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BERICHT/104: 24. Linke Literaturmesse - Berufsverbote gestern und heute ... (SB)


Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden.
(Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von 7. April 1933)

Nach den Beamtengesetzen in Bund und Ländern darf in das Beamtenverhältnis nur berufen werden, wer die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt; Beamte sind verpflichtet, sich aktiv innerhalb und außerhalb des Dienstes für die Erhaltung dieser Grundordnung einzusetzen.
(Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. Februar 1972, S. 342 Faksimile, 1000dokumente.de)


Der "Radikalenerlaß" löste eine verfassungswidrige Überprüfung mehrerer Millionen und Verfolgung Zehntausender Anwärter für den öffentlichen Dienst oder dort bereits Beschäftigter aus: 3,5 Millionen sogenannte Regelüberprüfungen durch den Verfassungsschutz, 11.000 Berufsverbotsverfahren und etwa 1500 Berufsverbote. Der Erlaß richtete sich fast ausnahmslos gegen engagierte Linke, deren Spektrum von Universitätsangehörigen, Lehramtsanwärtern und Lehrern über Postboten und Bademeister bis hin zu Lokomotivführern reichte. In Publizistik und politischer Bildung wird darüber weitgehend geschwiegen, obgleich die Folgen für die unmittelbar Betroffen gravierend waren. Neben enormen materiellen Einbußen waren dies durchkreuzte berufliche Laufbahnen und Lebensperspektiven, nicht selten in Frage gestellte soziale Beziehungen und Brüche des Selbstbildes, so daß diese Menschen oftmals aus der Bahn geworfen wurden und man von zerstörten Biographien sprechen kann. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, in denen eine Teilentschädigung gerichtlich erkämpft wurde, blieben die hohen finanziellen Verluste bis heute ebenso unabgegolten wie es nie zu einer Rehabilitierung oder auch nur einer Entschuldigung von offizieller Seite kam.

Zudem war der Radikalenerlaß ein Instrument der Einschüchterung, das weit über die Zahl tatsächlicher Berufsverbote hinaus seine Wirkung entfaltete. Auch handelte es sich um ein verdecktes Parteiverbot gegen die DKP, da man es sich angesichts der neuen Ostpolitik 1969 nicht leisten konnte, sie zu verbieten. Wenngleich sie zugelassen wurde, bremste der Radikalenerlaß doch den Zustrom zu dieser Partei. Die Berufsverbote sind jedoch nicht nur ein finsteres Kapitel in der Geschichte der Bundesrepublik, denn sie wurden geraume Zeit später abermals angewendet und liegen noch immer in der Schublade, um in entsprechender oder innovativer Form erneut eingesetzt zu werden. Die Denunziation linker Projekte setzt sich bis heute fort. Den Radikalenerlaß und seine Folgen zu thematisieren, gebietet daher sowohl das weithin ignorierte Schicksal der Betroffenen als auch die Präsenz gleich- oder ähnlich gelagerter Instrumente der Repression, die heute zur Anwendung kommen oder künftig drohen.


Buchcover 'Wer ist denn hier der Verfassungsfeind!' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Foto: © 2019 by Schattenblick


"Wer ist denn hier der Verfassungsfeind!"

Im Rahmen der 24. Linken Literaturmesse in Nürnberg stellten Dominik Feldmann und Patrick Ölkrug das Buch "Wer ist denn hier der Verfassungsfeind! Radikalenerlass, Berufsverbot und was von ihnen geblieben ist" [1] vor, das sie gemeinsam mit drei weiteren Personen redaktionell betreut haben. Feldmann, Master of Education, promoviert in Köln zum Thema "Extremismus, Demokratie, politische Bildung - eine kritische Auseinandersetzung", Ölkrug studiert Politikwissenschaft in Marburg, beide gehören auch der Redaktion der Zeitschrift "Z - Marxistische Erneuerung" an. Als von 2004 bis 2007 von einem Berufsverbot Betroffener nahm Michael Csaszkóczy an der Buchvorstellung teil, der Realschullehrer für Geschichte und in der Antifa Heidelberg aktiv ist.

