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PROJEKT/183: Hamburg - Junge Flüchtlinge verfilmen ihr Leben in Ausgrenzung


die zeitung - terre des hommes, I. Quartal 2008

"Wir sind ungeduldig"
Hamburg: Junge Flüchtlinge verfilmen ihr Leben in Ausgrenzung

Von Michaela Ludwig


Die Stimme erheben und sichtbar werden: Über ein halbes Jahr lang erzählten sich sechs Jugendliche aus Afghanistan, Indien, Iran und Sierra Leone Geschichten über Liebe, Freundschaft, über ihre Identität und ihre Träume. "Hier hast du alles: Essen, Trinken, du kannst ausgehen und Spaß haben. Aber du bist nicht frei. Du darfst Hamburg nicht verlassen, darfst keine Ausbildung machen und musst in einem Wohnheim leben", beschreibt die 18-jährige Afghanin Tanya ihr Leben "als Geduldete". Wie kann man das den Freunden rüberbringen? Vergrault man damit nicht die neue Freundin? Die Kamera war immer dabei.

"Duldung heißt: keine Arbeit, keine Ausbildung, nichts machen können und nicht wissen, was wird." So bringt die Gruppe, die sich den Namen "Ungeduldig" gegeben hat, das Leben in der Warteschleife auf den Punkt. "Geduldet" ist, wer in der Bundesrepublik kein Aufenthaltsrecht hat, und daher abgeschoben werden soll. Die Duldung muss in Monats-, manchmal Wochenabständen bei der Ausländerbehörde verlängert werden.


Drehbücher im Kopf

"Ich kann meine Träume steuern, aber meine Realität nicht. Dabei sollte es umgekehrt sein." Die Jugendlichen finden poetische Worte für einen knallharten Widerspruch. "Sie haben Drehbücher im Kopf, weil sie so viel gesehen haben", sagt Gesa Becher, Medienpädagogin des Hamburger Jugendhilfeträgers "Basis und Woge e.V.". Die Dreharbeiten sind auch ein Entwicklungsprozess, der 26-minütige Kurzfilm hält diesen fest Angeleitet und unterstützt werden die Jugendlichen durch ein Team Hamburger Videofilmer und Medienpädagogen, finanziert wird das Projekt unter anderem von terre des hommes.

Sushil aus Kaschmir hat bereits Filmerfahrung. Durch dieses Projekt hofft er, seinem Traum, beim Film zu arbeiten, näher zu kommen. Gleichzeitig sucht er vor der Kamera einen Weg, seine zwei Welten - die des Flüchtlings einerseits und des jungen Mannes, der mit seinen Hamburger Freunden einfach nur das Leben genießen will, andererseits - zusammenzubringen. Chander, der als Kind ohne Familie von Afghanistan nach Deutschland geflüchtet war, lässt Filmkollegen und Kamera Zeuge seines inneren Zwiespalts werden: Hätte er damals auf das Angebot des Mannes, ihn zu adoptieren, eingehen sollen? Vielleicht könnte er heute "ein ganz normales Leben" führen. Tanya traut sich am Ende des Filmes erstmals selbst vor die Kamera.


Praktikum und Ausbildung

Viel hat sich in ihnen und um sie herum während der Dreharbeiten verändert. Die neue Bleiberechtsregelung ist in Kraft getreten. Sushil macht ein Praktikum bei einer Fernsehproduktion und hat einen Ausbildungsplatz im Gastgewerbe in Aussicht. Hat die Ungewissheit ein Ende? Chander ist auf Arbeitssuche. Ob er das Bleiberecht erhält, ist noch ungewiss. Tanya wird es nicht erhalten. Sie hat die geforderte Sechsjahresfrist um einige Monate verpasst. Trotzdem hofft sie, dass sie nach ihrem Abitur im Herbst an der Hamburger Universität Chemie studieren darf. Inzwischen besuchen die fünf Filmer Schulklassen und Veranstaltungen, auf denen ihr Film gezeigt wird, und stehen Rede und Antwort. Sie sind aus dem Dunkel getreten.


terre des Hommes unterstützt Basis und Woge e.V. bei der Durchführung des Filmprojektes "Ungeduldig" mit 8.500 Euro. Der Film wurde inzwischen von der Gesellschaft für Medien und Kommunikationskultur mit dem Dieter Baacke Preis ausgezeichnet.


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Quelle:
die zeitung, I. Quartal 2008, S. 7
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2008