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INTERVIEW/126: 24. Linke Literaturmesse - Dialektische Infragestellung ...    Gunnar Schedel im Gespräch (SB)


Gunnar Schedel ist Geschäftsführer des Alibri-Verlages, der über ein betont säkulares und humanistisches Selbstverständnis verfügt. Das in Aschaffenburg ansässige Unternehmen ist regelmäßig auf der Linken Literaturmesse in Nürnberg vertreten. Alibri war mit zwei Buchpräsentationen - Rudolph Stumberger "Utopie konkret - und was daraus geworden ist" und André Sebastiani "Anthroposophie - Eine kurze Kritik" - am Begleitprogramm der Messe beteiligt.


Am Stand des Alibri-Verlages - Foto: © 2019 by Schattenblick

Gunnar Schedel
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Ihr habt ein betont religions- und weltanschauungskritisches Programm. Wie seid ihr darauf gekommen, insbesondere über Themen wie Anthroposophie, Esoterik und ähnliches zu publizieren?

Gunnar Schedel (GS): Na ja, ich denke halt, daß Religionskritik, wie der olle Marx gesagt hat, tatsächlich der Anfang aller Kritik ist, weil sie in einen Bereich vorzudringen versucht, der gegen Kritik immunisiert werden soll. Nicht nur bei Religionen, sondern bei vielen Weltanschauungen, ob jetzt religiös oder nicht religiös, gibt es ein Bedürfnis, eine Mauer gegen Kritik aufzubauen. Das ein wenig anzubohren und mit Argumenten wie mit Karikaturen, die wir mittlerweile ebenfalls veröffentlichen, kleine Nadelstiche zu setzen, finde ich nach wie vor sehr wichtig für die Linke.

SB: Was hältst du von der These, daß sich in linken Debatten und Zusammenhängen doktrinäre Strukturen quasireligiösen Charakters bilden können, bei denen sich politische Prinzipien auf prekäre Weise verselbständigen und gegen Kritik abgeschottet werden?

GS: Ja, das würde ich auf alle Fälle so sehen. Viele der identitätspolitischen Debatten haben so einen Einschlag, das gilt auch für viele der Debatten, die sich um Ökologie, Veganismus drehen. Weil das grundlegende Anliegen richtig ist, ist es um so wichtiger, diesen kritischen Impuls auch bei den jeweiligen Themen zu erhalten und immer darauf zu dringen, selbstreflexiv zu sein, und immer darauf zu dringen, daß Kritik ganz selten wirklich destruktiv ist. Kritik eröffnet eigentlich die Möglichkeit für die gesellschaftliche Umgestaltung, die wir vorhaben. Sie ist eine Voraussetzung dafür, daß die Dinge in Fluß geraten und im Fluß bleiben. Deshalb bemühen wir uns, dazu spannende Titel vorzulegen.

SB: Würdest du sagen, daß der dialektische Materialismus noch eine Rolle in der weltanschaulichen Kritik spielt, oder würdest du ihn seinerseits einer weltanschaulichen Dogmatik zurechnen?

GS: Oh, ich glaube, es gibt Ausprägungen, die zur weltanschaulichen Dogmatik gehören, aber ich hatte ja eingangs schon Marx zitiert. Ich glaube, daß dort noch emanzipatorische Anknüpfungspunkte vorhanden sind Es ist eben immer eine Frage, wie setzt du eine Theorie, ein Analyseinstrumentarium ein, und ich denke, der dialektische Materialismus verfügt über Instrumente, die für eine Weiterentwicklung der Gesellschaft genutzt werden können. Du kannst sie auch für ganz andere Sachen wie Herrschaftsstabilisierung nutzen, das geht natürlich auch.

SB: Was ist derzeit in eurem Programm in dieser Hinsicht relevant und empfehlenswert?

GS: Wir haben dieses Jahr das hundertjährige Jubiläum der Waldorf-Schulen und wir haben nicht aus diesem Anlaß, aber es trifft sich gut, dazu eine kritische Einführung in die Anthroposophie vorgelegt. Im Bildprogramm haben wir ein Buch im Alibri-Verlag gemacht, das die wenigsten Buchstaben aufweist. Es kommen nur zwei Buchstaben vor, A und B. Es geht um eine doktrinäre Versteifung von Gesellschaft eben auf den Buchstaben A, sonst kommt nichts vor, doch der Protagonist, der schafft es dann, den Buchstaben B einzuführen.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.


Buchauslage mit aufgestelltem Titel - Foto: © 2019 by Schattenblick

Am Stand des Alibri-Verlages die Graphic Novel "A" von Pavel Cech
Foto: © 2019 by Schattenblick


10. November 2019


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