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DILJA/003: EU-Kommissionspräsident Barroso droht mit Militärputschen in Europa (SB)


Wenn das Brüsseler Spardiktat nicht befolgt werde, so Barroso, sei Schluß mit Demokratie

Ganz Europa - nicht nur Griechenland, Spanien und Portugal - ist bedroht


José Manuel Barroso, früherer Ministerpräsident Portugals und derzeit als Präsident der EU-Kommission so etwas wie der "Europa-Chef", hätte die Äußerungen, die er vor über einem Monat, am 11. Juni, gegenüber führenden Gewerkschaftsfunktionären getätigt hat, sicherlich als Warnung und nicht als eine Drohung verstanden wissen wollen. Barroso stellte bei dieser vermutlich nicht zufällig gewählten Gelegenheit klar, daß in den Staaten der EU, vornehmlich in den südeuropäischen, im Zuge der Wirtschafts- bzw. Währungskrise eine Ende der Demokratie bevorstehen könnte. Der Kontext, in den diese von Barroso selbst mit dem Attribut "apokalyptisch" [1] versehenen düsteren Vorhersagen vom EU-Kommissionspräsidenten gestellt wurden, legt jedoch nahe, daß die Drohung mit womöglich bevorstehenden Militärputschen, Bürgerkriegen und Diktaturen die grobe Keule war, um die Gewerkschaftsführer auf Kurs zu stimmen und in eine große, zum Zwecke der Aufstandsbekämpfung und Widerstandszerschlagung geschmiedete Allianz einzubeziehen.

Die an dieser Unterredung teilnehmenden Gewerkschafter sollen sich Presseberichten zufolge "geschockt" gezeigt haben. John Monks, Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbunds (ETUC), hat die Kröte offensichtlich geschluckt. Er hat in einem Interview gegenüber dem Online News Service EUobserver noch am 11. Juni erklärt, daß die gegenwärtige Situation in Europa "sehr gefährlich" [2] sei. Er hat sich die Drohungen bzw. Warnungen Barrosos zu eigen gemacht, indem er klarstellte, "wir bewegen uns zurück in die 1930er Jahre mit der Großen Depression". Monks sagte nicht, daß "wir schon soweit sind", erklärte jedoch, daß die Lage "nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch sehr gefährlich" werden könnte. Der Gewerkschafter berief sich mit seinen Äußerungen auf seine Unterhaltung mit Barroso, dessen Botschaft er - in einem wörtlichen Zitat - weitervermittelte [2]:

Ich habe vergangenen Freitag ein Gespräch mit Barroso über die Frage geführt, was für Griechenland, Spanien, Portugal und die übrigen Länder getan werden kann. Er hatte eine klare Botschaft: "Wenn sie nicht die Sparprogramme umsetzen, dann werden diese Länder praktisch als Demokratien, wie wir sie kennen, verschwinden. Sie haben keine Wahl..." Er ist sehr, sehr besorgt. Er hat uns regelrecht schockiert mit seiner apokalyptischen Vision von zusammenbrechenden Demokratien in Europa infolge der Staatsverschuldung.

Monks bekundete seinerseits seine Bereitschaft, alles in seiner, das heißt in der Macht der von ihm repräsentierten Gewerkschaften Stehende zu tun, um "sicherzustellen, dass die drakonischen Maßnahmen durchgesetzt werden, die von der EU und dem Internationalen Währungsfond verlangt werden" [2]. Der Gewerkschafter ließ verlautbaren, wobei auf der Hand liegt, daß Barroso durch seinen Mund spricht, daß Griechenland und die übrigen südeuropäischen Staaten keine andere Wahl hätten, als die von der EU und dem IWF an die Kreditvergabe geknüpften Bedingungen zu akzeptieren und wie verlangt die drastischen Sparprogramme durchzusetzen. Gegen die Proteste und den Widerstand der eigenen Bevölkerungen, wie hinzuzufügen wäre, denn längst ist unübersehbar, daß die in Griechenland von dem "Sparkurs" betroffenen Menschen, also im Grunde die gesamte Bevölkerung, sich in das ihnen aufgezwungene Schicksal nicht fügen werden.

In der vergangenen Woche wurde in Griechenland der bereits sechste Generalstreik dieses Jahres durchgeführt, und zwar mit hoher Beteiligung aller Berufsgruppen. Maria Tsagataki, die Vorsitzende der Athener Gewerkschaft für den Einzelhandel, brachte die Bereitschaft des griechischen Volks zum Ausdruck, ungeachtet der bisher erfolglos gebliebenen Kampfmaßnahmen nicht aufzugeben. Ihrer Meinung nach würden "die Herrschenden" vergeblich darauf hoffen, daß die Proteste und Streiks durch Ermüdungserscheinungen ihrer Aktivisten einschlafen würden.

"Wir sind auf einen langen Kampf um wesentliche Errungenschaften vorbereitet, einen Kampf, der zur Änderung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses führen und das kapitalistische Wachstumsmodell an sich in Frage stellen wird" [3], so Tsagataki. Monks hingegen hat sich die Drohungen aus Brüssel und Athen zu eigen gemacht, erklärte er doch nach seinem Gespräch mit Barroso [2]:

Griechenland muss sich offensichtlich umstellen. Es muss den Gürtel enger schnallen... Die Bedingungen des EU-IWF-Bailouts sind alternativlos. Griechenland hat keine Alternative. Es muss die Bedingungen erfüllen.

Drohungen dieser Art sind keineswegs aus der Luft gegriffen oder substanzlos. Im Gegenteil. Da gerade die südeuropäischen Länder eine Geschichte aufweisen, die mit dem angeblich so demokratischen Wesensgehalt Europas kaum zu vereinbaren ist, liegt auf der Hand, daß dies gar keine leeren Drohungen sein können. Griechenland, Spanien und Portugal waren noch bis in die 1970er hinein diktatorisch regiert, ohne daß die führenden europäischen Staaten seinerzeit an ihren undemokratischen Nachbarn Anstoß genommen hätten. Dies spricht für sich bzw. gegen die Behauptung der EU, die Wahrung von Demokratie und Menschenrechten an den Zenit ihres Handelns gestellt zu haben. Die inzwischen ein wenig publik gewordenen Drohungen des heutigen EU-Kommissionspräsidenten sollten den Bewohnern nicht nur der akut gefährdeten, sondern aller EU-Staaten Anlaß bieten, sich über diese Fragen eine eigene Meinung zu bilden.

Anmerkungen

[1] Nightmare vision for Europe as EU chief warns 'democracy could disappear' in Greece, Spain and Portugal, von Jason Groves, Daily Mail, 15.06.2010
http://www.dailymail.co.uk/news/worldnews/article-1286480/EU-chief-warns-democracy-disappear-Greece-Spain-Portugal.html

[2] zitiert aus: Europäischer Gewerkschaftschef unterstützt Sparpolitik, von Stefan Steinberg, World Socialist Web Site (WSWS), 17.06.2010,
http://www.wsws.org/de/2010/jun2010/etuc-j17.shtml

[3] Erneut im Generalstreik, von Heike Schrader, junge Welt, 9.7.2010, S. 1

12. Juli 2010