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FISCHEREI/001: Überfischung - Lösungen dringend gesucht (research*eu)


research*eu Sonderausgabe - Dezember 2007
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Überfischung - Lösungen dringend gesucht

Von Julie Van Rossom


Verschließen wir uns nicht den Tatsachen: Der große blaue Ozean ist nicht von unerschöpflichem Reichtum, wie man immer glaubte. Und das noble Bild, das man mit der Fischerei verbindet, verliert durch die Überfischung nach und nach an Glanz. Wissenschaftler und Fischer widersprechen einander. Die einen warnen vor den katastrophalen Auswirkungen der Überfischung, die anderen verteidigen ihren Beruf, von dem sie leben. Dass die Wildfischbestände langfristig geschützt werden müssen, darüber sind sich alle einig. Aber wie? Die wissenschaftliche Forschung hält noch nicht alle Antworten bereit. Außerdem müssen die politischen Instanzen dies berücksichtigen.


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Hat Europa seine Meeresressourcen sorgfältig genug verwaltet? Nach 25 Jahren gemeinsamer Fischereipolitik (GFP) ist die Bilanz überaus erschreckend. Die Berichte der FAO(1) zum Zustand der weltweiten Fischbestände zeigen, dass der Anteil der nachhaltig bewirtschafteten Fischarten auch weiterhin abnimmt und von 40 % im Jahre 1974 auf nur 23 % im Jahre 2005 gesunken ist. Und die Europäische Union ist davon direkt betroffen. Der nordöstliche Atlantik, aus dem mehr als zwei Drittel der europäischen Fänge stammen, gehört zu den Gebieten, in denen die Artenvielfalt am stärksten bedroht ist. (2) Hier sind 46 % der Bestände überfischt, verkümmert oder gerade in der Erholungsphase, während dies auf weltweiter Ebene nur 25 % der Fischbestände betrifft. Die GFP "muss sich, da sie keinen Wechsel zur nachhaltigen Nutzung der Fischereiressourcen bewirkt hat, ändern. Bestandserhaltung, wirtschaftliche Entwicklung und politischer Ansatz weisen Mängel auf", konnte man 2001 im Grünbuch der Europäischen Kommission über die Zukunft der Gemeinsamen Fischereipolitik lesen.


Endlich eine ambitionierte Reform...

Einer der Hauptgründe für diesen Misserfolg ist die Tatsache, dass es den politischen Verantwortlichen schwer fällt, wirtschaftliche und ökologische Erfordernisse zu vereinen. Bei 76 % der Vertragsverletzungsverfahren hinsichtlich der GFP gegen Mitgliedstaaten geht es um Überfischung. Die GFP wurde zu lasch angewendet. Seitdem sie 1982 ins Leben gerufen wurde, konnte sie zwar nationale Interessenkonflikte eindämmen, aber gegen die Überfischung hat sie leider nichts ausrichten können. Wirtschaftliche Vormachtstellung oder wahltaktische Absichten? Wie dem auch sei, es ist den Politikern selten gelungen, die Fangquoten im Einklang mit den wissenschaftlich festgelegten zulässigen Gesamtfangmengen (TAC) festzusetzen, wie es für die Erneuerung der Populationen notwendig gewesen wäre. Einige Subventionen hatten das Ziel, die Fangflotte schrittweise zu verkleinern und gleichzeitig die verbleibenden Boote zu modernisieren. Löblich, aber wirkungslos: Die Verringerung der Anzahl der Boote wurde durch die Erhöhung der Fangkapazität der einzelnen Boote wieder ausgeglichen.

Heute wissen wir, dass die Artenvielfalt der Ozeane auf einer komplexen Verflechtung von Synergien zwischen den verschiedenen Meeresorganismen beruht, deren Überleben von einem empfindlichen Gleichgewicht abhängt, das ihre Umwelt reguliert. Diese Vielschichtigkeit war zum Zeitpunkt, als die GFP erarbeitet wurde, noch unzureichend bekannt, sodass die GFP den Zustand der Fischbestände ausschließlich anhand von Häufigkeits- und Mortalitätsindikatoren, aufgrund der Befischung in den jeweiligen Beständen und unabhängig von der Entwicklung der Ökosysteme beurteilte. Die im Jahre 2002 überarbeitete GFP soll endlich eine nachhaltige Befischung der Meeresressourcen erreichen. Hierfür ist ein größerer Beitrag durch die Forschung erforderlich, denn die Kenntnisse über den Ozean als System sind noch unzureichend, um effizient den neuen ökosystemorientierten Ansatz der Kommission einzuführen.


