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SCHULDEN/004: Deutschland - Profiteur der Eurokrise? (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 9/2011

Deutschland - Profiteur der Eurokrise?

Von Maik Grabau und Heike Joebges


Entgegen dem allgemein vernehmbaren Tenor profitiert Deutschland nicht nur vom Euro, sondern auch von der derzeitigen Krise in einigen EWU-Staaten. Dazu gehörten bis vor kurzem auch hohe Zinsgewinne aus den Rettungsmaßnahmen (bislang 200 Mio. Euro), die gleichzeitig eine Überwindung der Verschuldungsprobleme durch die Peripherieländer erschwerten. Der EU-Sondergipfel im Juli hat immerhin diesen groben Fehler der bisherigen Rettungsmaßnahmen korrigiert. Das allein reicht aber nicht zur Bewältigung der Krise. Ein Umsteuern ist auch im deutschen Interesse.


In der öffentlichen Debatte in Deutschland taucht die Krise im Euroraum vor allem dann auf, wenn über den deutschen Beitrag zu Rettungspaketen diskutiert wird. Vor allem in den Boulevardmedien bekommt man den Eindruck, Deutschland, ohnehin "Zahlmeister" der Währungsunion, sei im Rahmen der Rettungsaktionen gezwungen, unvernünftig wirtschaftende Länder zu finanzieren. Dabei wird gern vergessen, dass Deutschland vor der Finanzkrise vier Jahre in Folge Haushaltsdefizite aufwies, die höher waren als für Euroraum-Mitgliedsländer erlaubt.

Doch selbst wenn man die Vorgeschichte ignoriert: Die ständige Diskussion um eine notwendige Ausweitung der Rettungspakete, die Anzahl der zu stützenden Länder und die Sorge vor einem "Fass ohne Boden" erzwingen die Frage, ob der bisherige Weg zur Bewältigung der Krise im Euroraum richtig ist. Gerade in Deutschland haben die Zweifel an den Vorteilen des Euro und an dessen Rettung zugenommen, auch weil es Deutschland wirtschaftlich derzeit gut geht.

Doch entgegen dieser Zweifel ist erstens die derzeitige gute wirtschaftliche Performance Deutschlands unter anderem der Schwäche der anderen EWU-Länder zu verdanken. Und zweitens hat Deutschland das Geld nicht verschenkt, sondern verliehen. Es fließt also wieder zurück - allerdings nur dann, wenn man den bedrängten Ländern auch realistische Bedingungen für die Rückzahlung der empfangenen Hilfen gewährt. Notwendig sind dafür einerseits niedrige Zinskosten für die Kredite und andererseits ein ausreichend hohes Wirtschaftswachstum in den betroffenen Ländern.

Während der EU-Sondergipfel im Juli 2011 immerhin zu einem Rückgang der Zinskosten beigetragen hat, fehlen weiterhin Mittel für Wachstum ankurbelnde Maßnahmen. Bleibt letzteres aus, wird die Verschuldung gemessen am BIP weiter steigen - und damit auch die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls in einem Land. Alle Gläubiger - auch deutsche Banken und Versicherungen müssten einen großen Teil der vergebenen Kredite abschreiben. Da eine Ansteckung anderer Länder wahrscheinlich wäre, wäre auch eine erneute Finanzkrise nicht auszuschließen, an deren Ende wieder Stützungsleistungen für Banken stehen würden. Diese wären definitiv teurer als die Stützung der heutigen Problemländer.


Wie Deutschland von der Schwäche anderer profitiert

Erstens: Euro-Entwicklung unterstützt Exporte.
Aus Sicht der deutschen Exportwirtschaft besteht der größte Vorteil der Krise im Euroraum darin, dass die Ausfuhren wegen der Zweifel über die Stabilität des europäischen Währungsraumes derzeit kaum von einer Aufwertung der eigenen Währung gebremst werden. Denn normalerweise würde die momentan schwache wirtschaftliche Entwicklung in den USA und in Großbritannien zu einer deutlichen Aufwertung des Euros führen und damit Exporte erschweren. Dank der "Bremswirkung" der Euro-Peripherie boomt der deutsche Export. Man stelle sich vor, Deutschland würde aktuell noch über eine eigene Währung verfügen. Hier hilft ein Blick auf die Jahre 1992/93, als die Krise im Europäischen Währungssystem die D-Mark so stark aufwerten ließ, dass sich die Exportüberschüsse Deutschlands in kürzester Zeit zu Importüberschüssen wandelten und in Deutschland eine lang anhaltende Debatte über die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit des heimischen Standortes auslösten.

