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BERICHT/001: Europäische Linke trifft sich vom 3. bis 6. Juli in Porto (Tobias Baumann)


Europäische Linke trifft sich vom 3. bis 6. Juli in Porto

von Tobias Baumann, 23. Juli 2013



Etwa 100 Mitglieder der Mitgliedsparteien der Europäischen Linken (EL) [1] versammelten sich in der nordportugiesischen Metropole nicht nur mit Blick auf die Wahlen zum Europäischen Parlament, sondern insbesondere zum gegenseitigen Austausch. Auf dieser vom Bloco de Esquerda, dem portugiesischen "Linksblock" organisierten EL-Sommerakademie diskutierten wir u.a. Antworten auf die Krise, wobei die Theorien von Antonio Gramsci und Nicos Poulantzas in den Vorträgen vieler Referenten im Mittelpunkt standen. Von deutscher Seite ist die Teilnahme von MdB Wolfgang Gehrcke hervorzuheben, der spontan einen zusätzlichen Workshop über die Revolution in Ägypten anbot und in seinem Beitrag den "imperialen Block" der Europäischen Union in einem breiten historischen Kontext verortete.

© Tobias Baumann

Teilnehmer der Sommerakademie schlossen sich einer Kundgebung in Porto an
© Tobias Baumann

Neben dem Beginn der zweiten Phase der Ägyptischen Revolution - die Absetzung Mursis erfolgte am 3. Juli - fiel auch eine Regierungskrise Portugals in die Zeit dieser Sommerakademie: Nach dem Finanzminister trat auch der Außenminister zurück, unmittelbar nach dem erfolgreichen Generalstreik vom 27. Juni. Vor diesem Hintergrund schlossen sich zahlreiche Teilnehmer einer Kundgebung am Samstag, den 6. Juli, an (siehe Foto), welche mit der Abschlusskundgebung der Marcha do Orgulho LGBT no Porto am Praça da República (Platz der Republik) zusammenfiel. Doch der Schwerpunkt der landesweiten Aktivitäten gegen die rechte Regierung und die Troika-Diktatur lag an diesem Tag in Lissabon, wo Streiks und größere Kundgebungen stattfanden.

Besonders fiel die kontroverse Haltung der finnischen Genossen zu ihrer Regierungsbeteiligung auf. Ähnlich wie in Dänemark, wo die Regierung durch die Linken toleriert wird, gab es insbesondere unter den finnischen Genossen auch kritische Meinungen zur Teilnahme an der Regenbogen-Regierung mit zwei linken Ministern. Antti Rokainen aus Finnland, der einen Vortrag über die europäische Zentralbank (EZB) hielt, kritisierte diese Bürgerblockpolitik mit konservativen und zentristischen Parteien. Diese hatte zwar zum Ziel, eine Regierung mit der erstarkten rechtsextremen Partei "Wahre Finnen" zu verhindern. Doch da diese Politik des geringeren Übels langfristig die Glaubwürdigkeit in eine konsequent antikapitalistische Politik von links untergrabe und dadurch indirekt die Wirkung neofaschistischer Propaganda unter der Bevölkerung befördere, sei eine Regierungsbeteiligung nicht richtig.

Am ersten Tag war die Gender-Politik auf dem Programm: Im Seminar "Gewalt und Patriarchat: Religiöse Fundamentalismen und Frauenrechte" hob Colette Mo aus Frankreich den Kampf der Vernunft gegen die Dogmen im Rahmen der historischen französischen Laizismus-Bewegung hervor, verurteilte frauenfeindliche, islamische Tendenzen in Teilen der antirassistischen Linken Frankreichs, namentlich der Bewegung Les Indigènes de la République. Auch verteidigte sie das französische Gesetz, welches das Tragen von sichtbaren religiösen Zeichen (signes religieux ostentatoires) in Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen verbietet. Gegenüber diesem formal-laizistischen Ansatz vertrat Birge Krondorfer aus Österreich den Standpunkt, dass der westliche Fortschrittsbegriff insgesamt abgelehnt werden sollten. Ich erinnerte an den Dresdner Parteitag von DIE LINKE 2013, wo ein großer Fortschritt bei der Forderung nach einer strikten Trennung zwischen Staat und Kirchen im Parteiprogramm erreicht wurde. Weiterhin kritisierte ich sowohl die Position von Birge Krondorfer, die zu werterelativierenden Positionen führen kann, wenn der freidenkerische Aspekt im Fortschrittsbegriff vernachlässigt wird (Beispiel französischer linksradikaler Splittergruppen, die einen radikaIen Islam aus ihrer extremen Eurozentrismus-Kritik heraus rechtfertigen), als auch die Position von Colette Mo, da das genannte französische Gesetz nicht nur tatsächliche Lücken der strikten Trennung von Staat und Kirchen in Frankreich verdeckt (z.B. der klerikale Sonderstatus der Region Elsass sowie des Département Moselle, wo immer noch das napoleonische Konkordat herrscht und Religionsunterricht an staatlichen Schulen sowie Theologie an öffentlichen Universitäten usw. fortbesteht), sondern auch die Opfer des Patriarchats damit doppelt sanktioniert werden: Die vom Gesetz bislang Betroffenen waren muslimische Mädchen und Lehrerinnen, die ihr Kopftuch nicht mehr tragen dürfen, was sie mitunter in einen Gewissenskonflikt bringt. In jedem Fall müsste eine emanzipatorische Politik anders als dieser formalistische Zwangslaizismus aussehen, zumal der Laizismus noch nicht einmal das gesamte französische Territorium umfasst (vgl. Elsass-Lothringen und das französische Überseedépartement Guyane in Südamerika).

