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GRENZEN/070: Spanische Enklave Ceuta - Zugvögel willkommen, Zuwanderer nicht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Juni 2015

Migration: Festung Ceuta - Zugvögel willkommen, Zuwanderer nicht

von Andrea Pettrachin


Bild: © Andrea Pettrachin/IPS

Sperranlage etwa fünf Kilometer von der Stadt Ceuta entfernt
Bild: © Andrea Pettrachin/IPS

CEUTA, SPANIEN (IPS) - Wenige Kilometer vor der Grenze zwischen der spanischen Enklave Ceuta und Marokko weist ein Schild den spanischen Außenposten auf marokkanischem Boden als einen privilegierten Ort aus, um den Zugvögeln bei ihrer alljährlichen Wanderschaft über die Meerenge von Gibraltar zuzusehen.

Gibraltar ist der kürzeste Weg von Afrika nach Europa. Im Gegensatz zu den Vögeln können Migranten, die täglich zu Hunderten Spanien zu erreichen versuchen, die hohen Zäune an der Grenze nicht überwinden. Über diese Menschen, die Hunger, Verzweiflung und Kriegen entkommen wollen, hüllen sich die etwa 80.000 Einwohner Bewohner von Ceuta am liebsten in Schweigen.

Anfang Mai sorgte dann ein Vorfall für Gesprächsstoff. Bei der Durchleuchtung von Gepäck bei einer Grenzkontrolle wurde in einem Koffer der achtjährige Abou aus Côte d'Ivoire entdeckt. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die verzweifelten Bemühungen von Migranten, die sich in den nahegelegenen marokkanischen Wäldern sammeln, in die 'Festung Europa' zu gelangen.

Ceuta ist eines der wichtigsten Tore zwischen Nordafrika und dem Territorium der Europäischen Union. Ein Tor jedoch, dass seit Ende der 1990er Jahre verschlossen ist. Damals begannen die spanischen Behörden mit dem Bau von zwei sechs Meter hohen Zäunen, die mit Stacheldraht gesichert sind und die gesamte Enklave umgeben. Zwischen Wachtürmen verläuft eine Straße, über die Polizeipatrouillen schnell zu Einsätzen ausrücken können. Ein ähnliches Bild bietet Melilla, die andere spanische Enklave in Afrika.

Nicht alle Migranten haben ein so großes Medieninteresse ausgelöst wie Abou. Denn Tag für Tag versuchen junge Afrikaner, meist im Alter zwischen 15 und 30 Jahren, Spanien auf riskanten Wegen zu erreichen. Die meisten kommen über das Meer. Manche verstecken sich unter kleinen Schlauchbooten und schwimmen in Richtung Küste. Im Februar 2014 starben 15 Afrikaner, die um den Zaun herumschwimmen wollten, als Grenzposten Gummigeschosse auf sie abfeuerten. Andere zwängen sich in umgebaute Autos mit doppeltem Boden oder versuchen, über den Zaun zu klettern.

Die spanischen Radaranlagen auf dem Hacho-Berg sind ununterbrochen in Betrieb, um Afrikaner auszumachen, die sich der 18,6 Quadratkilometer großen Enklave nähern. Die Migranten, die es nach Ceuta schaffen, werden im 'Zentrum für den vorübergehenden Aufenthalt von Immigranten' untergebracht. Die riesige Anlage ist gut verborgen und weder von der Stadt noch von den umliegenden Hügeln aus zu sehen. Viele Einwohner von Ceuta wollen die Grenzzäune noch nie mit eigenen Augen gesehen haben, obwohl diese nur vier oder fünf Kilometer vom Zentrum der Stadt entfernt stehen.

Etwa die Hälfte der Einwohner von Ceuta sind marokkanischer Herkunft. Die wohlhabendste Bevölkerungsgruppe sind die Spanier, in der Regel sehr traditionsverbundene Katholiken. Seit Jahrzehnten wird die Stadt von der christdemokratischen Volkspartei PP regiert, die Veränderungen in aller Regel ablehnt. So wird in den Schulen beispielsweise kein Arabisch gelehrt.