Im vorliegenden Band gehen Historiker, Politikwissenschaftler und Juristen der Vorgeschichte, politischen Funktion, historischen Einordnung, rechtlichen Bewertung und Auswirkung des Radikalenerlasses nach. Es werden ausgewählte Fälle vorgestellt, die Solidaritätsbewegungen mit den Betroffenen im In- und Ausland geschildert und die stockende Aufarbeitung nachgezeichnet. Und nicht zuletzt wird anhand neuerer Fälle die fortbestehende Aktualität dieses unbewältigten Komplexes staatlicher Repression nachgewiesen. Der Radikalenerlaß als eine Episode deutscher Geschichte ist aktuell nach wie vor präsent und schwebt wie ein Damoklesschwert über der Linken.


Beim Vortrag am Tisch sitzend - Foto: © 2019 by Schattenblick

Dominik Feldmann und Patrick Ölkrug
Foto: © 2019 by Schattenblick


Kontinuität repressiver deutscher Geschichte

Wie David Salomon in dem Buch schreibt, wird die Geschichte der Bundesrepublik als Erfolgsgeschichte in der deutschen Mehrheitsgesellschaft verkauft und in der Schule gelehrt: Angeblich erfolgreiche Entnazifizierung, Wirtschaftswunder, Zusammenführung der beiden Teile der Nation. Dem ist entgegenzuhalten, daß die Widersprüche kapitalistischer Vergesellschaftung wie Ausbeutung und Armut die Bundesrepublik als bürgerliche Demokratie immer geprägt haben. Wurden Kompromisse wie Sozialstaatlichkeit ausgehandelt, ging es um die bloße Glättung von Interessengegensätzen und Abwendung von Arbeitskämpfen, während die Grundwidersprüche bestehen blieben. Gelingt die Glättung von Konflikten nicht, wird Repression aufgefahren. In der BRD wurden von Beginn an Mechanismen geschaffen, um einzelne Menschen, Gruppen oder Parteien, die diese Widersprüche überwinden wollen und Vorschläge für eine bessere Zukunft machen, zu diskreditieren und mit Repression zu belegen, so Feldmann.

Weder ist die Ausschöpfung dieser repressiven Möglichkeiten ein Automatismus, noch sind Radikalenerlaß und Berufsverbote lediglich ein spezifischer Abschnitt in der deutschen Geschichte. Sie wirken bis heute fort, was um so bedeutsamer ist, als wir uns auf einen Tiefpunkt der Demokratie zubewegen, auf die etwas zu folgen droht, das Faschismus nahekommt. Es gibt aktuelle Fälle wie Kerem Schamberger und Benedikt Glasl in Bayern, die fast mit Berufsverbot belegt sind. Kompetenzen von Verfassungsschutz und Polizeien werden ausgeweitet, Seehofer bringt Berufsverbote wieder offen ins Spiel.

Berufsverbote sind ein deutsches Spezifikum, das es nirgendwo sonst in Europa gibt. Das deutsche Beamtenrecht ist geradezu feudal geprägt, es beruht auf Schutz und Treue, als unterstehe der Staatsdiener einem Lehensherrn. Wenngleich es in der Frühgeschichte der Bundesrepublik zu einer gewissen Entnazifizierung kam, war diese weder umfassend, noch hielt sie lange vor. Man muß im Gegenteil von einer Renazifizierung sprechen, da zahlreiche einflußreiche Positionen von Akteuren besetzt wurden, die bereits im NS-Staat ihr Unwesen getrieben hatten. Zu einer ersten Berufsverbotswelle kam es im Zuge der Bekämpfung der KPD bzw. der Wiederbewaffnungskampagne, doch war die Anwendung zu dieser Zeit nicht so massenhaft wie nach 1972, wie der Referent ausführte.

