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PROJEKT/212: Haiti - Das Nothilfe-Programm im Erdbebengebiet


die zeitung - terre des hommes, 3. Quartal 2010

Freiraum zum Spielen
Haiti: Das Nothilfe-Programm im Erdbebengebiet

Von Toni Keppeler (freier Journalist)


Wer an Leogane vorbei in Richtung Grand Goâve fährt, sieht zwischen den Mangobäumen und Bananenstauden am Straßenrand nur eingestürzte Häuser und Hütten. Die beiden Städtchen im Süden Haitis liegen dem Epizentrum des Erdbebens am nächsten, bei dem am 12. Januar mehr als 200.000 Menschen zu Tode gekommen sind. Ein halbes Jahr nach der Katastrophe wird immer noch Schutt weggeräumt. Kurz vor Grand Goâve liegt am rechten Straßenrand eine freie Fläche, groß wie ein Fußballfeld. Kinder tollen herum und lachen, Handwerker zimmern das Gerüst für eine große Halle zusammen. Dahinter ist eine zweite schon fertig. 250 Kinder kommen täglich hierher. »Am liebsten spielen sie Fußball«, erzählt Joseph Jacques Filsaime. »Aber auch Singen, Tanzen und Geschichten erzählen ist sehr beliebt.«

Filsaime ist Lehrer. Seine Schule ist, wie fast alle hier, beim Erdbeben eingestürzt. Er war arbeitslos. Jetzt behält er hier auf dem Spielplatz den Überblick und leitet die Betreuer an. Sieben solcher Gemeinschaftszentren hat terre des hommes rund um Leogane und Grand Goâve zusammen mit Einheimischen aufgebaut.


Traumatisches Erlebnis

»Die meisten Schulen sind geschlossen. Die Menschen leben in Zelten auf viel zu engem Raum und haben nichts zu tun«, erklärt Sylvain Fournier. Und sie haben ein traumatisches Erlebnis hinter sich. Die Kinder sind die schwächsten unter den Opfern. »Sie brauchen so etwas wie eine Routine im Alltag, um wieder zu sich selbst zu finden.« Fournier ist verantwortlich für die Betreuung der traumatisierten Kinder im nahe gelegenen Camp von terre des hommes. Seit dem Erdbeben leisten 200 Einheimische und 20 ausländische Mitarbeiter - die meisten aus Frankreich - hier Nothilfe.

Das Betreuungsprogramm für fast 2.000 Kinder ist nur ein Teil der Nothilfe von terre des hommes. Zwei mobile Arztpraxen versorgen rund 20.000 Kinder unter fünf Jahren, schwangere Frauen und stillende Mütter. Die Behandelten bekommen eine medizinische Grundversorgung, Mittel gegen Parasiten und Vitamin A. Schlimme Fälle von Unterernährung werden an speziell darauf eingerichtete Zentren überwiesen.


Hygienesituation als Herausforderung

Vor allem Hygieneprobleme machen den Menschen zu schaffen. terre des hommes baut deshalb nicht nur Übergangsunterkünfte für die Regenzeit. Nötig sind vor allem Latrinen. »Wir hatten erst 300 geplant«, sagt Olivier de la Motte St. Pierre, stellvertretender Leiter des terre des hommes-Camps in Grand Goâve. »Aber wahrscheinlich werden es 800 werden.« Die Arbeitsteilung ist ähnlich wie in den Gemeinschaftszentren: »Wir stellen das Material, bilden Handwerker aus und geben ihnen das nötige Werkzeug«, sagt de la Motte St. Pierre. Es wird Wert darauf gelegt, dass die Erdbebenopfer beim Bau der sanitären Einrichtungen mithelfen. Latrinen und Übergangsunterkünfte - ein einfaches Holzgerüst mit Wellblechdach und Wänden aus dicker Plastikplane - werden in der Nähe der zusammengestürzten Häuser gebaut. Die Menschen sollen in ihren Weilern bleiben und nicht in die engen Zeltlager der Städte abwandern. Das würde die Hygieneprobleme nur noch verschlimmern.

Auch die Gemeinschaftszentren sind übers Land verstreut. Die erste Phase der psychosozialen Nothilfe soll bis zum Oktober dauern. »Aber ich rechne damit, dass wir bis zu zwei Jahren hier bleiben«, sagt Fournier. Nach dem Beben, erzählt der Lehrer Filsaime, waren die Kinder ängstlich und gestresst. »Heute reden sie fast nicht mehr darüber und sind viel weniger aggressiv.« Das Gemeinschaftszentrum bleibt ihnen jedenfalls erhalten, auch wenn terre des hommes das Programm eines Tages beendet. Einen Namen haben ihm die Kinder schon gegeben: »Paradies«.


terre des hommes hat für den Wiederaufbau in Haiti bisher vier Millionen Euro vorgesehen.


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Quelle:
die zeitung, 3. Quartal 2010, S. 7
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
Ruppenkampstraße 11a, 49084 Osnabrück,
Tel.: 0541/71 01-0, Fax: 05 41/70 72 33
E-Mail: info@tdh.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. September 2010