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INTERVIEW/128: 24. Linke Literaturmesse - deutsche Rapgeschichte von davor ...    Kutlu Yurtseven im Gespräch (SB)



Kutlu Yurtseven und Rossi Pennino sind Gründungsmitglieder der Hip Hop-Gruppe Microphone Mafia und seit 30 Jahren auf der Bühne und im Studio aktiv. Das diesjährige Bandjubiläum war ein guter Anlaß, die Geschichte der Rapper aus dem Kölner ArbeiterInnenvorort Flittard Revue passieren zu lassen. Herausgekommen ist dabei das von Yurtseven und Pennino verfaßte Buch "Eine ehrenwerte Familie - Die Microphone Mafia - Mehr als nur Musik", aus dem Kutlu auf der Linken Literaturmesse in Nürnberg vorlas. Dabei nahm er das Publikum mit Anekdoten aus dem familiären Alltagsleben und kölschen Lebenswelten, aber auch seiner persönlichen Betroffenheit durch den nach der sogenannten Wende anwachsenden Rassismus, die Mordanschläge von Mölln und Solingen und schließlich den NSU-Anschlag in der Kölner Keupstraße für sich ein.

Durch Ereignisse wie diese maßgeblich politisiert sind Microphone Mafia, die auf deutsch, türkisch und italienisch rappen, fester Bestandteil einer linken, antifaschistischen Protestkultur, deren Arbeit in Anbetracht des Vormarsches der Extremen Rechten in den Parlamenten und auf der Straße wichtiger denn je ist. Das gilt insbesondere für die Auftritte und Aufnahmen mit der ehemaligen Insassin des KZs Auschwitz-Birkenau und Gründerin des Auschwitz-Komitees für die Bundesrepublik, Esther Bejarano. Mit diesem generationenübergreifenden antifaschistischen Kulturprojekt haben Microphone Mafia die Reichweite ihres Kampfes gegen Rassismus und Faschismus noch einmal vergrößert.

Im Anschluß an die Lesung, bei der sich zeigte, daß Kutlu das Medium Buch nicht weniger gut beherrscht als das des rhythmischen Sprechgesangs, bot er dem Publikum ein Solokonzert, bei dem er auch neues Material präsentierte. Schließlich fand sich noch Zeit für ein kurzes Gespräch mit dem Schattenblick.


Bei der Lesung auf der Linken Literaturmesse - Foto: © 2019 by Schattenblick

Kutlu Yurtseven
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Zur Gründerzeit des Hip Hop in Deutschland Ende der 1980er Jahre hast du in der Lesung gesagt, daß die damaligen Rapper zu 80 Prozent migrantischer Herkunft waren. Könntest du die Namen einiger der damals aktiven Bands nennen, mit denen ihr auch zu tun hattet?

Kutlu Yurtseven (KY): Zum Beispiel Advanced Chemistry aus Heidelberg. Meiner Meinung nach hatte Advanced Chemistry mit Fremd im eigenen Land das wichtigste Stück der deutschsprachigen Hip Hop-Kultur geschrieben. Mike Force aus Nürnberg, Karakan auch aus Nürnberg, Rude Poets aus Köln, die Coolen Säue - wir konnten mit jedem, für uns stand erst einmal das Menschliche im Vordergrund. Leider wurde die Geschichte, daß Migranten diese Kultur in Deutschland mitgeprägt haben, mit der Wiedervereinigung und dem Erwachen des neuen Deutschtums einfach beiseite geschoben.

SB: War der Hip Hop, den ihr in den Anfängen gemacht habt, auch von Macker-Attitüden, wie sie nicht nur im US-Hip Hop dominant waren und sind, geprägt?

KY: Man muß wirklich sagen, daß die Hip-Hop-Kultur sehr männerlastig ist, weil sich viele junge Frauen das eine Zeitlang nicht angetan haben. Das ändert sich gerade zum Glück mit Rapperinnen wie Juju und Nura, die als SXTN zusammenarbeiteten, sich aber getrennt haben, oder Shirin Davids. Die haben Erfolg ohne Ende.

Wir haben damals mehr auf die Sprache geachtet und uns gefragt, auf welche Weise wir etwas gesagt haben. Damals war die Hip Hop-Kultur sehr migrantenlastig, heute ja auch wieder, nur die Themen haben sich geändert. Wir haben über politische Ereignisse, über unser Leben unter den herrschenden Bedingungen gerappt, gegen Rassismus, gegen Ausgrenzung. Heute haben sich die Themen eben geändert in Was habe ich, was kann ich vorzeigen, meine Musik ist besser, aber auch eine Bestandsaufnahme des Viertels wie Hier werden Drogen verkauft, wir sind aus den Nichts hochgekommen - das ist ja auch eine gesellschaftliche Aussage.