Beispielhaft sind zwei Richter am Bundesverwaltungsgericht zu nennen, die seinerzeit das Berufsverbot gegen die Lehrerin Anne Lehnhart wegen DKP-Mitgliedschaft bestätigt haben. Edmund de Chapeaurouge war in der NS-Zeit an Rassenschandeverfahren beteiligt. Rudolf Weber-Lortsch war unter anderem SA-Gruppenführer, Chef des Amtes für Verwaltung und Recht beim SS- und Polizeiführer in Norwegen und an der Deportation von Jüdinnen und Juden beteiligt. Beim Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1975, das die Praxis der Berufsverbote als verfassungskonform darlegte, hatte Willi Geiger den Vorsitz. Er erwirkte im NS-Staat als Staatsanwalt mehrere Todesurteile und schrieb in seiner Dissertation, daß diejenigen Journalisten für den Staat nicht tragbar seien, die sich in ihrer Betätigung als Schädlinge an Volk und Staat durch die Tätigkeit für die marxistische Presse erwiesen hätten. Diese Elite bestimmte die Grundpfeiler der Staatlichkeit des Grundgesetzes wie "Freiheitlich demokratische Grundordnung" und "wehrhafte Demokratie" im Sinne politischer Kampfbegriffe. Die FDGO legt fest, gegen wen sich die wehrhafte Demokratie durchsetzt und gegen wen nicht. Man wollte den Faschismus vergessen und den Feind im Osten sowie dessen Ableger in der BRD bekämpfen. Das nannte man Antitotalitarismus und später Antiextremismus, der zumeist gegen links gerichtet war. Über 90 Prozent der Berufsverbote richteten sich gegen Linke, obgleich die NPD in dieser Phase kurz davor war, in den Bundestag einzuziehen. Der Staatsschutzapparat entwickelte Dynamiken, die Exekutive und ihre Kompetenzen ständig zu erweitern. So mußten Gerichte nicht länger einer Person nachweisen, daß sie verfassungsfeindlich sei, sondern konnten ganze Organisationen und Parteien auf diese Weise einstufen. Die Berichte des Verfassungsschutzes legen willkürlich fest, welche Gruppierungen so einzustufen seien. Neuester Ansatz ist heute die Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Organisationen wie der VVN-BdA, Attac und Campact.

Der Radikalenerlaß wurde von der Ministerpräsidentenkonferenz unter Vorsitz von Willy Brandt ("Mehr Demokratie wagen") beschlossen. Wie eingangs zitiert, unterscheidet sich der Wortlaut nur geringfügig von dem des entsprechenden Gesetzes kurz nach der Machtübernahme der NSDAP. Was den Charakter des Erlasses am deutlichsten zeigt, ist die Formulierung, daß der öffentlich Bedienstete jederzeit Gewähr für seine Gesinnungstreue zu bieten habe. Dies ist eine klassische Beweislastumkehr, da der Angeschuldigte gefordert ist, für die Zukunft Zweifel an seiner Gesinnung auszuräumen. Das ist eigentlich dem bestehenden Rechtssystem vollkommen fremd und unmöglich zu erfüllen.

Die Länder übernahmen den Beschluß größtenteils, das Saarland angeblich nicht. Es gab mehrere Bundesverfassungsgerichtsurteile, das interessanteste 1975, wonach er rechtmäßig, aber der Einzelfall entscheidend sei, nicht die Mitgliedschaft in einer Organisation, woran sich einige Länder jedoch nur bedingt hielten. Nach dem Urteil von 1979 wurde die Regelabfrage peu à peu abgeschafft, zuletzt 1991 in Bayern. Viele wehrten sich gegen die Drangsalierung: Prominentestes Beispiel ist Dorothea Vogt, die 1995 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Recht bekam. Auch die Internationale Arbeitsorganisation verurteilte die Bundesrepublik, was jedoch ebenfalls weitgehend folgenlos blieb.

Nach Abschaffung der Regelabfrage in Bayern wurde ein Fragebogen eingeführt, in dem man ankreuzen muß, zu welcher Organisation man gehört. VVN, Linksjugend 'solid', SDS, Rote Hilfe und viele mehr sind aufgeführt. Dort gibt es seit etwa zwei Jahren zudem wieder Regelanfragen für Richter. Johannes Agnoli hat es einmal so formuliert: Es kommt auf die Zeit an. Braucht man so autoritäre Maßnahmen oder nicht. Sie sind jederzeit möglich, die Bestimmungen gelten bis heute. Es sind Schubladengesetze, all das ist jederzeit reaktivierbar, deshalb lohnt es sich, heute darüber zu sprechen, so die Referenten.


Beim Vortrag am Tisch sitzend - Foto: © 2019 by Schattenblick

Michael Csaszkóczy
Foto: © 2019 by Schattenblick


Im Visier des Geheimdienstes - ein Betroffener erzählt

Michael Csaszkóczy erzählte ungeachtet aller Härten, durch die er sich kämpfen mußte, nicht nur sehr aufschlußreich, sondern auch höchst unterhaltsam und nicht ohne Ironie über das gegen ihn verhängte Berufsverbot und seine aktuelle Situation. Nach Ende seines Referendariats in Heidelberg erhielt er ein Schreiben, das ihn zu einem "vertieften Einstellungsgespräch" zitierte, in dem es um Zweifel an seiner Verfassungstreue ging. Er kannte das zwar aus klassischen Liedern wie jenen von Franz Josef Degenhardt, war sich aber nicht bewußt, daß es so etwas immer noch gab. In diesem Verhör reichte die Mitgliedschaft bei einer verdächtigten Organisation aus, in seinem Fall die Antifaschistische Initiative Heidelberg und zusätzlich dann noch die Rote Hilfe und die VVN. Er beriet sich mit einem Anwalt und Genossinnen, rief aber auch "ganz blöd" beim Regierungspräsidium an, um zu erfahren, was denn überhaupt los sei. Im Telefongespräch erhielt er zur Antwort, es liege ein 20seitiges Geheimdienstpapier über ihn vor. Man könne jetzt nicht alles vorlesen und nenne daher einfach die letzten Punkte. Die Situation war auch deshalb absurd, weil ihm als im Grunde unbekannten Anrufer ohne weiteres aus einem Geheimdienstpapier vorgetragen wurde. In der Summe der Erkenntnisse gebe es Zweifel an seiner Verfassungstreue, wurde ihm mitgeteilt.

Es kam dann zum Verhör, das abgebrochen wurde, sobald er seine Mitgliedschaft einräumte. Sie wollten noch wissen, ob er sich zu einem Grundlagenpapier der Antifa-Initiative bekenne, worauf er, perplex wie er war, mit "ja, äh" antwortete. Da standen so banale Dinge drin wie, daß Militanz ein legitimes Mittel im Kampf um Befreiung in der Geschichte sei. Wie soll man sich davon distanzieren? Oder: Wir sind der Auffassung, daß sich an den grundlegenden Machtverhältnissen auf parlamentarischem Wege nichts ändert. Deswegen arbeiten wir basisdemokratisch in der außerparlamentarischen Opposition. An dieser Stelle wurde er darüber aufgeklärt, daß das Basisdemokratische verfassungsfeindlich sei, worauf er eher nicht gekommen wäre, so Csaszkóczy.

Während vor Ort offensichtlich inhaltlich desinteressierte Bürokraten am Werk waren, die nur alles formal richtig abwickeln wollten, zeichnete sich in der Folge ab, daß ihr Auftrag von höchster Ebene kam, nämlich von der damaligen Kultusministerin Annette Schavan und vom Innenministerium, sprich dem Verfassungsschutz. Es dauerte eine Weile, bis die Gegenkampagne ins Rollen kam, zuerst war die Rote Hilfe zur Stelle, was sehr hilfreich, aber wiederum ein Hindernis für die weitere Solidarität war. Bis die GEW mit ins Boot kam, war fast ein Jahr verstrichen. Angesichts einer Kontroverse in den Medien erwiderte Schavan auf die Kritik, der Radikalenerlaß sei doch ein finsteres Kapitel der deutschen Geschichte, daß es sich um eine Regelabfrage handle. Unser Geheimdienst sei so gut, daß er seine Erkenntnisse von sich aus mitteile. Niemand könne verlangen, daß man das ignoriere.

