Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → MEINUNGEN

LAIRE/063: Galileo wird endgültig zum Projekt des Militärs (SB)


EU auf dem Weg zur globalhegemonialen Militärmacht

Europaabgeordnete nehmen Resolution zur "Bedeutung des Weltraums für die Sicherheit Europas" an


Das im Aufbau befindliche europäische Satellitennavigationssystem Galileo hat im Laufe der Jahre seinen Charakter grundlegend gewandelt. Wurde es anfangs ausdrücklich als rein ziviles europäisches Projekt gepriesen, das nicht nur technologisch, sondern auch ideologisch als Gegenentwurf zum US-amerikanischen, vom Militär jederzeit abschaltbaren GPS (Global Positioning System) verkauft wurde, so rückte dieser Aspekt immer mehr in den Hintergrund. Schritt für Schritt hat Galileo einen militärischen Anstrich erhalten. Das Potential der in der Endstufe 30 im Orbit kreisenden Satelliten müsse in jeder Hinsicht nutzbar sein und dürfe sich nicht auf rein zivile Aspekte beschränken, lautete das Argument der Militaristen.

Inzwischen kann man nicht einmal mehr nur von einem militärischen Tarnanstrich für ein eigentlich ziviles Projekt sprechen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Ein künftig in die europäische Sicherheits- und Verteidigungsarchitektur eingebundenes System wird unter einem zivilen Anstrich verkauft. Mit 502 zu 83 Stimmen hat das Europäische Parlament am 17. Juli die Resolution "Bedeutung des Weltraums für die Sicherheit Europas" [1] angenommen. Verfaßt und eingereicht wurde der Entwurf von dem Vorsitzenden des Unterausschusses für Sicherheit und Verteidigung im Europaparlament, Karl von Wogau (CDU), aus Baden.

Kernstück des Resolutionsentwurfs: Galileo soll für Operationen im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) zur Verfügung stehen. Das sei "notwendig", hieß es sogar, ohne daß ersichtlich wurde, von wem eigentlich die in dieser Formulierung implizierte "Not" ausgehen soll. An anderen Stellen ist von "Bedrohungen" die Rede, von "Gefahren", "Herausforderungen" und, wie nicht anders zu erwarten, von anderen Staaten, deren Fortschritte bei der Entwicklung von Weltraumressourcen "rasch" voranschreite.

Der Tenor der gesamten Resolution ist von Zwängen und Notwendigkeiten geprägt, ohne das im geringsten darüber reflektiert würde, daß es sich zum Gutteil um Projektionen der eigenen globalhegemonialen Absichten handelt. Immerhin ist es die Europäische Union, die Schlachtgruppen (battle groups) aufstellt, um an jedem beliebigen Ort der Welt binnen Tagen militärisch intervenieren zu können. Und es sind europäische Geostrategen, die unverhohlen die Sicherung von Ressourcen zu einem Aufgabengebiet des europäischen Militärs erklärt haben. Von wem also, bitte schön, gehen die Bedrohungen, Gefahren und Zwänge aus, mit denen in der EU im Rahmen der Militarisierung der Gesellschaft nun auch hinsichtlich des Weltraums aufs Gaspedal gedrückt wird?

Einen Widerspruch löst man bekanntlich nicht auf, indem man ihn wegbehauptet. In der Resolution wird dies jedoch versucht. So heißt es, daß "die europäische Weltraumpolitik unter keinen Umständen zur Militarisierung und Bewaffnung des Weltraums" beitragen soll (Punkt 41). Ein Anspruch, mit dem die Resolution an zahlreichen Stellen bricht. Das entspricht in etwa dem Bild, daß jemand einem anderen eine Pistole auf die Brust setzt und erwartet, daß er stillhält.

