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BERICHT/067: 21. Linke Literaturmesse - gebrauchsmaskiert ... (SB)


Freiheitsversprechen Unterwerfung

Von der Vergeblichkeit selbstregulativer Zirkelschlüsse


"Erkenne dich selbst!" Was einst als Forderung an die Befreiung des Menschen aus naturhafter Unbewußtheit und sozialer Unmündigkeit verstanden wurde, wird heute durch den Blick auf das Display der Optimierungs-App übererfüllt. Die dort dokumentierten Werte physischer Befindlichkeit verraten alles über den Menschen, der sie generiert, an eine Instanz, die verspricht, dem Probanden desto mehr zu nutzen, als er sich ihrer grenzenlosen Datenerhebung unterwirft. Die Popularität dieser datengestützten Selbsterkenntnis verrät, daß Fragen zum eigenen Dasein oder der individuellen Vergesellschaftung keiner Antwort mehr bedürfen, die von den Agenturen gesellschaftlicher Sinnstiftung nicht längst gegeben wurde. Etwaige Probleme, die sich aus den Ergebnissen des Selftracking ergeben könnten, bewegen sich in mehr oder minder großen Ausschlägen um die Achse vermeintlicher Idealwerte und sind dementsprechend an diese anzugleichen. Die erforderliche Schrittzahl erreicht, die zugestandene Kalorienmenge nicht überschritten, die Zahl der zu schlafenden Stunden eingehalten und bei den Herz-Kreislaufwerten den grünen Bereich getroffen zu haben suggeriert, im Unterschied zu unbescheidenen Freiheits- oder Gerechtigkeitsidealen tatsächlich realisierbar sein zu können.

Mit der Angleichung aller Lebens- und Sterbenslagen an den Leistungsindex gesellschaftlicher Brauchbarkeit ist der Mensch so umfassend beschäftigt, daß kaum noch Platz bleibt, über den Horizont der herrschenden Verwertungsverhältnisse hinauszublicken, geschweige denn -zugehen. Unter dem Kommando der Deutungsmacht, die sich aus der Verallgemeinerung psychophysischer Verhaltens- und Leistungsparameter speist, anhand derer der einzelne Mensch seine Integrationsbereitschaft zu beweisen hat, ist die Haltlosigkeit einer Freiheit, die keiner weiteren Bestätigung bedarf, weil sie sich keiner ihr fremden Instanz oder Norm unterwirft, mit Angst und Furcht besetzt. Die unteilbare und unbeherrschbare Subjektivität sozialen Widerstands nimmt dementsprechend als das schlechthin Böse Form und Gestalt an, was erklärt, wieso Kommunismus, Klassenkampf und andere Begriffe des Bruches mit Unterwerfung und Unterdrückung in der öffentlichen und medialen Wahrnehmung so negativ besetzt sind.

Welches "Selbst" tritt beim Selftracking, der informationstechnischen Erfassung und Auswertung individueller Lebenspraxis, in Erscheinung? Das virtuelle Konglomerat aus Personen-, Verbrauchs- und Leistungsdaten dient dem statistischen Abgleich des einzelnen Menschen mit jeder beliebigen Vergleichsgruppe zu jedem nur denkbaren Zweck sozial- und gesellschaftspolitischer Intervention. Das bei der möglichst lückenlosen Bemessung individueller Aktivitäten entstehende Datenprofil hat ohne seine administrative Bewirtschaftung keinerlei Bedeutung, das gilt auch für den angeblich so großen Nutzen gesundheitlicher Evaluation. Ob der Mensch zu viel oder zu wenig ißt, ob er sich genügend bewegt, ob er Genußdrogen konsumiert oder Risikosportarten betreibt, wird unter den herrschenden Produktionsverhältnissen tendenziell gegen ihn gewendet.

