Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → BÜRGER


ARTIKEL/010: Aufstand in Frankreich - Tagebuch der Ereignisse vom 19. und 20. März 2023 (Forum Gewerkschaftliche Linke Berlin)


Forum Gewerkschaftliche Linke Berlin - 20. März 2022

Aufstand in Frankreich - Tagebuch der Ereignisse vom 19. und 20. März

von Sebastian Chwala mit einer Vorbemerkung von Peter Vlatten


Vorbemerkung:
Am Wochenanfang kam es zur Abstimmung über Misstrauensanträge gegen die Regierung. Das Misstrauensvotum ist am Montag nur knapp gescheitert. Von den linken Parteien wird nun ein Volksentscheid vorbereitet. Nach der Ablehnung der beiden Misstrauensanträge am Montag gilt die Vorlage der Rentenreform auch ohne Abstimmung in der Nationalversammlung für verabschiedet. Der Staatspräsident, Emmanuel Macron, hat nun zwei Wochen, um einen entsprechenden Erlass zu veröffentlichen, damit das Gesetz in Kraft treten kann. Auf den Straßen geht die Polizei gegen die Proteste mit immer größerer Härte vor (siehe auch Sebastian Chwalas Tagebuch). Nächster geplanter Höhepunkt ist der 23. März.

In Berlin planen der Arbeitskreis Internationalismus IG Metall Berlin und die französische Community um 18 Uhr eine weitere Solidaritätsdkundgebung vor der französischen Botschaft am Pariser Platz.


Tagebuch der Ereignisse:


19. März: Vor der morgigen Abstimmung über zwei eingereichte Misstrauensanträge gegen die Regierung Borne ist heute in Frankreich nur scheinbar ein wenig Ruhe eingekehrt. Während zahlreiche Raffinerien weiter bestreikt werden und an manchen Orten das Benzin knapp zu werden droht, gehen Menschen unabhängig von den gewerkschaftlichen Aktionen in Paris und anderen großen Städten des Landes abends ohne Genehmigung auf die Straße, um ihre Ablehnung gegen Macrons postdemokratisches Regime zum Ausdruck zu bringen.

Jeder dieser Abende wird von massiver Polizeigewalt begleitet. Es sind bereits hunderte Festnahmen allein in Paris zu konstatieren. Diese gehen auch mit körperlicher Gewalt gegenüber Journalist*innen einher. Ausgerechnet der verantwortliche Innenminister Darmanin wird zudem laut Gerüchten als potentieller Nachfolger der vielleicht morgen gestürzten Premierministerin Borne gehandelt.

Im Angesicht des aktuelle angeblichen großen Krieges des Westens gegen die Barbarei, wirken solche Realitäten wie Hohn. Die (häufig jungen) Menschen, die seit Donnerstag jeden Abend auf die Straße gehen und dies solange fortsetzten wollen bis die Rentenreform wieder vom Tisch ist, lassen sich jedenfalls nicht einschüchtern, und werden sich heute abend um 18 Uhr wieder versammeln, und sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Polizeieinheiten liefern.

20. März: Erstes Misstrauensvotum gegen die Regierung Borne in Frankreich knapp gescheitert. 278 Parlamentarier stimmten für den Antrag. Dies waren 9 Stimmen zu wenig. Aufgrund des knappen Ausgangs wird sich die Stimmung im Land weiter aufheizen.

Noch ein kurzer Kommentar zu den aktuellen Entwicklungen in Frankreich heute abend. Das Scheitern der Mißtrauensvoten mag auf den ersten Blick vielleicht als Sieg des "Macronismus" gedeutet werden. Allerdings war die Zustimmung zum Votum knapp eines Viertels der Fraktion der "Republikaner" nicht erwartet worden. Zumal Parteichef Ciotti konsequent für eine Zustimmung zur "macronitischen" Rentenreform geworben hatte. Die äußerst knappe Zustimmung zur Regierung Borne zeigt also, dass der Widerstand in der französischen Gesellschaft sehr tief sitzt, wenn selbst eine Partei wie die "Republikaner", die grundsätzlich nicht gegen eine Erhöhung des Renteneintrittsalters ist, eine Spaltung in den eigenen Reihen aufgrund der Empörung im ganzen Land nicht aufhalten kann.

Auch wenn deutsche Medien nun von einer definitiven Verabschiedung des Gesetzes sprechen, kann davon noch nicht die Rede sein. Als nächstes wird nun der Verfassungsrat, den die Regierung Borne wohl selbst anrufen wird, innerhalb der nächsten 8 Tage das Gesetz prüfen. Aus dessen Reihen gab es schon vor Wochen Zweifel an der Rechtmässigkeit des Gesetzespaktes.

Zudem wird die gesamte parlamentarische Linke den formalen Prozess zur Durchführung einer Volksabstimmung über die "Rentenreform" beginnen. Diese benötigt erst die Unterstützung von 185 Parlamentariern, wird dann auf ihre Rechtmässigkeit vom Verfassungsrat geprüft. Anschließend müssen knapp 5 Millionen Unterstützungsunterschriften gesammelt werden. Alle aufgezeigten Möglichkeiten schieben das Inkrafttreten der Reform nach hinten. Zudem wird sich der Protest der Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft verschärfen.

Die Aufrufe, in der Art und Weise der Gelbwestenbwegung auch militante Gewalt gegen die Strukturen des Staates durchzuführen, mehren sich, nachdem die friedlichen Proteste ohne Erfolg zu Ende gegangen sind. Heute abend gingen deshalb spontan wieder Menschen in ganz Frankreich auf die Straße.


Link zum Originalartikel:
https://gewerkschaftliche-linke-berlin.de/frankreich-in-aufruhr-tagebuch-der-ereignisse/

Siehe auch den Beitrag:
https://gewerkschaftliche-linke-berlin.de/aufstand-in-frankreich-solidaritaet-in-berlin/

Ein Artikel des "Forum Gewerkschaftliche Linke Berlin" mit dem Tagebuch der Ereignisse vom 7. bis 16. März ist im Schattenblick zu finden unter:
www.schattenblick.de → Infopool → Europool → Bürger:
ARTIKEL/009: Aufstand in Frankreich - Solidarität in Berlin (Pressenza)

*

Quelle:
Forum Gewerkschaftliche Linke Berlin
E-Mail: info@gewerkschaftliche-linke-berlin.de
Internet: https://gewerkschaftliche-linke-berlin.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 21. März 2023

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang