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LÄNDERBERICHT/070: Kolumbien - Warum Vertreibung zunimmt - "Diskussion gilt als Terrorismus"


die zeitung - terre des hommes, 1. Quartal 2009

"Diskussion gilt als Terrorismus"

Kolumbien: Warum Vertreibung zunimmt


In Kolumbien wurden allein in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres 270.675 Menschen durch Paramilitärs vertrieben. Yenly Mendez ist als Rechtsanwältin für die Organisation "Humanidad Vigente" (Wirksame Menschlichkeit) tätig, die bei ihrer Menschenrechtsarbeit von terre des hommes unterstützt wird.


FRAGE: Statistisch werden in Kolumbien pro Tag 1.500 Menschen aus ihrem Dorf oder Wohnviertel vertrieben. Allein im ersten Halbjahr 2008 ist die Zahl der Vertriebenen um 41 Prozent angestiegen. Wie kommt es dazu?

YENLY MENDEZ: Vertreibungen gibt es seit 40 Jahren, sie sind immer mit Gewalt verbunden. Obwohl die gegenwärtige Regierung mit Zahlen nachzuweisen versucht, dass sich die Situation gebessert hat, ist das Gegenteil richtig: In ihrer Amtszeit haben die Menschenrechtsverletzungen zugenommen.

Nach einem Bericht sozialer Organisationen gab es seit dem Regierungsantritt von Alvaro Uribe vor sechs Jahren 1.122 willkürliche Erschießungen durch staatliche Sicherheitskräfte. Um Rohstoffe nutzen zu können, werden Großprojekte gnadenlos durchgezogen. Und wenn die Bewohner dieser Zonen dabei im Weg stehen, werden sie eben vertrieben. Ein Beispiel dafür ist ein Goldbergwerk am Mittellauf des Magdalenaflusses, das mit Kapital aus Südafrika betrieben wird.

Menschen, die zur sozialen Opposition zählen, erhalten Drohbriefe, immer wieder wird jemand ermordet. Die Leute haben Angst, denn diese Drohungen werden auch umgesetzt. Offizielle Erklärungen der Regierung, die Menschenrechts-Organisationen seien Verbündete der Guerilla, ermutigen die paramilitärischen Banden zu weiteren Gewalttaten.

FRAGE: Wer ist für diesen Terror gegen die Bevölkerung verantwortlich?

YENLY MENDEZ: Gründer der paramilitärischen Gruppen waren Großgrundbesitzer - die ziehen auch heute noch die Fäden. Verantwortlich sind zudem staatliche Sicherheitskräfte sowie die Regierung. Gegen 63 Parlamentsabgeordnete der Regierungsparteien laufen zurzeit Gerichtsverfahren wegen aktiver Unterstützung von Paramilitärs. Einer ihrer wichtigsten Führer, Salvatore Mancuso, hat zugegeben, dass seine Truppen sogar vom Vizepräsidenten und vom Verteidigungsminister unterstützt werden. Weil Präsident Uribe auf den Obersten Gerichtshof Druck ausgeübt hat, wurde gegen sie aber kein Verfahren eröffnet.

FRAGE: Wen trifft die Gewalt vor allem?

YENLY MENDEZ: In diesem Jahr haben Verbände, die die Opfer von Menschenrechtsverletzungen vertreten, eine große Demonstration organisiert. Anschließend gab es Morddrohungen gegen die Sprecher dieser Verbände, einige von ihnen wurden umgebracht. Der Geheimdienst kriminalisiert darüber hinaus Studenten, die sich an den Universitäten organisiert haben, mit der Behauptung, sie seien Unterstützer der Guerilla-Truppe FARC. Jeder Versuch, eine Diskussion über die gravierenden sozialen Probleme zu führen, wird mit dem Terrorismus in Verbindung gebracht.

FRAGE: Welche Rolle spielt die Wirtschaft dabei?

YENLY MENDEZ: Die kolumbianische Regierung vertritt die wirtschaftlichen Interessen der USA. Priorität hat beispielsweise die ungehinderte Umsetzung des Freihandelsabkommens. Dazu gehört, auf den internationalen Märkten mit Rohstoffen präsent zu sein. Verträge und Abkommen auch mit europäischen Unternehmen werden gefördert und militärisch abgesichert. Die Politik der nationalen Sicherheit orientiert sich ausschließlich an den Interessen der Unternehmer, andere, vor allem die der ärmeren Leute, spielen keine Rolle.

Interview: Gitta Düperthal


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Quelle:
die zeitung, 1. Quartal 2009, S. 5
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2009