Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → POLITIK


ITALIEN/189: Mit der Parallelwährung zum Euro-Austritt (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 26. September 2017
(german-foreign-policy.com)

Mit der Parallelwährung zum Euro-Austritt


BERLIN - Mit Blick auf die Parlamentswahlen im Frühjahr 2018 in Italien werden in dem Land zunehmend Überlegungen über einen Ausstieg aus der deutsch dominierten Eurozone angestellt. Während unter anderem die Fünf-Sterne-Bewegung ein Referendum über den Austritt aus der EU-Einheitswährung fordert, plädiert der ehemalige Premierminister Silvio Berlusconi für die Einführung einer Parallelwährung. Diese solle zeigen, "dass die Wirtschaft auch ohne Euro funktionieren" könne, heißt es; langfristig könne sie in einen "Exit aus dem Euro" münden. Die langfristige Stagnation samt schwelender Schuldenkrise, unter der Italien seit Beginn der Eurokrise leidet, facht die Spannungen mit Berlin an - in der Frage, wer künftig die Europäische Zentralbank (EZB) führen soll, wie auch in der Debatte über die Geld- und Finanzpolitik der Eurozone. Beobachter halten ein Einlenken Berlins allerdings für unwahrscheinlich.

Berlusconis Vorstoß

Bereits mitten im deutschen Wahlkampf hatten italienische Spitzenpolitiker öffentlich die Einführung einer Parallelwährung in dem stagnationsgeplagten Mittelmeerland angeregt. Der Vorsitzende der Oppositionspartei Forza Italia, Ex-Premierminister Silvio Berlusconi, forderte dies Ende August in einem Interview mit der Zeitung "Libero Quotidiano", um die langfristig stagnierende Konjunktur der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone nachhaltig zu beleben.[1] Die Äußerung des Medienunternehmers, dessen Rechtspartei gute Aussichten auf einen Erfolg bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 2018 hat, stürzte kurzfristig die europäischen Anleihemärkte in Turbulenzen, da die Zinsen italienischer Staatsanleihen stark anzogen.[2] Berlusconis Forza Italia ist dabei nicht die einzige politische Kraft südlich der Alpen, die über einen Ausstieg aus der deutsch dominierten Eurozone nachdenkt. Die separatistische Lega Nord propagiert ebenfalls eine Parallelwährung. Die Fünf-Sterne-Bewegung des Fernsehstars und Komikers Beppe Grillo strebt gar ein Referendum über den weiteren Verbleib Italiens in der Eurozone an. Derzeit würden Umfragen zufolge rund zwei Drittel der Italiener für einen Ausstieg ihres Landes aus der Eurozone stimmen.

Langer Weg zum Ausstieg

Nach Einschätzung von Beobachtern verweisen die Überlegungen zur Einführung einer Parallelwährung im Unterschied zu einem schlagartigen Austritt auf einen langfristigen Prozess, bei dem Italien, die drittgrößte Volkswirtschaft des EU-Währungsraumes, graduell aus der Eurozone ausscheiden könnte. Demnach haben drei der wichtigsten italienischen Oppositionsparteien ihre Euro-Austrittsdrohungen durch Plädoyers für Parallelwährungen ersetzt, um "Wachstum und Arbeitsplätze" zu schaffen. Sollten diese Ansätze erfolgreich realisiert werden, dann ließen sich viele skeptische Italiener womöglich überzeugen, "dass die Wirtschaft auch ohne Euro funktionieren" könne. Dies werde "einen Exit aus dem Euro wahrscheinlicher" machen.[3] Aus den Reihen der Lega Nord und der Fünf-Sterne-Bewegung heißt es überdies, es drehe sich auch darum, durch die Drohung mit einer Parallelwährung Brüssel zu Konzessionen bei den strikten Finanzregeln der EU zu bewegen, die auf Druck Berlins eingeführt wurden. Dennoch gingen die meisten Befürworter dieses Ansatzes ebenfalls davon aus, dass die Parallelwährung "die Grundlage für einen Exit aus dem Euro" schaffen solle: "Mit einer Parallelwährung können wir bei einem Austritt aus der Eurozone immer noch operieren, selbst wenn die EZB uns zu vernichten sucht, indem sie uns die Liquidität in Euros abdreht", wird ein Politiker der Lega Nord zitiert. Eine realistische Option sei dabei die Ausgabe von Steuergutschriften durch den italienischen Staat, die den Inhaber dazu berechtigten, seine in Euro laufenden Streuschulden zu begleichen. Diese Gutschriften könnten als Zahlungsmittel und Konjunkturspritze fungieren, ohne die strikten Vorgaben Berlins und Brüssels bezüglich der Neuverschuldung formell zu verletzen.[4]

Stagnation, Schulden und Bankenkrise

Tatsächlich hat sich Italiens Beitritt zur Eurozone, deren Struktur und Regelwerk in zunehmendem Maß von Berlin bestimmt wird, für das Mittelmeerland als ein sozioökonomisches Desaster erwiesen. De facto ist Italiens Bruttoinlandsprodukt in den vergangen 15 Jahren nicht mehr gewachsen; die Wirtschaftsleistung pro Kopf der Bevölkerung ist sogar niedriger als bei der Einführung des Euro. Die gemeinsame Währung mit der exportorientierten Bundesrepublik, die kurz nach deren Einführung mit der Agenda 2010 eine Strategie einer massiven internen Abwertung verfolgte, ließ Italien rund 30 Prozent seiner Konkurrenzfähigkeit gegenüber Deutschland verlieren, berichten US-Medien [5]: Die zuvor von der italienischen Geldpolitik praktizierte Strategie der Währungsabwertung, mit der die Konkurrenzfähigkeit des Landes partiell wiederhergestellt werden konnte, war ab 1999 nicht mehr möglich. Hinzu kommt die schwelende Krise des italienischen Finanzsektors. Neben einem sehr hohen staatlichen Schuldenniveau, das sich inzwischen auf rund 132 Prozent des BIP beläuft, leidet der private Finanzmarkt unter einem erheblichen Anteil fauler Kredite: Rund 15 Prozent der Bilanzposten italienischer Banken bestehen aus Verbindlichkeiten, die über längere Zeiträume nicht mehr bedient wurden.

