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LITERATURBETRIEB/016: Medien 2 (SB)


Gesucht: Drehbuchautoren


Selten hat ein umfangreiches Genre so wenig Beachtung gefunden wie das der Drehbücher. Sie gehen im Literaturbetrieb einfach unter und können kaum einen literarischen Eigenwert beanspruchen. Mit großem Aufwand werden öffentlich Preise für Produzenten, Regisseure, Schauspieler, Kameramänner, Szenenbildner, Cutter und andere verliehen, nur nicht für Drehbuchautoren. Abgesehen vom Oskar, der auch ein "bestes Drehbuch" prämiert, erhalten sie höchstens unter Ausschluß der Öffentlichkeit eine Auszeichnung. Filmdrehbücher werden kaum gelesen und deshalb nicht gedruckt, sie gehen in den Filmen auf. Für alle, die damit zu tun haben, ist jedoch unbestritten, daß es schwierig ist, aus einem guten Drehbuch einen schlechten Film zu machen. Nun ist das allerdings so gut wie keine Motivation, Drehbuchautor zu werden. Entsprechend wenige Autoren gibt es für das Genre in Deutschland und weltweit - und das, obwohl der Bedarf, besonders fürs Fernsehen, im letzten Jahrzehnt schnell gewachsen ist.

Produzenten, Regisseure und Schauspieler beklagen sich mittlerweile über ungenügende Drehbücher. Bei dem Mangel an guten Autoren spricht man sogar von einer internationalen Flaute, die damit erklärt wird, daß engagierter Nachwuchs sofort von den Bildmedien abgefangen und dort sozusagen "verbraucht" wird. Das Privatfernsehen hat einen nahezu unbewältigbaren Produktionsboom ausgelöst, die Zahl der Sender und Programmstunden hat sich vervielfacht. Amerikanische Produktionen spielen keine Rolle mehr in den Hauptsendezeiten des deutschen Fernsehens. Die Zuschauer haben sich für deutsche Serien und Filme entschieden. Hierzulande werden zur Zeit so viele Spielfilme - "TV-Movies" - hergestellt, wie das Jahr Tage zählt, dazu noch Serien, zahlreiche Soaps, Comedies, Shows und Spielsendungen. Sie alle brauchen Drehbuchautoren. Verführerische Aussichten, denn warum soll ein Autor über Monate hinweg ein Spielfilmmanuskript verfassen, wenn er in der gleichen Zeit für wesentlich mehr Geld einige Serienfolgen schreiben kann. Vorausgesetzt, er ist dem Tempodruck gewachsen und kann von individuellen Vorstellungen absehen. Mögen sie in der Qualität nicht unbedingt den eigenen Ansprüchen entsprechen, braucht er sich um seinen Ruf nicht zu sorgen, denn Serien werden zwar im Teamwork zwischen Produzent und Autoren entwickelt, doch die Schreibleistung bleibt anonym. Die Serien werden ausschließlich mit den Schauspielern identifiziert. Der Autor wird verschwiegen und übergangen, obwohl Story und Charaktere von ihm erfunden sind. Er erwirbt kein direktes Urheberrecht am Film, sondern nur am Drehbuch als ein "vorbestehendes" Werk. Entsprechend betrachten Regisseure und Schauspieler Drehbücher wie Vorlagen, die man beliebig kürzen und ändern kann.

Zum Teil ist dies bedingt durch die Eigenart des Drehbuchs, das vielschichtig gestaltet werden muß. Es enthält alle Spieleinzelheiten in genauer Beschreibung, den Schauplatz, Dekoration und Beleuchtung, Requisiten, Vorgänge, Bewegungen, Gebärden und Mienenspiel, ferner technische Anweisungen zur Kameraeinstellung und den gesprochenen Text sowie alle akustischen Effekte in zeitlicher Reihenfolge. Das literarische Roh-Drehbuch wird durch das detaillierte Regie- Drehbuch und das technische Produktions-Drehbuch mit Anweisungen für Kameramann, Filmbildner, Tonmeister usw. ergänzt.

Den Autoren bleibt nichts anderes übrig, als die Autorität der Regisseure zu akzeptieren. Auch der Produzent weiß, daß die Finanzierung seiner Filme hauptsächlich vom Renommée seines Regisseurs abhängt und weicht eventuellen Ansprüchen des Drehbuchautors meist entsprechend aus.

So bleibt die begehrte gute Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Autor in den meisten Fällen ein Traum. Und wird er Wirklichkeit, so ist immer noch das Genre "Drehbuch" frustrierend genug, wie der bekannte britische Science Fiction- Autor Arthur C. Clarke beschreibt, der gemeinsam mit dem berühmten Regisseur Stanley Kubrick das Drehbuch zu dem internationalen Kultfilm "2001: A Space Odyssey" (1968, deutsch "2001 - Odyssee im Weltraum") verfaßte, das auf seiner Kurzgeschichte "The Sentinel" basierte und zu dem er erst später den Roman schrieb. Mit der Aufgabe, die Clarke beim Filmen übernehmen mußte, stand er auf ständigem Kriegsfuß:

Ich hasse Drehbücher; sie sind unglaublich langweilig, kaum zu lesen und - was mich betrifft, ich kann sie einfach nicht schreiben. Ähnlich wie eine Musikpartitur haben sie eine Intermediärfunktion in einem Werkablauf. Es erfordert beträchtliche, ganz spezielle Fähigkeiten, aber ein Drehbuch als solches besitzt keinen literarischen oder sonst künstlerischen Wert.
(aus: Arthur C. Clarke, Gentry Lee: Rendezvous mit übermorgen, 1989 by Arthur C. Clarke und Gentry Lee, 1991 München, Nachwort von Arthur C. Clarke, S. 547f)


Erstveröffentlichung am 21. November 2000

5. Januar 2007