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REZENSION/036: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (Hrsg.) - Hermynia Zur Mühlen: Werke (SB)


Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Wüstenrot Stiftung

Hermynia Zur Mühlen: Werke.
ausgewählt, kommentiert und mit einem Porträt von Ulrich Weinzierl

von Christiane Baumann


Mit Grafenkrone und Sowjetstern
Vierbändige Textauswahl macht mit Leben und Werk der österreichischen Schriftstellerin Hermynia Zur Mühlen (1883-1951) bekannt.

Sie war eine ungewöhnliche Frau, eine außergewöhnliche Persönlichkeit, eine Schriftstellerin, die lange Zeit der Vergessenheit anheimfiel und die - nach zögerlichen Bemühungen um eine Wiederentdeckung - seit 2018 sowohl in der Wissenschaft als auch in der öffentlichen Wahrnehmung eine "Renaissance" erlebt. Die Rede ist von der österreichischen Schriftstellerin Hermynia Zur Mühlen, deren Leben in seiner Unangepasstheit bemerkenswert und deren literarisches Werk und Schaffen als Übersetzerin in ihrer Vielseitigkeit ihresgleichen suchen. Die lange überfällige, nun erschienene Werkauswahl in vier Bänden, die Ulrich Weinzierl zusammengestellt und sorgfältig kommentiert hat, legt davon Zeugnis ab und macht viele ihrer verstreut erschienenen und heute nur mühsam auffindbaren Texte wieder breiteren Leserkreisen zugänglich. Allein das ist schon verdienstvoll. Doch wer war Zur Mühlen, die als "rote Gräfin" in die Literaturgeschichte einging?

Hermynia Zur Mühlens Leben hat einiges an Skandalösem und Exotischem zu bieten. Herminie Isabella Marie Folliot de Crenneville, geboren 1883 in Wien, entstammte dem österreichischen Hochadel, war die einzige Tochter eines hochangebundenen k. u. k.-Diplomaten und Enkelin des einstigen Ersten Generaladjutanten von Kaiser Franz Joseph. In diesem aristokratischen Milieu wurde ihr eine umfassende Bildung zuteil. Liebe zur Kultur und Kunst, das Erlernen mehrerer Fremdsprachen, aber auch Reisen durch Europa bis nach Vorderasien und Afrika sowie ausgedehnte Auslandsaufenthalte waren eine Selbstverständlichkeit. In ihren Memoiren Ende und Anfang, auf deren Einband 1929 eine neunzackige Grafenkrone und der fünfzackige Sowjetstern prangten, sprach sie von einem Leben "in einem schönen, wohltemperierten, von Blumenduft erfüllten Glashaus." (I, 32) Allerdings war die Kindheit alles andere als harmonisch, wie die im ersten Band der Werkauswahl zusammengestellten Erinnerungen und stark autobiographisch geprägten Romane Zur Mühlens belegen. Ein autoritär agierender Vater neben einer narzisstisch veranlagten Mutter ließen ihre liberal gesinnte Großmutter mütterlicherseits, eine gebürtige Engländerin, zur Bezugsperson werden. Bei ihr im österreichischen Gmunden verbrachte sie viel Zeit. Die alte Dame pflanzte ihr die Sensibilität für soziale Disparitäten ein. Sie war es auch, die maßgeblich ihren Lektürekanon prägte: von Dickens bis Thackeray, Trollope, Jerome K. Jerome, Swift und Tennyson. So kam sie schon früh mit sozialen Fragen in Kontakt und war auf Veränderung aus, wie ihr in jugendlichem Eifer gegründeter "Anker-Verein" zur "Verbesserung der Welt" (I, 35) zeigt. Die Memoiren faszinieren nicht nur in ihrer humorvollen und unprätentiösen Art, sie sind über das Biographische hinaus lesenswerte Zeitdokumente und ein Abgesang auf die Habsburger Ära, deren Ende Zur Mühlen frühzeitig erahnte.