Zweitens: Geringe Zinskosten staatlicher Kapitalmarktfinanzierung.
Am Kapitalmarkt gelten Bundesanleihen momentan als "sicherer Hafen". Die Sorge vor möglichen Zahlungsausfällen bei Staatsanleihen der Euro-Peripherie hat eine vermehrte Nachfrage nach deutschen Staatsanleihen ausgelöst - und damit auch ungewöhnlich niedrige Renditen. Damit ist es für den deutschen Staat derzeit einfach und preiswert, sich am Kapitalmarkt zu finanzieren, was die Zinskosten reduziert und damit den eigenen Schuldenabbau erleichtert.

Drittens: Gewinnmargen bei den Rettungsaktionen.
Entgegen der Darstellung in einigen Boulevardmedien wird den bisherigen Empfängerländern kein Geld geschenkt. Sie erhalten die Hilfen als Kredite, auf die sie Zins- und Tilgungsleistungen zu zahlen haben. Die anfangs vereinbarten Rettungsmaßnahmen sahen sogar hohe Gewinnmargen für die Geberländer vor: Die Zinsen lagen zwar unter den aktuellen Kapitalmarktzinsen der Peripherieländer, aber gleichzeitig auch über denen der Kapitalgeber. Das wurde glücklicherweise geändert.

Für Deutschland betrug die Differenz zwischen den eigenen Refinanzierungskosten (ungefähr 2,5 %) und dem zunächst vereinbarten Kreditzins für Griechenland (5,5%) rund 3%, was bei einem Anteil von gut 22 Mrd. Euro am ersten Rettungspaket gut 660 Mio. Euro pro Jahr ausgemacht hätte. Ähnlich attraktiv waren die Zinsspannen bei der Rettung Irlands und Portugals, die beide über den Europäischen Rettungsfonds unterstützt werden, an dem Deutschland mit Krediten und Bürgschaften beteiligt ist. Die Zinsgewinne der Geberländer hatten bereits zu verständlicher Kritik der Empfängerländer geführt und wurden auf dem Gipfel im Juli 2011 korrigiert.

Da realistische Rückzahlungsbedingungen auch im Interesse der Geberländer sind, ist es begrüßenswert, dass auf dem EU-Sondergipfel beschlossen wurde, die Kreditzinsen für die Nehmerländer mit 3,5% auf die Höhe der Refinanzierungskosten der Geberländer zu senken. Damit entfallen zwar Zinsgewinne für die Geldgeber, die Rückzahlung der Kredite wird dadurch aber realistischer.

Ziel der Rettungsmaßnahmen war es, die Mitgliedsländer bei der Finanzierung ihrer Neuverschuldung (mit Zinskosten unterhalb der Marktzinsen) so zu unterstützen, dass sie mittelfristig ihre Verschuldung würden abbauen können. Wäre das Rettungskonzept auch aus Sicht privater Gläubiger überzeugend gewesen, hätten sich die von privaten Investoren geforderten Risikoaufschläge auf (bzw. höhere Renditen von) Staatsanleihen von Krisenländern wieder zurückgebildet und mittelfristig eine Finanzierung der Staatsverschuldung allein über die Kapitalmärkte erlaubt.


Rettungsmaßnahmen, immer wieder nachgebessert

Doch überzeugend war bisher noch keine der Rettungsaktionen: Gleich das erste Rettungspaket für Griechenland im Mai 2010 scheiterte in dieser Hinsicht, denn nicht nur die Renditen auf griechische Staatsanleihen stiegen daraufhin weiter, sondern auch die Renditen von Staatsanleihen anderer Peripherieländer. Erst die Ankündigung eines allen Mitgliedsländern offen stehenden europäischen Rettungsschirmes konnte die Märkte (kurzfristig) beruhigen. Dieses Rettungspaket wurde bisher von Irland und Portugal in Anspruch genommen. Es musste im Frühjahr 2011 nicht nur im Umfang, sondern auch in der Dauer verlängert werden. Mit dem EU-Sondergipfel wurden jetzt nicht nur das Rettungspaket für Griechenland um zusätzliche 109 Mrd. Euro aufgestockt und die Zinskosten (auch für Irland und Portugal) gesenkt, sondern gleichzeitig auch eine Flexibilisierung des bisherigen Rettungsschirmes beschlossen: Künftig können Länder auch vorbeugend zinsgünstigere Kredite in Anspruch nehmen. Flankiert wurde das zweite Rettungspaket für Griechenland durch Anreize für private Gläubiger, ihre griechischen Staatsanleihen freiwillig in länger laufende Anleihen mit geringeren Renditen zu tauschen, teilweise mit leichtem Abschlag auf den Wert.

Damit gingen die Beschlüsse vom EU-Sondergipfel immerhin eine Fehlkonstruktion der Rettungspakete an, die in der Vergangenheit die Krisenbewältigung erschwert hat: Da private Investoren einen immer höheren Risikoaufschlag für einen möglichen Zahlungsausfall Griechenlands sowie anderer Peripherieländer forderten, stieg der Teil der Steuerannahmen, der allein für die Zinskosten der bestehenden Verschuldung aufgewandt werden musste, deutlich - für Griechenland z.B. auf über 30%. Eine sich selbst erfüllende Spekulation: Je höher die Risikoaufschläge sind, welche Investoren aus Sorge vor einem Zahlungsproblem verlangen, desto höher der Anteil der Einnahmen, der für den Zinsdienst aufgebracht werden muss und desto niedriger der Schuldenabbau. Ohne Unterbrechung des Teufelskreises wird das Land tatsächlich zahlungsunfähig.