Der zweiten Gruppe dieses rigiden 'Kastensystems' gehören die 'marokkanischen Ceutaner' an. Bei ihnen handelt es sich entweder um spanische Staatsbürger marokkanischer Herkunft oder Marokkaner, die gültige Aufenthalts- und Arbeitspapiere vorweisen können. Viele von ihnen haben den spanischen Lebensstil angenommen und sprechen besser Spanisch als Arabisch. Die meisten respektieren aber die Religion ihrer Väter.

Nicht wenige dieser marokkanischen Ceutaner sind durch den florierenden Grenzschmuggel zu Reichtum gekommen und leben in den schönsten Häusern der Stadt. Andere sind in dem heruntergekommenen Viertel 'El Principe' zu Hause, wo es häufig zu Spannungen mit der spanischen Bevölkerung kommt.


Viele Kinder staatenlos

Der letzteren Untergruppe gehören zahlreiche staatenlose Kinder an. Die Söhne und Töchter von Marokkanern, deren Aufenthaltsgenehmigungen abgelaufen sind, wurden den Behörden nie gemeldet. Sie haben keinen Zutritt zu den Schulen, obwohl nach geltendem Recht alle Kinder in Spanien ungeachtet ihrer Nationalität und ihres rechtlichen Status einen Anspruch auf Bildung haben.

Die dritte Gruppe sind die sogenannten 'Grenzgänger', Marokkaner, die zumeist in dem marokkanischen Dorf Fnideq wohnen und jeden Tag zur Arbeit über die Grenze kommen. Oft kaufen und verkaufen sie heimlich Waren auf dem Schwarzmarkt. Täglich sind sie in der Nähe des Grenzübergangs mit riesigen Paketen auf den Schultern zu sehen. Sie bleiben jedoch auf beiden Seiten der Grenze unbehelligt. Ein bilaterales Abkommen aus den 1960er Jahren sieht vor, dass auf Waren, die von einer Person auf den Schultern transportiert werden können, keine Zollgebühren anfallen.

Der vierten Gruppe gehören die Schwarzen an, die die Stadtbevölkerung am liebsten gar nicht zur Kenntnis nehmen würde. Dabei sind es vor allem diese Menschen, denen Ceuta seinen Wohlstand verdankt. Denn Spanien und die Europäische Union stellen für sie finanzielle Hilfen bereit. Ihrer Anwesenheit sind viele Jobs im öffentlichen Dienst und im Sicherheitsbereich zu verdanken.


Hohe Militärpräsenz

Ceuta wird seit jeher vor allem als militärischer Außenposten wahrgenommen. Durch die wenigen Straßen in der Enklave bewegt sich eine beeindruckende Zahl von Polizisten, Mitgliedern der 'Guardia Civil' und Soldaten. Häufig werden militärische Übungen abgehalten.

Nur wenige hundert Meter entfernt sieht die Welt völlig anders aus. Das winzige Dorf Benzú am Ende einer malerischen Küstenstraße im westlichen Teil der Enklave vereinigt in sich all die Widersprüche, die ganz Ceuta charakterisieren. Das Dorf mit seinen farbigen Häusern, das an einer traumhaften Küste liegt, wäre auch in einem Urlaubskatalog gut aufgehoben. Unweit der Ortschaft sind jedoch die letzten Pfeiler der Grenzbefestigung in dem kristallklaren Wasser zu erblicken.

Vor der Küste patrouillieren fortwährend Militär- und Polizeiboote beider Staaten. Nur wenige Meter trennen die letzten spanischen Gebäude von den ersten Häusern des marokkanischen Dorfes Beliones. Dazwischen liegen zwei mit Stacheldraht bewehrte Zäune. Auf der Straße, in der sich eine Bäckerei und ein kleiner Laden befinden, ist niemand zu sehen. Hoch über der Landschaft erstreckt sich das wolkenverhangene Bergmassiv Jebel Mussa ('Tote Frau').

Die Wälder auf marokkanischer Seite sind von Affen bevölkert, die vor dem Bau der Grenzzäune häufig in den Hügeln von Ceuta gesichtet wurden. Eine kleine Gruppe lebt noch immer in der Enklave - eingesperrt in einem Käfig im Park San Amaro. (Ende/IPS/ck/04.06.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/06/cueta-an-enclave-for-migrating-birds-not-humans/

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IPS-Tagesdienst vom 4. Juni 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2015

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