Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → MEINUNGEN

DILJA/020: Armutsproteste auch in Rumänien gegen den "Sparkurs" von EU und IWF (SB)


Westliche Unterstützung für Rumäniens Demokratiebewegung bleibt aus


Sparen, sparen, sparen. Den Gürtel enger schnallen. Die Staatsausgaben kürzen. Die Löhne senken. Die Renten auch. Die Kosten im öffentlichen Dienst reduzieren durch Massenentlassungen. Die Mehrwertsteuer anheben, um satte fünf Prozent (von 19 auf 24). Die Proteste gegen Sozialkürzungen und Demokratieabbau niederhalten. Mit Polizeigewalt gegen demonstrierende Menschen auf Kundgebungen nicht nur in der Hauptstadt, sondern im ganzen Land vorgehen. Aktivisten, die Tag für Tag wiederkommen, um die Proteste gegen die Regierung vorzubringen und Neuwahlen zu fordern, in Gewahrsam nehmen. Die Bevölkerung zum Stillhalten auffordern und ihr klarmachen, daß die Auflagen der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds erfüllt werden müssen. Weil das Land Geld braucht, neue Kredite. Genauer gesagt der Staat. Um seine Aufgaben erfüllen zu können. Um dies zu gewährleisten, muß er seine Ausgaben reduzieren. Und zwar massiv. Und das muß den Menschen zur Einsicht gebracht werden. Notfalls mit Gewalt. Das ist die Aufgabe von Regierung und Präsident, Parteien und Parlament.

Dieses Lied ließe sich noch lange fortsetzen. Es kommt einem sattsam bekannt vor. Doch von welchem Staat ist eigentlich die Rede? Da kommen eine Menge EU-Staaten in Frage. Zu viele, um anhand der spärlichen Detailinformationen und der immergleichen Kernmelodie erkennen zu können, um welches Land, welche Hauptstadt und welche Menschen es hier genau geht. Dafür gibt es Gründe, die wert sind, analysiert zu werden. Genaugenommen sind nur die reichsten Staaten innerhalb der EU außen vor. Die Bundesrepublik Deutschland kann es definitiv nicht sein, sie bedarf keiner Kredite der besagten Institutionen. Frankreich auch nicht. Doch dann fällt die Qual der Wahl äußerst schwer, befinden sich doch eine Vielzahl der süd- und südosteuropäischen Mitgliedstaaten in einer solchen Lage.

Die Realität in den überwiegenden Staaten der EU scheint den hehren Verheißungen, mit denen der sogenannte "Einigungsprozeß", sprich die Vereinnahmung von immer mehr eigentlich souveränen europäischen Staaten durch die Brüsseler Administration, einst in die Wege geleitet, vorangetrieben und bis zum heute erreichten Status durchgesetzt wurde, deutlich Hohn zu sprechen. Waren es nicht gerade die an der Peripherie liegenden und von Armut mehr als die Kernstaaten betroffenen Länder, die sich vom EU-Beitritt erhofft haben, in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht einen großen Sprung nach vorne machen zu können? Schwebte der EU-Beitritt nicht, dem gelobten Land gleichkommend, am politischen Horizont ehemaliger Ostblockstaaten, die längst genauso hart gelandet sind wie die der westeuropäischen Armutsregionen?

In Rumänien - und auf Rumänien bezog sich die eingangs geschilderte Situation eines sozusagen in Schuldknechtschaft stehenden europäischen Staates - sind am vergangenen Donnerstag Armutsproteste ausgebrochen, die von der Hauptstadt Bukarest schnell auf das ganze Land übersprangen. In ihnen brach die Wut der Bevölkerung über die gemeinsam von Präsident Traian Basescu sowie der liberalkonservativen Regierung von Ministerpräsident Emil Boc in Erfüllung der ihnen gestellten Auflagen durchgesetzten "Sparpolitik" hervor, ausgelöst durch ein konkretes Ereignis. Eine Gesundheitsreform, die ebenfalls zu dem Bedingungsdiktat der Kreditgeber gehört, sah die Privatisierung auch des Rettungswesens vor. Das hätte das Aus für den bestehenden Rettungsdienst Smurd bedeutet, den der rumänische Arzt palästinensischer Herkunft, Read Arafat, aufgebaut hatte. Aus Protest gegen diese Maßnahme trat Arafat, inzwischen parteiloser Staatssekretär, zurück, nachdem er gegen das neue Gesundheitsgesetz öffentlich protestiert und Präsident Basescu ihn beschuldigt hatte, den Rettungsdienst zerstören zu wollen.

"Einer muß gehen", hatte der Präsident, der mehr und mehr als Despot im eigenen Land angesehen wird und Regierung und Parlament zu ausführenden Organen seiner Politik gemacht haben soll, gefordert. Diese Parole wurde von den Demonstranten, in Reaktion auf Arafats aus Protest gegen dieses Vorgehen erfolgten Rücktritt, gegen den Präsidenten gekehrt. Mehr und mehr wird nun dessen Rücktritt gefordert sowie die baldige Abhaltung von Neuwahlen, wobei dem Volkszorn, der sich an der nur zu begründeten Angst, daß der Rettungsdienst dann nur noch zu jenen komme, die ihn (am besten) bezahlen können, entzündete, die generell desaströse soziale Lage zugrundeliegt. Dem Land steht nun ein "Winter der Unzufriedenheit" bevor. Dieser Begriff hat sich schnell gebildet, ebenso schnell, wie Arafats im Internet gegründete Gruppe "Wer ist gegen die Zerstörung des Rettungsdienstes?" 100.000 Anhänger gefunden hatte.

Die Proteste der rumänischen Bevölkerung weisen viele Parallelen zu denen der sogenannten bunten Revolutionen, etwa des Arabischen Frühlings auf. Der wesentlichste Unterschied ist nicht die soziale und politische Lage der Menschen in den Ländern, in denen diese Proteste auf außerparlamentarischen, inoffiziellen und vielfach durch Soziale Netzwerke und Internet organisierten Wegen scheinbar wie aus dem Nichts erwachsen, sondern die Haltung der europäischen Eliten. Es steht völlig außer Frage, daß die maßgeblichen Kräfte in der EU nicht das geringste Verständnis aufbringen für den gegenwärtigen Protest der rumänischen Bevölkerung, gegen die der sozialfeindliche Kurs ihrer Regierung auf Geheiß aus Brüssel ja durchgesetzt werden soll.

Im Umkehrschluß sagt dies natürlich eine Menge über die seitens der Europäischen Union beanspruchte Rolle aus, weltweit als wohlwollende Unterstützerin von Demokratie- und Sozialbewegungen in Erscheinung zu treten, was einer Internationalisierung der Proteste selbstverständlich nicht im Wege steht, auch wenn in manchen Staaten die zivilgesellschaftlichen Revolutionen sich des Versuches, für gänzlich andere Interessen instrumentalisiert zu werden, erwehren müssen.


17. Januar 2012