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HINTERGRUND/174: Umweltzerstörung trifft vor allem die Kinder der Armen


die zeitung - terre des hommes, I. Quartal 2011

Ökologische Kinderrechte


»Jedes Kind hat das Recht, in einer intakten Umwelt aufzuwachsen, ein gesundes Leben zu führen und positive Zukunftsperspektiven zu entwickeln«. So definierte die National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland bereits 1998 ökologische Kinderrechte. Die National Coalition umfasst etwa 100 Organisationen in Deutschland, darunter terre des hommes als Gründungsmitglied. Ökologische Kinderrechte sind Rechte, für deren Verwirklichung intakte Ökosysteme eine fundamentale Voraussetzung sind, wie zum Beispiel die in Artikel 24 der Kinderrechtskonvention (KRK) beschriebenen Rechte auf bestmögliche Gesundheit, sauberes Trinkwasser und ausreichende vollwertige Nahrungsmittel. Doch die Realität sieht anders aus: Klimawandel, massiver Einsatz von giftigen Chemikalien in der Landwirtschaft und Raubbau an natürlichen Ressourcen bedrohen weltweit die Lebensgrundlagen von Kindern. Arme Kinder sind dabei speziell betroffen, da sie besonders unter den Folgen von Umweltzerstörung leiden und die Armut ihnen Zukunftschancen raubt. terre des hommes startet deshalb Anfang Mai, ein Jahr vor dem UN-Gipfel für nachhaltige Entwicklung in Rio de Janeiro, eine Kampagne für ökologische Kinderrechte. Die Bedrohung von Gesundheit und Zukunft von Millionen Kindern verlangt nach konkreten Maßnahmen und rechtsfähigen Konzepten. Im Interesse von Kindeswohl und Generationengerechtigkeit ist die Trendwende für soziale und ökologische Zukunftsfähigkeit unaufschiebbar.


Bedrohte Gesundheit, bedrohte Zukunft

Umweltzerstörung trifft vor allem die Kinder der Armen

Von Iris Stolz


Die Volksgruppe der Cham in Kambodscha sorgt sich um die Zukunft ihrer Kinder: Wasserquellen trocknen aus, der Wald wird abgeholzt, Fische und wilde Tiere verschwinden. Immer weniger Familien können von der Landwirtschaft leben. Und immer mehr ziehen ins benachbarte Vietnam - und enden dort häufig als Bettler.

Am anderen Ende der Welt, in Guatemala, hat eine indianische Bäuerin ähnliche Probleme: Auf dem Berg, der nicht weit von ihrem Dorf in den Himmel ragt, wird seit einigen Jahren im Tagebau Gold gefördert. Seitdem ist der Brunnen im Dorf trocken, denn die Minenbetreiber haben tiefere Brunnen gebohrt: Bergbau verbraucht Unmengen Wasser. Auch einige Nutztiere sind gestorben. Sie haben aus den Bächen in der Nähe der Mine getrunken, wo mit einer giftigen Zyanidlösung das Gold aus dem Gestein gewaschen wird. »Unsere Kinder werden von diesem Land nicht mehr leben können«, fürchtet die Bäuerin.

Umweltzerstörung ist kein Luxusproblem - im Gegenteil: Vor allem für die arme ländliche Bevölkerung ist überall auf der Welt eine intakte Natur die Grundlage ihres Lebens. Eine Grundlage, die durch Klimawandel, Raubbau an natürlichen Ressourcen, Industrieabwässer, den massiven Einsatz giftiger Pestizide und die rücksichtslose Förderung von Rohstoffen mehr denn je eingeschränkt und bedroht wird.

Am meisten trifft es die Kinder: Es sind ihre zukünftigen Lebensbedingungen, die auf dem Spiel stehen. Heute schon gefährden Schadstoffe in Wasser, Luft und Böden besonders ihre Gesundheit. Kindliche Immun- und Entgiftungssysteme sind weniger ausgereift und ein Zuviel an Schadstoffen kann bleibende Entwicklungsschäden verursachen: Dies reicht von Verhaltensauffälligkeiten und Lernschwächen bis hin zu Krebs, Vergiftung und Tod.

Jedes Jahr sterben laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa drei Millionen Kinder an umweltbedingten Krankheiten. Dazu gehört Wasser, das durch Fäkalien und Schadstoffe verunreinigt ist, oder Rauch von offenem Feuer in geschlossenen Räumen. Hinzu kommen Chemikalien als neuere Krankmacher: Kinder sind Quecksilber, Blei, Pestiziden, schwer abbaubaren organischen und giftigen Schadstoffen und Industriechemikalien ausgesetzt - und damit chronischen und akuten Gesundheitsrisiken.


