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ITALIEN/118: Wirtschaftsmanager wird Kandidat der Linken Mitte bei Bürgermeisterwahlen in Mailand (Gerhard Feldbauer)


Wirtschaftsmanager wird Kandidat der Linken Mitte bei Bürgermeisterwahlen in Mailand

Bisher stellt Partei Linke und Umwelt das Stadtoberhaupt

von Gerhard Feldbauer, 10. Februar 2016


Bei den Primarie, Vorwahlen nach US-amerikanischen Vorbild, haben die sozialdemokratische Partito Democratico (PD), die Partei Linke und Umwelt (SEL) und andere Mitte Links-Gruppen am Wochenende in Mailand einen gemeinsamen Kandidaten für die Bürgermeisterwahl Mitte Juni bestimmt. Unter vier Bewerbern (zwei von der PD, einer von der SEL und ein Parteiloser) hat Giuseppe Sala (PD) mit 42 Prozent der abgegebenen 60.900 Stimmen das Rennen für sich entschieden. Der Wirtschaftsmanager, 2015 Direktor der Weltausstellung Expo von Mailand mit guten Kontakten zum Industriellenverband Confindustria, wurde persönlich von PD- und Regierungschef Matteo Renzi favorisiert, da er auch für rechte Wähler akzeptabel sein könnte. Stadtoberhaupt der Industriemetropole ist derzeit der Jurist Giuliano Pisapia, der viele Jahre auf der Liste der Nachfolgepartei der IKP Rifondazione Comunista (PRC) ins Parlament gewählt wurde. 2011 gewann er gegen die faschistoide Forza Italiana (FI) Berlusconis für die SEL die Wahl. Er kandidierte nicht wieder, weil er, wie vermutet wird, sich an der Neugründung einer Linkspartei Sinistra Italia (SI) beteiligt. Pisapia unterstützte seine Stellvertreterin Francesca Balzani von SEL, die 34 Prozent erreichte. Beginnend im April werden bis Juni in einem Großteil der über 8000 Gemeinden, darunter in Rom, Neapel, Turin und Bologna, die Stadtparlamente und mit ihnen die Bürgermeister direkt gewählt. Ob überall Vorwahlen stattfinden werden, ist noch offen. Sie sind umstritten, weil an ihnen alle Bürger, meist gegen Bezahlung von zwei Euro (so jedenfalls in Mailand). teilnehmen können und damit Vorentscheidungen demonstriert werden.

Die Kommunal- und Bürgermeisterwahlen werden ein Kräftemessen zwischen Mitte Links und dem rechtsextremen Lager sein, an dessen Spitze an Stelle des abgewirtschafteten Chefs der Forza Italia (FI), Silvio Berlusconi, der Führer der rassistischen Lega Nord, Matteo Salvini, getreten ist. Die extreme Rechte ist auf nationaler Ebene bei den EU-Wahlen 2014 auf 22 Prozent gegenüber allein der PD (40,8 Prozent) abgesunken und liegt derzeit in Wählerprognosen noch darunter. Nicht nur in den großen Städten wie Mailand oder Turin, sondern auch auf dem Lande erhält sie mit ihrer immigrantenfeindlichen Linie und dem Schüren von Ausländerhass jedoch viel Wählerzulauf, nicht nur aus den Mittelschichten, sondern auch aus der Arbeiterschaft. Mit der Absage an seinen Kurs der Abspaltung der reichen Nordregionen vom Zentralstaat fasst Salvini auch im Süden Fuß, zumal er demagogisch verkündet, die Gelder für die Flüchtlinge sollten lieber den dortigen Italienern zu Gute kommen.

Noch ist nicht entschieden, ob es überall gelingen wird, eine Mitte Links-Koalition für eine gemeinsame Kandidatur zu bilden. PD- und Regierungschef Matteo Renzi hatte darauf hingewiesen, dass das getrennte Antreten von zwei linken Kandidaten bei den Regionalwahlen vergangenes Jahr in Ligurien dem Bewerber der FI zum Sieg verholfen habe. Vor PD-Mitgliedern hob er am Sonntag die linke Ausrichtung hervor und erteilte der vorher von ihm ins Spiel gebrachten Umwandlung in eine "Partei der Nation" nun eine deutliche Absage. Nicht ohne Erfolg hat er in den vergangenen Monaten mit der eingeleiteten Abschaffung der Provinzen und des Zweikammersystems Grundlagen einer effektiveren Regierungsarbeit und zur Einsparung Milliarden Euro geschaffen. Nach bescheidenem Wachstum 2015 soll die Wirtschaft auch dieses Jahr über ein Prozent steigen. Mit ein paar sozialen Zugeständnissen hält er die Proteste der Gewerkschaften im Zaum. Im Haushalt für 2016 (Volumen 35 Mrd. Euro) sind 290 Millionen Euro vorgesehen, um jedem Jugendlichen von 18 Jahren eine Kreditkarte mit einem Guthaben von 500 Euro zur Verwendung für den Kauf von Büchern und für Theater- oder Museumsbesuche zu gewähren. Einer Million der Ärmsten soll ein Mindesteinkommen von 320 Euro gesichert werden. Die Immobiliensteuer auf die erste Wohnung mit Ausnahme von Luxuswohnungen wird abgeschafft. Das betrifft dreiviertel der Bevölkerung, die Wohneigentum hat und nicht zur Miete wohnt. Verzichtet wurde auf eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von derzeit 22 Prozent. Vergangene Woche teilte der Kulturminister mit, mit den zuständige Institutionen sei vereinbart worden, dass jeder arbeitende Bürger ab dieses Jahr im Oktober einen kostenlosen Theaterbesuch erhalten werde.

Pisapia kommentierte das für die SEL enttäuschende Ergebnis mit der klaren Aussage, dass gemeinsame Wahlprogramm müsse eine deutliche "linke Ausrichtung" haben. Die der PD nahestehende Repubblica hob hervor, Sala müsse "mehr als zur Mitte nach links schauen", denn es gehe darum, dass er "die Stimmen der Genossen der SEL erhalte". Der Bewerber selbst betonte, er werde eng mit der SEL und Pisapia zusammenarbeiten.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2016

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