Ohne die Iren, die es auf sich genommen haben, Sand ins Getriebe der europäischen Hegemonialpolitik zu streuen, indem sie den Vertrag von Lissabon nicht angenommen haben, würde der Motor zum militärischen Ausbau der Europäische Union unter der französischen Ratspräsidentschaft längst Fahrt aufgenommen haben. Das bedeutet nicht, daß die Militarisierung der europäischen Gesellschaft mit dem Nein der Iren gestoppt wurde, aber sie wurde verlangsamt. Was heute noch als Finanzierungsprobleme und Abstimmungsschwierigkeiten von den EU-Mitgliedern beklagt wird, also die vielen Haken und Kanten als Folge der unterschiedlichen nationalen Entwicklungen und Vorbehalte, würde unter dem Diktat des Lissaboner Vertrags bis zur Unkenntlichkeit geschliffen. Eine militärisch vollständig integrierte Europäische Union, gestützt auf den Reformvertrag, bildet eine Bedrohung für große Teile der übrigen Welt. Wundert es da noch, daß die USA als engster Verbündeter der EU positiv auf das Ja der Europaabgeordneten zu der Resolution reagiert haben? Das Pentagon begrüßte die Entscheidung.

Eine eigenständige europäische Weltraumpolitik solle zu einer "strategischen Notwendigkeit" (Punkt B) gemacht werden, wird in der Resolution gefordert, und es wird betont, daß eingedenk der Empfindlichkeit strategischer Weltraumressourcen sowie der Infrastruktur für einen Zugang zum Weltraum (Trägerraketen, Weltraumbahnhöfe) diese "in angemessener Weise durch einen bodengestützten Raketenabwehrschirm ('theatre missile defence'), Flugzeuge und Raumüberwachungssysteme" geschützt werden müßten (Punkt 36).

Mit anderen Worten: Galileo soll Teil eines Raketenabwehrschirms werden. Davon war in der ursprünglichen Konzeption des Satellitensystems nie die Rede, und ähnliche militärische Ambitionen hatte das Europaparlament bislang in diesem Zusammenhang stets abgelehnt. Der Meinungsumschwung ist fundamental. Nun wird sogar gefordert, daß "die Anfälligkeit künftiger europäischer Satellitensysteme durch Anti-Jamming-Technik, Abschirmung, Reparatur- und Wartungsarbeiten in der jeweiligen Umlaufbahn ('on-orbit servicing'), Architekturen mit hohen Umlaufbahnen ('high-orbit architectures') und Architekturen mit einer Konstellation von mehreren Umlaufbahnen ('multi-orbital constellation architectures') reduziert" werden soll (Punkt 37).

Dies ist eine klare Absage an die friedliche Nutzung Galileos. Damit demaskiert sich der offensive Charakter des Systems. Ähnlich wie Langstreckenraketen dahingehend weiterentwickelt wurden und werden, daß sie nicht mehr in ballistischen und damit leicht zu berechnenden Bahnen fliegen, sollen auch künftige Satelliten (und damit auch das Galileo-System) von vornherein so gebaut werden, daß sie von gegnerischen Kräften schwer bis gar nicht zu zerstören sind.

Ja, aber es ist doch sinnvoll, wenn man solche Maßnahmen zum Schutz der Europäischen Union ergreift, könnte ein Einwand an dieser Stelle lauten. Dabei würde jedoch übersehen, daß viele Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in den letzten zehn Jahren als Aggressor auf der Weltbühne aufgetreten sind. Der rote Faden der völkerrechtswidrigen Angriffskriege zieht sich von Jugoslawien über Afghanistan bis zum Irak. Wenn nun ein ursprünglich einmal allein auf die zivile Nutzung ausgerichtetes Satellitennavigationsystem in die Militärstrukturen der Europäischen Union eingebunden werden soll, dann kann das von anderen Staaten nur als Bedrohung aufgefaßt werden. Mit entsprechenden Antworten ist zu rechnen. Wenn diese dann kommen, beweist das jedoch nicht nachträglich die Notwendigkeit der militärischen Nutzung von Galileo, sondern es beweist, daß die Europäische Union eine erfolgreiche militärische Eskalationsstrategie verfolgt.


*


Anmerkungen:

[1] http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT +REPORT+A6-2008-0250+0+DOC+XML+V0//DE

22. Juli 2008