Im Seminar "Die Entwicklung der linken Parteien in Europaö erläuterten die Referenten die Entwicklung linker Parteien in Europa. Kate Hudson aus Großbritannien betonte in ihrem Beitrag die Notwendigkeit einer politischen Führung, welche die von einer "Tyrannei der Strukturlosigkeit" geprägten sozialen Bewegungen einhegen solle. Sie hob hervor, dass Bewegungen "nicht demokratisch" seien und dass sich die Parteien nicht auf die extreme Beweglichkeit der Bewegungen ausrichten sollte, um sich nicht in den amorphen Bewegungsdynamiken zu verlieren. Sie unterstrich dabei den Zusammenhang, dass, wenn die Linke es nicht schaffe in der Krise des Kapitalismus den Bewegungen eine Orientierung zu bieten, die extreme Rechte dies übernähme. Auch wies sie darauf hin, dass linke Parteien keine zentristische Politik betreiben dürften, wenn sich nicht ihre Glaubwürdigkeit verlieren wollten und nannte das illustre Beispiel der Französischen Kommunistischen Partei (PCF), die unter dem Premierminister Lionel Jospin bis 2002 eine liberale Politik mittrug, wobei der PCF-Verkehrsminister sogar Privatisierungen initiierte. Ich nannte die linken Vorbilder in den ALBA-Ländern, die in den Regierungen mittels partizipativer Demokratie die EU bereits in vielen Bereichen überholt haben: So auf dem Gebiet der strukturellen Durchsetzung ausgeglichener Handelsbilanzen durch die Einführung einer flexiblen Buchwährung.

Im Rahmen des Seminars "Der Kampf um die Geschichte" wurde versucht, Ansätze einer linken Bewegungsgeschichte der Europäischen Integration für eine alternative historische Regionalidentität in der EU zu skizzieren. Frank Deppe hob den Vorsprung der europäischen Rechten bezüglich einer gemeinsamen Geschichtspolitik hervor: Die "Pöttering-Kommission" (Hans-Gert Pöttering von der KAS) vereine rechte und antikommunistische Historiker europaweit; christlich ausgerichtete rechte Historikernetzwerke, welche seien insbesondere in Polen und Ungarn beträchtlich entwickelt. Dem müsse eine linke Alternative gegenübergesetzt werden, so wie es auch Francis Wurtz vom PCF gefordert habe mit den Worten "lutte pour l'histoire" (Kampf um die Geschichte). Deppe unterstrich, dass Geschichte die Bewegung der Widersprüche sei, an deren Austragung wir teilnehmen. Für die Europäische Union formulierte er die Kautskysche Superimperialismus-These als historische Erklärung der europäischen Integration trotz offensichtlicher Widersprüche der nationalen Bourgeoisien.

Birgit Daiber von der RLS relativierte die Aussage Deppes, dass der ehemalige Kommissionspräsident Jacques Delors sozialistische Zielvorstellungen gehabt hätte, als er von "Europäischem Sozialstaat" schrieb. Sie erwähnte, dass der französische Sozialist Jacques Delors soziale Maßnahmen stets unter dem Vorbehalt einer guten wirtschaftlichen Konjunktur in Aussicht stellte und bereits 1983 als Finanzminister Frankreichs die progressive Politik Mitterrands beendete. Ich wies diesbezüglich auf seine Zugehörigkeit zum katholischen und wirtschaftsliberalen Flügel des Parti Socialiste hin und betonte die konservative politische Gesinnung sämtlicher sog. Väter Europas (bzw. der EU, d.h. des Europas der Eliten). Der ehem. französische Außenminister Robert Schumann, der der ersten Vichy-Regierung 1940 angehörte und der bereits in der Zwischenkriegszeit als Abgeordneter des Département Moselle für die lothringischen Konservativen extrem rechten Strömungen des Katholizismus vertrat; der liberale Unternehmer Jean Monnet, ebenfalls Franzose, der noch lange nach seiner Arbeit als Banker in Kalifornien in Europa als informeller Mitarbeiter der Geheimdienste der USA tätig war; beide trieben nach dem Zweiten Weltkrieg die Idee einer Montanunion, die 1951 in die EGKS mündete, voran. Weiter hob ich hervor, dass es für eine linke Gegenhistorie auf EU-Ebene unabdingbar sei, nicht nur den konservativen bzw. liberalen Hintergrund der Väter Europas (Monnet, Schuman, Adenauer, Delors etc.) klar zu erfassen, sondern auch die gesamte Vorgeschichte der europäischen Integration in den 1920er Jahren als Einigungsbestrebungen der deutschen und französischen Großindustrie und eben nicht der europäischen Völker zu erkennen (um den luxemburgischen Großindustriellen Émile Mayrisch gründeten 1926 die Stahlindustrien Frankreichs, Belgiens, Luxemburgs, Saarlands und Deutschlands unter Führung Thyssens das Internationale Stahlkartell, erster Schritt hin zur späteren EGKS von 1950, die direkter Vorläufer der Europäischen Gemeinschaft war).


Anmerkung:

[1] siehe Pressemitteilung: http://de.european-left.org

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Quelle:
© 2013 by Tobias Baumann
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2013