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ITALIEN/174: Die sozialdemokratische Regierung will Opfer des G8-Gipfels in Genua entschädigen (Gerhard Feldbauer)


Die sozialdemokratische Regierung in Rom jetzt will jetzt einige Opfer des faschistischen Terrors 2001 beim G8-Gipfel in Genua entschädigen

Jedoch sollen nur sechs von 65 jeweils 45.000 Euro erhalten

von Gerhard Feldbauer, 13. April 2017


Die Regierung des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) in Rom will nach 16 Jahren einige Opfer des faschistischen Terrors der Polizei des damaligen Premiers Silvio Berlusconi beim G8-Gipfel in Genua mit 45.000 Euro pro Person entschädigen. Wie das Il Post Online-Portal am 10. April berichtete, betrifft das jedoch nur sechs von insgesamt 65 Opfern, die beim EU-Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg klagten, mit denen sich "einvernehmlich geeinigt" worden sei. Sie erhalten auch die Gerichtskosten erstattet. Außerdem sollen Folter und andere Gewaltanwendungen, die gegen die Menschenrechtskonvention verstoßen, die bisher nicht untersagt sind, gesetzlich verboten und mit hohen Strafen geahndet werden. Mit der "Einigung" will Rom vorbeugen, dass Kläger höhere Forderungen durchsetzen, wie es in einigen Fällen gelang. Die bisher höchste Summe erstritt im Oktober vorigen Jahres die damals 22jährige Deutsche Tanja W., der 40.000 Euro Schmerzensgeld und für die Angst und die Verletzungen, die sie durch "Folter" erlitt, 80.000 Euro sowie weitere 55.418 Euro für die folgende Teil-Invalidität, und damit also insgesamt 175.418 Euro zuerkannt wurden.

Das Vorgehen der 15.000 Polizisten und Carabinieri im Juli 2001 in Genua war eine geplante Operation, die Berlusconis Vizepremier und Chef der faschistischen Alleanza Nazionale (AN), Gianfranco Fini, persönlich in der Kommandozentrale leitete. Auf dem vorangegangenen Gipfel der mehrheitlich sozialdemokratischen Regierungschefs der EU in Göteborg hatte Berlusconi, den der rechte Starjournalist des Mailänder Corriere della Sera, Indro Montanelli, als einen "neuen Mussolini" charakterisierte, provokatorisch angekündigt, Italien von Kommunisten und Ex-Kommunisten (den sozialdemokratischen Linken) "zu befreien". Genua sollte dementsprechend, wie die kommunistische Liberazione am 24. Juni 2001 schrieb, das Signal zur Errichtung eines "faschistischen oder autoritäreren Regimes" geben.

Wie die Polizei dann in Genua gegen die seit Jahren größten Massenproteste gegen weltweite imperialistische Ausbeutung und Unterdrückung, gegen NATO-Aggressionen und Staatsterror besonders in der Nacht während des Gipfels vorging, wurde von Augenzeugen als eine "chilenische Nacht" geschildert. Eine nächtliche Operation gegen das Pressequartier in der Dias-Schule, in der auch das Genueser Sozialforum untergebracht war, hieß im Polizeijargon "Sturmangriff". Während des Gipfels wurden über 600 Personen festgenommen und "Gefangenensammelstellen" zugeführt. Mehr als 300 Demonstranten, darunter zahlreiche Ausländer, so auch mehrere Deutsche, zum Teil schwer verletzt. Der Student Carlo Giuliani wurde von einem Polizei-Jeep aus erschossen. Allein in der Dias-Schule wurden 54 Personen schwer verletzt festgenommen. Festgenommene, darunter selbst Verletzte, wurden unter Hitler und Mussolinibildern gefoltert und mussten "Viva il Duce" rufen. Die Polizisten skandierten dazu "uno, due, tre. Viva Pinochet".

Der FU-Professor Bodo Zeuner sagte damals, wenn Polizisten, wenn Spezialeinheiten der Polizei "politisch unliebsame Personen, wie in Genua geschehen, mitten in der Nacht überfallen und brutal, ja lebensgefährlich verprügeln, dann ist es zu Folterkellern wie denen der SA im Deutschland von 1933 nur noch ein Schritt" und warnte "vor einer schleichenden Faschisierung."

Erst nach dem Fall Berlusconis 2011 wurden 2013 sieben Polizisten wegen Mißhandlungen zu Gefängnisstrafen von fünf Monaten bis zu drei Jahren verurteilt. Die Straftaten von 70 weiteren Polizisten waren verjährt.

Das Il Post Online-Portal schreibt, dass das dunkle Kapitel des G8-Gipfels keinesfalls abgeschlossen sei und zitiert die Anwältin Laura Tartarini, die erklärt, die Einigung enthalte kein Schuldbekenntnis einer der Parteien und sei "keine moralische Befriedigung".

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Quelle:
© 2017 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. April 2017

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