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SCHULDEN/037: Es bleibt beim alten Kurs - EU-Geld direkt an die Banken (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 27 vom 6. Juli 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Es bleibt beim alten Kurs
EU-Geld direkt an die Banken

von Georg Polikeit



Die Aufregung über die Ergebnisse des jüngsten Euro- und EU-Gipfels am 28./29. Juni in Brüssel war gewaltig. Verwirrung bis in die Reihen der Regierungsfraktionen hinein. "Italien und Spanien siegten im Verhandlungspoker" und "Angela Merkel erleidet bei EU-Gipfel Niederlage", titelte spiegel-online im Gleichklang mit fast allen anderen deutschen Medien. So viel Uniformität in der Sprachregelung lässt fragen, was dahinter verborgen werden soll. Im Wesentlichen lassen sich die Ergebnisse des Treffens der Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten bzw. der 17 Euro-Staaten auf folgende Hauptpunkte zusammenfassen:

• Der Zugriff auf den "Euro-Rettungsschirm" (ESM) wird unter bestimmten Bedingungen erleichtert. Vor allem sollen in den EU-Staaten ansässige Großbanken in Zukunft direkt Hilfsgelder aus diesem "Rettungsschirm" erhalten, ohne den bisherigen Umweg über die jeweiligen Staaten. Damit wird deutlicher, wofür die EU-"Rettungsschirme" eigentlich da sind und auch bisher schon funktioniert haben: für die Rettung von maroden Banken und Finanzkonzernen, die sich mit unseriösen Kreditgeschäften, Geldanlagen und Spekulationen verzockt haben. Das Geld aus den EU-Rettungsschirmen bekamen - entgegen der landläufigen Darstellung in den Medien - auch bisher schon nicht "die Griechen" oder "die Portugiesen", die im Gegenteil mit massiven Lohn- und Rentenkürzungen, Sozialabbau, Entlassungen und Privatisierungen für von ihnen nicht verursachte Schulden zur Kasse gezwungen wurden. Nun soll EU-Geld also auch direkt an die Banken fließen, ohne Einschaltung der jeweiligen Regierungen (und damit auch ohne etwaige Kontrolle durch Parlamente). Details sind noch zu regeln.

• Auch Euro-Staaten in Finanznöten sollen unter bestimmten Umständen künftig "Hilfen" erhalten, ohne dass sie sich dem strengen Regime der Spar- und Privatisierungsdiktate, der strikten Kontrolle und Bevormundung durch die EU-Oberen unterwerfen. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Regierungen dieser Staaten vorher schon genügend "Sparwillen" und Entschlossenheit zum Sozialabbau unter Beweis gestellt und entsprechende EU-Empfehlungen eingehalten haben.

• Der vor allem von Frankreichs neuem Staatspräsidenten Hollande geforderte "Wachstumspakt" in Höhe von 120 Milliarden Euro wurde im Prinzip beschlossen. Damit sollen große, strategisch wichtige und vor allem grenzübergreifende Projekte in den Bereichen Verkehr, Energie und Kommunikationsnetze finanziert werden. Das soll zur "Ankurbelung" der Wirtschaft dienen. Details dazu müssen ebenfalls erst noch ausgearbeitet werden.

• Weitergehende Vorstellungen zur Sanierung und Weiterentwicklung der Euro-Zone, die von EU-Ratspräsident van Rompuy unter dem Titel "Weg zu einer echten Wirtschaftsund Währungsunion" präsentiert worden sind, wurden nach kontroverser Debatte aufgrund der bereits im Vorfeld geäußerter Einwände von Kanzlerin Merkel nicht beschlossen. Eine weitere Diskussion über ein neues Papier zu diesem Thema wurde auf später vertagt. Frau Merkel hatte in den Rompuy-Texten einen Einstieg in die "Vergemeinschaftung von Schulden" entdeckt und deshalb entschieden dagegen Front gemacht.

