssen, Eltern, die tapfer genug sind, sich nicht anzupassen, Wissenschaftler aus allen Disziplinen und gewöhnliche Bürger ihre Augen auf Sie und auf Deutschland, damit es eine Vorreiterrolle beim Schutz der Menschenrechte von Kindern übernimmt", so Eran Sadeh in der Bundespressekonferenz.

Aus ärztlicher Sicht stellt die Beschneidung einen höchst bedenklichen, gefährlichen und mit Schmerzen verbundenen Eingriff dar. Dr. Ulrich Fegeler, Bundespressesprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte berichtete dazu: "Die rituelle Beschneidung als Körperverletzung zu werten ist somit auch aus ärztlicher Sicht richtig. Sie verändert den Körper des Kindes irreversibel, ohne dass dafür eine medizinische Indikation vorliegt. Der Eingriff, soweit nicht kinderchirurgisch durchgeführt, ist robust und blutig. Er ist mit einer nicht zu vernachlässigenden Komplikationsrate von immerhin 6% belastet. Sofern dieser Eingriff nach mosaischem und nach klassischem muslimischem Ritus traditionell ohne Analgesie durchgeführt wird, ist diese Art der Beschneidung ein mit erheblichen Schmerzen verbundener Eingriff, der damit sogar in die Nähe der schweren Körperverletzung rückt".

Diese Einschätzung teilt ebenfalls Prof. Dr. Matthias Franz, stellv. Direktor des Klinischen Instituts für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Düsseldorf und Vorsitzender des Instituts für Seelische Gesundheit und Prävention Düsseldorf e.V.: "Der Schutz von Frauen, Minderheiten und besonders Kindern vor Gewalt und Verletzungen ist ein zivilisatorischer Großtrend in vielen demokratischen Gesellschaften, auch in Deutschland. Diese Entwicklung sensibilisiert eine breite Öffentlichkeit für die Wahrnehmung problematischer Aspekte der rituellen Genitalbeschneidung auch bei Jungen. Dieser äußerst schmerzhafte und irreversible Eingriff geht mit bedeutsamen körperlichen, sexuellen und psychischen Schädigungsrisiken einher, über die viele Eltern vor der Beschneidung ihres Sohnes nicht aufgeklärt werden. Es sind Todesfälle beschrieben und nicht selten resultieren lebenslang körperliche Probleme, Ängste oder Einschränkungen der sexuellen Erlebnisfähigkeit. Diese Risiken werden auch heute noch bagatellisiert und klein geredet. Aus Sicht des Kindes und aus ärztlicher Sicht existiert jedenfalls kein Grund dafür einem gesunden Jungen seine gesunde Vorhaut abzuschneiden. Sämtliche immer wieder angeführten medizinisch-prophylaktischen Begründungen (z.B. Prävention sexuell übertragbarer Infektionen) lassen sich - wenn vom Betroffenen gewünscht - durch eine Beschneidung in einwilligungsfähigem Alter realisieren. Durch die Genitalbeschneidung wird das grundgesetzlich verbriefte Recht des Kindes auf Unversehrtheit verletzt. Dieses Recht und die UNO-Kinderrechtskonvention schützen Jungen genauso wie Mädchen vor jeder Form körperlicher Gewaltanwendung auch wenn sie im Rahmen überlieferter Bräuche stattfindet. Einem kleinen hilflosen Jungen das Trauma der Genitalbeschneidung trotzdem zuzufügen, befriedigt ausschließlich Bedürfnisse von Erwachsenen. Diese sind aber häufig in ihrem Handeln befangen durch klerikale Machtansprüche, Gruppendruck, unreflektierte Traditionen und Schuldgefühle. Seine normative Kraft und transgenerationale Loyalität bezieht dieses archaische patriarchalische Ritual aus der Identifikation der Opfer mit dem Handeln ihrer Eltern. Dabei spüren viele Mütter und Väter intuitiv, dass sie ihren Sohn und die Beziehung zu ihm durch die Beschneidung beschädigen könnten. Die symbolisierende Transformation oder das zeitliche Aufschieben der Vorhautbeschneidung bis zur Einwilligungsfähigkeit der Betroffenen sollten deshalb auch in Deutschland weiter Gegenstand einer faktenbasierten, argumentativen und im gegenseitigen Respekt aller Beteiligten geführten Diskussion bleiben."

Nach Aussage von Irmingard Schewe-Gerigk, Vorsitzende von TERRE DES FEMMES geht es der Menschenrechtsorganisation um etwas Grundlegendes: "Die körperliche Unversehrtheit von Kindern ist ein Menschenrecht und muss für alle Kinder gleichermaßen gelten, egal welcher Herkunft, Religion und welchen Geschlechts sie sind. Wir machen uns stark dafür, dass irreversible Eingriffe in die Unversehrtheit von Kindern - mit Ausnahme medizinisch notwendiger Behandlungen - generell verboten werden. Sie dürfen weder mit Religion noch Tradition gerechtfertigt werden. Menschenrechte sind nicht teilbar - auch nicht zwischen Mädchen und Jungen."

Dr. Avshalom Zoossmann-Diskin, Vorsitzender von Ben Shalem (Organisation "Intakter Sohn") aus Israel, zu den Bemühungen der Deutschen Kinderhilfe: "You try to protect the basic human rights of all children without any regard to their religious and ethnic affiliations. Thank You so Very Much for Your Actions to Protect the Helpless".

Die Petenten der Petition Nr. 26078 bilden mittlerweile ein sach- und vernunftorientiertes Netzwerk ab, das die besondere Verantwortung aus der deutschen Geschichte, die Religionsfreiheit, die Integration jüdischen- und muslimischen Lebens in Deutschland und die Verpflichtung unseres Staates und unserer Gesellschaft auf Umsetzung der UN-Kinderrechtekonvention fest im Blick hat. Ihr Ziel ist es, weitere Organisationen und eine große Zahl von Bürgerinnen und Bürgern zur Teilnahme an der Petition zu bewegen.

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Quelle:
Pressemitteilung vom 12. September 2012
Bundesgeschäftsstelle TERRE DES FEMMES e. V.
Brunnenstr. 128, 13355 Berlin
Telefon: 030 40504699-0, Fax: 030 40504699-99
E-Mail: info@frauenrechte.de
Internet: www.frauenrechte.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. September 2012