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ITALIEN/069: Generalstreik gegen drohende Entlassungen (Gerhard Feldbauer)


Generalstreik gegen drohende Entlassungen

Hunderttausende demonstrierten auf über 50 Kundgebungen gegen die arbeiterfeindliche Politik der sozialdemokratischen Regierung Renzi

von Gerhard Feldbauer, 13. Dezember 2014



Millionen sind am Freitag in Italien einem Aufruf der Gewerkschaftsverbände CGIL und UIL gefolgt und haben in einem achtstündigen Generalstreik gegen den arbeiterfeindlichen Kurs der sozialdemokratischen Regierung Renzi protestiert. Aktiv beteiligten sich die Basis-Gewerkschaften an den Kampfaktionen. Die beiden kommunistischen Parteien PRC und PdCI stellten sich in Appellen hinter die Gewerkschaften und nahmen zahlreich an den Protesten teil. Die katholisch ausgerichtete CISL, die für einen "großen Sozialpakt für alle" ist, nahm nicht teil.


Cosi non va

Wie die Nachrichtenagentur ANSA meldete, wurden im Transport und auf der Schiene, in der Luft und den Fährverbindungen zu den Inseln der Verkehr weitgehend lahm gelegt, in den meisten Unternehmen gestreikt. Schulen und öffentliche Dienste waren geschlossen. Laut der römischen Repubblica folgten 60 Prozent der Beschäftigten dem Streikaufruf. Der Versuch der Regierung, den Streik der Eisenbahner zu verbieten, scheiterte. In Rom, Turin, Mailand, Genua, Neapel und weiteren rund 50 Großstädten zogen Hunderttausende unter der Losung "cosi non va" (so geht es nicht) durch die Straßen. Sie protestierten gegen den von der Regierung beschlossenen und vom Parlament bestätigten Jobs act, die sogenannte Arbeitsmarktreform, die den Kündigungsschutz aufhebt und die Tarifverträge aushöhlt, sowie gegen das "Stabilitätsgesetz" mit neuen Streichungen in den sozialen Bereichen, die, wie Statistiken ergeben, Millionen noch tiefer ins Elend stoßen werden.


In Piemont 30.000 Arbeitsplätze bedroht

CGIL-Generalsekretärin Susanna Camusso, die in der Industriemetropole Turin, Sitz des größten privaten Industriekonzern FIAT, vor über 50.000 Menschen sprach, verurteilte die Abwesenheit der CISL beim Streik und betonte, die Notwendigkeit der Gewerkschaftseinheit. Von der Regierung forderte sie "eine politische und wirtschaftliche Wende", mit der endlich das Leben der Millionen Menschen verbessert werden müsse. Mit dem Artikel 18 des Arbeitsgesetzes (Kündigungsschutz) "verteidigen wir 20jährige Arbeiterrechte" rief sie unter lauter Zustimmung aus. In der Region droht 30.000 der Verlust des Arbeitsplatzes. UIL-Generalsekretär Carmelo Barbagallo lehnte in Rom vor Zehntausenden Demonstranten entschieden die Dekrete Renzis ab und verlangte Reformen, die "die Arbeitsplätze sichern". Unter Bezug auf die verfassungsmäßigen antifaschistischen Grundsätze rief er auf, "eine neue Resistenza" gegen den gewerkschaftsfeindlichen Kurs des Premiers zu formieren. Die entschiedene Kampfposition der CGIL und UIL wurde durch die Kumpanei Renzis mit dem Industriellenverband Confindustria regelrecht provoziert. Deren Chef Giorgio Squinzi hatte er die Durchsetzung des Jobs act zugesichert und CGIL-Generalsekretärin Susanna Camuso ausrichten lassen, die Zeiten, "da ein Generalstreik die Regierung stoppen könne", seien vorbei.


Ex-Kommunisten rebellieren

Auftrieb gibt den Gewerkschaften der Widerstand in der regierenden Demokratischen Partei (PD), zu deren Mitgliedern viele Gewerkschafter vor allem der CGIL gehören. Die Ablehnung der rechten und arbeiterfeindlichen Politik Renzis geht nicht mehr nur von der linken Minderheit der "Fraktion der Dissidenten", sondern auch von der alten Garde der Ex-Kommunisten mit Massimo D'Alema, Chef der früheren Linkspartei und Ministerpräsident von Mitte Links-Regierungen, an der Spitze aus. Dass der hemdsärmelig agierende Renzi sie eiskalt verschrottete (wie er es nannte), wird ihm als Thatcherismus vorgeworfen. Die Gegner des Regierungskurses verweisen darauf, dass bereits viele Gewerkschafter die PD verlassen haben, und Meinungsumfragen der "Repubblica" ein Sinken der Zustimmung zur PD um zwei Prozent auf 38 signalisieren.

Die Empörung wird verstärkt durch Renzis Paktieren mit Ex-Premier Berlusconi. Zur Verabschiedung des Jobs act und des "Stabilitätsgesetzes" sicherte er sich die Stimmen der rechtsextremen Forza Italia (FI) Berlusconis. Dass in dem in Rom gerade aufgedeckten Verbrecherkartell von Unternehmern, Faschisten und Mafia der enge Vertraute Berlusconis, der frühere Bürgermeister Alemanno von den AN-Faschisten, eine zentrale Leitfigur war, gibt den Protesten zusätzlich Auftrieb.


Studentenbeteiligung erinnert an Revolte von 1968

Dazu trägt auch die starke Teilnahme von Studenten bei, unter denen nicht wenige sind, deren Väter und Großväter als Kommunisten und Sozialisten die 1968er Revolte prägten. Sie fordern eine revolutionäre Linke an der Spitze der Kämpfe gegen das Kapital. Fotos von Gramsci, des Begründers der Kommunistischen Partei (PCI), waren zu sehen, von dessen Lehren sie ausgehen wollen. Die kommunistische Zeitung "Città futuro", die den Namen des einst von Gramsci gegründeten Kampfblattes trägt, unterstützte in einem Appell den Generalstreik. Schon der Name solle ausdrücken, dass man in schweren Zeiten nicht aufgeben, sondern Flagge zeigen müsse, äußerten Studentensprecher in Turin.


Napolitano mischte sich ein

Mit einer Erklärung, "beide Seiten sollten einander respektieren", hat Staatspräsident Giorgio Napolitano sich in ungewöhnlicher Weise zu Wort gemeldet und, wie Beobachter meinen, seine Kompetenzen überschritten. Er fordere de facto, die Gewerkschaften sollten die elementare Beseitigung jahrzehntelanger Arbeiterrechte hinnehmen. Seine Äußerung zeige aber auch, wie ernst die Lage ist und die Regierung vor einer Zerreißprobe stehen dürfte.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Dezember 2014


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