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LAIRE/059: Halbgare EU-Analyse zu hohen Lebensmittelpreisen (SB)


EU-Kommission analysiert Ursachen der hohen Lebensmittelpreise

Kein Wort zur Subventionierung von Agrotreibstoffen


Die EU-Kommission hat am Dienstag eine Mitteilung zu den weltweit gestiegenen Lebensmittelpreisen veröffentlicht und Vorschläge für Maßnahmen zur Milderung der damit einhergehenden Folgen unterbreitet [1]. Unter der Zwischenüberschrift "Warum sind die Lebensmittelpreise angestiegen?" werden mehrere Ursachen genannt, wie sie auch in der Presse gehandelt werden, doch wird ein Faktor gänzlich ausgespart: Die Herstellung von Agrotreibstoff. Das ist kein Zufall, hält doch die EU-Kommission ungeachtet der für viele Menschen weltweit unerschwinglich hohen Lebensmittelpreise an ihrem Ziel fest, den Anteil von Agrotreibstoffen auf zehn Prozent bis zum Jahr 2020 zu erhöhen.

Die EU-Kommission liefert ein Bündel von wichtigen und weniger wichtigen Ursachen der hohen Lebensmittelpreise. Zu den strukturellen Ursachen werden gerechnet: Ständig steigende Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln und höherwertiger Nahrung der großen Schwellenländer, allgemeines Wachstum der Weltbevölkerung, steigende Energiepreise bzw. höhere Kosten für landwirtschaftliche Betriebsmittel und Transporte sowie Erschließung neuer Absatzmärkte. In die Kategorie der temporären Ursachen des Preisanstiegs für Lebensmittel fielen Mißernten in zahlreichen Regionen der Welt, ein historisch niedriger Lagervorrat, Abwertung des US-Dollars sowie Ausfuhrbeschränkungen in vielen Ländern, die den Weltmarkt mit Agrarrohstoffen beliefern. Zudem hätten Spekulationen die Preisschwankungen weiter verstärkt, merkte die EU-Kommission an.

Von Agrotreibstoffen als Faktor des Preisanstiegs war jedoch keine Rede. Das ist bemerkenswert, denn dadurch erweckt die EU-Kommission den Eindruck, als wolle sie dieses heikle Thema unter den Teppich kehren. Wenn jedoch Bauern auf den Philippinen berichten, daß auf Feldern, auf denen früher Getreide angebaut wurde, nun Palmen stehen, weil die Europäische Union das daraus gewonnene Ethanol dem Treibstoff beimischen will, dann hat Agrosprit selbstverständlich Einfluß auf die Preisentwicklung zunächst für Getreide, in der Folge auch für Lebensmittel. Daß sich Lebensmittel nicht im gleichen Verhältnis verteuert haben wie das auf dem Weltmarkt gehandelte Getreide, bedeutet zwar, daß die Auswirkungen der Agrotreibstoffproduktion bislang noch nicht voll auf den Endverbraucher durchgeschlagen haben, aber deshalb kann der Faktor nicht vernachlässigt werden.

In den USA sind die Lebensmittelkonzerne und Saatguthändler keineswegs glücklich mit der Entscheidung ihrer Regierung, die Produktion von Agrosprit zu subventionieren. Seitdem schießen nämlich Ethanolfabriken wie Pilze aus dem Boden und wollen natürlich von den Landwirten beliefert werden. Sie saugen regelrecht das Getreide auf, das ansonsten entweder direkt oder indirekt über die Produktion von Nutzvieh zu Lebensmitteln verarbeitet worden wäre. Ein erheblicher Teil der Ernte, bei Mais sogar schon um 20 Prozent, wurde der Nahrungsmittelherstellung bereits entzogen. In diesem Jahr dürfte die Menge noch deutlich darüber liegen. Die USA sind jedoch der weltweit führende Getreideexporteur, deshalb hat die Agrospritherstellung - entgegen dem Standpunkt der EU-Kommission - sehr wohl Einfluß auf die global gestiegenen Lebensmittelpreise.

Die Europäische Union trägt abgesehen von ihren Agrospritzielen noch auf andere Weise Mitverantwortung für den Preisanstieg. Denn jene Spekulanten, die nach Einschätzung der EU-Kommission die Preisschwankungen verstärkt haben, orientieren sich in ihren Gewinnerwartungen nicht zuletzt an der Europäischen Union, die verspricht, an ihren Agrotreibstoffplänen festhalten zu wollen. Das läßt die Herzen der Börsianer höher schlagen, können sie doch darauf setzen, daß die Nachfrage nach Agrarerzeugnissen dauerhaft groß bleiben wird.

Zudem hat sich die Europäische Union in ihrem Reformvertrag grundsätzlich zur Marktwirtschaft verpflichtet, was bedeutet, daß der Mangel weiterhin einen starken Einfluß auf die Preise ausüben wird. Mit staatlich festgelegten Preisobergrenzen ist somit nicht zu rechnen - also beste Aussichten für Spekulanten. Das bedeutet jedoch, daß auch in dieser Hinsicht die Europäische Union daran mitgewirkt hat, daß die Lebensmittelpreise weltweit nach oben geklettert sind.

Die EU-Kommission hat sich für die Verwendung von Agrosprit der zweiten und dritten Generation ausgesprochen. Ob diese Generationen jemals entstehen und halten, was sie versprechen, kann noch niemand abschätzen. Bislang stellen sie eine bloße Perspektive dar. Das kann für Armut und Hunger in der Welt nicht behauptet werden, sie sind real und betreffen viele Menschen.


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Anmerkungen:

[1] IP/08/763, 20. Mai 2008 http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/08/763&format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=en

21. Mai 2008