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INTERVIEW/120: Messe links - Grafik Intervention und Richtigstellung ...    Thomas Fatzinek im Gespräch (SB)


Interview am 3. November 2018 in Nürnberg


Thomas Fatzinek ist kein ausgemachter Comicfan, und die grafische und zeichnerische Arbeit bereitet ihm durchaus Mühe. Bei der Vorstellung seines Werkes "Die Schönheit der Verweigerung" auf der 23. Linken Literaturmesse in Nürnberg kommt der profilierte Verfasser zeitgeschichtlicher Graphic Novels so unprätentiös daher, daß um so deutlicher wird, wie sehr ihn die Schicksale widerständiger Menschen zur Zeit des NS-Faschismus ganz persönlich betreffen. Die Ereignisse, die ihn berühren, geben Anlaß zu ihrer bildhaften Vermittlung, so daß Thomas Fatzinek durchaus als künstlerischer Überzeugungstäter bezeichnet werden kann.

Wie er in Nürnberg berichtete, faßte er schon als junger Antifaschist vor 30 Jahren den Entschluß, den Aufstand der bewaffneten Kräfte der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) im Februar 1934 gegen die austrofaschistische Dollfuß-Regierung zeichnerisch zu verarbeiten und damit dem Vergessen zu entreißen. Der nach nur vier Tagen gescheiterte Aufstand des Republikanischen Schutzbundes war der erste bewaffnete und organisierte Arbeiterwiderstand gegen ein faschistisches Regime in Europa. Bis zu 80.000 Kämpfer hatte der Schutzbund unter Waffen, von denen sich viele danach in den Internationalen Brigaden an der Verteidigung der Spanischen Republik gegen die Putschisten General Francos beteiligten.

Um die Geschichte des Schutzbundaufstandes ins Bild setzen zu können, nahm Thomas Fatzinek im Jahr 2000 an der Wiener Kunstschule das Studium der Druckgrafik auf, als dessen Diplomarbeit er 2004 die unter dem Titel "Als die Nacht begann" bei bahoe books veröffentlichte Graphic Novel über dieses so wichtige Ereignis linken Widerstandes vorlegte. Daß sich lange Zeit kein Verlag für dieses mit Druckvorlagen, die im Holzschnittverfahren gefertigt wurden, hergestellte Werk fand, liegt wohl auch daran, daß dieses Thema den SozialdemokratInnen Österreichs wie den SachwalterInnen der österreichischen Rechten eher unangenehm ist. Die Linke scheiterte im antifaschistischen Kampf nicht zuletzt an der eigenen Zerrissenheit, was an das Versagen der SPD beim bewaffneten Widerstand gegen das aufziehende NS-Regime in Deutschland denken läßt. Die Neue Rechte wird vermutlich ungern mit dem hausgemachten Faschismus ihrer Großväter konfrontiert, kratzt dieser doch an dem Mythos, daß die Bevölkerung Österreichs lediglich Opfer des NS-Faschismus und nicht auch tatbeteiligt war.


Thomas Fatzinek und das Buch 'Die Stärkeren' - Foto: © 2018 by Schattenblick

Ausdruckstark, scharf konturiert - bildgebendes Verfahren mit großer Tradition
Foto: © 2018 by Schattenblick

Zu den KommunistInnen, die nach dem Schutzbundaufstand in Spanien kämpften, gehörte auch der Wiener Hermann Langbein. Er wurde nach dem Scheitern der Spanischen Republik in Frankreich interniert und 1941 nach Deutschland ausgeliefert. Ins KZ Auschwitz gesteckt, setzte Langbein den Kampf dort fort, indem er sich um die Organisation des internationalen Widerstandes gegen die SS-Schergen kümmerte. Sein 1947 verfaßtes Buch "Die Stärkeren - Bericht aus Auschwitz und anderen Konzentrationslagern" hat Thomas Fatzinek so beeindruckt, daß er es im Linolschnittverfahren in eine grafische Erzählung umsetzte.