Streit um den EZB-Chefposten

Die zunehmenden sozioökonomischen Spannungen in Italien lassen inzwischen auch den zuvor verdeckt geführten Kampf um die Ausformung der künftigen EU-Geldpolitik eskalieren. Kurz vor der Bundestagswahl stellte Italien in Kooperation mit Frankreich klar, dass für beide Staaten der Deutsche Jens Weidmann als Präsident der Europäischen Zentralbank untragbar sei (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Italienische und französische Diplomaten hätten Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zu verstehen gegeben, dass sie Weidmann an der Spitze der EZB nicht akzeptierten, meldeten deutsche Medien.[7] Eine "flexible und pragmatische Krisenpolitik, wie etwa der massenhafte Ankauf von Staatsanleihen", sei mit Weidmann nicht machbar, hieß es zu Begründung. Über andere deutsche Anwärter auf den Spitzenposten seien Rom und Paris aber durchaus verhandlungsbereit. Berlin bleibt dennoch hart: "Wir haben nur einen qualifizierten Kandidaten im Angebot, und das ist Weidmann", erklären Regierungsvertreter.

Deutschlands Rigidität

Die Auseinandersetzungen um den EZB-Chefposten sind dabei nur eine Front im Kampf um die Umgestaltung der Eurozone, der jetzt, nach der Bundestagswahl, mit voller Schärfe ausbrechen dürfte. Frankreich, Italien und die anderen südeuropäischen Eurostaaten dringen auf die Einführung von Ausgleichsmechanismen, um die horrenden deutschen Handelsüberschüsse auszugleichen, die vor allem die südliche Peripherie der Eurozone in schwere Schulden- und Wirtschaftskrisen stürzten. Zugleich will insbesondere Italien eine Lockerung der strikten deutschen Spar- und Schuldenregeln erreichen, die Bundesfinanzminister Schäuble nach Beginn der Eurokrise in der Eurozone durchsetzte. Italiens Finanzminister Pier Carlo Padoan erklärte gegenüber US-Medien, auch deutsche Banken befänden sich in einer schwierigen Lage.[8] Deutschland habe viel mehr Geld in den Bankensektor gepumpt als Italien - "hunderte von Milliarden Euro"; damals seien freilich "die Regeln noch anders" gewesen. Man müsse nun erkennen, dass die aktuellen Probleme nur durch bessere Kooperation in der EU und "europäische Lösungen" effektiv gelöst werden könnten. US-Medien bleiben bezüglich der Frage, ob Berlin kompromissbereit sei, hingegen skeptisch. Das, was Deutschland wolle, sei nicht das, was Europa brauche, hieß es in einem Kommentar zu den anstehenden Auseinandersetzungen in der EU.[9] Das deutsche Modell mit seiner "ökonomischen Rigidität" in der Währungsunion stehe dem wirtschaftlichen Erfolg des Staatenbundes im Wege. Unter Berücksichtigung der "enormen Vorteile des Euro" für die deutsche Exportwirtschaft müsse in Berlin die Bereitschaft reifen, einen Teil der "Anpassungslast" zu übernehmen, unter der die von wachsenden Ungleichgewichten zerrissene Eurozone leide: "Eine engere Integration und Finanztransfers sind Teil der Antwort." Allerdings schienen "Deutschlands Wähler nicht bereit, die Kosten der ökonomischen Führung zu akzeptieren". Es bleibe abzuwarten, ob Kanzlerin Merkel diese Haltung ändern wollen werde.


Anmerkungen:

[1] András Szigetvary: Parallelwährung für die Pasta: Die Krise macht Italien erfinderisch.
http://derstandard.at 25.08.2017.

[2] Diskussion über Parallelwährung drückt Staatsbonds.
www.handelsblatt.com 22.08.2017.

[3] Italy's dual currency schemes may be long road to euro exit.
www.reuters.com 08.09.2017.

[4] András Szigetvary: Parallelwährung für die Pasta: Die Krise macht Italien erfinderisch.
http://derstandard.at 25.08.2017.

[5] Desmond Lachman: The Euro Crisis Isn't Over.
www.usnews.com 19.09.2017.

[6] S. dazu Vom deutschen Euro zur deutschen EZB
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59659

[7] Peter Müller, Christian Reiermann: Frankreich und Italien wollen Weidmann als EZB-Chef verhindern.
www.spiegel.de 15.09.2017.

[8] Silvia Amaro, Steve Sedgwick: Italy's finance chief says the euro zone still faces problems - even in Germany.
www.cnbc.com 03.09.2017.

[9] What Germany Wants Isn't What Europe Needs.
www.bloomberg.com 19.09.2017.

*

Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
Herausgegeber: German News Informations Services GmbH
c/o Horst Teubert
Hartwichstr. 94, 50733 Köln
Fax: 01212 52 57 08 537
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. September 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang