Schattenblick →INFOPOOL →DIE BRILLE → REDAKTION

LITERATURBETRIEB/035: Profil 4 (SB)


Der "Schwarze Kanal" - der Kapitän räumt den Platz für den Lotsen -

Karl-Eduard von Schnitzler stirbt im Alter von 83 Jahren


Der "Schwarze Kanal" wird endgültig Geschichte

Am 31.3.1960 strahlte das DDR-Fernsehen erstmals die wöchentliche Sendung "Der Schwarze Kanal" aus, in der der Fernsehkommentator Karl-Eduard von Schnitzler mit Hilfe von Ausschnitten aus Sendungen der ARD - später auch des ZDF und der privaten Fernsehsender - den "Imperialismus der BRD" zu entlarven suchte.

Scharfzüngig zerpflückte Schnitzler das Westfernsehen, und obwohl ihm oft Einseitigkeit vorgeworfen wurde, konnte ihm in keiner einzigen der 1.519 Sendungen jemals eine Falschmeldung nachgewiesen werden. "Ganz anders bei den BRD-Medien heute", sagte Schnitzler dazu als Redner auf einer DKP-Veranstaltung, deren Mitglied er war:

Man erinnere sich an die Berichterstattung zum Krieg gegen Jugoslawien, die, von Geheimdiensten gesteuert, ganz gezielt Lügen in Umlauf brachte. Oder man vergleiche die Themen des "Schwarzen Kanals" mit denen der Medien heute, zum Beispiel deren Hundebeißerartikel: "Das ist nichts anderes als Ablenkung von den wirklichen Themen der Zeit: Desinformationspolitik."
(aus: junge Welt vom 11.08.2000 "Lebensreise, Karl-Eduard von Schnitzler in Freiburg im Breisgau" von Rainer Bauer)

Schnitzler trat leidenschaftlich dafür ein, Falschmeldungen zu entlarven, griff Widersprüche auf, war der ewige Skeptiker und Aufklärer der deutschen Geschichte. Für die Anprangerung des "Medienimperialismus" stand er mit seiner ganzen persönlichen Lebenserfahrung ein, auch wenn ihm der "Schwarze Kanal" den Beinamen "Sudel-Ede" eintrug. Als überzeugter Kommunist verteidigte er die DDR publizistisch noch nach der Wende. Ein "Wendehals" war Schnitzler nicht.

Am 30.10.1989 sendete das DDR-Fernsehen zum letzten Mal und nur für die Dauer einer persönlichen Erklärung Schnitzlers den "Schwarzen Kanal", den er nunmehr seit fast drei Jahrzehnten gestaltet hatte. Wegen der Oktoberereignisse 1989 in der DDR und "... um den politischen Neuanfang nicht zu gefährden" zog von Schnitzler seine Sendung zurück. Am 8.11.89 wurde auch die Rundfunkversion des "Schwarzen Kanals", die Sendung "Einblicke" auf "Stimme der DDR", abgesetzt.


*


Karl-Eduard von Schnitzler stammte aus einem großbürgerlichen Elternhaus, wo er 1918 als Sohn eines Generalkonsuls und königlich-preußischen Geheimen Legationsrates geboren wurde. Schon mit 14 Jahren (1932) schloß er sich der Arbeiterbewegung an. Daß er mit dem Austritt aus seiner großbürgerlichen Familie und dem Eintritt in die SAJ einen Positionswechsel vorgenommen hatte und nunmehr den Standpunkt der Arbeiterklasse bezog, "wurde mir erst nach und nach klar, dafür aber unverrückbar". Er konnte und wollte nicht mehr zurück. Seine Überzeugung wuchs, als er sich 1933/34 für die illegale Arbeit entschied, eine Widerstandsgruppe zu unterstützen, die gefährdete Personen und Material über schweizerische und französische Grenzen transportierte.

