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BERICHT/039: Links, links, links - Okkupierter Freiheitskampf ... (SB)


Der Konter aus den eigenen Reihen

20. Linke Literaturmesse in Nürnberg


Die Kämpfe der rumänischen Arbeiterbewegung in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg sind weithin unbekannt, so daß man geradezu von einem weißen Fleck auf der Landkarte linken Geschichtsbewußtseins sprechen kann. Das ist zum einen darauf zurückzuführen, daß im damaligen Königreich Rumänien jedes Aufbegehren gegen die verheerenden Lebensverhältnisse mit massiver Repression überzogen wurde. Nicht zuletzt aber sah sich die anarchistisch und syndikalistisch geprägte Bewegung Angriffen seitens der Sozialdemokraten und Kommunisten ausgesetzt, die vor militanten Auseinandersetzungen zurückschreckten und der Selbstorganisation vor Ort einen nationalistischen Entwurf unter zentralistischer Führung und Weisung entgegenstellten.

Die Überformung und Einvernahme ging so weit, daß Stefan Gheorghiu, der in der rumänischen Arbeiterschaft glaubwürdigste und populärste anarchosyndikalistische Agitator seiner Zeit, später zu einer Ikone des Staatssozialismus verklärt und von diesem okkupiert wurde. Man benannte die 1946 in Bukarest gegründete Parteihochschule nach ihm, an der die Elite des Landes ausgebildet wurde. Gheorghiu, der nicht müde wurde, sich für Selbstverwaltung und Selbstorganisation auszusprechen, wäre eine solche staatliche Einrichtung sicher ein Greuel gewesen. Wollte man den Konter aus den nur dem Schein nach eigenen Reihen thematisieren, böte die Geschichte seines kurzen, kämpferischen Lebens mehr als genug Anschauungsmaterial.

Der am 15. Januar 1879 in einer armen Arbeiterfamilie in der Stadt Ploiesti geborene Stefan Gheorghiu kam schon in jungen Jahren mit syndikalistischen, anarchistischen und anderen sozialistischen Schriften in Berührung. Er wendete sie in Verbindung mit seinen eigenen Ideen auf die soziale Realität der Arbeiterinnen und Arbeiter an, deren Aufklärung und Agitation er sich zur Lebensaufgabe machte. Als Metallarbeiter und Zimmermann, der auf den Ölfeldern schuftete, unternahm er zahlreiche Reisen selbst in die entlegensten Winkel des Landes, um mit seinesgleichen zu sprechen und die Kämpfe zu organisieren. Während der aktivsten Phase in seinem Leben, die sich von 1899 bis zu seinem frühen Tod 1914 erstreckte, stand er unter ständiger Beobachtung des Geheimdienstes, wurde mit zahlreichen Verboten belegt und war viele Male im Gefängnis.


Plakate der Literaturmesse und der Veranstaltung - Foto: 2015 by Schattenblick

Foto: 2015 by Schattenblick


Stefan Gheorghiu und die revolutionäre Arbeiterbewegung Rumäniens

Auf der Linken Literaturmesse in Nürnberg stellte Martin Veith, der seit etwa zehn Jahren zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Rumänien mit Schwerpunkt auf deren anarchistische und syndikalistische Strömungen forscht, sein Buch "Militant! Stefan Gheorghiu und die revolutionäre Arbeiterbewegung Rumäniens" vor, das in der Edition AV erschienen ist. Wie der Autor hervorhob, sei die Geschichte der authentischen, nicht parteigebundenen rumänischen Arbeiterbewegung jener Zeit teils totgeschwiegen, teils umgeschrieben worden. Rumänien, das vor dem Ersten Weltkrieg nur aus Moldau und der Walachei bestand und von einem deutschen König regiert wurde, sei seit jeher ein multiethnisches Land mit Bulgaren, einem großen jüdischen Anteil, Ungarn, Deutschen, Österreichern, Schweizern, Franzosen und Italienern gewesen. Die frühe anarchistische und syndikalistische Arbeiterbewegung habe diesen Facettenreichtum in Gleichrangigkeit verteidigt und beispielsweise antisemitische Tendenzen in den Reihen der Sozialisten zurückgewiesen. Der später vordrängende Marxismus, der weniger aus der Arbeiterschaft selbst, als von ihrer Herkunft her bürgerlichen und intellektuellen Kreisen hervorgegangen sei, habe hingegen eine nationale und hierarchische Organisierung der Arbeiterinnen und Arbeiter favorisiert.