Die Formen haben sich geändert, aber mir steht es nicht zu zu sagen, was schlecht und was gut ist. Ich kann das nicht machen, es ist einem 46jährigen Mann schwer abzukaufen, wenn er mit Gangsterrap auftritt. Einige machen sexistische und homophobe Texte - ich könnte das nicht, aber verurteile es auch nicht. Meiner Meinung nach ist es schwer zu ertragen, aber es ist eben Hip Hop, und wir müssen uns damit auseinandersetzen. Wenn heute jemand sagt, wir müssen uns mit der AfD politisch auseinandersetzen, dann müssen wir uns auch mit dem Hip Hop auseinandersetzen. Wobei diese Rapper mir tausendmal lieber sind als die AfD.

SB: Aber da gibt es eben auch ein ziemliches Geprotze.

KY: Natürlich, es ist aber auch einfach, das als Mann zu sagen. Da äußern sich durchaus Frauen zu, deren Stimmen viel mehr Gewicht haben sollten und die das viel mehr angeht, weil es eben auch krass sexistisch ist. Klar habe ich eine Meinung darüber und kritisiere das. Es ist eben sehr einfach, als Mann zu sagen, daß man das ertragen muß. Einige Frauen aus meinem Umfeld finden sogar das, was ich gesagt habe, zum Teil schwer erträglich. Das ist eben die Crux an der Sache.

SB: Wurde auch von rechts her versucht, Hip Hop zu vereinnahmen, oder ist es eine genuin nicht-rechte Musikkultur?

KY: Nicht mehr. Es gibt ja MaKss Damage oder A3stus, das ist richtiger Nazi-Rap.

SB: Dabei nutzen die rechten Bands doch eher Rockmusik, um ihre Haßbotschaften zu verbreiten?

KY: Ska, Rock und Punk sind auch eigentlich linke Musikrichtungen, die übernommen wurden. Sie haben eben gemerkt, daß Rap das Sprachrohr junger Menschen ist. Vor allem haben auch Nicht-Faschos faschistische Zeilen genutzt, und das eröffnet natürlich Wege. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es auch Nazi-Rap gab.


Kutlu Yurtseven rappt auf dem Podium - Fotos: © 2019 by Schattenblick Kutlu Yurtseven rappt auf dem Podium - Fotos: © 2019 by Schattenblick Kutlu Yurtseven rappt auf dem Podium - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Nach der Lesung Reime in Bewegung versetzt ...
Fotos: © 2019 by Schattenblick

SB: Ihr hattet euch in den Anfängen an den Leuten in der Bronx orientiert, an Sugar Hill Gang und so weiter. Wie findest du die Entwicklung des Hip Hop in den USA heute?

KY: Ich höre diesen ganzen Old School, Ice Cube, 2Pac und so weiter - das kann man tatsächlich schon Old School nennen -, da gibt es einige wenige, die man sich anhören kann, aber diese ganzen neuen Sachen sind nicht so mein Ding. Ich höre mir sehr, sehr gerne französischsprachigen Rap an, weil die immer noch ihrer Linie treu geblieben sind, und das ist für mich auch Rap. Aus Deutschland kann ich mir sehr viel anhören, aber auch eben von einer gewissen Gruppe innerhalb dieser Subkultur. Aber ich höre mir auch Gangsterrap an, um mich damit auseinanderzusetzen, vor allem aber, um mit meinen Schülerinnen und Schülern darüber zu diskutieren und sie zu fragen: Hört ihr eigentlich, was die gerade sagen? Es gibt nichts Schlimmeres als die Frage Haben Sie das schon mal gehört? mit Nein zu beantworten, dann ist man unglaubwürdig. Zum Teil schwer erträglich, aber aus Amerika höre ich mir ganz wenig Neues an. Wenn, dann eher neue Alben von älteren Künstlern.

SB: Du arbeitest als Lehrer?

KY: Ich habe als Lehrkraft gearbeitet, bin jetzt aber vom Jugendamt als Ganztagskoordinator an einer Sekundarschule angestellt.

SB: Was sagen die SchülerInnen dazu, daß ihr Lehrer ein Rapper ist?