Wie zählt man das Unzählbare... und zwar fehlerfrei?

"Wir arbeiten an der Bewertung einer Ressource, die man nicht einzeln zählen kann. Daher müssen wir den Zustand der Populationen auf Umwegen anhand von statistischen Modellen messen", erklärt Pierre Petitgas. Der Biologe und Geostatistiker am Ifremer ist der Koordinator von Fisboat, einem europäischen Projekt, das sich die Optimierung der Bewertungsmethoden für Meeresressourcen zum Ziel gesetzt hat. Beim aktuellen Prozess werden Daten aus Probennahmen durch Wissenschaftler im Meer sowie aus den Fangerklärungen der Fischer herangezogen. Während Verzerrungen der Stichproben aus dem Meer berechnet und berichtigt werden können, lässt sich nicht feststellen, in welchem Maße die Fischer die tatsächlichen Fang- und Beifangmengen angeben. Daher muss die Zuverlässigkeit der Bewertungsmethoden, die einerseits auf den wissenschaftlichen Probennahmen und andererseits auf den Daten der durch die Fischer gemachten Erklärungen beruhen, unbedingt verbessert werden. "Die Quantifizierung der Unsicherheiten ist ein unverzichtbarer Bestandteil der wissenschaftlichen Empfehlungen. Hierbei handelt es sich um eine notwendige Voraussetzung für die Integration des Vorsorgeansatzes in den Entscheidungsprozess der neuen Politik", unterstreicht das Ifremer.

Ein weiterer Fehler besteht darin, politische Entscheidungen auf unvollständige Zahlen zu stützen. "Wenn man nur die demografischen Indikatoren berücksichtigt, kann man auch nur eine Teildiagnose der reellen Situation erstellen. Das ist wie bei einem Bauern, der sein Getreide ausschließlich in einem begrenzten Umkreis prüft, ohne sich davon zu überzeugen, ob auch der Rest seiner Kultur normal wächst", sagt Pierre Petitgas. Mit großer Wahrscheinlichkeit war das die Ursache für den Zusammenbruch der Kabeljaubestände in Kanada, bevor 1992 ein Moratorium beschlossen wurde. Damals wurden mehrere biologische Indikatoren, die im Rahmen von Forschungskampagnen gemessen wurden - wie die Sterblichkeitsrate, Alter bei Eintritt der Geschlechtsreife, räumliche Verteilung der Population -,in den Berichten für die politischen Entscheidungsträger nicht erwähnt. Eine nachträgliche Untersuchung ergab jedoch, dass diese Indikatoren für Bestandsschäden bereits existierten, bevor die Zivilgesellschaft darüber informiert wurde. Der europäische Meeresraum muss folglich zuverlässiger und vorhersagekräftiger beurteilt werden. Das ist die Aufgabe von Fisboat, dessen Bewertungsmethoden im CIEM (3) getestet werden.


Smart Gear: Neue Fischfanggeräte

Eine weitere Herausforderung ist die Entwicklung neuer Fischfanggeräte für einen schonenden Umgang mit der Meeresumwelt. Angesichts der beeindruckenden Anzahl von Organismen, die sich ungewollt in den Netzen befinden, steht viel auf dem Spiel. Diese Zahl reicht von 3,8 % bei umweltschonenden Fischfanggeräten bis zu 50 % bei einigen anderen Booten, wie z. B. bei Grundnetzschleppern, die außerdem unschätzbare Schäden in den empfindlichsten marinen Lebensräumen, etwa bei den Kaltwasserkorallen, anrichten. Ozeanografen und Naturschutzverbände prangern diese Fanggeräte immer stärker an, denn die genauen Konsequenzen für das benthonische Ökosystem, das besonders lange braucht, um sich wieder zu erholen, sind noch unzureichend erfasst. Bleibt also nur, den Fischern andere Möglichkeiten vorzuschlagen. Seit 2005 organisiert der WWF den internationalen Wettbewerb SmartGear, der allen Tüftlern offen steht: Fachleuten aus der Fischereiindustrie, Ingenieuren, Lehrern und Studenten. Ziel: Förderung von Erfindungen, die den Schutz der Umwelt und die Rentabilität der Fischgründe vereinen. Die innovativsten Lösungen sind manchmal überraschend einfach. Mit der Erfindung des Gewinners von 2006 lassen sich negative Auswirkungen der Fischerei auf die Haifischpopulationen verhindern; 20 % der Haifischarten sind nämlich bereits vom Aussterben bedroht. Wie funktioniert das? Es werden die Abneigung der Haifische gegen starke Magnetfelder und ihre einzigartige Fähigkeit, diese zu erkennen, ausgenutzt. Starke Magneten werden oberhalb der Haken an den Langleinen platziert, mit denen Schwert- und Thunfisch gefangen wird. Dadurch können die Haifische von den tödlichen Leinen abgeschreckt werden.