In dem armen und bäuerlich geprägten Land habe sich die Arbeiterbewegung auf wenige Zentren fokussiert: Zum einen Braida und Galati, zwei Hafenstädte an der Donau. In Braida hätten sich aus Kreisen bulgarischer und italienischer Einwanderer seit 1887 anarchistische Gruppen gebildet, in Galati seien mehrsprachige anarchistische Zeitungen herausgegeben worden. Hingegen sei die damalige Arbeiterbewegung in Bukarest aufgrund des höheren Anteils an Intellektuellen stark marxistisch geprägt gewesen. Die militantesten Kämpfe mit Generalstreiks und blutiger Repression hätten in Ploiesti und Campina stattgefunden, während in der Textil- und Holzindustrie des Nordens die jüdische Arbeiterschaft tonangebend gewesen sei.

Stefan Gheorghiu beharrte stets darauf, daß alle Arbeiterinnen und Arbeiter gleich welcher Herkunft in den Organisationen mitzureden hätten. Er stand im Ruf eines unübertroffenen Organisators, der von den Menschen anerkannt und geachtet wurde, weil seine Herkunft und Lebensverhältnisse auch die ihren waren und er in unermüdlichem Einsatz keine Gefahren scheute, so der Referent. Da sozialistische Agitation streng verboten war, habe ihn mehr als einmal die versammelte Menge vor dem polizeilichen Zugriff geschützt. Zugleich sei er Zeit seines Lebens sehr an Bildung interessiert gewesen, was nicht nur die Klassiker des französischen Anarchismus und Syndikalismus, sondern auch Ansätze einer selbstorganisierten Arbeiterbildung im allgemeinen betraf.

In der sich entwickelnden Arbeiterbewegung Rumäniens, die im Verhältnis zur bäuerlichen Bevölkerung des Agrarlandes stets marginal blieb, seien alle sozialistischen Richtungen vertreten gewesen. Der Marxismus sei vor allem aus Deutschland gekommen, und die 1892 gegründete Sozialdemokratische Partei habe sich die deutsche SPD zum Vorbild genommen, ohne jedoch vergleichbare Wahlerfolge erzielen zu können. Unter dem rumänischen Wahlrecht durften nur Männer mit Besitz und gutem Leumund am Urnengang teilnehmen, was weite Teile der Bevölkerung ohnehin ausschloß. Der Sozialdemokratischen Partei hätten vor allem Kinder von reichen Grundbesitzern angehört, die sich aus moralischer Empörung gegen Armut, Leibeigenschaft und Sklaverei auflehnten, während Arbeiterinnen und Arbeiter in dieser Partei eine Minderheit gewesen seien.

Im Jahr 1899 sei die Sozialdemokratische Partei derart geschwächt gewesen, daß die Nationalliberalen als Partei des Großgrundbesitzes und die Konservativen als Partei der Industriellen gegen die militanten Auseinandersetzungen und Streiks durchgreifen konnten. Diesen beiden Parteien gelang es insbesondere, die Kinder der Großgrundbesitzer und Industriellen mit dem Versprechen auf Einfluß aus der Sozialdemokratischen Partei zurückzuholen, die zusammenbrach, nachdem mehrere hundert dieser wankelmütigen Genossen ausgetreten waren und sich den bürgerlichen Parteien angeschlossen hatten. Damit habe die erste Phase der rumänischen Arbeiterbewegung geendet, die insofern wenig tragfähig gewesen sei, als sie lediglich auf moralischer Empörung gründete.

Übrig und aktiv geblieben seien die traditionellen Marxisten in Bukarest wie auch die Anarchisten und Syndikalisten in den anderen genannten Städten. Nachdem es keine Parteizeitung mehr gegeben habe, sei mit Panait Musoiu [3] ein militanter Anarchist der ersten Generation in die Bresche gesprungen, der sich seit 1880 in der Bildungsarbeit für Arbeiter engagiert hatte und zeitweise Chefredakteur der sozialdemokratischen Tageszeitung gewesen war. Obgleich er wiederholt verhaftet, gefoltert und unentwegt mit Verleumdungen überzogen worden sei, habe er von 1900 bis 1916 mit der "Revista Ideei" die am längsten erschienene anarchistische Zeitung Rumäniens publiziert. Die Monatszeitung habe ein breites Spektrum an Leserinnen und Lesern erreicht, darunter sogar manche kirchlichen Kreise, die an sich extrem reaktionär und nationalistisch gewesen seien. Auf diese Weise wurde die anarchistische Presse zur tonangebenden Strömung in der rumänischen Arbeiterbewegung, so Martin Veith.