Die Kombination aus geringeren Zinskosten für die Rettungsmaßnahmen plus Anreize für private Investoren, in Staatsanleihen mit geringerer Rendite umzuschulden, soll die gesamte Zinsbelastung für Griechenland auf ein tragbares Niveau senken. Ob das allein mit den bisher beschlossenen Maßnahmen gelingt, ist aber unwahrscheinlich: Erstens werden sich private Investoren beim Umtauschprogramm nur beteiligen, wenn es für sie attraktiv ist - damit werden die Renditen nicht ausreichend sinken. Zweitens müsste für einen deutlichen Rückgang der Risikoaufschläge die Furcht vor einem Zahlungsausfall Griechenlands sinken. Dafür notwendig wären - neben einer verbesserten Steuereintreibung Griechenlands - vor allem bessere Wachstumsaussichten.

Denn die mit den Rettungspaketen verbundenen Sparauflagen für die Empfängerländer haben den Wirtschaftseinbruch in den betroffenen Ländern noch verstärkt, die Steuereinnahmen gedämpft und gleichzeitig den Bedarf an staatlichen Sozialleistungen und Transfers erhöht. Folgerichtig stieg die Verschuldung der Länder gemessen am BIP. So wurde Griechenland von der OECD zwar für seine Sparbemühungen im Jahr 2010 gelobt: Kein anderes OECD-Land habe es in den letzten 25 jahren geschafft, sein um konjunkturelle Einflüsse bereinigtes Haushaltsdefizit innerhalb eines Jahres um 7,5%-Punkte zu reduzieren. Die Neuverschuldung Griechenlands blieb aber wegen der schwachen Wirtschaftsentwicklung bei gleichzeitig steigender Zinslast hoch.

Damit die Peripherieländer eine Chance zur Überwindung ihrer Probleme haben, müssen ihre Zinskosten sinken und gleichzeitig ihre Wachstumsaussichten steigen. Für letzteres müssten den Ländern Investitionen in Wachstum steigernde Maßnahmen ermöglicht werden. Für ersteres ist entscheidend, dass die gesamte Zinslast sinkt, nicht nur die für Kredite aus den Rettungspaketen. Ohne realistische Bedingungen zur Schuldenreduktion werden die Risikoaufschläge auf Staatsanleihen dieser Länder letztendlich eine volle Rückzahlung unmöglich machen. Dass im Fall Griechenlands die Anreize für private Investoren zur Umschuldung in ausreichendem Maße dazu beitragen werden, ist ohne bessere Wachstumsaussichten unwahrscheinlich.

Um die Finanzierungskosten dauerhaft und umfassender zu senken, wäre die Einführung von Eurobonds sinnvoll gewesen. Bedauerlich ist, dass die Durchsetzung dieser Idee mit dem EU-Sondergipfel weniger wahrscheinlich geworden ist, denn die beschlossene Flexibilisierung der bestehenden Rettungsschirme kann teilweise als Substitut dazu angesehen werden.

Selbst wenn Eurobonds eine leichte Erhöhung der Refinanzierungskosten des deutschen Staates mit sich brächten (was nicht zwangsläufig der Fall ist), wäre das für Deutschland immer noch deutlich kostengünstiger als jede Rettungs-Alternative mit hohen Ausfallrisiken: Denn die stetige Ausweitung der Rettungspakete ohne realistische Rückzahlungsbedingungen für die betroffenen Länder macht es sehr wahrscheinlich, dass am Ende ein Großteil des staatlichen Engagements verloren und gleichzeitig die Wirtschaft in den Problemländern auf Jahre hinaus belastet sein wird. Deutschland hätte dann nicht nur wichtige Abnehmerländer für seine Exporte verloren, sondern müsste enorme Transfers für den Wiederaufbau dieser Länder leisten. Der politische Schaden ist dabei noch gar nicht mitberücksichtigt.


Maik Grabau (* 1969) war zwischen 1997 und 2002 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Martin-Luther Universität Halle/Wittenberg und der FU Berlin und ist seit 2006 Abteilungsdirektor für Management und Controllingverfahren beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV).
mgrabau@gmx.de

Heike Joebges (* 1972) war Referatsleiterin für internationale Konjunktur bei der Hans-Böckler-Stiftung und ist seit 2010 Professorin für International Economics an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Finanz- und Währungskrisen sowie der Euroraum.
Joebges@HTW-Berlin.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 9/2011, S. 39-42
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Siegmar Gabriel,
Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka, Thomas Meyer und Peter Struck
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2011