Auch dieses Werk wurde bei bahoe books veröffentlicht, nachdem der Künstler lange Zeit keinen Verlag gefunden hatte, so daß er "Die Stärkeren" zuerst in Eigenregie herausbrachte. In "Die Schönheit der Verweigerung" erzählt er die Geschichte des Widerstandes im Salzkammergut und im Toten Gebirge, der von desertierten Soldaten und geflüchteten Häftlingen wie dem Spanienkämpfer Sepp Plieseis ausging. Er verfügt über eine für KommunistInnen damals typische Biografie - nach der Niederlage der Spanischen Republik in Frankreich interniert, ins KZ Dachau eingeliefert, von dort aus in ein in Österreich gelegenes Außenlager überstellt, aus dem er floh, um den Widerstand in Oberösterreich aufzubauen. Auch wenn es dort nicht zu regelrechten Gefechten kam, so banden die im Gebirge lebenden PartisanInnen doch militärische Kräfte durch ihre Anwesenheit und waren dabei, als Bad Ischl befreit und die dort herrschenden Nazis gefangengenommen wurden. Plieseis' autobiografisches Buch "Partisan der Berge - Lebenskampf eines österreichischen Arbeiters" wurde 1971 in der DDR veröffentlicht und hat, wie die Bücher des zu dieser Gruppe gehörenden KPÖ-Genossen Franz Kain, den Zeichner zu seiner Arbeit inspiriert.

Im Toten Gebirge befand sich auch der letzte Zufluchtsort des hochrangigen österreichischen SS-Funktionärs Ernst Kaltenbrunner, an dessen Verhaftung die PartisanInnen beteiligt waren. Als Chef des Reichssicherheitshauptamtes war er unter anderem für die Truppen verantwortlich, die im Rücken der Ostfront bis Kriegsende rund eine Million Menschen ermordeten. Er wurde 1946 unweit des Veranstaltungsortes der 23. Linken Literaturmesse im Gerichtsgebäude an der Fürther Straße in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen zum Tode verurteilt und durch den Strang hingerichtet.

Ebenfalls gezeichnet und koloriert hat Fatzinek das Leben der Schriftstellerin und Schauspielerin Lili Grün. Die in Wien geborene sozialistische Aktivistin gehörte zur linken Kabarettszene in Berlin, wo sie mit Ernst Busch, Annemarie Hase und Hanns Eisler zusammenarbeitete. Zu ihrem literarischen Werk zählt der Roman "Herz über Bord", in dem sie ihre Berliner Erlebnisse verarbeitete. Nach dem Anschluß Österreichs an Hitlerdeutschland im März 1938 konnte die Jüdin nicht mehr schriftstellerisch arbeiten. Im Mai 1942 wurde sie aus Wien deportiert und unmittelbar nach ihrer Ankunft im Vernichtungslager Maly Trostinez am 1. Juni 1942 ermordet. Fatzinek hat Lili Grün in "Schwere Zeiten" mit viel Liebe fürs Detail ein trauriges Denkmal gesetzt. Das letzte Bild zeigt Lili Grün beim Warten auf den Zug, der sie in den Tod transportieren wird. Der Zeichner benutzt an dieser Stelle wieder den Linolschnitt, denn in diese Ohnmacht reichen keine Farben. In die weiße Rauchwolke, die aus dem Schlot der Lokomotive quillt, hat Fatzinek ein Zitat aus einem Gedicht Lili Grüns montiert: "Und immer wieder wenn die geliebte Eisenbahn / dich deinem Ziel entgegenbringt / wirst du mit fiebernden Wangen und / klopfendem Herzen die Ankunft erleben: / Wie schön ist diese Welt." [1]

Zur Zeit arbeitet Fatzinek an einer grafischen Erzählung über die Aufstände in den Ghettos von Vilnius und Bialystok und den Partisanenkampf der Überlebenden in den Wäldern der Region. Diesen Akten jüdischen Widerstandes mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, da sie nicht weniger wichtig sind als der Aufstand im Warschauer Ghetto, ist ein Ansinnen, daß der Zeichner mit dem neuen Buch verfolgt. Im Anschluß an die Präsentation beantwortete Thomas Fatzinek dem Schattenblick noch einige Fragen zur politischen Situation in Österreich und zu seiner Arbeit.


Im Gespräch - Foto: © 2018 by Schattenblick

Thomas Fatzinek
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Der österreichische Faschismus hat sich ja zugleich vom deutschen Nationalsozialismus abgegrenzt wie in ideologischen Grundzügen mit ihm übereingestimmt. Wie kann man dieses ambivalente Verhältnis verstehen?