Nachdem ab 1900 die Reorganisation in sogenannten Arbeiterklubs begonnen habe, propagierte die "Revista Ideei" seit 1903 den aus Frankreich und Italien kommenden Syndikalismus: "Die Arbeiter müssen dem Prinzip von Führung und Führer mißtrauen," so Stefan Gheorghiu - ein Schlag ins Gesicht jedes Marxisten, der eine Parteiorganisation hochhält. Panait Musoiu, Stefan Gheorghiu und der eine Generation jüngere Iuliu Neagu-Negulescu seien Freunde geworden und hätten ungeachtet mancher Differenzen in Organisierungsfragen gemeinsam an Zeitungsprojekten gearbeitet.

Verheiratet war Stefan Gheorghiu mit der im Norden des Landes tonangebenden Sozialistin Janeta Maltus. Da sie eine linientreue Sozialdemokratin gewesen sei, habe gegenseitige Abneigung lange ihr Verhältnis geprägt. Als es jedoch darum gegangen sei, sie vor der Abschiebung wegen ihrer jüdischen Herkunft und politischen Aktivität zu bewahren, habe sich Gheorghiu schließlich bereiterklärt, sie zu heiraten. Seine Lebensgefährtin war die Sozialistin Maria Aricescu aus Campina, laut Geheimdienstberichten die wichtigste Person der dortigen Arbeiterbewegung. Campina, das Zentrum der Erdölregion, war die syndikalistische Hochburg des Landes, in der die Sozialdemokratische Partei bis 1918 nicht Fuß fassen konnte. Es gab selbstorganisierte Kooperativen wie Bäckereien, Tischlereien oder Lebensmittelgeschäfte, und zugleich betrieb Gheorghiu Kampagnen zur Alphabetisierung der Arbeiterschaft und gründete dort die erste Arbeiterschule, der weitere in anderen Städten folgen sollten, so der Referent.


Stehend beim Vortrag mit seinem vorangegangenen Buch in der Hand - Foto: © 2015 by Schattenblick

Martin Veith verweist auf seine Biographie Panait Musoius
Foto: © 2015 by Schattenblick


Der letzte Bauernaufstand in Europa

1907 kam es in Rumänien zum letzten Bauernaufstand in Europa. Mehrere zehntausend Bauern erhoben sich, weil sie faktisch in Sklaverei lebten. Sie mußten fast rund um die Uhr schuften, hatten nichts zu essen, waren in Lumpen gekleidet, von grausamen Körperstrafen bedroht und durften nicht einmal einen Teil des Holzes, das sie für ihren Patron schlugen, zum Beheizen ihrer Hütte verwenden. Nach vorangegangenen regionalen Erhebungen erfaßte nun der militante Bauernaufstand das ganze Land, worauf sogar die Regierung zeitweise aus Bukarest floh. Eingesetzte Truppen schlugen den Aufstand blutig nieder, wobei konservative Schätzungen von mindestens 11.000 getöteten Bauern sprechen, so Martin Veith.

Wie aus Geheimdienstakten hervorgehe, wollten die staatlichen Kräfte insbesondere einen Zusammenschluß der Arbeiter und Bauern verhindern, um eine soziale Revolution abzuwenden. Als es zeitgleich zu Streiks in den Hafenstädten gekommen sei, habe die Regierung den Unternehmern aufgetragen, den Lohnforderungen sofort zu entsprechen. Auf die Forderung Gheorghius nach einem Schulterschluß mit den Bauern hätten die Führungen von Sozialdemokratischer Partei und Gewerkschaft ablehnend reagiert, da sie eine Repressionswelle fürchteten. Dessen ungeachtet sei es in Campina zu Streiks und Zerstörungen von Zechen durch die Arbeiter gekommen, während radikale Eisenbahner Truppentransporte sabotiert und gefangene Bauern zu befreien versucht hätten.

