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SCHULDEN/031: Der europäische Fiskalvertrag und das Wachstum in der Eurozone (spw)


spw - Ausgabe 1/2012 - Heft 188
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Der europäische Fiskalvertrag und das Wachstum in der Eurozone

Von Arne Heise



Die fieberhafte Suche - in den Jahren 2010 und 2011 gab es statt der üblichen vier Halbjahrestreffen insgesamt 14 EU-(Sonder-)Gipfel - nach Lösungen der Euro-Krise geht auch in 2012 weiter. Das jüngste Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs im Januar 2012 brachte nun die Absprachen des letzten Sondergipfels im Dezember 2011 in eine verbindliche Form: den Fiskalvertrag, der gleichermaßen als der große Wurf gepriesen wie als letzte Chance für eine Vertrauensstabilisierung angesehen wird.

Da der Vertrag in der Kontinuität der bereits in 2011 diskutierten bzw. bereits ergriffenen Maßnahmen steht, sollte nicht überraschen, dass sein Ausgangspunkt weiterhin eine einseitige Lesart der Eurokrise als 'Krise der Staatshaushalte' einiger EU-Mitgliedsländer ist. Es geht deshalb im Wesentlichen um die kurzfristige Sicherung der Liquidität der EU-Regierungen, die Konsolidierung der seit der Weltfinanzkrise fast überall in der Eurozone aus dem Ruder laufenden Staatsschuldenquoten und die langfristige (und deshalb strukturelle) Weichenstellung in Richtung einer restriktiveren Haushaltspolitik. Dazu wird zunächst einmal der eigentlich nur als temporärer 'Rettungsschirm' gedachte Europäische Finanzmarktstabilisierungsfonds (ESFS) in einen dauerhaften Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) bereits ab Mitte 2012 umgewandelt und insgesamt auf ein Volumen von 950 Mrd. Euro (inklusive der IWF-Anteile) aufgestockt. Diese Mittel können EWU-Ländern mit akuten Liquiditätsproblemen unter den Prinzipien der Konditionalität, Einstimmigkeit und Ultima Ratio zur Verfügung gestellt werden. Damit können Gemeinschaftskosten - spekulative Überhöhungen des unsicherheitsbedingten Zinsspreads und Ansteckungskosten i.w.S. - vergemeinschaftbar werden. Vor allem soll damit der Spekulation um das Fortbestehen der EWU und die Vermeidung von Staatsbankrotten in der EWU endgültig begegnet werden. Die Konditionalität der Mittelbereitstellung, die dann unerlässlich ist, wenn tatsächlich fehlerhafte Wirtschaftspolitik und nicht externe Schocks zur Notwendigkeit der Inanspruchnahme des ESM führen, kann aber natürlich auch problematisch werden, wenn dadurch wirtschaftspolitische Maßnahmen erzwungen werden, die weder ökonomisch funktional noch politisch tragfähig sind - dies ist es, was wir gegenwärtig im Falle Griechenlands erleben.