Der neoliberalen Bezichtigungslogik gemäß, daß jeder selbst an seiner Misere schuld sei, blendet die psychophysische Objektivierung des Menschen die vielfältigen Bedingungen und Widersprüche seiner Vergesellschaftung aus. Krank wird er angeblich nicht durch die Unterwerfung unter fremdbestimmte Arbeit, die Ernährung mit industriell produziertem Junkfood oder die sozialdarwinistische Matrix, die sein Leben bis in die persönlichen Beziehungen hinein vergiftet. Krank wird er nach Maßgabe einer "Eigenverantwortung", deren Eigentumsanspruch synonym zum gesellschaftlichen Lehen des "Selbst" bloßer Platzhalter dadurch artikulierter Fremdinteressen ist, durch eigenes Fehlverhalten. Bilanziert wird die Abweichung von einer Norm, die niemand vollständig erfüllen kann, weil sie aus den Widersprüchen und Unvereinbarkeiten gesellschaftlicher Existenz zum Ideal absoluter Maßstäbe destilliert wurde. Die daraus erwachsende Bringschuld, die der einzelne gegenüber dem Nationalkollektiv, das das gesellschaftliche Gesamtprodukt erwirtschaftet, schon qua Geburt auferlegt bekommt, wird den Menschen von den Kanzeln der real existierenden Staatskirche herab als bitteres Schuldeingeständnis eingeimpft. "Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt und müssen den Gürtel enger schnallen" - die Ratio der Austeritätspolitik kennt keine Klassen, sondern nur Volk, Staat und Nation.

Wer dieses vermeintliche Gesamtinteresse nicht als in sich gebrochenes Gewaltverhältnis zu durchschauen in der Lage ist, wird in der gesellschaftlichen Leistungskonkurrenz immer tiefer in die Isolation getrieben. Der Nutzen der in Echtzeit produzierten Gesundheitsdaten und ihre Einspeisung in die Rechner des medizinaladministrativen Komplexes erschöpft sich nicht in der erweiterten Ökonomisierung der Krankenversicherten durch individuelle Risikoevaluation und daran angepaßte Krankenkassenbeiträge. Es ist die Herrschaft der Maßstäbe selbst, die zur Unterwerfung unter und Einspeisung in die große Maschine der Arbeitsgesellschaft zwingt. Das von der Optimierungs-App vermessene Selbst wird durch die Allgewalt der Normen und Werte produziert, deren Objektivierung zum verbindlichen Orientativ individueller Lebensführung an die Stelle des verbliebenen subjektiven Interesses tritt, dieser in abstrakte Zahlen und Verhältnisse gefaßten Anmaßung gegenüber unteilbar und unbeherrschbar zu sein.

Wer meint, mehr Kontrolle über sein Leben zu erlangen, indem er die Zurichtung auf die Leistungs- und Verbrauchsforderungen der Käufer seiner Arbeitskraft unter dem Titel "Selbstoptimierung" in vorauseilendem Gehorsam betreibt, beweist, daß sich hochentwickelte Sozialkontrolle kaum effizienter durchsetzen läßt als durch die Kolonisierung letzter Reste einer Subjektivität, die den Kampf gegen die Totalität der Entfremdung noch nicht aufgegeben hat. Perfekt in Form gebracht, tut der rundum (in)formierte Mensch genau das, was von ihm erwartet wird. Jegliche Abweichung wird durch das öffentliche Schuldverhältnis, gegenüber dem der einzelne Staatsbürger rechenschaftspflichtig ist, ins Minus einer Moral gesetzt, die das zentrale Vermittlungsmedium gesellschaftlicher Kommunikation bleibt.

Niemand will wirklich wissen, daß der Schmerz des anderen der eigene und damit, fernab jeglicher moralischen Verhandelbarkeit, unteilbar ist. Die Unterwerfung unter die paternalistische Gewalt wissenschaftlich fundierter Verhaltenskontrolle [1] setzt voraus, die moralischen Imperative sozialer Konkurrenz nicht in Frage zu stellen. Die Attribute nicht zu evaluierender und beherrschbarer Existenz - unter der Hegemonie positivistischer Wissenschaftlichkeit und empirischer Faktizität nurmehr als Negation in Erscheinung tretende Qualitäten wie Unteilbarkeit, Unvergleichbarkeit, Unergründlichkeit - preiszugeben ist bindende Voraussetzung dafür, am Versprechen auf Sicherheit und Wohlstand teilzuhaben. Da das Kalkül der neoliberalen "Risikogesellschaft", wie es jeglicher Inanspruchnahme geschäftlicher Risiken eigen ist, nur bedingt aufgeht, kann es jederzeit am Mut des Partisanen, der die Totalität ihres Kontrollanspruchs auf vielerlei Weise - Verweigerung, Subversion, Sabotage, Revolution - unterläuft, scheitern.


Im Vortrag vor Projektionswand mit Buch - Foto: © 2016 by Schattenblick

Simon Schaupp
Foto: © 2016 by Schattenblick

Kampf um Autonomie - Selftracking, Selbstoptimierung, Digitalisierung der Arbeit ...