Als nur wenige Wochen nach der Niederschlagung des Bauernaufstands Tausende Arbeiterinnen und Arbeiter in der Hafenstadt Galati in den Generalstreik traten, sei auch dieser unter Einsatz des Militärs blutig niedergeschlagen worden. So habe die staatlicherseits betriebene, aber auch von den Sozialdemokraten und Gewerkschaften mitvollzogene Spaltung gegriffen und Arbeitern wie Bauern eine Niederlage bereitet. Während die Regierung alle Unterlagen über den Bauernaufstand vernichten ließ, um dessen Spuren zu tilgen, habe Panait Musoiu dazu aufgerufen, in die Dörfer zu gehen und die verübten Greuel zu dokumentieren. Auch Gheorghiu sei diesem Aufruf nachgekommen und habe seine gewonnenen Erkenntnisse zu einem Vortrag verdichtet, den er in zahlreichen Städten auf Arbeiterversammlungen hielt.


Im Fadenkreuz staatlicher Repression

Stefan Gheorghiu wurde oftmals bedroht und nicht selten verhaftet, doch bot man ihm andererseits auch einen sicheren Job bei der Bahn an, was er ablehnte und öffentlich machte. Unter der Schlagzeile "Wie kultiviert man einen Anarchisten?" interviewte er sich selbst, und dieser Beitrag erschien auf der Titelseite der Zeitung. Nachdem alle Mittel versagt hatten, ihn unter Kontrolle zu bringen, suchte man nach einer Gelegenheit, ihm eine Falle zu stellen. Diese habe sich 1907 geboten, als er beim Besuch einer Arbeiterversammlung in Ploiesti Zeuge eines Brandes wurde, der noch vor Eintreffen der staatlichen Feuerwehr gelöscht werden konnte. Diese sei zwar zu spät gekommen, habe aber die Arbeiter beleidigt und geprügelt, was in einem Flugblatt öffentlich gemacht wurde. Dieses schob man Gheorghiu in die Schuhe und bezichtigte ihn des mit der Todesstrafe bedrohten Hochverrats, weil er seinen Einberufungsbefehl bereits in der Tasche hatte. Als sich der Autor des Flugblatts zu erkennen gegeben und die Arbeiterbewegung Maßnahmen zur Unterstützung ergriffen habe, sei er ins Militärgefängnis von Braila und später nach Galati verlegt worden, wo er neun Monate in Haft verbrachte. Die Bewegung habe zum Zeichen der Solidarität dort ihren Kongreß abgehalten und ihn in Abwesenheit ins Exekutivkomitee der Gewerkschaft gewählt.

Da der Einberufungsbescheid ihn noch nicht zum Soldaten gemacht hatte, mußte der Vorwurf des Hochverrats schließlich fallengelassen und das Verfahren einem bürgerlichen Gericht übertragen werden, das ihn dann freisprach. Die Folterhaft in einer Einzelzelle ohne Stroh oder Decke, in der er ohne Kleidung auf dem Boden schlafen mußte, der täglich mit kaltem Wasser begossen wurde, führte jedoch dazu, daß er sich verschiedene Krankheiten zuzog, darunter auch die Tuberkulose, an der er schließlich verstarb, so der Referent.


Wegweisende Kämpfe von bestechender Aktualität

Nach dieser Haftzeit habe Stefan Gheorghiu seine Aktivitäten zunehmend in die Hafenstädte Galati und Braila verlagert, wo er die Arbeiter bei Streiks und den harten Auseinandersetzungen mit den Vatafii, einer Art Sklavenhändler, die den Hafen beherrschten und im Auftrag der Kapitalisten willkürlich Löhne aushandelten, Arbeitszeiten festlegten und körperliche Züchtigungen vornahmen, unterstützte. Bei den großen Streiks von 1910 sowie 1913/14 sei er als Agitator und Organisator zugegen gewesen, und im Dezember 1913 habe sich auf sein Betreiben die Union der Transportarbeiter zu Wasser und zu Land gegründet, die sofort 7.000 Mitglieder hatte. Da Gheorghiu spätestens seit 1912 bei der Partei- und Gewerkschaftsführung in Bukarest in Ungnade gefallen war, habe diese versucht, die Gründung der Union zu verhindern, was ihr jedoch mißlang.

