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ITALIEN/135: Verfassungsreferendum wird zur Abstimmung über Premier Renzi (Gerhard Feldbauer)


Verfassungsreferendum wird zur Abstimmung über Premier Renzi

Zersplitterte extreme Rechte will sich sammeln

Von Gerhard Feldbauer, 8. August 2016


Das für Oktober angesetzte Referendum über die Verfassungsreform zur Auflösung des Senats als zweiter Parlamentskammer wird inzwischen zu einer Abstimmung über Premier Renzi, der auch Chef der regierenden sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) ist. Nach der Auflösung der 20 Provinzen, deren Aufgaben den Regionen (Ländern) übertragen wurden, was neben einer besseren Effektivität der Verwaltung auch Milliarden Euro einsparen soll, will Renzi mit der Reformierung des Senats, der von bisher rund 300 auf 100 Mitglieder reduziert wird, einen weiteren Schritt gehen. Damit will Renzi, der im Senat über keine Mehrheit verfügt, gleichzeitig die nicht nur von der extremen Rechten, sondern auch von der Protestbewegung M5S ausgehende Opposition ausschalten. Da er erklärt hat, im Falle einer Ablehnung zurückzutreten, würde das vor Ablauf der Legislaturperiode im Frühjahr 2018 zu vorgezogenen Neuwahlen führen.

Die zerstrittene Rechte wittert die Chance, an die Regierung zurückzukehren und versucht, sich zu sammeln. Ex-Premier Berlusconi ist nach langem Widerstand als Chef der faschistoiden Forza Italia (FI) formell zurückgetreten und hat, um ihrer erklärten "Umwandlung" in eine "moderate" rechte Zentrumspartei einen glaubhaften Anschein zu geben, dem Mailänder Unternehmer Stefano Parisi, einem früheren Sozialisten und Gewerkschafter, die Parteiführung übergeben. Parisi, der im Juni in Mailand die Bürgermeisterwahl gegen den Mitte Links-Kandidaten Renzis nur knapp verlor, rechnet sich bei Parlamentswahlen durchaus Chancen aus. Im September will er auf einem Konvent das Projekt einer "liberal-popolaren" (Volksliberalen) Allianz vorstellen. In der vergangenen Woche ist, wie die römische La Repubblica berichtete, Berlusconi zur Beratung des Projekts mit dem Chef der rassistischen Lega Nord, Matteo Salvini zusammengetroffen, der jedoch bei grundsätzlicher Zustimmung Vorbehalte angemeldet habe. Es dürfte darum gehen, ob Salvini eine Allianz des rechtsextremen Lagers anführt und damit auch Spitzenkandidat bei Parlamentswahlen wird, oder Parisi. Auftrieb erhält die FI, so La Repubblica weiter, möglicherweise durch die Rückkehr einiger Abtrünniger, die in der Vergangenheit aus Protest gegen den Ex-Premier die FI verließen. Dazu zählt Berlusconis früherer Vize Angelino Alfano, der schon vor zwei Jahren eine "moderate" neue rechte Zentrumspartei (NCD) gründete, die derzeit Regierungspartner Renzis ist. Auch Renato Schifani, der eine Fraktion "Area popolare" anführt, soll mit 13 Senatoren zur Rückkehr bereit sein. Ob Berlusconis Fußballfans FI wählen werden, ist fraglich. Viele sind enttäuscht, dass der Besitzer des FC Milan (Mailand) diesen an ein Konsortium chinesischer Manager aus der Volksrepublik für 750 Millionen Euro verkauft hat. In Zukunft werde also, so La Repubblica ironisch, "eine kommunistische Mannschaft" spielen. Der Vorgang rückt auch die Frage wieder in den Fokus der Diskussion, wie es mit den Finanzen des Medientycoons bestellt ist, der in seiner Regierungszeit zu den reichsten Kapitalisten des Landes zählte, sich aber seit seinem erzwungenen Rücktritt 2011 nicht mehr aus der Staatskassen bedienen kann.

Ungemach droht Renzi aus der eigenen Partei, wo in der vergangenen Woche zehn Senatoren öffentlich ankündigten, im Referendum mit "nein" zu stimmen. Sie fordern, wie La Repubblica am Montag schreibt, das Italicum genannte Wahlgesetz zu ändern und den Siegerbonus zu streichen, der der Siegerpartei bei Parlamentswahlen eine Mehrheit von 340 der gut 600 Sitze im Abgeordnetenhaus sichert. Dagegen bröckelt die Opposition bei der Protestpartei M5S. Sollte sie nach einem Scheitern des Referendums tatsächlich die Wahlen gewinnen, wäre sie im Senat mit den gleichen Problemen konfrontiert wie jetzt Renzi. Nachdem M5S schon erklärt hat, nicht mehr grundsätzlich gegen die EU zu sein und in Rom ihre Ablehnung einer Olympia-Bewerbung überdenken will, könnte auch beim Referendum eine Kehrtwende möglich sein. Zumal die Partei der "Saubermänner/-frauen" gerade mit ihrem ersten Mafia-Skandal konfrontiert ist. In Quarto, einer 40.000-Einwohnerstadt bei Neapel, wird gegen ihre 2015 gewählte Bürgermeisterin Rosa Capuozzo wegen Komplizenschaft mit der Camorra, der Mafia in Kampanien, ermittelt. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt die M5S-Frau, mit Mafia-Stimmen ihren Wahlsieg gesichert zu haben. So schlecht stehen die Chancen für Renzi also gar nicht.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. August 2016

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