Es stimmt also, dass die deutsche Kanzlerin beim Euro-Gipfel bestimmte Konzessionen gemacht hat, die sie kurz vorher noch vehement abgelehnt hat. Aber zugleich hat sie sich mit dem hartnäckigen Nein zu "Eurobonds" und ähnlichen Konzepten zur Schuldenbekämpfung weiter durchgesetzt. Das Einlenken Merkels in zwei Punkten kam zustande, weil Italiens Regierungschef Monti und sein spanischer Amtsbruder Rajoy damit drohten, den "Wachstumspakt" und damit praktisch den ganzen Gipfel platzen zu lassen, wenn ihren Forderungen nach Soforthilfe gegen akuten Krisenprobleme nicht nachgegeben wird. Deshalb musste eine "dramatische Nachtsitzung" eingelegt werden. Ein Scheitern des Gipfels konnte sich Frau Merkel in der gegebenen Situation nicht leisten. Denn dann wäre die Zweidrittelmehrheit im Bundestag bei den für den nächsten Tag angesetzten Abstimmungen über "Fiskalpakt" und ESM gefährdet gewesen. Sie konnte die Zugeständnisse aber machen, weil sie im Anschluss nicht ohne Grund behaupten konnte, am bisherigen Kurs von "Leistung, Gegenleistung, Konditionalität und Kontrolle" gegenüber den Schuldenstaaten sei festgehalten worden.


Brüssel erhält mehr Macht
Debatten auf dem EU-Gipfel - keine Kurswende in Sicht

Über die Ausgestaltung der Beschlüsse des letzten Euro- und EU-Gipfels (siehe oben) stehen nun weitere Verhandlungen an. Dabei könnte sich leicht herausstellen, dass "der Teufel im Detail" steckt. Hier eine Übersicht zu einigen Punkten in der Diskussion:


Bankenaufsicht - das kann noch dauern

Die Direktvergabe von Mitteln aus dem ESM-"Rettungsfonds" an Banken ist laut Gipfelerklärung vom 29. Juni an die vorherige Einrichtung einer "europäischen Bankenaufsicht" gebunden. Deshalb wurde die Brüsseler EU-Kommission jetzt beauftragt, "in Kürze" Vorschläge für einen "einheitlichen Aufsichtsrahmen" vorzulegen, der dann bis Ende 2012 beschlossen werden soll. Der Text sieht ausdrücklich ein Verfahren vor, das das EUParlament von einer Mitentscheidung ausschließt.

Inzwischen ist ein Streit entbrannt, ob diese Bankenaufsicht direkt durch die "Europäische Zentralbank" (EZB) erfolgen oder dafür ein neues EU-Amt geschaffen werden soll. Die deutschen Bankenverbände haben bereits heftige "Skepsis" gegen das Vorhaben geäußert. Auf jeden Fall wird es aber noch dauern, bis diese "Bankenaufsicht" tatsächlich aufgebaut und der Umfang ihrer Tätigkeit und ihre Funktionsweise genau bestimmt sind. Selbst wenn es im weiteren Verlauf keine neuen Auseinandersetzungen um Details geben solle, dürfte das Ganze frühestens Anfang 2014 operationsfähig sein.

So lange konnten die spanischen Banken, die sich mit ihren Immobilienspekulationen übernommen hatten, nicht warten. Deshalb beschloss der Gipfel dafür eine "Sonderregelung". Spanische Banken bekommen jetzt schon "Hilfsgelder" aus dem "Rettungsfonds" EFSF, ohne dass es eine europäische Bankenaufsicht gibt.


Wachstumspakt - eine Mogelpackung

Der im Schlussprotokoll des EU-Gipfels als Anhang aufgenommene "Pakt für Wachstum und Beschäftigung" geht vor allem auf den französischen Staatspräsidenten Hollande zurück. Der braucht ihn, um damit sein Wahlversprechen zu umgehen, er werde den EU-Fiskalpakt so, wie er ist, nicht ratifizieren und Neuverhandlungen verlangen. Jetzt behauptet er, mit dem "Wachstumspakt" als "Ergänzung" des Fiskalpakts sei sein Wahlversprechen eingelöst.

In Wirklichkeit steht die neoliberale Logik des Fiskalpakts mit der daraus folgenden verschärften Sparpolitik für alle EU-Staaten natürlich in striktem Gegensatz zur Förderung des Wirtschaftswachstums.

Der Hollande-Vorstoß fand jedoch die Unterstützung der deutschen Kanzlerin, weil sie das gleiche Manöver benutzen konnte, um der Mehrheit der SPDBundestagsabgeordneten ein Alibi für ihre Zustimmung zum Fiskalpakt im deutschen Bundestag zu verschaffen und damit die erforderliche Zweidrittelmehrheit zu erreichen.