1937 wurde Schnitzler in die verbotene KPD aufgenommen. Im selben Jahr begann er in Freiburg, Medizin zu studieren. Er mußte die Universität verlassen, nachdem der Nazi-Studentenrat ihn vorgeladen hatte:

"Auf dem Tisch lag meine Gestapoakte. Mir gegenüber Vorsitzender und der Vizevorsitzende, der Mann, der später als Marinerichter noch kurz vor Kriegsende ein selbst im Nazirahmen unfaßbares Todesurteil fällte, es unter seiner persönlichen Aufsicht vollstrecken ließ und später trotzdem Ministerpräsident des Landes Baden Württemberg werden konnte. Sie stellten mich vor die Alternative, entweder dem NSdStB beizutreten oder die Universität zu verlassen. Ich habe die Universität verlassen, was vielleicht ein Fehler war."
(aus: junge Welt vom 11.08.2000, a.a.O.)

In englischer Kriegsgefangenschaft begann er auch journalistisch gegen die Nazis zu arbeiten. Er betrachtete die Arbeit bei der BBC und unter den Kriegsgefangenen als Fortsetzung seines antifaschistischen Kampfes "unter anderen Umständen", und nach der Entlassung aus der Gestapohaft wurde seine Tätigkeit in der französischen Résistance "schon zur Selbstverständlichkeit".

Schwieriger sei später die Entscheidung gewesen, ob er an britisch kontrollierten Sendern in Hamburg und sogar in leitender Position in Köln beim NWDR mitwirken sollte, obwohl "schon 1946/47 Antikommunismus und Bruch der Antihitlerkoalition spürbar" waren. Max Reimann war damals sein maßgeblicher Ratgeber. "Die Entscheidung, nach meinem Rauswurf durch die Engländer nach Berlin zu gehen, bedeutete Erleichterung". Vorher allerdings mußte er der Versuchung widerstehen, einer telefonischen Einladung Rudolf Augsteins zu folgen, an einer in Vorbereitung befindlichen Zeitschrift, die "Der Spiegel" heißen sollte, mitzuarbeiten. "Diese Entscheidung bedeutete einen herben Geldverlust und Verzicht auf eine Karriere."
(aus: junge Welt vom 11.08.2000, a.a.O.)

Karl-Eduard von Schnitzler entschied sich für die DDR, was ihm den Vorwurf der "Uneinsichtigkeit" einbrachte. Von nun an war das Ziel seiner journalistischen Attacken die BRD. Oft wurde ihm Polemik vorgeworfen, während er davon sprach, daß bei ihm Realismus vorherrsche, die kommunistische Partei müsse der Wahrheit unbedingt verpflichtet sein. Seine Frau Marta Rafael von Schnitzler unterstützte ihn diesbezüglich:

Ihr Mann - und das schätze sie gerade so außerordentlich an ihm - sei, so lange sie ihn kenne, noch auf keinen Angriff eine Antwort schuldig geblieben. Eine Position der abschließenden Lebensweisheit und Harmonie werde man bei ihm als bis heute politisch Kämpfenden vergeblich suchen. Außerdem bedeute Polemik ja Streit - und ohne Streit sei auf dem Wege zur Wahrheitsfindung keinerlei Fortkommen möglich.
(aus: junge Welt vom 11.08.2000, a.a.O.)

Neben seiner Arbeit als Fernsehkommentator schrieb von Schnitzler Filmdrehbücher - wobei er mit wichtigen Filmleuten wie Andrew Thorndike und Karl Gass zusammenarbeitete -, publizistische Beiträge und die Bücher "Roter Kanal" und "Provokation". Mit Filmen wie "Schaut auf diese Stadt" und "Du und mancher Kamerad" klärte er über die Ursachen und die Verantwortlichen der beiden deutschen Weltkriege auf.

Karl-Eduard von Schnitzler starb am 20.9.2001 im Alter von 83 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung.


Erstveröffentlichung am 28. September 2001

5. Januar 2007