Auch die Leseerlebnisse Zur Mühlens im Dresdener Mädchenpensionat zeugen von einem starken sozialen Interesse. Sie liest Max Stirners "'sozialistisches' Buch" Der Einzige und sein Eigentum, Henry Georges Fortschritt und Armut und ergreift für Zola in der Dreyfus-Affäre Partei. Der Bruch mit den im aristokratischen Elternhaus vermittelten Denkmustern scheint vorprogrammiert. Sie beschäftigt sich mit dem Frauenwahlrecht und ihr Drang nach Selbstständigkeit lässt sie eine Ausbildung zur Volksschullehrerin absolvieren. Der Vater untersagt eine Berufstätigkeit als nicht standesgemäß. Sie versucht sich in einer Buchbinderlehre, die sie den harten Arbeitstag der Arbeiter am eigenen Leib spüren lässt. Eheansinnen der Eltern weist sie ab. Doch gerade volljährig geworden, bricht sie aus der elterlichen Zwangsjacke aus und heiratet den keineswegs standesgemäßen, aber dem aristokratischen Milieu entstammenden, vermögenden baltischen Gutsbesitzer Viktor von zur Mühlen. Die Ehe auf dem abgeschiedenen Gut im zaristischen Russland mit einem stockkonservativen Junker ist ein Desaster, dem sie 1913 schwer lungenkrank nach Davos entflieht. Die Zeit des Ersten Weltkriegs bis 1919 bleibt sie dort. Wenngleich sie nie wieder richtig gesund wird, bringt doch der Ort Genesung im tieferen Sinn. Er markiert den Beginn ihrer Emanzipation als Frau, an deren Ende die Scheidung steht, äußerlich sichtbar im Namen "Zur" Mühlen, und die "wilde Ehe" mit ihrem späteren zweiten, deutlich jüngeren Mann, dem Übersetzer Stefan I. Klein, dem sie in Davos begegnet. Es beginnt zudem ihr politischer Selbstfindungsprozess, der sie 1919 in die Reihen der Kommunistischen Partei führt. Nicht zuletzt markiert Davos den Anfang ihrer einzigartigen Karriere als Übersetzerin und Schriftstellerin. Das Ende der Habsburger Monarchie, die Oktoberrevolution in Russland, in dem sie Elend und Ausbeutung der Landbevölkerung selbst erlebte, das Grauen des Weltkrieges lassen sie zur Pazifistin und zu einer sozial engagierten Künstlerin werden. Es ist, wie ihr "Lebensbuch" schließt, "Ende, nein - Anfang" (I, 223).

Noch 1919 siedelt sie mit ihrem Mann nach Deutschland über, in dem die Novemberrevolution nachklingt und expressionistische Kunst das Leiden am Krieg herausschreit. Sie schließt sich der proletarisch-revolutionären Bewegung an. Ihre Wohnung in Frankfurt am Main ist 1920/21 das "Zentrum der KPD-Spartakus" (IV, 634), wie sich ein Zeitgenosse erinnert. Zur Mühlen schreibt Aufsätze für Zeitungen und Zeitschriften, darunter die KPD-Zeitung Die rote Fahne. Ihre in Davos begonnene Tätigkeit als Übersetzerin nimmt Fahrt auf. Am Ende kann sie auf mehr als einhundert Übersetzungen, vorwiegend sozialkritischer Werke, russischer, französischer, englischer und amerikanischer Autoren zurückblicken. Der ersten Übersetzung von Leonid Andrejews bedeutendem Antikriegsroman Das Joch des Krieges (1918) folgen unter anderem Bücher des Bestseller-Autors John Galsworthy, aber vor allem die sozialkritischen Romane Upton Sinclairs. Die Übersetzungsarbeit bildet schließlich die Brücke zum eigenen Schreiben. Es entstehen Kunstmärchen aus der Feder Zur Mühlens. Gleich ihr erster Band Was Peterchens Freunde erzählen (1920/21) wird zum Welterfolg, in zehn Sprachen übersetzt und begründet ihren literarischen Ruhm. In den 1920er Jahren schreibt sie Märchen, Romane, Kurzprosa wie ihre Erzählung Schupomann Karl Müller, die ihr eine Anklage wegen Hochverrats einbringt, aber es entstehen auch Hörspiele, Feuilletons und unter dem Pseudonym Lawrence H. Desberry Kriminalromane mit sozialkritischem Anspruch. Sie avanciert in den 1920er Jahren zu einer der erfolgreichsten Autorinnen der Weimarer Republik, zu einer der führenden Autorinnen des revolutionären Malik-Verlages von Wieland Herzfelde und nutzt populäre literarische Genres im Klassenkampf, um sozialistische Ideen zu popularisieren. Dabei arbeitet sie mit namhaften linken Künstlern und Buchillustratoren wie John Heartfield, George Grosz oder Karl Holtz zusammen.