Thomas Fatzinek (TF): Deutschland und Österreich waren enge Verbündete von Mussolini, aber als dieser sich mit Hitler arrangiert hat, war klar, daß sich der Austrofaschismus nicht mehr halten kann. Der Austrofaschismus war stark katholisch geprägt, also christlich-sozial wie im Falle der heutigen ÖVP. Im Grunde war es einfach katholischer Klerikalfaschismus, das kann man sagen, und insofern natürlich mit dem Nationalsozialismus nicht so kompatibel. Hinzu kam noch dieser Österreich-Patriotismus. Klar war aber immer, daß die Arbeiterbewegung vom Austrofaschismus wie von den Nazis gefürchtet war.

SB: Inwiefern spielen Ideen, die sich in der k.u.k.-Epoche entwickelt hatten, heute noch eine Rolle für die starke Hinwendung zum Nationalistischen in Österreich?

TF: Ich denke, die Geschichte spielt immer mit hinein. Aber auch wenn es ab und wann natürlich irgendeinen in der ÖVP gibt, der die Monarchie wieder einführen will, ist es jetzt nicht so, daß es der Mainstream wäre.

SB: Theoretisch hätte die multikulturelle Gesellschaft dieser Epoche auch eine Vorbildfunktion für heute haben können. Warum ist das nicht so?

TF: Naja, das ist einfach die österreichische Xenophobie. Fremdenhaß, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus gehören zu dem Land. Das muß man immer mitdenken.

SB: Du hast in deiner Geschichte die Figur des österreichischen Partisanen eingeführt, von der man tatsächlich wenig weiß. Inwieweit wird das heute in Österreich außerhalb linker Publikationen gewürdigt?

TF: Eigentlich gar nicht, auch wenn man schon etwas darüber erfahren kann. Thematisiert wird das zum Beispiel in den Büchern von Sepp Plieseis und Franz Kain. Wäre der Franz Kain kein Kommunist gewesen, dann wäre er einfach der Volksschriftsteller Österreichs geworden, aber so ist er einfach totgeschwiegen worden. Seine Bücher sind in der DDR erschienen, weil kein Verlag einen Vaterlandsverräter abgedruckt hat.

SB: Gleichwohl hast du mit deinen Büchern Resonanz erzeugt, es gibt also durchaus ein Interesse an gegenläufigen Positionen.

TF: Ja, das Interesse ist vorhanden.

SB: Ist es mit der neuen ÖVP/FPÖ-Regierung stärker geworden?

TF: Ich habe zumindest den Eindruck. Wenn ich Leute treffe, die ich von früher kenne oder mit denen ich studiert habe, die aber nie politisch engagiert waren bzw. sich auch nur für das Thema interessiert hätten, dann zeigen sie plötzlich Interesse, weil sie sehen, das ist nicht irgend etwas Abstraktes, sondern es geht um unser Leben.

SB: Du erwähntest vorhin, daß du nicht zum Zeichner geworden bist, weil du von der Welt der Comics begeistert warst. Was hat dich motiviert?

TF: Nun, es gab immer wieder welche, die mich interessiert haben, aber so ein richtiger Comicfan, der jede Neuerscheinung kennt, bin ich nicht. Inspiriert haben mich bestimmte Leute wie Gerhard Seyfried zum Beispiel, dessen Bücher ich geliebt habe.

SB: Heute abend kommt Jacques Tardi. Kannst du noch etwas über ihn sagen?

TF: Naja, mir gefallen auch seine unpolitischen Arbeiten, so seine Umsetzungen der Bücher von Jean-Patrick Manchette oder anderer Krimis, die er als Graphic Novel verarbeitet hat. Diese Idee hatte ich auch. Für einen Krimi von Manchette hatte ich sogar schon das Storyboard gezeichnet, aber dann ist das Buch vom großen Meister persönlich herausgekommen, und da habe ich mir die Arbeit erspart. Von Tardi gibt es zum Beispiel vier Bände über die Pariser Commune, und außerdem hat er viel über den Ersten Weltkrieg gemacht.

SB: Und wie würdest du seinen Einfluß auf die politischen Comics in Europa bezeichnen, hat er da einen herausragenden Stellenwert?

TF: Auf jeden Fall, aber nicht nur im politischen Sinne, er ist eben ein großartiger Comiczeichner.

SB: Thomas, vielen Dank für das Gespräch.


Buchpräsentation 'Die Schönheit der Verweigerung' - Foto: © 2018 by Schattenblick

Alpenpanorama einmal anders ...
Foto: © 2018 by Schattenblick


Fußnote:


[1] http://www.bahoebooks.net/start_de.php?action=202&post=27


Berichte und Interviews zur 23. Linken Literaturmesse in Nürnberg im Schattenblick unter:
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