"Welche politischen und ökonomischen Strukturen machen es notwendig, sich permanent selbst zu überwachen und zu optimieren?" fragt der Soziologe Simon Schaupp in seinem Buch "Digitale Selbstüberwachung - Self-Tracking im kybernetischen Kapitalismus" [2]. Seine Präsentation auf der Linken Literaturmesse erfüllte in Anbetracht des eng bemessenen Zeitrahmens durchaus den Anspruch, einen Einstieg in die Thematik zu schaffen, an den sich anknüpfen läßt. So erklärte der Referent anhand einiger Beispiele die Funktionsweise bekannter Apps, die das Leben angeblich leichter, vor allem aber durch Dritte kontrollierbarer machen. Dabei wird aus dem Ziel der Effizienzsteigerung kein Hehl gemacht, und warum auch? Nicht permanent auf das Rad beruflicher wie sozialer Leistungsabforderung gespannt zu werden, nehmen schließlich nur noch als "Loser" stigmatisierte Menschen in Anspruch, sieht man einmal von denjenigen ab, die über das materielle Privileg verfügen, vom Unbill drohender Armut nicht mehr erreicht werden zu können.

So wird auf der Webseite des Zeitmanagement-Tools Rescue Time dazu aufgefordert, seine "ideale Work-Life-Balance" zu finden. Die App verspricht dabei zu helfen, "Ihre täglichen Gewohnheiten zu verstehen, um sich konzentrieren und produktiver sein zu können" [3]. Andere Effizienzprediger waren allerdings schon vor Jahren weiter, indem sie der informationstechnischen Verdichtung der Arbeitsintensität gar nicht mehr die Vergeblichkeit der Hoffnung auf eine ausgewogene Work-Life-Balance abzugewinnen trachteten, sei doch die "Integration von Arbeit in das eigene Leben" viel sinnvoller, da sie Stress minimiere und die Produktivität steigere [4].

So wird - schon das technophile Design der Apps strahlt wissenschaftliche Objektivität aus - der Unterwerfung auch intimer Bereiche des persönlichen Lebens unter den Primat der Leistungssteigerung das Wort geredet. Tictrac etwa verspricht, das individuelle Sozialleben zu verwalten und all diejenigen sozialen Kontakte auszusortieren, die für das eigene Fortkommen nicht fruchtbar zu machen sind. Bei allen weiteren empfiehlt die App zudem, auf welchen Kanälen - ob elektronisch oder in real life, ob im Google Hangout oder per E-Mail - die jeweilige Kommunikation sinnvollerweise vonstatten gehen sollte.

Funktionalisierung und Verdinglichung sind Trumpf, nur von den Zwängen, die die digitalen Assistenten ausüben, ist niemals die Rede. Es geht um Quantifizierung, so Schaupp, um in der Verrechnungssumme Auskunft über mögliche Optimierung geben zu können, nicht um qualitative Analysen. Dabei kommt nur ein Bruchteil der Daten bei den Selftrackern an, während die meisten Informationen im Eigentum der Unternehmen verbleiben, um psychologische Profile zu generieren oder auf andere Weise verwertbar gemacht zu werden.

Aus dem Kurzschluß der Reflexion auf selbstgenerierten Daten soll der Mehrwert einer Selbstoptimierung erwirtschaftet werden, der als Anpassung an fremde Normen, als Unterwerfung unter die Forderungen der Käufer der eigenen Arbeitskraft und Lebenszeit von diesen angeeignet wird. So verbleibt die Selbsterkenntnis der Quantified-Self-Bewegung - Self Knowledge Through Numbers[5] - strikt im Kreis informationstechnisch prozessierter Selbstoptimierung. Wer einzuwenden wagt, ob sich dieser Anspruch denn mit Alter und Sterblichkeit vertrage, der wird durch die Ewigkeitspostulate des Transhumanismus, dessen Aktivitäten nicht zufällig von den großen IT-Konzernen finanziert und vorangetrieben werden, eines Besseren belehrt.