Der dritte Preis ging an eine dänische Erfindung. Sie ermöglicht es, den Fang von Jungfischen und kleinen Fischen ohne Handelswert zu reduzieren, indem das Rückhaltenetz am Steerteingang (4) verändert wurde. Dank kleiner elastischer Rohre, die auf eine Leine aufgefädelt sind, besitzt das Netz Maschen mit "variabler Geometrie", mit denen nur große Fische zurückgehalten werden, und die kleineren unverletzt ins Meer zurückkehren können. Dieses System ist flexibler, einfacher und ungefährlicher in der Handhabung. Es wird von den Fischern des Blauen Wittlings auf den Färöer-Inseln weitgehend eingesetzt, seit im Juni 2006 ein Gesetz in Kraft getreten ist, das die Verwendung von Rückhaltenetzen vorschreibt.


Die Zukunft: Meeresschutzzonen

Diese technischen Optimierungen lösen jedoch nicht das Grundproblem: Durch die Fischerei werden die größten Fische mit der höheren Laichproduktion, deren Laich auch lebensfähiger ist, herausgefangen. Bei dieser Selektion werden folglich die kleinen und unfruchtbareren Exemplare begünstigt und die bereits vom Aussterben bedrohten Populationen weiter geschwächt. Dadurch sinkt auch die Hoffnung darauf, dass sich die Artenvielfalt in den Meeren wiederherstellen lässt. Beim Schellfisch, einer stark überfischten Art, wurde beobachtet, dass er früher geschlechtsreif wird, was definitiv die Größe und Fortpflanzungskapazität der Exemplare einschränken könnte.

Optimal wäre die Einrichtung von Erholungsgebieten, in denen die Organismen ihr volles Potenzial erreichen könnten. Jede Art entwickelt sich jedoch in einer ganz spezifischen Umgebung. Damit diese Rückzugsgebiete in Bezug auf die außergewöhnliche Artenvielfalt auch tatsächlich wirksam sind, müssten sie folglich sehr viele verschiedene Lebensräume umfassen. Aus sozioökonomischer Sicht wäre die Einrichtung von Naturreservaten in großem Maßstab, in denen sämtliche Fischereiaktivitäten untersagt sind, undenkbar, denn es wäre eine Katastrophe für die Fischfangindustrie.

Es ist jedoch möglich, strategische Gebiete abzugrenzen, in denen die fischereilichen Aktivitäten strenger geregelt werden, um einen besseren Schutz der Ökosysteme zu gewährleisten. Das ist das Konzept der Meeresschutzgebiete, einer der Prioritäten der Reform der GFP von 2002. Dieser Ausdruck ist allerdings irreführend, da er sowohl für Naturreservate, die für sämtliche fischereiliche Aktivitäten geschlossen sind, als auch für Gebiete mit einer strengeren Regulierung der Fischgründe verwendet wird, in denen die Vorschriften je nach dem zu schützenden Ökosystem variieren können. Hierbei handelt es sich um ein allgemeineres Konzept, das die ökologischen Erfordernisse und die sozioökonomischen Notwendigkeiten vereinbaren soll. Wie aber lassen sich derartige Räume abgrenzen und verwalten? Anhand welcher Indikatoren sollte ihre Wirksamkeit bewertet werden? Auf all diese Fragen versuchen europäische Forschungsprogramme, wie z. B. Protect, eine Antwort zu finden, indem frühere Experimente ausgewertet werden. In einem im Februar 2006 veröffentlichten Bericht analysieren die Forscher von Protect sechs Beispielfälle von Meeresschutzzonen (5) im Nordatlantik. Die fünf europäischen Fälle haben einen Punkt gemeinsam: Sie sind alle erfolglos. Das verwundert nicht: Das Ziel ihrer Einrichtung ist vage und nur wenige Indikatoren wurden im Voraus zur Beurteilung ihrer Auswirkungen definiert. "Das bedeutet nicht, dass das System unwirksam ist. Damit die Einrichtung von Meeresschutzgebieten Erfolg hat, müssen sämtliche Prozesse und Aktivitäten im Zielgebiet berücksichtigt und die langfristigen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen vorhergesagt werden können", erklärt Ole Vestergaard, Forscher am Difres (6) und Koordinator von Protect. "Wir versuchen Zukunftsmodelle zu entwickeln, die eine optimale Planung ermöglichen. Hierzu gehören z. B. die Formulierung präziser Verwaltungsziele und die Ermittlung der notwendigen Vorabinformationen über die verschiedenen Wechselwirkungen zwischen Umwelt und menschlichen Tätigkeiten".