Das zog sich jahrelang hin bis zum Verwaltungsgerichtshof Mannheim, der schließlich befand, daß die Sache grundrechtswidrig sei und das Verfahren neu überprüft werden müsse. Csaszkóczy wurde letzten Endes eingestellt, aber nicht in Heidelberg, sondern weit weg in eine kleine Schule zwischen Odenwald und Kraichgau geschickt. Am Tag seiner Einstellung wurde die Schule von der Presse belagert, und wenig später standen die Neonazis vor der Tür, um gegen ihn zu demonstrierten. Da er jahrelang nicht unterrichtet hatte und nun unter ständiger Beobachtung stand, sei dies seine härteste Zeit gewesen.

Er nahm unterdessen Kontakt zu vielen Leuten auf, die in den 70er Jahren Berufsverbot gehabt hatten. Etliche haben zusammengefunden und kämpfen um ihre Rehabilitierung, doch sind sie inzwischen in einem Alter, wo die Leute wegsterben, ohne jemals auch nur eine Entschuldigung erhalten zu haben. Viele von ihnen glaubten aus innerster Überzeugung, daß sie es seien, die für Demokratie, Frieden und Menschenrechte streiten, und litten unter diesem Widerspruch. Er selbst habe im Zweifelsfall angeführt, daß er sich gegen deutsche Angriffskriege, die Abschaffung des Asylrechts und die Aushöhlung von Grundrechten engagiere, also klar auf seiten der Verfassung stehe. Gleichzeitig sei es wahnsinnig schwierig für ihn gewesen, in diesen Wettbewerb um die staatsfrömmste Gesinnung einzutreten.

In Anbetracht des Urteils aus Mannheim zog er die Konsequenz, die Schuldhaftigkeit des Landes feststellen zu lassen, was ihm als einem von ganz wenigen auch gelungen ist. Dorothea Vogt war nach dem EuGH im Vergleich und bekam freiwillig eine Entschädigung zugesprochen. In seinem Fall wurde das Land Baden-Württemberg verurteilt, ihm einen Teil seiner Bezüge aus diesen Jahren zu zahlen, was gerade ausgereicht habe, die Schulden zu tilgen. Da mit dem Urteil die Schuldhaftigkeit festgestellt wurde, heißt das, daß wissentlich Menschenrechte verletzt wurden. Zudem führte er ein Verfahren gegen den Verfassungsschutz und bekam tatsächlich Einsicht in seine Akten, die jedoch größtenteils geschwärzt waren. Zu sehen waren nur offenbar gezielt lesbar gelassene Signale, etwa daß es Spitzelberichte gab und eine Email abgefangen wurde. Daß er nicht mehr zu sehen bekam, begründete das Gericht damit, daß im geschwärzten Teil belastende Dinge enthalten sein könnten, wegen denen er weiter beobachtet werden müsse. Also habe der Geheimdienst das Recht, ihn weiterhin als Verfassungsfeind zu bezeichnen, auch wenn er inzwischen als Lehrer lebenslang verbeamtet sei, und dürfe ihn weiter beobachten.