KY: Die sehen das schon in der fünften Klasse, weil ich sie rappend begrüße. Ein Jahr lang bin ich dann nur der Rapper. Aber das ist natürlich interessant. Ich meine, wenn ich ein guter Tänzer wäre, würden die auch sagen: krass! Für mich ist es das Sprachrohr und es ist eben eine andere Begrüßung. Das heißt nicht, daß ich eine bessere Lehrkraft bin als andere, nur ich habe einen Bonus, weil die das einfach cool finden. Die Begrüßungsfeiern werden dadurch ein bißchen lockerer, hier ist Musik, wir haben einen Lehrer, der ist cool, der geht auf die Jugend ein. Du brauchst natürlich auch eine Schulleitung, die erlaubt, daß du rappst, das gehört dazu.

SB: Rap ist aber nicht mehr so verrufen wie vielleicht vor 30 Jahren?

KY: Damals haben sie sich eher über uns lustig gemacht. Heute ist ja das, wovon wir als junge Menschen geträumt haben, daß Rap die Musikszene beherrscht oder mit beeinflußt, verwirklicht. Die meisten Verkäufe werden über Rap gemacht. Schade, daß es nicht Bands wie Advanced Chemistry oder Rude Poets oder Kurzer Prozeß aus Nürnberg oder Chaoze One waren, die diesen Erfolg hatten.

SB: Es gibt ja auch eine traditionelle politische Musik aus der Türkei wie zum Beispiel von Grup Yorum, die in Deutschland Einreiseverbot haben. Was sagst du dazu?

KY: Wir wollten einmal ein Projekt mit Grup Yorum machen, aber das ist genau daran gescheitert. Grup Yorum ist ein gutes Beispiel, weil sie von türkischen Nationalisten auf die Nase bekommen haben, aber auch von PKK-Anhängern. Ich meine, wir reden doch immer über künstlerische Freiheit. Nun sagen wir mal, die Türkei hat in der Hinsicht Lernbedarf, aber das hat Deutschland auch. Vor allem ist der Unterschied, daß die deutsche Regierung das immer so darstellt, als gebe es diese Freiheit bei uns, bei den anderen aber nicht. Dafür kann Jan Böhmermann nichts, aber es wäre doch einmal interessant zu erfahren, warum er dieses Gedicht öffentlich vortragen durfte. Das Argument lautete, daß es Kunst ist und Kunst das darf, aber warum darf Grup Yorum das nicht? Bevor man jemanden mit erhobenem Zeigefinger belehrt, sollte man sich zurücklehnen und schauen, was man selbst mit dieser ganzen Sache zu tun hat. Warum gehen wir als die Bürger davon aus, daß es anders sein könnte? Die Leute suchen sich ihre Gegner aus, Punkt.

SB: Bisher hast du gerappt, jetzt hat du auch ein Buch geschrieben. Wie ist dein Verhältnis zur deutschen Sprache? Bist du eigentlich türkischsprachig aufgewachsen?

KY: Ich bin nur türkischsprachig aufgewachsen, bis ich im Alter von zwei Jahren in den Kindergarten gekommen bin. So habe ich es auch bei meinen Kindern gemacht - bis zum dritten Lebensjahr habe ich nur türkisch mit ihnen geredet, und jetzt können sie perfekt deutsch, noch viel besser als türkisch.

SB: Es gibt einige AutorInnen, die mit Türkisch aufgewachsen sind und eine Fähigkeit entwickelt haben, auf deutsch zu sprechen und zu schreiben, über die viele Menschen, die Deutsch als Muttersprache haben, heute nicht mehr verfügen. Wie kommt das, nehmen sie die Sprache besonders ernst?

KY: Nein, um richtig in Deutschland anzukommen, mußt du dreimal so gut deutsch sprechen wie andere. Meine Eltern haben immer gesagt, daß du noch besser deutsch sprechen können mußt als die. Wir wurden wirklich getrimmt. Sie haben schon gemerkt, daß Sprache der Motor ist, um sich wehren zu können. In meinem Fall habe ich meinen Eltern zu verdanken, daß sie gesagt haben: Lerne richtig deutsch, um es einigen Leuten um die Ohren zu schlagen. Das machen jetzt viele Menschen.

SB: Kutlu, vielen Dank für das Gespräch.


Zwei Exemplare des vorgestellten Buches auf dem Podium - Foto: © 2019 by Schattenblick

Foto: © 2019 by Schattenblick


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12. November 2019


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