Das Jahr 1933 bedeutete eine Zäsur in dieser bemerkenswerten Karriere. Nach der Machtergreifung Hitlers und dem Verbot der KPD verließen Zur Mühlen und ihr jüdischer Mann Deutschland und gelangten über verschiedene Exilstationen schließlich nach England, wo sie bis zu ihrem Tod blieben. Anfang der 1930er Jahre verdichteten sich ihre Kenntnisse über den Stalin-Terror in Russland. Zur Mühlen löste sich von der KPD, was jedoch nichts an ihrer kompromisslosen Haltung gegenüber dem Nazi-Regime änderte. Als ihr Verleger Engelhorn sie im Oktober 1933 aufforderte, ihre Mitarbeit an deutschen Exilzeitschriften zu beenden und sich dem nationalsozialistischen Regime anzudienen, taktierte sie nicht wie Thomas Mann, Alfred Döblin oder Stefan Zweig, sondern erklärte umgehend öffentlich ihre Gegnerschaft zum Nationalsozialismus und das Dritte Reich zum "zur Wirklichkeit gewordenen Greuelmärchen" (IV, 11). Sie zählte daraufhin in Deutschland zu den Verbotenen und Verfemten. Dass dieser Brief den vierten Band der Werkauswahl mit Geschichten und Feuilletons, die Chronologie durchbrechend, programmatisch eröffnet, ist konsequent, weil Zur Mühlens antifaschistische Haltung und ihr Pazifismus ihr Schaffen bis zu ihrem Tod bestimmten. Insbesondere ihr im Dritten Reich angesiedelter Roman Unsere Töchter, die Nazinen ist zu nennen, der bereits 1935 die Entwicklung des Nationalsozialismus' bis zur Machtergreifung, Terror und Bespitzelung als Mittel zum Machterhalt sowie den Gedanken einer antifaschistischen Volksfront thematisierte. Er wurde zurecht als "Solitär" (Helmut Müssener) in der Anfangszeit der Exilliteratur gewürdigt. Nicht zufällig mahnte Zur Mühlen 1950, kurz vor ihrem Tod, im Nachtrag ihrer Memoiren vor dem "verbrecherischen Wahnsinn, der schon wieder vom Krieg spricht" und brachte ihre Hoffnung auf "den Frühlingssturm, der neues Blühen und Gedeihen verkündet", zum Ausdruck, für sie der wirkliche "Anfang" (I, 238). Zur Mühlen starb 1951 in Radlett (Hertfordshire) verarmt, vereinsamt und bereits vergessen.

Ulrich Weinzierls Werkauswahl und Nachwort lassen das Bemühen erkennen, Zur Mühlen stärker als Schriftstellerin linksbürgerlicher Couleur ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Ihr Austritt aus der Kommunistischen Partei und Briefe ihres Mannes Stefan Klein werden fokussiert, um Zur Mühlens politischen Schwenk "von den Kommunisten zu den linken Katholiken" (zit. n. Altner, 153), wie sie im August 1938 selbst schrieb, zu verdeutlichen, was sich bis in die Zusammenstellung der Texte widerspiegelt. Hinsichtlich der von Weinzierl angeführten biographischen Quellen sind historische Kontexte mitzudenken. Ihr besagter Brief war an den christlich-konservativen Landsmann Hubertus Prinz zu Löwenstein gerichtet, der selbst vor den Nazis floh und in New York die American Guild for German Cultural Freedom zur Unterstützung exilierter deutscher Schriftsteller gegründet hatte. Zur Mühlen, in größter finanzieller Not, bemühte sich bei ihm um ein Autorenstipendium aus diesem Fonds und wies mit ihrer Bemerkung zunächst auf gemeinsame christlich-soziale Werte. Ihr Mann hingegen betonte ihre Loslösung von der KPD in Abgrenzung zum Stalinismus und im Bemühen, nach ihrem Tod ihre Werke im Nachkriegsdeutschland und Österreich zu popularisieren. Denn: Galt sie in der DDR als Abweichlerin vom Kommunismus, so in Westdeutschland und Österreich in der restaurativen Nachkriegszeit als die "rote Gräfin". Beides trug zu ihrer Verdrängung aus der Literaturgeschichte maßgeblich bei. In der Forschung ist sehr richtig darauf hingewiesen worden, dass Zur Mühlen trotz Distanz zu Stalinismus und Parteidoktrin weiter "sozialistische Literatur" schrieb, ihre Kapitalismuskritik fortsetzte und für den Kommunismus als Ideologie keinen Ersatz fand. (Ailsa Wallace). Darauf deutet auch der Schluss ihres Nachtrags der Memoiren, der häufig von ihr im Zusammenhang mit der Schaffung einer von Ausbeutung und sozialer Ungerechtigkeit befreiten Welt gebrauchte Metaphern aufnimmt: den "Frühlingssturm" und den "Anfang", den sie für sich persönlich 1919 mit ihrem Engagement in der proletarisch-revolutionären Bewegung datierte. Tatsächlich bewegen sich Leben und Werk Zur Mühlens durchgängig im Spannungsfeld von Katholizismus und Sozialismus, der in ihrem ersten Roman Der Tempel als "in erster Linie Religion" (I, 313) erscheint.

