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AUTOREN/054: Der Untergang einer Ära - Zum Tod von Günter Grass (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 16 vom 17. April 2015
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Der Untergang einer Ära
Zum Tod von Günter Grass

von Klaus Wagener


Einen "Dichter des sozialdemokratischen Zeitalters" will der Spiegel in ihm erkannt haben. Ein nicht gerade positives Urteil aus der Perspektive der neoliberalen Kampfpostille. Günter Grass ist tot. Die Ära, die ihn prägte und die er vielleicht mitprägte, ist lange vor seinem Tod untergegangen.

Der große Kompromiss, den die Weltbourgeousie nach 1945 beim Anblick der siegreichen Sowjetunion mit der Sozialdemokratie schloss, ermöglichte so etwas wie eine romantische Rückbesinnung auf den 1914/1918 längst verlorenen Emanzipationsanspruch. Auf die großartige Marx'sche Forderung "alle Verhältnisse umzuwerfen". Sie war nun selbstredend, zum geduldeten Reformismus gewandelt und durch die in Godesberg auch formal nachvollzogenen Absage an den Machtanspruch aller Ernsthaftigkeit beraubt. Weniger "Arzt am Krankenbett des Kapitalismus" als "willig-naiver Helfer", dem man, neben den paar Groschen in die Hand, auch mal einen aufmunternden, jovialen Klaps auf den Rücken gibt.

Zentrale Bedingung für diesen historischen "New Deal": Verlässlicher Antikommunismus. Die verhassten Gegner waren immer die Roten. So lange das klar blieb, gingen politische wie künstlerische Hanswurstiaden ebenso in Ordnung wie auch die Erlaubnis, die Brosamen unter den Tischen des Finanzkapitals aufzusammeln. Auch Grass hatte diese conditio sine qua non klar verstanden.

Tat sich das überlebende Herrenvolk in der Adenauer-Gesellschaft noch etwas schwer mit derlei Frivolitäten, so ließ sich der längst überfällige Sieg über die verknöcherte Zeit, das "Wagnis" von etwas mehr Demokratie, doch umso besser als ein sozialdemokratisches Fundamentalereignis inszenieren. Hier hatte Günter Grass, als Wahlkämpfer für Willy Brandt, seine große Stunde.

Grass hatte diese Zeit, schon in der Gruppe 47, literarisch und politisch seit Mitte der 1950er Jahre begleitet. Mit der "Blechtrommel" (1959), einer satirisch-grotesken Verarbeitung dieses Umbruchsprozesses, erlebte er seinen bundesrepublikanischen Durchbruch und die internationale Wahrnehmung. Es folgten in der "Danziger Trilogie" die Novelle "Katz und Maus" (1961), und der Roman "Hundejahre" (1963). Auch darin bleibt er dem Kleinbürgermilieu seiner Heimatstadt verbunden. Es sind eher die Außenseiterexistenzen, die ihn interessieren. Hier deuten sich die politisch-ideologischen Grundmuster seines Denkens bereits deutlich an.

Die Parallelen zu seiner Partei sind offenkundig. In einer auf genehmigten Reformismus ausgerichtete Partei ist der "workingclass hero", der selbst- und klassenbewusste Proletarier keine Identifikationsfigur mehr. Die Verkleinbürgerlichung proletarischer Milieus ist eine logische Folge. Grass bedient diesen Prozess. Literarisch und politisch.

Nicht ohne Illusionen in seine Wirkmächtigkeit. Bereits Ende der 1960er Jahre beginnt er einen Briefwechsel mit Willy Brandt, in dem er dem Kanzler seinen vermeintlich zu laschen Führungsstil vorhält.

Da der sozialdemokratische Aufbruch zu mehr Demokratie schon bald in den Schmidtschen Sachzwängen und der bleiernen Zeit des Deutschen Herbstes stecken bleibt, steht die Literatur wieder im Zentrum. "Der Butt", eine auf einem gewissermaßen ewigen Geschlechterverhältnis basierende Weltgeschichte, erscheint 1977. Die "zweite Welle" des bürgerlichen Feminismus hatte ihren Höhepunkt erreicht. Die strukturelle ideologische Parallelität bei kontroverser Interpretation war unübersehbar.

Mit "Kopfgeburten oder die Deutschen sterben aus" (1980) ironisiert Grass in gewisser Weise die "rechten" Themen Demographie und Überfremdung, ohne allerdings eine schlüssige Alternative formulieren zu können. "Die Rättin" (1986) reflektierte das Wettrüsten und die Club of Rome-Analysen in einem geradezu apokalyptischen Szenario. Und Grass engagiert sich noch einmal in den letzten großen Massenbewegungen der alten Bundesrepublik.

Mit der Rückeroberung der DDR ist auch der bundesrepublikanische "New Deal" endgültig aufgekündigt. Grass verliert seine gesellschaftliche wie politisch-ideologische Basis. Er wendet sich gegen die "Ruck-Zuck-Einheit" über den Artikel 23.1992 tritt er wegen der Asylpolitik aus der SPD aus. Grass verliert langsam seine Position als Staatsdichter im bürgerlichen Feuilleton.

Und er verliert, ebenso wie die SPD, seine sozialdemokratischen Überzeugungen. Als Gerhard Schröder mit der "Agenda" den Ausverkauf der deutschen Arbeiterbewegung betreibt, ist Grass als publizistischer Marktschreier dabei. Und als Rudolf Scharping dann den Hufeisenplan entdeckte und es mit Hilfe der SPD wieder deutsche Bomben auf Belgrad regnete, ist vom großen Mahner nichts zu hören.

Mit seiner Kritik am atomar hochgerüsteten zionistischen Regime in Israel und an der Europa-Politik der Bundesregierung hat Grass in seinen letzten Jahren, zwar nicht mit den stärksten Argumenten, aber doch deutlich in der Stoßrichtung, zu einem kritischeren Ansatz zurückgefunden. Zur allgemeinen Verärgerung der dem Nobelpreisträger (1999) schon seit dem "weiten Feld" (1995) nicht mehr so gewogenen "Qualitätspresse". Am Ende ein Entwurzelter. Aber auf das Gleis des skurrilen, prädementen Alten abgeschoben zu werden, hatte selbst Günter Grass nicht verdient.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 47. Jahrgang, Nr. 16 vom 17. April 2015, Seite 11
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2015

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