Nach den EU-Texten soll der "Wachstumspakt" einen Umfang von etwa 120 Milliarden Euro oder ein Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts (BIP) haben. Experten vermerkten dazu, dass sowohl dieser begrenzte und auf mehrere Jahre aufgesplittete Umfang als auch die vorgesehene vorrangige Ausrichtung auf "länderübergreifende" Infrastruktur-Großprojekte kaum geeignet sein dürften, in den am meisten krisengeschüttelten EU-Staaten tatsächlich so etwas wie einen Wirtschaftsaufschwung auszulösen. 55 der insgesamt 120 Milliarden sollen durch bisher nicht abgerufene Gelder aus EU-Strukturfonds aufgebracht werden. Das ist also keine echte Erweiterung des bisher schon vorgesehenen Investitionsvolumens. Außerdem will die EU das Kapital der "Europäischen Investitionsbank" (EIB) um 10 Milliarden erhöhen. Damit sollen dann angeblich auf dem internationalen Finanzmarkt weitere 60 Milliarden für den "Wachstumspakt" mobilisiert werden. Schließlich sollen weitere 4,5 Milliarden durch neuartige "Europrojektbonds" vom Privatkapital aufgebracht werden. Beides sind Rechnungen mit dem Unbekannten.

Offen blieb auch, wer Geld aus diesem Wachstumspakt bekommen soll und welche Vorhaben damit konkret gefördert werden. Mit einiger Wahrscheinlichkeit dürfte der Löwenteil letztlich nicht an die am meisten von der Krise gebeutelten Staaten gehen, sondern an die großen transnationalen Konzerne der EU-Führungsstaaten, weil nur sie die Technologie und das Know-how haben, um solche "großen Infrastrukturprojekte" tatsächlich zu verwirklichen. Natürlich können dabei auch ein paar Aufträge an die "heimische Wirtschaft" schwächerer EU-Staaten abfallen. Aber im Wesentlichen dürfte es sich um ein Projekt zur Auftrags- und Gewinnförderung der transnationalen Großkonzerne handeln.


Mehr Europa = mehr Macht für Brüssel

Es wäre ein Irrtum anzunehmen, dass die Beschlüsse des jüngsten EU-Gipfels eine Art Kurswende weg vom bisherigen neoliberalen Spar- und Privatisierungskurs einläuten könnten. Im Schlussprotokoll wurde ausdrücklich die Entschlossenheit bekräftigt, die Euro-Währungsunion "zu erhalten und für die Zukunft auf eine solidere Grundlage zu stellen".

Kanzlerin Merkel und andere deutsche Politiker haben in den Tagen vor dem Gipfel wiederholt betont: "Wir brauchen mehr Europa, nicht weniger". Am weitesten ging dabei Finanzminister Schäuble in einem Interview mit dem "Spiegel" (25.6.), in dem er den Ausbau der EU zu einer "Fiskalunion" propagierte, "in der die Nationalstaaten Kompetenzen in der Haushaltspolitik abtreten". Bisher hätten in der EU fast immer die Nationalstaaten das letzte Wort, sagte er, und das könne nicht so bleiben. "Wir müssen in wichtigen Kompetenzbereichen mehr Kompetenzen nach Brüssel verlagern".

Als "Optimalfall" bezeichnete Schäuble die Einführung eines "europäischen Finanzministers", der ein Vetorecht gegen die Haushalte der Nationalstaaten hat und die Höhe ihrer Neuverschuldung zu genehmigen hat. Ferner müsse die Brüsseler Kommission zu einer echten EU-Regierung gemacht werden, deren Präsident in einer europaweiten Direktwahl bestimmt würde. Da solche weitreichenden Veränderungen in Richtung eines supranationalen EU-Staates "die Grenzen des Grundgesetzes" überschreiten würde, brachte Schäuble dann auch die Idee der Ausarbeitung einer neuen Verfassung, die das Grundgesetz ablöst, und die Abhaltung einer Volksabstimmung darüber in die Diskussion. Man darf annehmen, dass bei dieser Gelegenheit dann auch gleich die "alten Zöpfe" im Grundgesetz aus der Zeit von 1949, Sozialstaatsklausel, Eigentumsbindung an das Allgemeinwohl, Möglichkeit von Enteignungen und Vergesellschaftung sowie die Artikel zur Friedenspflicht und zur Begrenzung von Bundeswehreinsätzen im Ausland "modernisiert" werden würden.

Für die EU wird jedenfalls an dem Kurs festgehalten, dass "mehr Europa" mehr Macht für die zentralen EU- bzw. Euro-Gremien gegenüber den Mitgliedsstaaten bedeuten soll, vor allem im Bereich der Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftspolitik.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang,
Nr. 27 vom 6. Juli 2012, Seite 1 + 6
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2012