Wenn Weinzierl versucht, schon ab 1928 Zur Mühlens "zunehmende Entfremdung gegenüber dem orthodox kommunistischen Standpunkt" (IV, 577), was auch immer das sein soll, festzumachen, so ist hier Widerspruch anzumelden. Als Beleg wird angeführt, dass sie bereits zu diesem Zeitpunkt nur noch in sozialdemokratischen Blättern veröffentlichte und nicht mehr in der KPD-Zeitung Die rote Fahne. Ihre dort publizierten Beiträge wurden, mit Ausnahme dreier Texte, in der Werkauswahl nicht berücksichtigt. Zur Begründung heißt es, sie seien gut im Online-Archiv ANNO zu recherchieren, nur als zeithistorische Dokumente von Wert und hätten dem "literarisch Besseren" (IV/577) Platz machen müssen. Dabei bleibt der Herausgeber die Auskunft schuldig, welchen Umfang Zur Mühlens Arbeit für das KP-Organ hatte, was sie beinhaltete und in welcher Relation dieser ausgesparte Teil zum Gesamtwerk steht. Ein Blick in das ANNO-Archiv zeigt, dass die Recherche dieser Leerstellen aufwändig ist. Im Ergebnis wird eine unterschiedliche Präsenz von Zur Mühlen zwischen 1920 und 1931 im KP-Blatt sichtbar. Erschienen 1920 bis 1923 eigene literarische Skizzen, so fehlen 1924/25 Beiträge von ihr. 1926 veröffentlichte sie ihre erfolgreiche Erzählung Lina, ebenso kleinere Übersetzungen. 1927 kam lediglich unter ihrem Desberry-Pseudonym der Kriminalroman Abenteuer in Florenz zum Abdruck. 1928 ist sie mit Übersetzungen von Upton Sinclairs Roman Petroleum und mit einem Text von John Reed zu finden. Am 11. Dezember 1930, was Weinzierl unterschlägt, aber schon 1997 beim Zur Mühlen-Biographen Manfred Altner nachzulesen ist, gehört sie neben anderen Malik-Autoren (Johannes R. Becher, F. C. Weiskopf, Erich Weinert, Oskar Maria Graf u.a.) zu den Unterzeichnern des in Der roten Fahne abgedruckten Aufrufs des "Internationalen Verteidigungskomitees für die Sowjetunion - gegen die imperialistischen Kriegstreiber". Distanz zur KPD lässt sich daraus noch nicht ableiten. Die KP-Zeitung, die 1930/31 ihre im Verlag der Jugendinternationale veröffentlichte Märchensammlung Es war einmal und es wird sein bewarb, kommentierte noch am 26. April 1931 eine angekündigte Radio-Lesung der Autorin zum 1. Mai. Der Vorbericht des Senders zeige, so das Blatt, "dass die 'Ravag' (die erste österreichische Rundfunkgesellschaft, C.B.) aus Hermynia Zur Mühlen, die eine der Unseren ist, eine harmlose liberale Menschenfreundin machen möchte." (S. 19) Letzteres war sie durchaus nicht, und das sollte sie auch im historischen Rückblick nicht werden.

Sicher ist in einer "auswählenden" (IV/580) Zusammenschau möglichst Signifikantem der Vorzug zu geben, doch auch das Aussparen einzelner Märchen deutet auf ideologische Vorbehalte des Herausgebers, wenn zum Beispiel aus der Sammlung Das Schloß der Wahrheit ein Text - Die drei Freunde - in der Auswahl fehlt, weil "'die Tendenz etwas allzustark aufgetragen'" (III, 518) sei. Damit wurde die Möglichkeit verschenkt, diese Märchensammlung wieder vollständig zugänglich zu machen. Das besagte Märchen, eine "Parodie" (Bernd Dolle-Weinkauf) auf die drei Weisen aus dem Morgenlande, lässt überdies beispielhaft die Verbindung von religiöser Motivik und politischer Intention, wie sie Zur Mühlens Werk prägt, erkennen.