Bei den Betroffenen aus den 70er Jahren ist von denen die Rede, die Solidarität erfahren haben. Das waren oft Leute aus der DKP, die durch die Partei Rückhalt fanden. Bei Leuten aus den K-Gruppen, aus der außerparlamentarischen Opposition und dem damaligen RAF-Umfeld war das hingegen nicht immer so. Auch unter den DKP-Leuten sind vor allem jene bekannt, die gekämpft haben und gestärkt daraus hervorgegangen sind, so Csaszkóczy. Wir reden nicht von denen, die daran zerbrochen sind, und das waren nicht wenige. Man müsse darüber sprechen, was dauerhafte Überwachung durch die Geheimdienste bedeutet. Ihm selbst sei aus seinen Aktenauszügen bekannt, daß offenbar Interesse besteht, ein neues Verfahren gegen ihn aufzurollen. Anlaß dazu bietet eine Strafanzeige der AfD, an deren öffentlicher Wahlkampfveranstaltung in den Räumen der Stadtbücherei Heidelberg er teilnehmen wollte. Die AfD erteilte ihm Hausverbot, und die Polizei trug ihn hinaus. Zwei Tage vor der Verhandlung wurde die Richterin ausgewechselt, was sehr ungewöhnlich ist. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei der neuen Richterin um die Schwiegertochter des AfD-Gründers Albrecht Glaser, die das Gericht in eine Festung verwandeln ließ. Es gab zwei Flughafenschleusen, religiöse Symbole wie Kippas mußten im Gerichtssaal abgenommen werden, die Besucher wurden gefilzt und zwischen ihm und dem Publikum wurde eine Absperrung errichtet. Wie vorab zur Begründung angeführt wurde, sei er ein gefährlicher Rädelsführer der linken Szene. Im Urteil hieß es dann gleichlautend, daß seine Rechtsauffassung zwar zutreffe, aber nicht für ihn gelte, weil er eben ein gefährlicher Rädelsführer sei.

Seiner Erfahrung nach ist heute unter Jüngeren wenig Faktenwissen über den Radikalenerlaß vorhanden, doch wüßten sie vom Grundgefühl her, was da passiert ist. Bei Veranstaltungen an Pädagogischen Hochschulen sagten ihm viele Studierende allen Ernstes, sie dürften jetzt nicht mehr demonstrieren gehen, weil sie Lehrer werden wollten. Das sei zwar nirgendwo nachzulesen, komme aber immer so rüber. Die Einschüchterung wirke, und man könne ihr nur offensiv begegnen, auch wenn das für die Betroffenen oft weh tue, unterstrich Csaszkóczy. Auch ihn hätten diese Jahre gebeutelt, doch könne schließlich niemand garantieren, daß linke Politik in Deutschland ungefährlich sei. Es gebe aber Spielräume, in denen man dieser Bedrohung offensiv begegnen kann, und je mehr Leute das machten, um so schwieriger werde es für die Gegenseite.

Obwohl bekannt sein sollte, wes Geistes Kind der Verfassungsschutz ist, wird nach jedem neuen sogenannten Skandal von Behördenversagen gesprochen und ein weiterer Ausbau des Geheimdienstes gefordert, so Csaszkóczy abschließend. Er komme aus einer staatskritischen Szene und habe gelernt, darauf zu beharren, daß wir diejenigen sind, die mehr Demokratie, Gleichheit und Menschenrechte wollen. Ich lasse mir das nicht wegnehmen, weil Leute daraus hohle Staatsphrasen machen. Es wäre total unvernünftig, wenn wir davon Abstand nähmen.


Gruppenbild der drei Referenten - Foto: © 2019 by Schattenblick

Offensiv gegen Einschüchterung und Repression
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnote:


[1] Heinz-Jung-Stiftung (Hg.): Wer ist denn hier der Verfassungsfeind! Radikalenerlass, Berufsverbot und was von ihnen geblieben ist. Redaktion: Dominik Feldmann / Patrick Ölkrug, in Zusammenarbeit mit Renate Bastian, Gerhard Fisch und André Leisewitz. PapyRossa Verlag Köln 2019, Paperback 230 Seiten, 18,00 EUR, ISBN 978-3-89438-720-4


Berichte und Interviews zur 24. Linken Literaturmesse in Nürnberg im Schattenblick unter:
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12. November 2019


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