Gheorghiu habe 1912 auch zu den Autoren des Manifests "Krieg dem Kriege" gehört, das die Arbeiter am Vorabend des Ersten Weltkriegs aufforderte, sich nicht zu "Objekten der Reichen" zu machen und als Soldaten die Waffen niederzulegen. Da dieses Manifest nicht nur antimilitaristisch, sondern auch antinationalistisch gewesen sei, habe die Gewerkschafts- und Parteiführung den Abdruck zunächst verhindert und Druck auf die Syndikalisten ausgeübt. Diese Zensur schlug jedoch ins Gegenteil um, da sich zahlreiche Arbeitergruppen mit dem Manifest solidarisierten, bis ihre Führung in Bukarest letztendlich positiv darauf Bezug nehmen mußte.

Bereits vom Tode gezeichnet, habe Gheorghiu sich im militant geführten Generalstreik gegen die Einführung von Lastkränen in Braila engagiert, an dem sich Zehntausende Arbeiter beteiligten. Wie er in bestechender Klarheit argumentierte, griffen die Arbeitswerkzeuge die Existenz der Arbeiter an, solange sie Unternehmern gehörten und die kapitalistische Organisation der Arbeit existiere. Die Arbeiter würden auf die Straße geworfen, ohne woanders eine neue Anstellung zu finden. Hingegen vertrat die Gewerkschaftsführung die Position, man dürfe sich dem Fortschritt nicht verweigern, da es die Produktivkräfte zu entfalten gelte. Die Regierung stellte Braila unter Belagerungszustand und drohte, sie werde die Stadt eher in Schutt und Asche legen, als die Forderungen der Arbeiter, niemand dürfe entlassen werden, zu erfüllen. Als Soldaten als Streikbrecher im Hafen eingesetzt wurden, rief Gheorghiu sie auf, nicht auf die Arbeiter zu schießen, sondern sich mit ihnen zu solidarisieren, und schloß das Flugblatt mit dem Ruf: "Nieder mit dem stehenden Heer - es lebe die Volksbewaffnung!".


Fruchtbare Anregungen für die Diskussion unter Linken

Am 19. März 1914 starb Stefan Gheorghiu im Alter von nur 35 Jahren in einem Hospital in Bukarest. Obgleich auf dem Gewerkschaftstag 1913 das Verbot anarchistischer und syndikalistischer Propaganda beschlossen worden war, gaben ihm in der Hauptstadt Hunderte und bei der Beerdigung in Ploiesti Tausende Arbeiterinnen und Arbeiter mit schwarzen und roten Fahnen das letzte Geleit. Der weltbekannte Schriftsteller Panait Istrati, den seit 1909 eine enge Freundschaft mit Gheorghiu verband, würdigte ihn mit den Worten: "Wir haben keinen zweiten Propagandisten, der in der Lage ist, auch nur die Hälfte des Weges zurückzulegen, den Stefan Gheorghiu gegangen ist."

Trotz der zunehmenden Unterdrückung anarchistischer und syndikalistischer Positionen und Organisationen seitens der Sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaftsführung ließ sich Gheorghiu auch nach seinem Tod weder leugnen noch ignorieren, da er in der rumänischen Arbeiterschaft fortlebte. So vereinnahmten ihn die Sozialdemokraten und später die Kommunisten, obwohl sie die Auffassungen, für die er stand, stets abgelehnt und hintertrieben hatten.

Die damaligen Kämpfe der anarchistischen und syndikalistischen Arbeiterbewegung Rumäniens dem Vergessen zu entreißen, regt über die bloße Korrektur und Vervollständigung linker Geschichtsschreibung hinaus zu fruchtbaren Schlüssen für die heute aktuellen Auseinandersetzungen an. Die Militanz, mit der Stefan Gheorghiu in Wort und Tat unter Einsatz seines Lebens jedes reformistische Zurückweichen verwarf, auf Selbstorganisation und Autonomie beharrte, entschieden gegen Nationalismus und Krieg, aber auch Fortschrittsgläubigkeit und sozialistische Heldenverehrung zu Felde zog, wirft zweifellos Fragen auf, die aufzugreifen und weiterzuentwickeln einer Diskussion unter Linken gleich welcher Couleur sicher zuträglich wäre.


Fußnoten:

[1] https://syndikalismusforschung.wordpress.com/2012/03/17/stefan- gheorghiu-zum-gedenken/

[2] Martin Veith: Militant! Stefan Gheorghiu und die revolutionäre Arbeiterbewegung Rumäniens. Edition AV, Lich 2015, ISBN 978-3-86841- 134-8.

[3] Martin Veith: Unbeugsam - Ein Pionier des rumänischen Anarchismus - Panait Musoiu. Edition AV, Lich 2013, ISBN: 978-3-86841-076-1.


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