Für Schaupp ist die Überhöhung lohnabhängiger Arbeit zu einem Investivobjekt des Arbeitskraftunternehmers, der mit der Optimierung seiner Leistungsfähigkeit den eigenen Wert am Markt der Arbeitskäufer steigert, Ausdruck eines ausschließlich in quantitativer Form hervortretenden Kontrollanspruchs. Aus der klassischen Kybernetik weiterentwickelt bleibe die Grundidee von Sensormodell und Selbstorganisation, deren Regelkreisläufe ein dynamisches Gleichgewicht hervorbringen und so einen Entwicklungspfad bahnen, erhalten. So liege dem als Industrie 4.0 bezeichneten Innovationsschub die gleiche Idee der kybernetischen Kontrolle zugrunde wie beim Selftracking. Am Beispiel von Arbeitshandschuhen, die Bewegungen als nicht maximal effizient registrieren und ihrem Nutzer dies durch Vibrieren signalisieren, schildert der Referent, wie unterhalb der Schwelle einer konkreten Anweisung zur Selbstoptimierung aufgefordert wird.

Als der damalige BKA-Chef Horst Herold in den 1970er Jahren im Rahmen der Antiterrorpolitik versuchte, Repression mittels Rasterfahndung und daraus erwirtschafteter Gefahrenprognosen in Prävention zu verwandeln, hatte er das Predictive Policing dieser Tage bereits vorgedacht. Wenn heute mit der Auswertung großer Datenmengen die Grundlage für die Vorausberechnung von Verbrechen geschaffen wird, dann entspricht dies allerdings auch einem veränderten Staatsverständnis. Der klassisch liberale Verfassungsstaat, in dem erst nach erwiesener Tat sanktioniert wird, habe ausgedient, weil immer komplexere Bedrohungslagen dazu zwängen, bereits im Vorwege ihrer Manifestation zu handeln, so die Ratio des heutigen Maßnahmestaates. Das eröffnet diesem praktisch die Möglichkeit, Feindbilder fast nach Belieben aufzubauen und Mittel und Zweck zu verkehren.

Wenn schließlich mit der Auswertung großer Datenmengen Smart Governance betrieben wird, um alle gesellschaftlichen Widersprüche auf technische und somit mathematisierbare Probleme einzudampfen, dann können auch Google und Co. die Welt regieren. Schaupp bringt diese Entwicklung auf den Begriff des "kybernetischen Kapitalismus". In ihm wird Selftracking genutzt, um die Rationalisierung der Arbeit mit Hilfe von Prozessen der Selbstvermessung und Selbstoptimierung schließlich als Rationalisierung des Arbeiters selbst zu betreiben. Die Arbeit am Selbst wird zum Teil des Arbeitsprozesses, was nicht nur Kontrolle, sondern auch die Produktion der Ware Information im Prozeß der Datengenerierung bedeutet.

Diese Form von Effizienzsteigerung bedürfe keiner menschlichen Reflexivität mehr, so Schaupp, sondern gerade deren Ausschaltung, wie die entsprechenden Technologien versprechen. Der Mensch werde von der Notwendigkeit befreit, sich selbst wahrzunehmen, was immer subjektiv verzerrt sei. Wenn die maschinelle Reflexivität schließlich die Tendenz, sich selbst zu belügen, ausschalte, dann stelle sie objektive, weil strikt quantitative Wahrheiten zur Verfügung, auf deren Grundlage der Mensch sich optimal optimieren könne. Diese automatisierte, schließlich mit selbstlernenden Algorithmen ihrerseits ständig optimierte Reflexivität ist praktisch frei skalierbar - vom einzelnen Menschen über die lernende Fabrik bis zur Selbststeuerung eines ganzen Landes.

In der Diskussion, die sich an Simon Schaupps Vortrag anschloß, wurde dessen Ausblick mit weiteren Beispielen untermauert und auch in einzelnen Aussagen weitergedacht. Werner Seppmann, der mit Herrschaftsmaschine oder Emanzipationsautomat? Über Gesellschaft und Computer 2016 eine lesenswerte Kritik der Digitalisierung vorgelegt hat [6], erinnerte daran, daß das im ersten Schritt als allgemeine Anwendung gescheiterte Projekt Google Glass jetzt in der Arbeitswelt eingesetzt wird, ohne daß die Gewerkschaften wüßten, was auf sie zukommt. Jeder Taylorist sei daran verzweifelt, daß er den Arbeitern zwar auf die Finger gucken konnte, diese aber immer noch in der Lage waren, sich Freiräume zu verschaffen. Mit der im Rahmen der digitalen Rationalisierung der Arbeit eingeführten Brille werde nicht nur die Wahrnehmung der Arbeiter auf präformierte Bahnen geleitet, sondern nun könne auch das implizite Wissen - bislang im alleinigen Besitz der Arbeiter befindliche Fertigkeiten - durch die Unternehmen angeeignet und für weitere Verwendungen generalisiert werden.