Obwohl der Eurozone in der Zeit vor der Weltfinanzkrise eine z.B. im Vergleich zum OECD-Durchschnitt relativ starke Konsolidierung der öffentlichen Haushalte gelungen und der massive Anstieg der öffentlichen Defizite und Schuldenstandsquoten nach 2008 ganz offensichtlich die Folge der Krise und der notwendigen Krisenbekämpfungsmaßnahmen war, wird in völliger Verkehrung der Kausalzusammenhänge die '(Sanktions-)Schwäche' des bisherigen Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts (ESWP) zur wesentlichen Ursache der Euro-Krise stilisiert und folglich nun eine Stärkung des ESWP beschlossen. Danach soll der 'präventive Arm' des ESWP nicht nur die Haushaltsdefizite, sondern auch die Schuldenstandsquoten in den Blick nehmen. Solange diese Schuldenstandsquoten die arbiträr gesetzte Größenordnung von 60 Prozent des BIP deutlich überschreiten, muss nun der fiskalpolitische Austeritätskurs fortgesetzt werden, selbst wenn das strukturelle Haushaltsdefizit eines EWU-Landes das Ziel des ESWP von 'beinahe Null' erreicht hätte. Um diese finanzpolitische Orientierung zu erzwingen, soll im 'korrektiven Arm' des ESWP die Sanktionierung von Fehlverhalten dadurch quasi automatisiert werden, dass die Sanktion nicht länger beschlossen, sondern in Umkehrung der Begründungspflicht die Nicht-Sanktion nur noch durch qualifizierte Mehrheit abgewendet werden kann. Darüber hinaus verpflichten sich die Euroländer (und mit Ausnahme von Großbritannien und Tschechien auch alle anderen EU-Mitgliedsstaaten) eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild konstitutionell abzusichern. Mit diesen demokratietheoretisch äußerst bedenklichen Verfahrensneuerungen wären zwar weder die 'Griechenland-Krise' noch die 'Irland-Krise' zu verhindern gewesen, gleichwohl wird die bislang immerhin bestehende Flexibilität des ESWP weiterhin eingeschränkt. Ein ökonomisch 'dummer Pakt' (so der ehemalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi) wird damit weiter verschlimmert, der Druck auf die Ausgabenseite der EWU-Staaten aufrechterhalten und er dürfte damit die Grundlage für eine stagnative Marktkonstellation in der EWU schaffen.

Man muss nicht Keynesianer sein, um zu begreifen, dass die verheerenden Wirtschaftsdaten, die nach jeder weiteren Sparrunde aus Griechenland (aber auch anderen Eurozone-Ländern wie Irland, Spanien oder Portugal) gemeldet werden, etwas mit dem durch die Sparprogramme ausgelösten Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zu tun hat - und damit nicht nur massive Arbeitsmarkt- und Sozialprobleme auslöst, sondern selbst das Konsolidierungsziel gefährdet. Deshalb wird der Ruf lauter, die restriktiven strukturellen Maßnahmen des Fiskalvertrags durch einen 'Neuen Marshall Plan' zu ergänzen, der Wachstumsimpulse insbesondere in den am schlimmsten betroffenen Ländern setzen soll. Da auf nationaler Ebene nach den Maßgaben des Fiskalvertrags dafür keinerlei Spielräume mehr besteht, die EU aber über keine eigenständigen Möglichkeiten verfügt durch Schuldenaufnahme ('deficit spending') diese Rolle zu übernehmen, wird auf die im EU-Haushalt vorhandenen Mittel verwiesen und eine 'Konzentration' der Bereitstellung für besonders betroffene Länder ins Spiel gebracht (als Kriterium wird eine überdurchschnittlich hohe Jugendarbeitslosigkeit genannt). Nach dieser Lesart stehen noch etwa 80 Mrd. Euro aus den EU-Strukturfonds unverausgabt zur Verfügung - eine Summe, die tatsächlich, wenn sie denn auf wenige Länder konzentriert werden könnte, beachtliche Wachstumsimpulse setzen würde (zum Vergleich: die staatlichen Investitionen Griechenlands betrugen im Jahr 2011 etwa 5 Mrd. Euro!). Tatsächlich aber handelt es sich bei den 80 Mrd. Euro um etwa jene Mittel des EU-Strukturfonds, die für die letzten beiden Jahre des Finanzplanungszeitraumes von 2007-2013 vorgesehen sind. Diese Mittel sind nach einen feste Schlüssel bereits vergeben und die besonders betroffenen Ländern bereits jetzt wesentlich daran beteiligt - so erhält Griechenland pro Einwohner 260 Euro, Deutschland nur 45 Euro! Zusätzliche Konzentration, die allenfalls geringe expansive Effekte zeigen könnte, wird sich im europäischen Verteilungskampf kaum durchsetzen lassen.

Es zeigt sich, dass das EU-Governance-System, welches die nationalen Politikrationalitäten widerspiegelt, einer massiven Krise des gemeinsamen Währungsraums nicht gewachsen ist.


Dr. Arne Heise ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 1/2012, Heft 188, Seite 41-42
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2012