Eine vollständige Aufnahme in die Werkauswahl fand hingegen die 1936 erstmals erschienene Sammlung Fahrt ins Licht mit der Begründung, dass diese heute schwer zugänglich sei. Das ist tatsächlich nicht der Fall, wurde sie doch 1999 neu aufgelegt. Die sechsundsechzig Geschichten sind ohne Frage unterhaltsam, teils pointiert und ästhetisch gelungen. Sie präsentieren eine Erzählerin, die auf menschlichen Anstand statt proletarische Kameradschaft setzt, und zeigen, wie das sozialkritische Denken im Mitleidsgestus aufgeht. Dass Weinzierl angesichts des umfangreichen Werkes Zur Mühlens sozialkritische Kriminalromane oder ihre Hörspiele unberücksichtigt ließ, ist nachvollziehbar. Dass er jedoch ihre publizistischen und literarischen Debütarbeiten nicht aufnahm, verwundert. Weder ihre von ihm zitierte Rezension über Andreas Latzkos' Roman Der wilde Mann in den Davoser Blättern 1917 noch der von Altner genannte Essay über den belgischen Grafiker und Maler Frans Masereel, der, 1919 in der Revolutionszeitschrift Die Erde erschienen, bereits das sozial-engagierte literarische Programm der Autorin erkennen ließ, ist enthalten.

Nichtsdestrotrotz bietet die Werkauswahl dem interessierten Leser einen guten Einstieg in das Werk Hermynia Zur Mühlens. Eine tabellarische Übersicht zum Leben und zu wichtigen Texten wäre hierfür vermutlich hilfreich gewesen. Als unverzichtbare bio-bibliographische Quelle bleibt die 1997 veröffentlichte materialreiche Biografie Altners, der sich bereits zu DDR-Zeiten um die Popularisierung der Autorin bemühte. Ausgesprochen lesenswert ist die Annäherung der Schriftstellerin Felicitas Hoppe an das Schaffen Hermynia Zur Mühlens, die die Werkauswahl eröffnet. Ihr Essay zeigt, dass ihr die Schriftstellerin mit ihrem Programm der Weltverbesserung, ihrem unbedingten sozialen Veränderungsstreben, ihrer "literarisch praktizierten Solidarität" (I, 12) fremd ist, aber dennoch Faszination ausübt. Denn, so Hoppe: "Beim Lesen gerate ich ins Staunen und Zweifeln, ins Straucheln, Stolpern und Schwitzen auf der Reise in eine Vergangenheit, die überraschend mühelos an die Gegenwart anschließt, denn der politische Wiedererkennungswert ist beträchtlich." (I, 8) Dem ist nichts hinzuzufügen.

Zitierte Literatur:

Altner, Manfred: Hermynia Zur Mühlen. Eine Biographie. Bern 1997.

Dolle-Weinkauff, Bernd: Mit Grimm in den Klassenkampf. Zur Rezeption der Kinder- und Hausmärchen im Proletarischen Märchen des frühen 20. Jahrhunderts. In: Märchen, Mythen und Moderne. 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. Kassel 2015.

Müssener, Helmut: "Wir bauen auf, Mutter". In: Realismuskonzeptionen der Exilliteratur zwischen 1935 und 1940/41. Koch (Maintal) 1987.

Wallace, Ailsa: Hermynia Zur Mühlen. The Guises of Socialist Fiction. Oxford 2009.

https://exilarchiv.dnb.de/DEA/Web/DE/Navigation/MenschenImExil/loewenstein-hubertus/loewenstein-hubertus.html


Hermynia Zur Mühlen: Werke.
Im Auftrag der Deutschen Akademie für
Sprache und Dichtung und der Wüstenrot Stiftung,
ausgewählt, kommentiert und mit einem Porträt
von Ulrich Weinzierl, mit einem Essay von Felicitas Hoppe.
Bibliothek Wüstenrot Stiftung. Autorinnen des 20. Jahrhunderts
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2019
4 Bände im Schuber, 2.581 Seiten
49,00 Euro
ISBN: 978-3-552-05926-9

8. September 2019


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