Große Hoffnungen ruhen auf den Forschungstätig keiten, die mit Blick auf eine ökosystemorientierte Verwaltung der Fischfänge entwickelt wurden. Hierbei handelt es sich aufgrund der unglaublichen Vielfalt von Synergien in der Meereswelt um ein besonders schwieriges Vorhaben. Bleibt abzuwarten, welche Lösungen die Politiker für diese neuen Verwaltungsmethoden finden. Denn hier sind sich die Fachleute ganz sicher: Ein Meeresschutzgebiet muss unbedingt von klaren, unzweideutigen Rechtsvorschriften gestützt werden, die rigoros durchgesetzt werden.


Anmerkungen

(1) Welternährungsorganisation - Seit 1974 veröffentlicht die FAO die SOFIA-Berichte, in denen der Zustand der Fischbestände weltweit beurteilt wird.

(2) Diese Liste enthält auch den Südostatlantik sowie den Südostpazifik und die Thunfischfanggründe auf hoher See im Pazifischen und Atlantischen Ozean (SOFIA 2006).

(3) International Council for the Exploration of the Sea.

(4) Der Steert befindet sich am Ende des Grundschleppnetzes.

(5) Hier im Sinne von sämtlichen Maßnahmen zur Verwaltung eines Meeresgebiets.

(6) Danish Institute for Fisheries Research.


Intermet:
FAO - www.fao.org
FISBOAT - www.ifremer.fr/drvecohal/fisboat
PROTECT - www.mpa-eu.net


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

> Fischfang von Rotem Thun in Favgnana (Sizilien - IT). Diese überfischte Art ist ein Wanderfisch; er wandert über große Strecken im Nordatlantik und in den angrenzenden Meeren von kälteren Regionen, in denen er sich ernährt, in wärmere Regionen, in denen er laicht.

> Außergewöhnlicher Fischfang? Industrieller Fischfang mit Schwerpunkt auf dem Kaiserbarsch (Hoplostethus atlanticus).

> 20 % der Haifischarten sind vom Aussterben bedroht, insbesondere weil die Jungtiere sich in Netzen verfangen, die gar nicht für sie ausgelegt wurden. Einer der jüngsten Gewinner bei Smart Gear, einem Innovationswettbewerb für nachhaltige Fischerei, den der WWF organisiert, hat ein Magnetsystem erfunden, mit dem man Haifische von Trawlern und Langleinenfischern fernhalten kann, die auf Thunfisch- und Schwertfischfang sind.

> Schildkröte Caretta, geschützte Tierart auf Zakynthos in der Bucht von Laganas, (Ionische Inseln - GR).


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Quelle:
research*eu Sonderausgabe - Dezember 2007, Seite 16
Magazin des Europäischen Forschungsraums
Copyright: Europäische Gemeinschaften, 2007
Herausgeber: Referat Information und Kommunikation der
GD Forschung der Europäischen Kommission
Chefredakteur: Michel Claessens
Redaktion: ML DG 1201, Boîte postale 2201, L-1022 Luxembourg
Telefon: 0032-2/295 99 71, Fax: 0032-2/295 82 20
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Internet: http://ec.europa.eu./research/research-eu

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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2008