Pestizide, Bergbau und Klimawandel

»Einige Farmer zwingen die Landarbeiterinnen bis ins letzte Drittel der Schwangerschaft, Pestizide auf die Pflanzen zu sprühen. Häufiger als früher werden behinderte Kinder geboren«, erklären Ärzte einer von terre des hommes unterstützten Klinik im Grenzgebiet zwischen Thailand und Burma. Junge Menschen sind aufgrund von physischer Konstitution und kindlicher Ahnungslosigkeit besonders häufig Opfer von Pestizidvergiftungen. Laut Internationaler Arbeitsorganisation (ILO) sterben etwa 40.000 Menschen pro Jahr, unter ihnen viele Jungen und Mädchen.

»Wir fürchten auch, dass die Pestizide in die Wasserquellen gelangen. Viele Kinder haben Hautinfektionen, Haarausfall oder akute Bauchschmerzen«, so die Ärzte der Klinik, die sich um die Gesundheit der burmesischen Flüchtlinge kümmern, aber auch die Grenze überqueren, um auf burmesischer Seite kranke Menschen zu versorgen.

Auch die durch Rohstoffgewinnung verursachten Umweltprobleme machen vor allem Kindern zu schaffen: Kürzlich warnte eine peruanische Zeitung, dass Gehirn, Herz, Nieren, Lungen und Immunsystem geschädigt werden könnten, wenn Kinder, schwangere oder stillende Frauen den Fisch aus den Flüssen in der peruanischen Provinz Madre de Dios essen. Der Grund: Die Quecksilber-Belastung dieser Fische übersteigt die erlaubten Grenzwerte - in der Gegend wird Gold geschürft und mit Quecksilber aus dem Gestein gelöst.

Der Klimawandel und seine Auswirkungen auf den Wasserhaushalt sind ein weiteres Problem, mit dem die arme Landbevölkerung zu kämpfen hat: Extreme Wetterlagen bedrohen die bäuerliche Landwirtschaft und damit die Ernährung der Familien. Durch den Anbau vieler verschiedener Nahrungspflanzen sichern die Bauern ihr Überleben - die Wahrscheinlichkeit, dass zumindest ein Teil der Saat trotz extremer Wetterlagen bis zur Ernte reift, steigt mit ihrer biologischen Vielfalt. terre des hommes unterstützt deshalb ländliche Gemeinden, die sich generationenübergreifend für ökologische Landwirtschaft und Umweltbildung engagieren.


Von Iris Stolz (i.stolz@tdh.de)

ZAHLEN UND FAKTEN

Rund drei Millionen Kinder unter fünf Jahren sterben jedes Jahr aufgrund umweltbezogener Krankheiten. Das ist mehr als jeder dritte Todesfall in dieser Altersgruppe.

Jedes Jahr werden ca. 1,5 Millionen Kinder Opfer von Magen- und Darmerkrankungen, meist hervorgerufen durch verunreinigtes Trinkwasser.

Rund zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren erkranken jährlich an tödlich verlaufenden Atemwegserkrankungen, die meisten resultieren aus Umweltbedingungen, zum Beispiel durch offenes Feuer und Rauch in Innenräumen.

Jährlich werden etwa zwei bis fünf Millionen Pestizidvergiftungen registriert, schätzungsweise 40.000 davon verlaufen tödlich.

99 Prozent der Menschen, die an Pestizidvergiftungen sterben, kommen aus Entwicklungsländern, obwohl dort nur rund 20 Prozent der weltweit produzierten Pestizide eingesetzt werden.

Im Amazonasbecken werden durch Goldminen jedes Jahr mindestens 130 Tonnen Quecksilber in die Umwelt entlassen. Der Mensch nimmt Quecksilber beispielsweise über Fisch auf, was zu akuten oder chronischen Vergiftungen führt, besonders im Nervensystem eines Fötus.

Prognosen zufolge wird durch den Klimawandel in den nächsten 40 Jahren die Zahl unterernährter Kinder in Afrika um zehn Millionen auf 52 Millionen steigen.


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Quelle:
die zeitung, I. Quartal 2011, S. 4
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
Ruppenkampstraße 11a, 49084 Osnabrück,
Tel.: 0541/71 01-0, Fax: 05 41/70 72 33
E-Mail: info@tdh.de
Internet: www.tdh.de

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Der Verkaufspreis wird durch Spenden abgegolten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2011