Die von Schaupp zur Diskussion gestellte Freiwilligkeit des Selftracking, die sich viele institutionelle Akteure privatwirtschaftlicher wie öffentlicher Art zunutze machen, indem etwa im Gesundheitswesen die Verantwortung für Erkrankungen immer weiter ins Individuum verlagert werden, um Kosten zu sparen, bestritt ein Zuhörer grundsätzlich. Die schon in den 1990er Jahren erhobene Forderung des Lebenslangen Lernens sei nichts anderes als Selbstoptimierung, das Subjekt müsse sich ständig an Bedingungen des Systems anpassen, was also soll in dieser Gesellschaft freiwillig heißen? Seinem Verständnis nach gehe es beim "Kapitalismus 4.0" nicht nur um Enteignung, sondern wie beim Fließband auch um die Dequalifizierung von Arbeit. So erkläre die Brille dem Arbeiter genau, an welcher Stelle er welche Schraube einsetzen muß, was wie beim Fließband bedeute, daß die Anforderungen an die Ausbildung drastisch sinken können.

Zur Entwicklung vom fordistischen zum kybernetischen Kapitalismus merkte Schaupp an, daß es nicht mehr um eine Normalisierung des Taylorismus, also der Anpassung des Menschen an die Maschine gehe, da kein allgemeingültiger Standard mehr errechnet werde, an den sich alle anpassen müssen. Heute gehe es viel mehr um einen Individualismus, bei dem die Lohnabhängigen die Ziele der Arbeit in einem bestimmten Rahmen selbst definieren können. Sie dürfen immer noch sie selbst bleiben, dies aber auf maximal effiziente Weise, was etwas anderes sei als im Fordismus, wo alles über einen Kamm geschoren wurde.

Der von einem anderen Diskussionsteilnehmer aufgestellten Behauptung, Technik sei weder gut noch schlecht, sondern es komme immer darauf an, was man mit ihr mache, wurde unisono aus mehreren Mündern widersprochen. Zwar wurde dem Disputanten zugestanden, daß die jeweiligen Zwecke der Arbeit den herrschenden Klassenverhältnissen entspringen, aber Technologie sei immer auch Ausdruck derselben und folge bestimmten, nicht beliebig untereinander austauschbaren Imperativen.

Der aufschlußreiche Vortrag und die lebhafte Debatte zum Thema Selftracking, Selbstoptimierung und Digitalisierung der Arbeit in Nürnberg haben gezeigt, daß großer Bedarf daran besteht, den technologischen Herausforderungen der Zeit die Zukunft herrschaftskritischen, selbstbestimmten und widerständigen Denkens wie Tuns entgegenzustellen. Unter den bislang brachliegenden Feldern, auf denen sich eine kämpferische Linke aufrichten könnte, nimmt dieser epochale Wandel gesellschaftlicher Produktionsweisen [7] zweifellos einen wichtigen Platz ein, so daß eine breite, nicht auf linke Zirkel beschränkt bleibende Debatte zum Fokus neuen sozialen Widerstandes werden könnte.


Fußnote:

[1] HERRSCHAFT/1710: Liberaler Paternalismus - kein Widerspruch in sich ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1710.html

[2] http://www.graswurzel.net/verlag/digital.php#einleitung

[3] https://www.rescuetime.com

[4] REZENSION/593: Markus Lause und Peter Wippermann - Leben im Schwarm (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar593.html

[5] http://quantifiedself.com

[6] http://www.sozonline.de/2016/12/computer-und-gesellschaft/

[7] Wertwachstum durch qualifiziertes Informationsmanagement - Das "neue Öl" der digitalen Arbeitsgesellschaft
http://www.schattenblick.de/infopool/bildkult/report/bkrb0035.html
Unbescheidenes Erkenntnisstreben sprengt wissensökonomisches Kalkül - Vom gesellschaftlichen Wert der Ware Information
http://www.schattenblick.de/infopool/bildkult/report/bkrb0036.html


Berichte und Interviews zur 21. Linken Literaturmesse in Nürnberg im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → DIE BRILLE → REPORT:

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29. Dezember 2016


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